Wer die SVP und den Rechtspopulismus in der Schweiz bekämpfen will, muss den dort herrschenden Volksgedanken rückhaltlos attackieren.
die Berliner taz über das Schweizer Selbstverständnis
Die Schweizer haben der rechtspopulistischen SVP einen Erdrutschsieg geschenkt.
Ich werde auf dem Heimweg von Siena nun nicht in die Schweiz fahren.
Das kommt überhaupt nicht mehr in Frage.
Denn das Stilfser Joch ist, wie einige andere bei schnellen Fahrern beliebte Pässe, verschneit. Manche haben sogar schon Wintersperre. Und ganz ehrlich: Im Regen macht auch die Reise vom Comer See über die Grenze in die Schweiz, entlang des Inns über St. Moritz nach Deutschland keinen Spass. Ausserdem bekäme ich dann keinen Apfelstrudel bei der Konditorei Prenn im schönen Sterzing, und das wäre aus familienpolitischen Gründen nicht klug. Deshalb meide ich die Schweiz.
Ich würde auch, läge es an der Stelle von Tirol, durch Oberösterreich fahren, wo gerade Volkspartei und die rechtspopulistische FPÖ nach deren Wahlsieg eine Koalition eingehen. Übrigens sind dort die Grünen nach einem mauen Wahlergebnis aus der früher schwarz-grünen Regierung geflogen. In Wien haben sie sich mit leichten Verlusten halten können, während die beiden grünen Parteien in der Schweiz die Hauptwahlverlierer sind. Man sollte glauben, dass ihre Anhänger in Zeiten der Not und der rechten Bedrohung besonders überzeugt und zahlreich an den Urnen erscheinen. Vielleicht war es auch so und das ist alles, was die Grünen noch schaffen. Ich bin kein Wahlforscher. Es gibt aber Grund zur Annahme, dass auch die Rechten genau wussten, wen sie da wählen – es wurde ja oft genug gesagt – und diese Rechten – Entschuldigung, ich weiss, das ist ketzerisch – das Angebot hatten, das den Leuten eher zugesagt hat.
Ob das so sein muss? Ich war in Siena in einer Ausstellung über den Partisanen, Kommunisten, Sozialisten. Humanisten und vor allem Schriftsteller Italo Calvino. Seine Trilogie „Unsere Ahnen“ hätte mein Herz für Italien geöffnet, wäre es in der Hinsicht nicht ohnehin offen wie mancher FIFA-Funktionär für Schmiergelder gewesen. Calvino ist ein grandioser Skeptiker, fröhlicher Fabulierer und grotesker Betrachter der menschlichen Natur, das buffoneske Gegenstück zum Neorealismus, und längst Teil der italienischen Nationalkultur. Ich kann das einfach so schreiben, italienische Nationalkultur, kaum jemand wird sich daran stören, trotz Lega Nord, Berlusconisendern, Ultras und den Neonazis der Casa Pound. Calvino hat die Kommunisten beraten, und hat diese durch und durch italienischen Märchen geschaffen, die das Land einen und bereichern. Wir lesen Effie Briest in der Schule, die Italiener Calvino. Gehen Sie mal auf ein Strassenfest der Rifondazione Comunista mit Spanferkel und Tanz und vergleichen Sie das mit einer Gendertagung bei der Böll-Stiftung, wo eine netzbekannte Lautsprecherin beim Thema Hatepeech sich selbst posttraumatische Belastungsstörungen zuspricht und das, was sie als Sexismus betrachtet, als Volksverhetzung verfolgt sehen möchte. Das ist der Unterschied.
Übrigens war ich während des grossen Erdbebens der Poebene in einem von Kommunisten beherrschten Dorf. Dort ist das Rathaus ein venezianischer Sommerpalast, über und über klassistisch und natürlich auch veneto-nationalistisch ausgemalt. Ich bekam vom Bürgermeister eine tolle Führung, vollkommen unideologisch, nur begeistert von dem Gemäuer, das zum Glück überlebt hat. Da gab es keinen antiitalienischen oder antiklerikalen Jubel, dass die Kirche baufällig war. Es gab sehr viel Pragmatismus und den Willen, das zusammen durchzustehen, als Dorf, als geschundene Region, als Nation. Ich war im Frühjahr wieder dort, auf so einem Fest, bei den Geld gesammelt wurde: Da gab es keine Reden über eine verhasste Nation, da appellierte man an die Geschichte und die Zukunft, und die Frauen kochten und die Männer schleppten die Bänke und niemand sagte das, was heute gerade die Prantlhausener Zeitung über ein Kunstprojekt in meiner Heimat sagt:
Es geht da um einen Street-Art-Künstler aus Suhl, der jetzt in Berlin lebt und Bilder an Brückenpfeiler tapeziert. Die Brücke steht an dem bei diesem Wetter kaum besuchten Sylvensteinspeicher. Hier wird aus der an diesem Ort spielenden Ganghofer-Novelle des „Jäger von Fall“ eine Jägerin. Zwei Männer haben nach Ansicht des Künstlers eher weibliche Rollen, eine Frau tritt dem Betrachter auffordernd und dominant gegenüber. Mit Pelz. Eine Anspielung an Sacher-Masochs Venus im Pelz, nehme ich an, und nachdem die Bilder wieder verschwinden, kann der Künstler die Sache genauer erklären, wenn er Photos der Aktion an Sammler verkauft: Als er von Berlin ins Oberland gefahren ist, um den Hinterwäldlern dort mal künstlerisch klar zu machen, was sie ihn mit ihrem überkommenen Rollenverständnis und ihrer Geschichte können. Mit freundlicher Unterstützung ihrer genderfördernden Prantlhausener Zeitung, die beim Vermarkten sicher nicht ohne Bedeutung ist.
Das Tolle an meiner Hauptnation Deutschland ist die Pressefreiheit, die es einem Hiesigen und Fremden gleichermassen erlauben würde, das zu beklatschen, oder einen billigen Trittbrettfahrer als einen solchen zu bezeichnen. Natürlich ist auch die Freiheit der Kunst und ihrer mitunter prekären Folgen toll. Es gibt aber auch noch andere Grundrechte, wie etwa keinen Zwang, sich mit banalen Provokationen aus Berlin zu beschäftigen. Es gibt die Freiheit, statt dessen das Schlierseer Bauerntheater zu besuchen oder in Bad Tölz Torte zu essen. Man kann Interventionen machen und man kann sie ignorieren, oder sich damit beschäftigen und das Gefühl mitnehmen, dass da jemand mit dem Holzhammer Aufmerksamkeit möchte. Ich halte es eher für unwahrscheinlich, dass es deshalb nun an der VHS Bad Tölz ein Seminar „Social Media“ einer übergewichtigen Feministin aus Berlin geben wird, weil alle die Lektion verstanden haben und nun im Gender Mainstreaming weitergebildet werden möchten. Und so ist das mit Vielem: Wer sich nicht die Mühe macht, auf die Menschen einzugehen und sie zu überzeugen, kommt hier nicht weit. Es reicht einfach nicht aus, den anderen ordinäre Beschimpfungen entgegen zu schleudern, schärfere Gesetze zu fordern, und eigene Wunschbilder an Brücken zu plakatieren.
Und wenn nun im Sportpalaststil von den Guten gefordert wird, das anständige Volk solle aufstehen und im Sturm gegen AfD, SVP und FPÖ losbrechen, würde ich zwar einerseits gern auch noch die Lega Nord anführen – aber auf der anderen Seite zu bedenken geben, dass sich deren Politiker den Bürgern durchaus stellen. Sie kommen nicht an, weil es Leitartikel befehlen, sondern weil sie auf ihren Ochsentouren durch die Provinz Antworten an den Stellen haben, wo andere nicht mal mehr ein höhnisches Lächeln vorbringen, sondern nur noch ein „Leck mich“. Man kann das genau so schreiben, denn genau so kommt es bei den Leuten an. Da kommt jemand, drückt einem etwas Krasses auf und beleidigt einen, erst der Künstler aus Suhl und dann die abgebrochene Theologiestudentin an der Spitze der Grünen, die eine supertolle Meinung von Flüchtlingen hat, während in Tölz für den nächsten Notfall die nächste Turnhalle über das Wochenende geräumt wird. Natürlich sind die Antworten von AfD und Pegida nicht gut. Aber es sind Antworten für einen sehr grossen Lebensbereich der Menschen, das, was man Heimat nennt, und dieser Lebensbereich wird auf der anderen Seite nur als Gegenstand der Verachtung und Ausdruck der Rückschrittlichkeit wahrgenommen: Die Leute haben jetzt doch ihren Biomüll und ihre Gleichstellungsbeauftragte und der Künstler aus Suhl kommt auch: Was wollen die denn jetzt noch? Das war schon beim Bau von Ortsumgehungen – sollen sie doch mehr radeln – nicht wirklich schlau, und wird beim mehrheitlich als Staatsversagen empfundenen Krisenfall nicht besser. Die Menschen wüssten gern, warum sich das Land verändern soll. Und auch, was sie davon ausser Belastungen und Belehrungen über Facharbeiter und Demographie haben. Wer da keine nachvollziehbare Antwort hat, wird kaum williges Fussvolk für seinen Konflikt mit den Rechten finden.
Deutschland hat das enorme Glück, dass es hier keinen Haider, keinen Blocher, keinen Le Pen, keinen Erdogan und keinen Orban gab. AfD und Pegida sollten für eine Demokratie lösbare Aufgaben sein, aber statt dessen merkt man auch in der Prantlhausener Zeitung langsam, dass da in der Gesellschaft eine Spaltung zu entstehen droht, die zu überwinden Arbeit kosten wird. Also gleich mal ein kulturell sensibles „Leck mich, Heimat“ sagen, dann wird sich das Problem schon alleine lösen, und man kommt nicht mit leeren Händen: Diese Schlägereien da, das liegt nicht an den Leuten oder gar dem Alkohol, somdern an den beengten Zuständen, die ihnen in der selbstsüchtigen Heimat zugemutet werden. Man achtet genau auf das, was in dieser Heimat passiert, umd sollte sie nicht wie gewünscht wählen, dann hat sie wohl nicht verstanden, und braucht noch mehr Künstler aus Suhl und Flüchtlinge vom Hindukusch, wo mit dem Exodus die gewaltige Veränderung und die erzwungene Herausforderung dieser unserer Heimat verteidigt wird. Da ist keine Zeit für Fragen.
Ich fahre dann mal über Südtirol in die Heimat. Ganz, ganz langsam, denn ich habe Zeit.