Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Ruchlos, charakterlos, bargeldlos

Si fueris Romae, Romano vivito more
Für Chiara Ravenna und Jörg Kachelmann

Sie werden schockiert sein.

Denn Sie kennen das alle: Sie schlendern durch Verona, über die Piazza delle Erbe, und dann fällt Ihnen mit dem Sprizz in der Hand ein, dass drei Jahre alter Parmigiano in Deutschland nie so gut ist wie der, den man hier in der Antica Salumeria bekommt. Also gehen Sie rüber auf den Corso, schlendern an den Auslagen vorbei, kaufen neben dem Käse auch noch einen Limoncello, einen Schinken als Geschenk, drei Flaschen Roten und zur Verdauung einen Grappa – was man halt so mitnimmt. Jetzt ist aber wirklich genug, denken Sie, und machen sich auf den Weg zum Auto – und dann sehen Sie die Frau, mit der Sie den Rest Ihres Lebens verbringen wollen.

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Das kennen wir Gemäldesammler alle, diesen Moment, da uns klar wird, dass das Leben kurz und die Kunst ewig ist, und dass unsere Erben es einmal besser haben sollen als das Plebs, dessen Kinder dereinst Schubladen voller kaputter Iphones und schränkeweise Billigkleider finden werden, und nach dem Erbunfall nur die Entrümpler kommen lassen kann. Wir jedoch wollen auch keinen Goldplunder im Depot, von dem man nichts hat, sondern Jugend, Schönheit und Freude an den Wänden. Etwas, das seinen Wert nie verlieren wird, weil es Kunst ist, ganz im Gegensatz zu Geld. Und weil der Versand nach Deutschland schwierig und riskant wäre, weil es für Barzahlung Sconto gibt und irgendwie vergessen wird, dass eine Rechnung geschrieben werden müsste, aber der Verkäufer nochmal 200 Euro Rabatt gibt, weil man sich unter Kunstfreunden bestens versteht – weil sich das alles irgendwie fügt und noch genug Geld da ist, drückt unsereins dem Patron ein paar tausend Euro in die Hand und wird von nun an immer an das Lebensglück in Verona denken, wenn er an ihrem Lächeln vorbei kommen.

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Und jetzt die schockierende Nachricht. Sie werden es nicht glauben. Das war illegal. Es gibt in Italien eine Obergrenze von lumpigen tausend Euro für Bargeschäfte.

Ich habe das erst gestern Abend erfahren. Ich mein, ich kenne Italien, ich habe viele Monate dort gelebt und alles mögliche bar bezahlt. Es ist Italien, die halbe italienische Wirtschaft basiert auf 500-Euro-Scheinen. In Sizilien hebt man Geld ab, sobald es auf dem Konto ist, und bringt es nach Hause, wo immer ein Familienmitglied bleibt und aufpasst, wenn die anderen in die Kirche gehen und sich vor dem Bild von Padre Pio, dem Schutzheiligen der Schlitzohren bekreuzigen. Spanien, Portugal, Italien, Griechenland, bayerische Rüstungskonzerne, Frankfurter PR-Agenturen, die 500er unter dem Teppich sind längst Bestandteil der Folklore. Jeder weiss doch, dass es mit der Buchführung wie mit der Moral ist: Eine ist gut, eine doppelte ist besser.

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Es gibt da also eine Obergrenze in Italien und alles, was darüber hinausgeht, ist dann eben Verhandlungssache. Aber auch die 5000 Euro, die für Deutschland im Gespräch sind, sind unter Plutokraten eher Petitessen. Auf die Frage „Haben Sie schon mal mehr als 5000 Euro bar bezahlt“ gibt es zwei Arten von Antworten: Ehrliche mit Ja und ehrliche mit Ja, über die man aber öffentlich nicht reden kann. Natürlich stöhnen Wirtschaftsstrafkammern unter den perfiden Konstrukten, die im grossen Stil Kickback-Geschäfte vertuschen. Dort werden wirklich namhafte Summen zwischen namenlosen Persönlichkeiten und ihren steuergünstigen Frauen verschoben. Aber finanziellen Kleinkram, den man in Verona in ein Gemälde, Käse, Rotwein und vielleicht noch einen heikomaasgeschneiderten Politikermantel – stets leicht zu wenden – umsetzen könnte, wickeln Italiener traditionell in bar ab. When in Rome, do as the Romans do. Wir leben im freien Europa. Man kann den Reichen nicht befehlen, ihre Sammlung nur in Deutschland aufzubauen.

Was ich damit sagen will: Gesetze sind das eine. Die Umsetzung das andere. Selbst bei einer Abschaffung des Bargelds in Europa würden sich die Grossen und Einflussreichen Scheingeschäfte und andere längst bekannte Methoden optimieren lassen, um Dinge zu tun, die schon immer getan wurden, solange man Ehrenmann oder Freund von Freunden war. Für Kleinigkeiten würde man eben auf Fremdwährungen zurückgreifen, wie etwa den weltweit gern gesehenen Schweizer Franken. Es ist hier wie so oft – dem Volke wird gesagt, die Massnahme beträfe etwas, das sie gar nicht merken, denn wer gibt schon auf einen Schlag so viel Geld aus, und wer hortet schon 500-Euro-Scheine. Das betrifft nur arrogante Gemäldekaufer in Verona, während das Volk arbeitsam und ehrlich seinen Beitrag zur Solidargemeinschaft leistet. Gleiches Recht für alle bedeutet nun mal eben auch Verbote für manche, tönt die Politik dann gerne, wenn sie unsereins als Problemfall vorführen kann.
Tatsächlich jedoch überweise auch ich viele Beträge bei der Bank, wie vermutlich jeder, der sich keine Sorgen um die Zukunft macht. Was soll schon passieren? Meine Texte sind beliebt, ich habe einen famosen Auftraggeber, und könnte dazu, falls es eng werden würde, auch noch genug Wohneigentum vermieten, um dem Staat für die Unterbringung von ca. 20 Asylbewerbern monströse Profite aus den Rippen zu schneiden – irgendwo müssen die 50 Milliarden Kosten ja auch wieder landen. Sollte es so weit und lukrativ kommen, werde ich das Staatsversagen auch so schön schreiben, als wäre das hier die Pranthausener Zeitung. Ich sehe der Zukunft gelassen entgegen. Allerdings würde ich ganz anders reagieren, wenn Gefahr drohen sollte, in die Fänge des Hartz-IV-Systems oder der staatlichen Pflege zu fallen.

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In diesen Fällen, die sich an das Privateigentum der Betroffenen halten und erst helfen, wenn nur noch der Freibetrag da ist, durchgesetzt von Bürokraten, die das Opfer brutaler ausforschen als die NSA, empfinde ich es auch unter grösstem Bemühen kaum als Unrecht, wenn Bürger zur Notwehr greifen und finanzielle Polster jenseits der Durchgriffsklauen des Staates anlegen. Da kommt für den kleinen Mann ohne Ausweichmöglichkeit Gold in Frage, Silber, oder eben Bargeld unter dem Teppich. Das hat Tradition – wir haben in meiner Familie beispielsweise noch mehrere tausend Mark, und bitte, das waren Goldmark aus dem Kaiserreich, die meine Ururgrossmutter dummerweise in Form von Geldscheinen statt Münzen in einer Zuckerdose versteckt hat, bis sie nach dem Krieg wertlos wurden. Gegen solche Bewahrer kleinerer Summen richtet sich die Abschaffung der grossen Geldscheine, denn sie werden über kurz oder lang gezwungen sein, ihre Ersparnisse in jenen imposanten Papieren unter dem Teppich umzutauschen. Und gegen sie wendet sich natürlich auch die Obergrenze der Barzahlung: Wer dann einen grösseren Betrag vom Konto abhebt, macht sich natürlich verdächtig, solche Geschäfte zu betreiben. Nicht der Grossbürger spürt da die kalte Kralle des Staates um den Hals – es ist das alte Mütterchen, der für das Erbe seiner Kinder vorausdenkende Vater, der anständige Bürger, der sich an den Umgang der Kanzlerin mit den Zyprioten erinnert und nun hört, dass auch die Deutsche Bank zypriotische Tendenzen zeigt.

Wir sitzen also alle im gleichen Boot, die einen auf dem Sonnendeck nahe der Rettungsboote, die bis in die Schweiz gerudert werden können, und die anderen tief unten unter der Wasserlinie hinter den Schotten, die man bekanntlich dicht macht, wenn das Schiff voller Wasser läuft. Was da gerade über grosse Scheine und Bargeld gesagt wird, ist angeblich nur eine Art Ordnungsmassnahme für die Sicherheit auf dem Oberdeck. Es ist angeblich kein Anlass für die Leute in den Kombüsen, Frachträumen und an den Kesseln, sich nach einem Rettungsring umzuschauen. Das braucht keiner, heisst es, denn das Schiff ist ja unsinkbar. Vertrauen Sie den Offizieren, die wissen, was gut für Sie ist. So wie die Offiziere auch Ihnen vertrauen werden, wenn Sie alternativlos dem System ausgeliefert sein werden.

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Ich bin dann sicher schon in Italien von Bord gegangen und winke ihnen vom Ufer aus zu. Denn mit dem Staat ist es wie mit Freunden: Wenn sie einem nicht vertrauen, warum sollte man ihnen vertrauen?