Bei der AfD wird bereits Sekt kaltgestellt. Am 13. März wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gewählt. Die AfD will als konservative Alternative zur Union punkten. Doch ein Blick in das Wahlprogramm zeigt: Sie ist längst mehr als das.
Laut Emnid können sich nur zwei Prozent der wahlberechtigten Frauen vorstellen, die AfD zu wählen. Ein Blick ins Wahlprogramm erklärt, warum. Ein Beispiel: Die CDU ist seit den 70ern für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Das war ein wichtiger Schritt, der Leben rettete – schließlich waren Todesfälle durch illegale Schwangerschaftsabbrüche damals an der Tagesordnung. Der AfD Rheinland-Pfalz ist das egal, sie fordert einen „Schutz des menschlichen Lebens in allen seinen Phasen von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod.“ Klartext: Abtreibungsverbot. Denn die AfD sorgt sich um die „Fruchtbarkeitsraten“ der weiblichen Bevölkerung. Die AfD Baden-Württemberg malt sich gar aus, durch eine „Reduzierung der viel zu hohen Abtreibungszahlen“ das Demographieproblem beseitigen zu können. Pro Jahr würde das tatsächlich 100.000 ungewollte Elternschaften mit sich bringen. Doch ob es im Sinne des Kindeswohls ist, Eltern zu ihrem Glück zu zwingen, kann bezweifelt werden. Mit Beatrix von Storch wurde eine radikale “Lebensschützerin” über die AfD-Liste ins EU-Parlament gewählt, die Stammzellenforschung als “Kinderleichen-Handel” bezeichnet. Diese Frau ist heute stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei. Bei den weiblichen Mitgliedern der Union wären derart ewig gestrige Positionen undurchsetzbar gewesen – und das seit Jahrzehnten.
Die Vision der AfD orientiert sich am Frauenbild der 60er: Echte Erfüllung findet eine Frau nur in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Selbstredend, dass in dieser Welt „nur die Ehe zwischen Mann und Frau eine Familie begründen kann“. Patchwork-Familien, Alleinerziehende und Geschiedene gelten in diesem Weltbild als gescheitert, als Abweichung von der Norm. Im Programm Baden-Württemberg heißt es gar, „dass derzeit mehr als jede Dritte Ehe in Deutschland geschieden wird, ist nicht akzeptabel“. Es geht dabei keineswegs um leben und leben lassen, sondern vor allem darum, das antike Wertegerüst durch Steuermittel in der Gesellschaft und den Köpfen der Kinder zu verankern, wie das Wahlprogramm zeigt: „Die AfD will auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einwirken und auch im Bildungsbereich Anstrengungen unternehmen, damit Ehe und Familie positiv dargestellt werden.“ Während die AfD über Medienbeeinflussung durch Parteien und „Lügenpresse“ poltert hätte sie kein Problem damit wenn es nur den eigenen Vorstellungen dient. Die Veröffentlichung von Umfrageergebnissen vor der Wahl wollte Partei-Vize Petry gar gesetzlich verbieten, als die AfD noch an der 5-Prozent-Hürde scheiterte.
Unter den Wählern der AfD sind auch Menschen unter 20 Jahren eine verschwindende Minderheit. Im Wahlprogramm findet sich trotzdem ein ganzer Katalog von Maßnahmen, die vor allem die Jugend betreffen. Eine der Forderungen aus Sachsen-Anhalt: „Homeschooling“ soll erlaubt und die Schulpflicht abgeschafft werden. Vor allem für radikale christlichen Sekten ist dies ein wichtiger Punkt, da Kinder der Gemeinschaft so besser vom Kontakt mit gleichaltrigen und Bezugspersonen aus dem nicht-religiösen Umfeld abgeschirmt werden können. AfD-Funktionäre wie Beatrix von Storch sind mit solchen Gruppen, die Evolutionstheorie am liebsten von den Lehrplänen streichen wollen, bestens vernetzt.
Nach den Willen der AfD soll das gesamte Schulsystem umgebaut werden. Die Vermittlung der „klassischen Preußischen Tugenden“ soll im Mittelpunkt stehen und zur Not auch mit stärkerer „Unterrichtsdisziplin“ durchgesetzt werden, um „starke Männer“ zu formen. Neben der Wehrpflicht soll ein „Tag des Heimatschutzes“ eingeführt werden. Die AfD Sachsen-Anhalt will die Lehrpläne außerdem zugunsten „positiver Anknüpfungspunkte“ umschreiben, damit die Geschichte Deutschlands in Zukunft „angemessen und unverfälscht“ wiedergegeben wird. An welchen Stellen dies momentan nicht der Fall sein sollte, wird nicht gesagt. Ziel der neuen AfD-Erziehung soll eine „gefestigte Nationalidentität“ der Kinder sein. Auch außerhalb der Schule will die AfD einschreiten und einer angeblichen „Verrohung der Jugendlichen wirksam entgegentreten“.
Weiter heißt es, Medien verleiteten Jugendliche zu „Promiskuität und Gewalt“. Wie das im Netz konkret durchgesetzt werden soll – ob Internetsperren oder Alterskontrolle – wird nicht gesagt. Selbst vor der Hochkultur macht die Regulierungswut der AfD Sachsen-Anhalt nicht halt. In Theatern sollen klassische deutsche Stücke nur noch so gespielt werden, dass sie „zur Identifikation mit unserem Land anregen“. Nicht umsonst gilt die Freiheit der Kunst als Gradmesser für die Meinungsfreiheit. Derartige Vorschriften zu Aufführungen und Interpretationen von Theaterstücken kennt man bisher nur von Regimen wie Ungarn. Dafür findet die AfD Baden-Württemberg die Datenspeicherung ausgezeichnet, denn “Datenschutz darf kein Täterschutz sein” – da ist man eben ganz wie die Etablierten.
In einem anderen Punkt unterscheidet sich die AfD wiederum massiv von den Etablierten. Über den Weg zur Klimarettung lässt sich herrlich streiten. Auch in der Wissenschaft. Doch selbsternannte „Klimakritiker“, die den Klimawandel leugnen, spielen in der wissenschaftlichen Debatte keine Rolle. Ihre Argumente überzeugen keinen Forscher von Rang und Namen. 1986 wurde mit Walter Wallmann von der CDU der erste Umweltminister der Bundesrepublik Deutschland vereidigt. Die Wissenschaft ist sich damals wie heute einig: Wenn wir so weitermachen wie bisher, droht das Klima zu kippen.
Bekannt wurde die AfD unter Bernd Lucke als Professorenpartei. Doch das ist sie längst nicht mehr. Die AfD glaubt entgegen der Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte an eine „unbelegte Klimaschädlichkeit“ des CO2. Im Programm der AfD Baden-Württemberg heißt es: „Die Politik hat den Klimawandel zu einer menschengemachten Klimakatastrophe hochstilisiert“. Die AfD ist jedoch nicht die einzige Partei, die den Klimawandel für einen großen Schwindel hält. Beim “Bündnis-C”, einer radikalchristlichen Partei, warnt man davor dass “ökologische Katastrophen stattfinden, aber sie sind nicht die eigentliche Ursache, sondern Symptom für grundlegende Missstände, nämlich einer progressiven ethischen Verrohung der Menschheit.” Der religiös-radikale Kern der AfD rund um Beatrix von Storch würde hierzu applaudieren. Hier orientiert man sich lieber nach Gott, anstatt nach dem gesunden Menschenverstand.
Es kam wie es kommen musste. Die Geister, die Bernd Lucke mit einem Mitgliederwachstum um jeden Preis rief, beherrschen nun die Partei. Die neue AfD unserer Tage ist längst eine deutsche Version der amerikanischen Tea Party. Das bedeutet auch ein Ende des seriösen Anstrichs. Das Selbstverständnis als Professorenpartei ist der einfachen Bedienung von Ängsten gewichen. Und auch die Professoren sind längst weg.
Ich weiß, ich weiß – Spinner gibt es in jeder Partei. Doch Menschen, die in anderen Parteien keine Chancen hätten, machen bei der AfD jetzt Karriere. Gegen den Spitzenkandidaten aus Sachsen-Anhalt laufen gleich mehrere Haftbefehle. Petry droht eine Strafanzeige wegen Meineids. Beatrix von Storch war in einen Spendenskandal rund um ihren Verein “Zivile Koalition” verwickelt. Der Spitzenkandidat für Rheinland-Pfalz war vorher Mitglied bei der vom Bayerischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften und beobachteten Partei “Die Freiheit”. Viele der Mitglieder mit rechten “Altlasten” haben sich in der “Patriotische Plattform” rund um Björn Höcke zusammengeschlossen und sind dabei die Partei immer weiter und weiter zu radikalisieren. Es ist keiner mehr da der sie stoppen kann – oder stoppen will.
Mit dem Austritt des liberalen Flügels um Bernd Lucke ist die Balance in der AfD endgültig gekippt zugunsten von rechten Scharfmachern und religiösen Fundamentalisten, die selbst den Papst als Weichei verhöhnen. Diese Leute schreiben jetzt das Wahlprogramm. Und diese Leute werden in Parlamenten sitzen. Mut zur Wahrheit – das bedeutet auch einzusehen: Das ist nicht der konservative Rand der Union. Hinter der bürgerlichen Fassade verbirgt sich längst etwas völlig anders. Und von der ursprünglichen Professorenpartei blieb nur noch das Partei-Logo.