Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Alternativlos: Deutsche Machthaber wie Schinken räuchern

Ein Beytrag, worin geschildert wyrd die Historia teutscher Herren, welche sint krepieret beym Staatsversagen und dero Kadaver conservieret wurden, statt dergleichen im Amte zu halten, wie es heutigentaggs Sitte seyn mag.

Zwischen dem Kopf des Schweins und dem Rumpf fehlen bereits der Hals und etliche Rippen, weshalb man das Tier nicht mehr auf den ersten Blick erkennt. Ausserdem wurden die Beine vorab entfernt, um daraus Schinken zu machen. Man könnte den Rest des Schweins für eine übergrosse Wurst halten, wenn man nicht zu genau hinschaut: Aber ich bin Vegetarier und daher ethisch neutral, und erkläre hier oben in der guten Luft von Montalcino als Cicerone nur zu gern, wo der abgehackte Kopf des Schweins mit weit aufgerissenem Maul zu sehen ist. Und dass hier tatsächlich ein weitgehend erhaltenes Tier am Stück liegt, das nun zerteilt wird. Sollte jemand in meiner Begleitung nun Lust auf den in Italien ansonsten nicht so oft anzutreffenden Schweinsbraten haben, so wäre nun die Gelegenheit, und der Metzger hackt mit dem Beil gern eine Scheibe… nein? So bleich um die Nase? Aber bitte, das hier ist doch nur ehrlich, da sieht man, dass man wirklich frisches italienisches Schwein und kein umetikettiertes Borstenvieh aus einem ukrainischen Kühlhaus bekommt… wirklich nicht?

schwein1

Andere Länder, andere Sitten: Ist das Fleisch als Teil einer Leiche erkennbar, vergeht so manchem zartbesaiteten Deutschen die Lust. Menschen stören sich nicht daran, wenn der Fleischwolf Hack ausspuckt und undefinierbare Leichenfetzen auf ihrer Tiefkühlpizza liegen, wenn Fischstäbchen allerlei abschreckendes Meeresgetier enthalten, und wer das ganze Schwein auf dem Mercato Contadino eklig findet, der sollte sich vielleicht nicht mit der Produktion von Leberkäs beschäftigen. Aber nein, es ist natürlich die grundehrliche, ganze toskanische Sau, die augenblicklich Unlust beim Fleisch erzeugt: Eine von Übelkeit begleitete Unlust, die vom deutschen Reisenden erst überwunden wird, wenn es später zum Brunello sanft geräucherten Schinken gibt. Das geht dann doch wieder. So ist der Mensch. Er will die Sau nicht und die AfD nicht und die Briefkastenfirmen in Panama nicht, aber den Schinken und die migrationsferne Schule für die Kinder und die Ablöse für die Schrottküche seiner Immobilie, die nimmt er gern.

schwein2

Kurz, der Deutsche als ein solcher ist auch nicht besser, er hält nur nichts mehr aus und hätte gern die weiche, moralisch-imperative Variante. Dafür hat er auch die passende Kanzlerin und ihren Herrn Altmaier, die das Debakel der Flüchtlingskrise verursacht haben und nun wollen, dass die Bundesländer den für die zart Regierenden menschlich schwierigen Teil mit Abschiebungen lösen, statt dass sie persönliche Konsequenzen ziehen. Früher war alles, nun, anders, da zahlte man noch für die falsche Politik konsequent mit dem Leben, und dazu gibt es nicht weit von Montalcino und dem zertrennten Schwein ein anschauliches Beispiel: Fährt man ins Tal hinunter, erscheint bald der schöne Ort Buonconvento. Dort starte ich demnächst zu einer heldenhaften L’Eroica, und vor fast genau 700 Jahren war dort auch der deutsche Kaiser Heinrich VII.. Er weilte dort mit dem Ziel, die nahe Stadt Siena zu belagern und zu erobern, die Anführer des Aufstands gegen ihn zu massakrieren und was sonst damals so üblich war, um Andersdenkenden Zwänge aufzuerlegen, deren totaler Herrschaftsanspruch kaum hinter TTIP und CETA zurückstehen würde. Aber wie auch immer, Heinrichs Heer war 1313 bereits ähnlich dezimiert wie die Wählerschaft der SPD, Siena hielt sich, und er selbst erkrankte an Malaria und starb recht plötzlich. So kann es gehen.

schwein3

Niemand hatte mit diesem schnellen Tod gerechnet. Die Stadt Pisa, treuester Anhänger von Heinrich auf italienischem Boden, wollte ihm ein würdiges Begräbnis geben, hatte zu jenem Zeitpunkt aber nichts dergleichen vorbereitet. Heute wissen Parteien vorab, dass sie bei einer Koalition mit Frau Merkel bis zur nächsten Wahl ihr eigenes Grab schaufeln, aber damals galt es als unschicklich, durchreisenden Kaisern zu Lebzeiten ein Grabmal zu offerieren. Man hatte auf der einen Seite also die Leiche des Kaisers. Und auf der anderen Seite kein Prunkgrab, das ihm angemessen gewesen wäre. Dazu gab es auch noch warmes, italienisches Klima, das der Verwesung Vorschub leistet. Das sind handfeste Gegensätze, über sie man sich nicht wie über ein holländisches Referendum hinweg mogeln kann. Das ist ähnlich unangenehm wie ein türkischer Autokrat, der Milliarden und Köpfe von Humoristen fordert, während er daheim Menschenrechte mit Füssen tritt.

schwein4

Nun war 1313 nicht gerade die Epoche, da man muslimischen Nationalisten exzentrische Wünsche devot erfüllte, und interkulturelle Dispute wurden mit mit ihnen in einer Schwertlänge Abstand geführt. Man mag das aus heutiger Sicht verurteilen, aber damals hätte niemand seinen Hofnarren auf Zuruf der Halsgerichtsbarkeit übergeben. Das waren eben harte Zeiten, hart beim handwerklichen Umbringen der Gegner, hart in Fragen der einzig richtigen Weltanschauung, hart aber auch gegen sich selbst und hart für die Untertanen des Kalifen, der sich die Köpfe von versagenden Feldherren in Honigtöpfen zur Ansicht bringen liess, was Erdogans Anhängerschaft heute als Teil einer grossen Epoche gilt.. Die deutschen Truppen jedenfalls kannten die Honigtopfmethode nicht und brachten die Leiche ihres Herrschers von Buonconvento zum schönen Ort Suvereto und taten, was getan werden musste, um die Leiche haltbar zu machen: Dortselbst wurde Heinrich auf Feuer langsam geräuchert und damit haltbar gemacht. Technisch gesehen geht das bei einem deutschen Herrscher nämlich auch nicht anders als bei einer toskanischen Wildsau. Die Flüssigkeiten verlieren sich, und übrig bleibt der luftgtrocknete Regierungsschinken, der zwei, drei Jahre noch durchaus appetitlich aussieht. Sie, liebe Leser, haben sich doch auch sicher schon gefragt, wo das Wort “Kaiserfleisch“ seinen Ursprung haben mag.

schwein5

Solcher Art waren also die deutschen Recken: Kurz entschlossen, durchsetzungsfreudig, und ohne falsche Feinheit, wenn eine Sache zu stinken beginnt. Davon könnte man sich auch heute eine Scheibe abschneiden. Also, von dieser Grundhaltung meine ich, nicht vom Schinken. Chronisten jedenfalls berichten, dass Heinrich 1315 tatsächlich am Stück und nicht beknabbert im Dom von Pisa beerdigt wurde, als sein Grab endlich fertig war. Und Suvereto macht kein allzu grosses Aufheben um die Kompetenz der Stadt beim Räuchern grosser Fleischstücke, sondern überzeugt heute mit einer phantastisch erhaltenen, entzückenden Altstadt auf dem Berg. und gegenüber dem Rathaus mit einem ziemlich vollen Restaurant namens l’Ciocio. Man muss ja nichts mit Schinken nehmen, es gibt genug Fleischloses.

schwein6

Am ersten Sonntag im Mai kämpft man dort um Fässer, die durch die Strassen gerollt werden, und als ich mich letztlich dort wieder erhob, hatte man auch mit als Fass benutzen können. Denn ich habe einiges probiert, so dass ich zwar nicht als Schinken, sondern als eine Art fassförmiger Stopfganter zu enden drohte. Es ist dort wirklich sehr gut und mir wurde auch versichert, dass man in Suvereto keine Deutschen mehr räuchert. Dafür findet sich dort vieles mit Trüffel von zartem Geschmack, man weiss, wie man Nudeln richtig selbst herstellt und kocht, und eigentlich will man gar nicht mehr weiter. Ab und zu kommen ein paar Bogenschützen in historischen Kostümen vorbei, um oben in der Burg mit Blick aufs Meer Strohmänner mit Pfeilen zu spicken. Kurz, der Umgang mit Ankommenden ist hier durchaus differenziert und im l’Ciocio sitzt man fraglos auf der richtigen Seite der historischen Entwicklung.

schwein7

Manche sagen ja, es gäbe kein richtiges Leben im Falschen, aber ich sage, dass am Ende immer die einen geräuchert werden und die anderen sie essen, und dabei keine derartigen Fragen stellen. Niemand findet es richtig, geräuchert zu werden, und trotzdem kommt es vor. Man sollte diese Realität im Auge behalten, will man nicht später einmal die falschen Seiten der Geschichtsschreibung mit seinem Schicksal füllen. Wenn ich mir die Politiker so anschaue, wie sie einfallen und faltig werden, dann frage ich mich auch, ob sie nicht vielleicht schon ein wenig vom Dasein vorgeräuchert werden. Am besten bleibt man einfach in Suvereto sitzen und wartet, bis die Küche wieder aufmacht. Denn das Leben ist kurz, der Pfeil fliegt schnell, aber die Speisekarte ist lang.

schwein8