Wer in der Demokratie die Wahrheit sagt, wird von der Masse getötet.
Platon
Es wird Frühling, und das merkt man an drei unvermeidlichen Anzeichen: Die Dividenden gehen ein. Der Reichtumsbericht, auch bekannt als das Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft, wird veröffentlicht. Und solange es noch kalt ist und die Menschen frieren und schlecht gelaunt sind, so sie weder das erste noch das zweite Anzeichen freudig stimmt, veröffentlicht der paritätische Wohlfahrtsverband seinen wie immer erschreckenden Armutsbericht. Dann beklagen die Medien auch, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht. Dieses Jahr jedoch hörte ich auch anderes. Die Prantlhausener Zeitung hat auf die Methodik der relativen Armutsdefinition hingewiesen und der Überzeugung Ausdruck verliehen, man dürfte diesen scheinbaren Armutsbefund auf keinen Fall gegen die Kosten für die Flüchtlinge – hier würde ich korrigierend anmerken, Migranten, unter denen auch echte Flüchtlinge sind – ausspielen.
Sicher regt sich bei der Prantlhausener Zeitung jemand auf, wenn ich nun behaupte, dass man mit den zig Milliarden, die da ausgegeben werden, auch das Kindergeld für einkommensschwache Familien und die Betreuungsangebote verbessern, statt Schulen durch Integrationsexperimente belasten könnte, und ich will heute auch gar nicht so sein und auf etwas ganz anderes hinaus: Dass ich nämlich nichts für die weiter auseinander gehende Schere von Arm und Reich kann. Wer dieses Blog hier kennt, weiss um meinen nichtsnutzigen Charakter und um meine Aversion gegen geregelte Arbeit: Nichts, gar nichts habe ich ernsthaft unternommen, um mich zu bereichern. Ich sass lediglich in meinen Wohnungen und habe Gemälde umgehängt. Das allerdings reicht laut Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft schon aus: “Gaga“ nennt man dort die Preisentwicklung in den besseren Lagen der Republik, die, Sie ahnen es, von den besseren Kreisen bewohnt werden.
Das fliesst natürlich in die Berechnung des Vermögens der Deutschen mit ein, und sorgt – auf dem Papier – für wirklich hübsche Renditen durch den Umstand, dass die Füsse auf Parkett ruhen und auch im Bad ein Kronleuchter funkelt. Mir gefällt das, aber Autoren der Prantlhausener Zeitung sind als Mieter so sauertöpfisch, wie sie über diese Entwicklungen schreiben. Prantlhausen ist zwar reich, aber das drängt prekär Beschäftigte nun mal an den gesellschaftlichen Rand, ohne Aussicht, sich dort jemals selbst eine Wohnung kaufen zu können. Über Gründe und Folgen lässt sich viel debattieren, aber wenn man solche Entwicklungen vom Wasmitmedienende her denkt, wirkt ein Armutsbericht exakt so bedrohlich wie die Aussicht auf das Alter in einer Wohnanlage des Hasenbergls. Ich bin nicht indolent, ich kann die Klage über die Preissteigerung schon verstehen – nur einstimmen möchte ich nicht. Ich kann nichts dafür, das ist der Markt. Ob ich die Preise, die für meine Münchner Wohnung aufgerufen werden, noch als rational betrachte, spielt keine Rolle. Es ist nicht meine Schuld, nur mein Besitz.
Gestern bin ich von meinem Besitz hinaus zum See geradelt, und traf dort die S.. Die S. hat eine ältere Schwester und diese Schwester wiederum, oder besser, ihre Zeugung, war der Grund, warum die Eltern der S. gschwind hom heirodn miassn – so wollte es damals das ungeschriebene Gesetz der Bajuwaren, das vor dem Pillenknick keinerlei Rücksicht auf tatsächliche Neigungen nahm, so wie heute noch in den ländlichen Regionen von Afghanistan. Man kommt nicht umhin zuzugeben, dass die beiden vollkommen unterschiedliche Wesen repräsentierten, denn ein Partner war enorm sittenstreng und der andere so locker, dass man sich wirklich fragen musste wie das überhaupt… aber es war jedenfalls so und obwohl die beiden nach Einschätzung ihrer Freunde überhaupt nicht passten, heirateten sie, bekamen wunschgemäss noch die S., sparten, bauten ein grosses Haus, kümmerten sich auch um die beiden Schwiegermütter und hielten zusammen – und am Ende dieser Entwicklung standen eben die S. und ihre Schwester als ordentliches Heiratsmaterial mit Aussicht auf sehr erbauliche Erbschaften. Ich sage das, weil die Schwester der S. nämlich eine wirklich gute Ehe führt und die S. zwar von einem greislichen Hodalumpn geschieden und alleinerziehende Mutter ist, aber genug Diridari da ist, damit sie sich keine Sorgen machen muss.
Selbsterfüllung geht natürlich anders als lebenslanges Zurückstecken zugunsten der Kinder, Verzicht auf Affären und Berücksichtigung der Tilgung des Hauskredits bei der Urlaubsplanung. Aufgeschlossene, junge Menschen verlassen daher die Enge ihrer spiessigen Heimat und ziehen zu anderen Fortschrittlichen nach Berlin. Theoretisch ist das eine prima Sache, denn dort finden sie Ihresgleichen und haben somit Aussicht auf ein erbauliches Leben nach eigener Vorstellung: Eine Konvenienzehe des neuen Typs, orientiert an Genderideologie, Offenheit und respektvollem Umgang bei gegenseitiger Gewährung aller Freiheiten. Stets sitze ich in Bayerisch-Kundus erfreut nickend vor dem Rechner, wenn ich Bilder der Hochzeiten von Piratenpolitikern und feministischen Aktivistinnen sehe, und denke mir: Das ist es, das neue, von Zwängen befreite Deutschland. Sie gehen ihren eigenen Weg in die Zukunft. Selbstbestimmt und eigenverantwortlich. Nicht so wie bei uns früher in Afghanistan.
Das klingt alles phantastisch, bis durchsickert, dass die Feministin dann doch irgendwann zum Mitarbeiter eines Kollegen nebenhinaus ging und das nicht so wirklich gut ankam. Es findet seine Fortsetzung in Frauen, die dachten, Kinder gehen so nebenher und die Mutterrolle unterschätzten, während die Männer dachten, alles geht so weiter wie früher. Gewisse Aspekte des Familiendaseins, die Disziplin erfordern, gehen auch in Berlin nicht nebenher, und die eine oder der andere wollten zwar nur Partner und Modekind, aber keine Verantwortung. Und weil da alle so multioptional und flexibel dank Mietwohnung sind, kommt es eben zu Scheidungen. Auch bei uns, aber vor allem in Berlin. Und dann, verrät mir der Armutsbericht wiederum, sei das Armutsrisiko bei alleinerziehenden Müttern besonders hoch. 42 Prozent im Bundesschnitt. Und Berlin hat den höchsten Anteil an Alleinerziehenden: Das betrifft dort jede dritte Familie, und fast 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen.
Bei uns in Bayern ist der Anteil der Alleinerziehenden in Folge von talibanöser Spiessigkeit, afghanischer Stammesmoral und Hang zur Versorgungsehe im Eigenheim mit 17 Prozent nur halb so hoch. Was für Dramen des privaten Unglücks und der fehlenden Erfüllung werden sich hier hier hinter den nackten Zahlen und Goldkantengardinen verbergen, mag nun mancher rufen. Wo soll da die alternativ-genderqueere Wagenburg Nachwuchs finden, um sich gegen den Ansturm der Flüchtlinge tatkräftig zu wehren? Dazu weiss ich nichts; denn ich kenne zwar durchaus Alleinerziehende, die wirklich die besten Eltern sind, die man sich wünschen kann. Aber wo es in meinem Umfeld klappt, da klappt es auch. Selbst wenn deren wohnküchigen Neubauträume nun nicht wirklich das Ambiente darstellen, dem ich gewogen wäre. Am Faktum, dass eine deutlich niedrigere Trennungsquote als in Berlin möglich ist, ändert das überhaupt nichts. Womit sich natürlich die Frage stellt, ob all die Bewussten und Gendernormierten in Berlin und diejenigen, die Deutschland erneuern und privat wie der Bundesjustizminister enden wollen, nur mit geringerer Besoldung – nicht auch ein ganz wenig selbst dafür verantwortlich sind, dass es im Frühjahr auf Seiten der weniger Glücklichen diese reichlich hohen Zahlen und Schlagzeilen des Armutsberichts gibt. Ja, es erstaunt mich auch, dass im Schatten von Fernsehturm und Böll-Stiftung nicht jeder bereit ist, seinen Unterhaltsanteil zu erbringen. Vielleicht ist auch mancher Kerl unter der filzbärtigen Hipsterschale innerlich immer noch ein Pascha geblieben.
Ich habe vor diesem Beitrag noch einmal nachgeschaut und nein, es gibt nirgendwo Angehörige einer Hochrisikogruppe für Armut, deren Schicksal zu meinem Besitz beitragen würde. Wirklich. Das sind zwei völlig von einander unabhängige Erscheinungen, die Immobilienpreise auf der einen und die Folgen privater Missgeschicke auf der anderen Seite. Das hängt nicht zusammen, allein schon, weil ich niemanden ausbeute und auch garantiert keinerlei Anteil an Trennungsentscheidungen der anderen habe und wenn doch, halte ich mich an meine eigene Schicht. Das ist keine soziale Schere, deren Teile eine Verbindung hätten.
Vielleicht sollten sich Medien also ein wenig genauer mit den Ursachen von Armut und Reichtum beschäftigen. Beides kann einem wie ein Unfall passieren, aber manche sind selbst wirklich ein klein wenig verantwortlich. Das eine bedingt nicht zwingend das andere, so wie, sagen wir mal, eine etwas grössere Gemäldesammlung den Umstand, dass einer allein gut und gern 170 m² Residierfläche benötigt. Das ist dann wirklich etwas ganz anderes, und sollte kein Anlass für sozialneidvolles Vergleichen in der Prantlhausener Zeitung sein.