Es gehört zu den Merkmalen eines Politikers, sich grundsätzlich an nichts erinnern zu können.
Eberhard von Brauchitsch
Das Dasein als Atheist hat den leicht fragwürdigen Vorteil, dass man nicht vor seinen Schöpfer wird treten müssen, denn den gibt es dann – im Gegensatz zum Tod, leider – nicht. Als Junggeselle muss man auch nicht vor den Traualtar und Priester treten. Aber es kommt der Tag, da muss man vor seine Vermögensverwalterin treten und ein paar Dinge klären. Weil ein Mitglied der Familie ein höheres Tier bei eben jener Bank war, bei der ich hauptsächlich bin, blieb ich lange von solchen Angeboten verschont, aber als ich gerade von meiner letzten Italienreise nach Hause kam, klingelte das Telephon. Da wären ein paar Unterschriften zu leisten, neue Gesetzeslage und so, und nachdem ich ja gleich wieder nach Italien entfloh – exakt in die Bildmitte unten -, machte ich den Termin gleich am nächsten Tag.
Dortselbst benahm ich mich vorbildlich und gar nicht gierig, zeigte mein totales Desinteresse für neue Anlageformen und erklärte meine Lebenseinstellung: Dass jedem von uns, egal ob reich oder arm, maximal 2 Quadratmeter gegeben seien, auf denen wir gerade sein könnten, und das wichtigste Ziel im Leben sei lediglich, gesund und verpflichtungsfrei diese 2 Quadratmeter an einem schönen Ort zu haben. Das klingt fast so schick, nachhaltig und bescheiden wie Diogenes in der Tonne und verschweigt natürlich, dass man 2 Quadratmeter hoch über der Altstadt mit Blick auf bedeutende Baudenkmäler meiner dummen, kleinen Heimat an der Donau nur mit einem weiteren bedeutenden Stadtpalast besitzen kann. Und auch 2 Quadratmeter Terrasse mit Blick auf die Alm am Tegernsee gibt es nicht allein. Alle haben wir diese 2 Quadratmeter, aber soziale Klassen entstehen, weil die einen es sich nicht aussuchen können und die anderen einen enormen Aufwand und viele weitere 2 Quadratmeter brauchen, um ihre bescheidenen Wünsche zu erfüllen. Die fehlen dann natürlich den anderen.
Das wissen Sie alle natürlich von daheim und ich weiss es auch, aber man muss es der Vermögensverwaltung nicht so brutal sagen. Es reicht, wenn die Berliner schon der Meinung sind, sie müssten sich daran irgendwie beteiligen, denn dann wäre es vorbei mit den schönen 2 Quadratmetern. Aber wie auch immer, ich habe also meine Lebensmaximen vorgetragen, ein wenig erzählt, was ich so habe, und einiges wohl auch übersehen, aber ich sehe es panamaisch : Wenn ich nicht daran denke, muss es auch kein anderer wissen. Dass ich nicht ganz arm bin, kann man meiner Kenntnis der Immobilienpreise entnehmen und dass ich nicht reich bin, meinem Gejammer über teure 25 Liter Verbrauch meines Autos, wenn man nur mal rechtzeitig die Staatsoper in München erreichen will. Nachdem Sie, liebe Leser, auch nur über Statistiken lachen können, die den Reichtum in Deutschland bei einer läppischen viertel Million Vermögen beginnen lassen.werden Sie auch verstehen, dass es nur angemessen war, wenn ich den Eindruck von Mittelklasse entstehen liess.
Natürlich wollte ich nicht unhöflich sein, und als ich gefragt wurde, ob ich denn irgendwelche Wünsche an die Bank hätte – da habe ich, rein interessehalber, gefragt, wie es denn mit einem Kleinkredit aussehen würde. Also wirklich nicht viel, aber etwas über dem Überziehungsrahmen, und weil die Zinsen gerade so günstig sind, und die Immobilienpreise in Italien so gefallen sind, ein paar Hunderttausend. Doch, bekam ich zu hören, bei meinen Sicherheiten ginge das durchaus, da könnte man eine Frage an den Fachmann im Haus stellen. Wir plauderten dann noch etwas über die Schönheiten Italiens,stellten fest, dass ich als “Arbeiter“ eingespeichert war – das letzte Mal war ich tatsächlich hier, als ich im hiesigen Grosskonzern mit 17 Jahren Ferienarbeit leistete – und weil im harten Daseinskampfe anderer Leute “Taugenichts“ ebenso wenig ein Beruf zu sein scheint wie “Sohn“, steht da jetzt “Autor“. Ich stieg auf mein 40 Jahre altes Schweizer Rennrad, radelte heim und fand in meinem Postfach schon die Nachricht, das mit dem Kredit wäre gar kein Thema und ich sollte mich melden, wenn ich etwas Passendes gefunden hätte.
Gleich nach einer Petition von Change.org für mehr soziale Gerechtigkeit, die ich sofort unterschrieben habe. Denn nur zu gut erinnere ich mich an jene Tage meiner Jugend, als meine Eltern die zutreffende Ansicht vertraten, dass ein Sohn aus besserem Hause in München nicht zur Miete wohnen sollte, und mit Blick auf die Raubmordsteuerlast des Staates einen Teil dieser Wohnung auf Kredit kauften. Trotz exzellenter Verbindungen ins Haus und bekannter Bonität war das damals in den späten 80er Jahren keinesfalls eine Sache von einem Heimradeln – da wurde alles sehr genau geprüft, Sicherheiten wurden einer ausgiebigen Bewertung unterzogen, der Wohnungsverkäufer musste sich etwas gedulden . So war das eben in der alten Bundesrepublik. und ich verstand auch als gänzlich unerfahrener Mensch, warum in meinen Kreisen jedes Familienmotto lautet: “Es geht nichts über den Koffer“. Jetzt also hatte ich eine ungefähre Anfrage gemacht, ohne ernste Hintergedanken, und eine enorm schnelle Zusage. Ich stand auf, ging zum Fenster und schaute, ob da oben irgendwo ein Hubschrauber mit Herrn Draghi kreiste.
Aber so etwas geht heute wohl elektronisch. Ich warf ein paar frische Hemden in den Koffer, denselben in das benzinsaufende Monster, legte das gut verpackte Rennrad auf den Beifahrersitz und tat, was echte Autoren, die keine Söhne sein dürfen, so tun: Ich ging in die Arbeit. Die ist gerade bei Siena, nennt sich “l’Eroica“ und bedeutet, dass ich 105 km und 2100 Höhenmeter über Schotter radle, um darüber einen unterhaltsamen Text zu schreiben. Mein Quartier liegt in Staggia Senese in einem kleinen Palazzo in einer Mauer, und gleich vor der Tür erhebt sich ein Höhenzug Richtung Poggibonsi, dessen kleine Strassen giftige Steigungen zwischen Weingärten und Olivenhainen versprechen. Und eine Abzweigung hoch zum Friedhof, die ich nicht nehme, weil ich schon vor die Vermögensverwalterin getreten bin und das reicht jetzt auch erst mal, der Schöpfer kann warten. Der erste kleine Ort auf dem Weg heisst Lecchi, und den kennen Sie alle wegen seines erfreulichen Hotelrestaurants in der gleichnamigen Villa, nehme ich an. Jedenfalls, wenn Sie das nächste mal von Staggia nicht rechts hoch zur Villa fahren, sondern an der Kreuzung gerade aus blicken
ist da ein Haus mit Vendesi-Schild. Mitten im Chianti-Classico-Gebiet, 12 km von San Gimignano und 22 km von Siena entfernt, sehr ruhig. Es ist zur Strasse schmal und nach hinten hinaus lang, und dahinter geht es gleich wieder ins Tal – unverbaubarer Bergblick in zwei ‘Richtungen und deshalb schwang ich mich auch sofort wieder auf mein Rad und radelte ganz schnell weg. Sie kennen das ja aus Apokalypse Now, wenn die Hubschrauber kommen: Wer weiss, ob nicht hier aus dem Blau des toskanischen Himmels Herr Draghi auftaucht und mich mit Helikopterkrediten mit 2,3% Zinsen bewirft, bei real 5% Geldentwertung, versagender Riesterrente und wimmernden Bausparkassen … dem Mann traue ich alles zu. Also schnell weiter, und ausserdem habe ich ja schon etwas in geschlossenen Ortschaften – was ich bräuchte, wäre etwas abgeschieden, einsam und fern des Trubels. Man kann von Lecchi rechts hinunter Richtung Castellina in Chianti rasen, das kennen Sie sicher wegen des Weinguts Fonterutoli der Marchesi Mazzei von Ihren Hoflieferanten, aber ich blieb diesmal oben auf dem Hügel und
da steht es.
Und führe mich nicht in Versuchung.
Ausserdem steht es zwar eindeutig leer und verfällt vor sich hin, ein paar Einschüsse künden von der Achtlosigkeit der Hiesigen, aber ein Vendesi-Schild findet sich nirgends. Trotzdem, de facto zahlen wir mit entgangenen Zinsen die Kosten der Eurokrise, das Geld verliert seinen Wert und wer weiss, was denen einfällt, wenn erst mal das Bargeld verboten wird. In Zypern sah man bereits, wie weit dieses Europa zu gehen bereit ist, und momentan drängt es unsereins das Geld geradezu auf. Da oben im Turm könnte man ein schönes Lesezimmer einrichten, alte Flinten über den Kamin hängen und ausserdem jeden EU-Notenbankmitarbeiter von weitem erkennen, dessen Ankunft nichts Gutes verheisst: “Nein, Herr Draghi, Ihren Bargeldeinzieher haben wir nicht gesehen, wir haben die toskanische Landschaft mit Gemüsebeet gepflegt, wir sind Selbstversorger.“
Es hätte genau die richtige Grösse für einen Einpersonenhaushalt, also 200 m², dazu, wenn man mehr will, rund 100 m² Nebengebäude für die Kleinigkeiten, die das Leben so mit sich bringt. Gästewohnung, Ziegenzucht, Harem, man weiss ja nicht, was noch alles kommt, jetzt, da der Sultan der Türkei mit Befehlen an die Kanzlerin bestimmt, was in Europa geschieht und als Humor gilt. Über den Zweig der Via Francigena, der direkt am Haus vorbei führt, wälzen sich auch keine plündernden Heerhaufen mehr. Ganz im Gegenteil, Frau Merkel hat gerade erneut die Herren aller Länder, die in Florenz bereit sind, den Reisenden für einen kleinen, privaten Obolus in öffentliche und an sich kostenlose Parkplätze einzuweisen, zu sich eingeladen, und hätte gern einen offenen Brenner – die Zuglinie Rom-Verona ist weit weg von hier.
Doch, es ist hübsch hier, etwas abgelegen und in einem Land, in dem die Mehrheit die EU von Brüssel inzwischen ablehnt, und das weder Wirtschaftskrise noch Schulden in den Griff bekommt – aber auch in Deutschland wird es nicht immer aufwärts gehen. Wer einen hellen Kopf hat, sagen alle Vermögensverwalter, setzt auf kluge Verteilung des Vermögens, und weil es mit als Abstinenzler nicht möglich ist, das mit Wein und a la berlinoise mit Crystal Meth zu tun, frage ich morgen meine Vermieterin, ob sie weiss, was mit diesem Haus los ist. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass dereinst auch Juncker, Draghi und Erdogan unaufschiebbare Termine haben werden, und selbst Frau Merkel wird dereinst das Schicksal treffen, das Horst heissen könnte. Ich will nur auf der richtigen Seite der Geschichte mit meinen 2 Quadratmetern sein und Platz für ein paar Gemälde haben. Und damit den italienischen Immobilienmarkt ankurbeln, damit das Schicksal Europa wieder freundlich anlächelt.
Ich bin also überhaupt nicht europaskeptisch, sondern weiterhin überzeugter Europäer, nur eben aus der ausgewogenen Epoche von Bettino Craxi und Ludwig Erhard, von Friedrich Karl Flick und Albert Camus. Sonst würde ich nämlich nach Graubünden reisen, wo es de facto noch Goldwährung gibt.