Wir wollen den Mann besingen, der das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt.
Filippo Marinetti
Heimat steht da. Fett. Heimat. Der ganze Satz lautet “Wer die Heimat liebt, spaltet sie nicht“ und ist eine Wahlaussage des grünen Kandidaten Van der Bellen. Ich stehe im Stau in Innsbruck, es regnet, es schütttet, und Van der Bellen steht auf einer sonnigen Bergwiese, wo die Wahlkampfstrategen ihn postiert haben. Van der Bellen wird von Städtern gewählt, denen die Lage der Bergbauern in ihrer Heimat sonstwo vorbei geht, aber es ist eine schöne Kulisse, und die Grünen haben sich jetzt mal überwunden, das Wort Heimat auf ein Plakat zu drucken. Es blieb ihnen wenig anderes übrig, Hofer von der FPÖ überschwemmte das Land mit dem Wort Österreich. Die FPÖ beschwor, die Grünen machten Zugeständnisse. Das Land war schon vor der Wahl gespalten in Städte und ländliche Regionen, das hat sich jetzt fortgesetzt.
Gewonnen hat nicht Van der Bellen, sondern der Konflikt zwischen denen, die das Land kennen und denen, die davon nur ab und zu eine Bergwiese zu sehen bekommen, wenn sie die Stadt verlassen. Ich quäle mich durch den Stau und den Regen Richtung Bundesstrasse hoch zum Brenner, wo die von Innsbrucker Gentrifizierern angeschwollenen Dörfer in den Wolken verschwinden, vorbei an den Kapellen, die an Andreas Hofer und seine Tiroler Bauern erinnern, die von hier aus die Bayerisch gehaltene Stadt Innsbruck eroberten, und dort ihr moralisch strenges Bergbauernregiment errichteten. Keine neumodischen Impfungen mehr, die in Gottes Heilsplan eingreifen, keine unzüchtige Kleidung: Der Kampf des Landes gegen die Stadt und der Stadt gegen das Land ist alt, eine Konstante in der europäischen Kultur.
Ich mache eine Landpartie, ich fahre nicht nach Brescia in der Lombardei zum Start der Mille Miglia im Regensturm, sondern ein paar Kilometer weiter nach Valeggio sul Mincio, einem Dorf am westlichen Rand des Veneto.
Ich komme genau rechtzetig an. Ich habe mich kaum unter einer Markise vor dem Schauer verkrochen, da überschlägt sich auch schon die Stimme des Moderators, und der erste Wagen kommt an. Ein O.M. wie der, der 1927 die erste Auflage der Mille Miglia von Brescia nach Rom gewonnen hat. Belissima ruft der Moderator, er wird es noch öfters an diesem Tag sagen, und die Menschen und die Tropfen klatschen, klatschen, klatschen.
Es ist ein echtes Dreckswetter, und trotzdem ist Valeggio auf den Beinen. In früheren Jahren mied der Corso der schönsten klassischen Autos den Ort, da raste man am Abend und in der Nacht nach Verona. Seit ein paar Jahren wurde die Geschwindigkeit rausgenommen, die früher übliche Raserei gibt es nicht mehr, und die Autos müssen sich auch nicht durch den Berufsverkehr von Verona quälen: Die Mille Miglia fährt die kleinen Landstädte an, die sich bereitwillig öffnen und den Weg frei machen.
Valeggio ist eine dieser Perlen entlang der Strecke, die nur wenige kennen. Angeblich die Stadt, in der die Tortellini erfunden wurden, und dazu gibt es auch eine Sage, ein grosses Fest und 364 andere Tage im Jahr Restaurants, die gut von der Legende leben. Valeggio ist ein Fressdorf, beliebt bei Bauernhochzeiten, Geburtstagen und sonntäglichen Familientreffen. Wenn die Fahrer Zeit hätten, würde man ihnen ja gern Tortelli servieren, scherzt der Moderator, als dann die Kaskade der Alfa Romeos knatternd in das Dorf einfällt.
Vor dem Krieg hat hier meistens Alfa Romeo den Sieg davongetragen. Es war die Zeit des Faschismus, und die Mille Miglia so etwas wie die Leistungsschau der italienischen Automobilbauer. Mussolini persönlich engagierte sich, dass die Richtigen die Lorbeerkranz trugen. Seine Paladine liessen sich mit den Helden der Landstrasse ablichten, Tote wurden billigend in Kauf genommen: Es gab in der Frühzeit des Automobils viele gefährliche Rennen, aber das gefährlichste Spektakel, die Mille Miglia versteht man nur, wenn man Gabriele d’Annunzio und Filippo Marinetti gelesen hat. Futurismus, Faschismus, Automobilismus.
Das Auto verbindet Stadt und Land, es erlaubt Austausch und klammert zusammen, was sich sonst unversöhnlich gegenüber steht. Es erlaubt dem Dorfbewohner, die Stadt zu besuchen, ohne dauerhaft den Dreck zu erdulden, und dem Städter, das Landleben ohne den hier typischen Schweinegeruch zu geniessen. Faschismus möchte immer kleine Gegensätze einigend überwinden, um grosse Kriege zu führen, so wie heute totalitäre Feministinnen und muslimische Antisemitinnen gemeinsame Sache gegen den weissen, alten, gerne jüdischen Mann machen – nur baut die Rassenkunde des 21. Jahrhunderts keine Autobahnen und keinen Alfa mehr, von einem Bugatti ganz zu schweigen. Das wäre ja echte, schmutzige Arbeit und kein angenehmer Bildschirmtäterinnenposten.
Über die braune Geschichte redet hier keiner. Hier ist man wieder stolz, Teil der Strecke zu sein, die Brescia, die Heldenstadt des Risorgimento, mit der ewigen Stadt Rom verbindet. Rund um Valeggio fanden entscheidende Schlachten gegen die Österreicher statt, überall sind Denkmäler, Italien wurde hier geschmiedet, und die rechtspopulistische Lega Nord stellt in Valeggio den Bürgermeister: Mit der Mille Miglia trifft eine Legende der faschistischen Ära auf einen Ort voll mit nationalistischer Tradition.
In Deutschland gäbe es dann wohl eine Tagung der Böll-Stiftung und Antifas, die Bilder von Besuchern ins Netz stellen würden, aber in Valeggio ist es einfach ein Fest. Ein grosses, lautes, regenersäuftes und trotzdem jubelndes Fest. Die Reifen schlingern über den Veroneser Marmor, mit dem der grosse Platz belegt ist, die Motoren donnern, und man winkt sich zu. Valeggio ist stolz, Teil des Zuges zu sein, der mit Erinnerung an eine heldenhafte Geschichte das Land zu mehr als der Summe der einzelnen Teile macht. Heimat. Emotion. Vollgas.
Damit können Deutsche schlecht, ganz schlecht umgehen, mit so einem emotionalisierten Heimatbegriff, mit Stolz auf die eigene Nation und der Bereitschaft, Autos zu feiern und Mussolini dahinter zu ignorieren. Denn Deutsche nehmen die Gewaltrülpser migrantischer Rapper begeistert auf und sind entsetzt, wenn sich Frei.Wild zu Südtirol bekennen. Verkniffen ist der Heimatbegriff wie auf einem Plakat von Van der Bellen, es fehlt der souveräne Umgang mit dem, was man als positive Seite der Geschichte erkennen kann, und wenn man um die von der separatistischen Lega Nord geprägten politischen Verhältnisse von Valeggio weiss, wird es besonders bedenklich.
Nur: Gleich hinter Valeggio kommt die Grenze zur Lombardei, und dort ist die knallrote Region Mantua. Peppones Land. Valeggio ist Welthauptstadt der Tortelli, aber die Strasse runter liegt Roverbella, und das ist die Welthauptstadt des Risotto und wird von einer linksliberalen Juristin regiert. In Roverbella warten meine Freunde aus dem roten Mantua. Nichts, gar nichts unterscheidet die Begeisterung in Valeggio von der in Roverbella. Mantua, Veneto, das ist ein Jahrhunderte alter Konflikt, aber wenn die Autos herandonnern, alle am Strassenrand nass spritzen und mit dem Dreck der Strasse taufen, ist es ein Land: Das schönste Land der Welt. Auch noch im Regen.
Das kann man, eingedenk der Geschichte, befremdlich finden, aber ich war dabei, ich bin jedes Jahr dabei, und so ein notdürftig auf Strassentauglichkeit umgebauter Rennwagen bringt einen in 40cm Entfernung auch auf andere Gedanken. Es ist eine laute Demonstration der Einigkeit des Italiens, das der Moderator immer und immer wieder beschwört, und genug Probleme wird man morgen wieder haben. Heute, für vier Stunden, ist man Rennstrecke. Emotion. Begeisterung.
Ohne es böse oder ausschliessend zu meinen. Der Bentley, der Käfer, der Peugeot, der Cadillac, der Mercedes SSKL, der den Alfas einmal den Sieg wegnehmen konnte – sie alle werden genauso bejubelt. Das Land, die Städte, sie geben sich lustvoll dem verbindenden Element hin. Da ist eindeutig eine nationale Komponente. Vermutlich, das habe ich zumindest immer so erlebt, tut dieses Selbstbewusstsein den Menschen gut.
Oder anders gesagt: Es gibt wohl einen Mittelweg zwischen dem verklemmten Umgang mit Heimat, den die Eunuchen im genderislamintegrationsgrünen Harem zwangsweise hervorkramen, und der inhaltslosen Fahnenschwenkerei für ein Land, das durch Borniertheit und Tabubrüche auch nicht gerade schöner wird. Zusammenhalt muss nichts Schlechtes sein. Identität gibt es nun mal, daran ändern nicht mal Gulags. Multikulti und italienische Faschisten etwas. Am Umstand, dass die Organisationsform “Nation“ halbwegs bewährt ist und im Gegensatz zu Grenzenlosigkeit von Siedlungsraum im Osten über das Kalifat und Stalins Internationale bis zu No borders no nations von der Mehrheit gewünscht wird, kommt man aktuell wohl nicht vorbei. Und dann kann man das auch dröhnend feiern.
In Berlin gibt es eine Formel E. In Valeggio sind alle nass, ich brauche Hustenbonbons und die Streckenwärter stecken sich schnell eine Pizza in den Mund, bevor die Nachkriegsgeschosse brüllend in den Ort einfallen. Die Stimmung ist prächtig, die Luft stinkt nach schlecht verbranntem Benzin und wer es nicht kennt, wird es vielleicht auch nicht verstehen.
Sie feiern ein verbindendes Element ihres Landes. Sie sind stolz, wenn sie Teil davon sind. Sie übersehen die Schattenseiten der Vergangenheit. Wir fördern dafür den Kauf von Elektroautos, und unsere Familienministerin feiert DDR-Nostalgieveranstaltungen und mal wieder Überwachungsgesetze, die Sexarbeiterinnen benachteiligen. Das ist auch sehr deutsch.
Aber ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Genderpseudowissenschaften.
Hier kommen die roten Knaller aus Mailand. Es kommt die Lust. Es kommt die Begeisterung. Es kommt der Regen und der Dreck von 1000 Meilen.
Et in Arcadia ego.