Take me down to the paradise city
where the grass is green and the girls are pretty
Guns n Roses
Es der 4. November. Es ist warm, 22 Grad, und hier oben auf 720 Meter behindert kein Dunst und kein Smog die Strahlen der Sonne auf dem Weg zur Hautkrebsverursachung. Sogar die hier als Kurgäste verweilenden Araber sind leicht angezogen, und zwei alte Damen entledigen sich der Kleidung, tapsen die paar Schritte zur Badeleiter, und gehen schwimmen. Es ist der 4. November und reiche Damen der Ü-70-Klasse baden im Tegernsee.
Ich betrachte diese Szene, in Lycra gekleidet und ein Colnago halten, nach einem erfolgreichen Angriff auf die Wallbergstrasse, einer asphaltierten Gemeinheit mit mehr als zehn Prozent Steigung. Alles um mich herum strotzt vor Gesundheit, es surren die Speichen, im Cafe gibt es vegane Kürbissuppe für knapp sieben Euro, und die hier untergebrachten Flüchtlinge erkennt man daran, dass sie rauchen. Sie kommen aus anderen Kulturkreisen, wo jene, vor denen sie fliehen, Menschen als Schutzschilde benutzen oder Frauen steinigen. Da sei ihnen das Rauchen vergönnt. Gestern war ich in einem anderen Cafe am See: Dort muss man draussen jetzt explizit nach einem Aschenbecher fragen und bekommt ihn wirklich nur widerwillig. Jemand hat das versucht und musste dann einsehen, dass er jetzt besser darauf verzichtet.
Wer also nicht als Flüchtling gelten oder negativ auffallen will, verzichtet besser auf die Raucherei. Wer die Achtung seiner Mitmenschen ergattern möchte, steigt auch im November noch in den Tegernsee. Gleichermassen bekommt er Kinder und bekämpft bei denen natürlich auch das Rauchen. Vorgestern war ich übrigens im Biergarten. Dort wird zwar noch Bier getrunken, aber kaum geraucht. Mir als Bayern, der das von früher auch anders kennt, fällt durchaus auf, dass hier mit Bedacht getrunken wird. Die hiesige Brauerei verdient ihr Geld nicht durch Alkoholiker, sondern durch Kenner und Verankerung in einer reinen, gesunden Region mit Heilklima. „Craft Beer“ muss hier keiner machen, das Handwerkliche und Nahrhafte, das Gute und Besondere war schon immer Markenzeichen des Hauses. Sehr viele Anwesende, besonders jene Scharen, die mit dem Rad die 40 Kilometer von München hergefahren sind, halten sich dann auch an die vegetarischen Gerichte. Niemand in meiner Nähe raucht.
Kurz, wir bestätigen eindrucksvoll die Ergebnisse des jüngst erschienen deutschen Raucher-Atlas, und gäbe es einen Alkoholiker-Atlas, sähe es nicht anders aus: Diese Region im Süden mit dem höchsten Anteil an Millionären – aber was ist schon eine Million in Zeiten wie diesen? – raucht nicht und trinkt gern, aber begrenzt, und dann auch nur Qualität, während die Hartz-IV-Metropole Berlin die meisten Raucher zu verkraften hat. Die Eier sind hier alle bio, auf jeder Speisekarte wird die heimische Produktion herausgestellt, es gibt immer vegetarische Alternativen, und einige Luxushotels bieten natürlich auch üppige vegane Menüs an. Was immer der Gesundheit dient, man bekommt es. Beim Essen und Trinken sind hier alle grün-alternativ, und man sollte auch nicht vergessen, dass es die Ökologen waren, die hier in Bayern das strenge Rauchverbot durchgesetzt haben. Es gibt so etwas wie eine Querfront zwischen ultrakonservativen Anstands- und Naturerhaltern und grünen Moralaposteln, die inzwischen auch ein kritisches Auge auf amerikanische Erfrischungsgetränke werfen. Cola ist auf dem Rückzug und hat auf den Speisekarten ganz viele unschöne Hinweise, was da alles an Stoffen drin ist. Johannisbeerschorle mit Früchten aus der deutschen Region ziemt sich dagegen sehr wohl. Sogar banale Fruchtsafthersteller malen Sprüche wie „aus Omas Garten“ auf die Kartons.
Hanf kann man natürlich hier in Deutschland regional anbauen. Man muss ihn nicht importieren und dann von Menschen mit wunderbarer Natur im Görlitzer Park kaufen. Es gäbe durchaus auch eine Option für deutschen Biohanf aus kontrolliertem Anbau, und ungespritzt wäre er auch. In Mexiko wird Cannabis gerade frei gegeben. In den USA ist es schon eine Weile so. Und gerade scheiterten die Kreuzberger Grünen mit dem Versuch, eine Drogenverkaufsstelle einrichten zu lassen, mit dem Argument, den von ihnen fördernd geduldeten Drogensumpf in Görli und an den U-Bahnen damit bekämpfen zu können – ganz so, als wären Wähler derartiger Politik lediglich harmlose, sozialverträgliche Kiffer und bezögen psychotische Anfälle keinesfalls vom Tablettenkonsum oder Koksen, und das Wort Einstiegsdroge hören die besonders progressiven Grünen nicht so gern. Lieber teilen sie mir mit, dass das Adrenalin, das bei der Abfahrt vom Wallberg in meinen Adern kocht, auch so eine Art natürliche Droge sei und man sie deshalb doch bitte in Ruhe ihre Joints rauchen lassen sollte.
Noch keiner konnte mir erklären, warum sie, wenn mein Adrenalin schon kostenlos und legal auf Pässen erhältlich ist, nicht das tun, was jeder normale Mensch tut: Ein Rennrad kaufen, vermögend sein und an den Tegernsee zu den feinen Bergstrassen ziehen. Da ist sie doch, die klare, gesunde und legale Alternative zum Cannabis, und den gestählten Körper, gute Luft und Sonnenschein gibt es gratis dazu. Vermutlich gibt es auch einen ordentlichen Schub der Körpersäfte, wenn man im November im See badet. Das alles ist bei uns akzeptiert und wird auch gelobt – niemand muss sich deshalb eine Tüte drehen. Und da sehe ich auch das eigentliche Problem der Kiffer: Würde man die Droge freigeben, würden die Kiffer öffentlich damit auftreten, und dafür sorgen, dass hier bei uns mehr geraucht wird. Wir rotten hier nicht den normalen Raucher mit brutaler Diskriminierung aus, wir reden nicht Sondertarifen für Glimmstengelfreunde bei der Krankenkasse das Wort, nur damit die nächsten hier wieder das Heilklima verpesten. Es mag schon sein, dass irgendwann die Freigabe kommt – aber das wird dann auch der Tag sein, an dem die neuen Verbote in Gaststätten und im öffentlichen Raum kommen.
Denn etwas nicht verbieten bedeutet noch lange nicht, dass man es sozial akzeptieren muss. Man kann auch eine Flasche Strohrum kaufen und sie am See austrinken. Das ist legal, wird aber dennoch nicht gewünscht und hätte für das Sozialprestige des Säufers sicher unangenehme Folgen. Ohnehin sind viele Dinge nur legal, weil nicht jeder alle Möglichkeiten missbraucht – würde sich etwa jeder Unerfahrene mit einem MTB die Wanderwege hinab stürzen, gäbe es in kürzester Zeit eine Debatte um die Aufstellung von Verbotsschildern, die solche Störer auf die Radwege am See verbannen würde. Jemandem etwas eventuell erlauben ist das eine – Passivhaschen oder gar Kindern anderer Leute so etwas anbieten jedoch käme hier ganz schlecht an. Und mit der von den Grünen geprägten Bio- und Gesundheitsdiktatur ist auch ein Kraut gegen die von den Grünen geprägte Haschischtoleranz gewachsen. „Recht auf Rausch“ hiess es früher von Seiten der Kiffer, als in Bayern noch richtig gesoffen wurde. Das zieht hier schon etwas länger nicht mehr. Hier gilt „Pflicht für Bio, regionale Zutaten, körperliche Fitness und reine Luft“. Die Menschen und die Vorbehalte ändern sich, Und Kiffer haben mit ihren Tüten hier das Pech, dass ihr Laster an jenes angelegt ist, das gerade gnadenlos weggesäubert wird.
Es mag also sein, dass die Zukunft die Gesetze liberalisieren wird, aber die gesamtgesellschaftliche Entwicklung geht einen anderen Weg. Denn niemand kann einem verbieten, andere wegen ihrer Konsumgewohnheiten zu diskriminieren, fertig zu machen und dem Mob vorzuwerfen. Niemand hat diese Kultur der moralisch sauberen Hexenjagd so sehr perfektioniert, wie Pressure Groups des politischen Umfelds der Grünen und Linken: Beim Strom, bei Radiowettbewerben zum meisten Holz vor der Hüttn, bei Spielzeug, bei der Farbe von Mädchenprodukten, beim Essen, beim Angebot und Erwerb sexueller Dienstleistungen, bei der Umschreibung wunderbarer Menschen, bei der Herkunft des Tropenholzes und beim Energieausweis der Häuser, und jetzt auch noch bei VW und dem Abgasskandal. Es ist erkennbar, dass in diesem Verdammungskreislauf der nicht nachhaltige und ungesunde, mehrheitlich männliche und cisheteronormative, phallussymbolische und sexuell enthemmte Kiffer mit seinen Abgasen das nächste natürliche Opfer nach der Ausrottung des Playboy-Bunnies sein wird. Für einen Abstinenzler wie mich ist das natürlich sehr angenehm, denn ich weiss als Naturbursch nicht nur, wo die Häschen laufen. Ich kann auch gut mit einem Geschwisterkrieg ehemaliger Verbündeter leben, die sich gegenseitig an die Gurgel gehen. In Berlin bitte. Am Tegernsee wissen wir selbst, wie wir solche Leute ganz einfach mit hohen Immobilienpreisen verhindern.