Oh mei. Oiso nah.
Ist mir das alles peinlich.
Es fängt schon damit an, dass fremde Leute doch tatsächlich “Raiffeisenbank“ schreiben, wenn sie über hier jüngst eingeführte Strafzinsen für das Tagesgeld berichten. Raiffeisenbank in Gmund am Tegernsee, da, wo ich eine FAZ-Aussenstelle für Reichtum, gutes Leben und Torten mit Almblick betreibe. Es gibt hier keine Raiffeisenbank, Das sagt hier niemand. Wer dort Geld liegen hat, sagt natürlich “Bauernbank“. Bei Bauernbank weiss hier jeder, was gemeint ist. Da, wo die Bauern ihre Genossenschaft haben.
Und dann wird auch noch von Tagesgeldkonto geschrieben. Tagesgeldkonto gibt es hier bei uns natürlich auch nicht, weil wo kämen wir denn da hin. Das ist die Gruabm, oder auf Hochdeutsch die Grube.
Mit der Gruabm hat es folgende Bewandtnis auf sich: Wenn bessere Kinder überzogene Wünsche vortragen, so antworten die Eltern meist “Jo du Drietschahl moansd I hau mas Mei ans Discheck hi schau dassd nauskimst“, zu Deutsch: “Junge Dame, bitte haben Sie Verständnis, dass Ihre armen Eltern aufgrund sonstiger Verpflichtungen nur unter grössten Entbehrung Ihren Wünschen entsprechen könnten, weshalb wir Sie ersuchen möchten, uns ein wenig diskreten Freiraum für weitere Überlegungen Ihrer Abgabe an ein Waisenhaus zu schenken.“ Der andere, seltenere Spruch geht so: “Jo moansd Du mia homma Gruabm mim Göid?“, wobei dieser Satz die Frage aufwirft, ob die Familie unterhalb des Plumpsklosetts einfach nur mit der Schaufel hinein stechen müsste, um das Geld dortselbst zu fördern. Das Risiko bei dieser Frage ist, dass ein Kind “Jo freile bei da Bauanbank“ antwortet, was nämlich nicht selten stimmt: Bewegliches Geld für Geschäfte liegt bei besseren Familien irgendwo, aber die Reserven für schlechtere Zeiten werden gern den bombensicher haftenden Bauernbanken anvertraut.
Glücklicherweise ist es jedoch so, dass Kinder dieses System im ganzen Umfang erst begreifen, wenn sie selbst Kinder haben und genötigt sind, denen selbst Mores beizubringen. Es gibt also beständig, seit langem, eigentlich überall bei uns die Neigung, so eine Grube bei der Bauernbank zu haben, und da machte es überhaupt nichts aus, wenn der Zins niedrig war: Hätte man schnell mal den ein oder anderen grösseren Betrag dringend gebraucht, hätte man ihn dort geholt. Meistens geht das bei meinen Mitmenschen hier anders herum, und die Beträge kommen eher herein. Die legt man irgendwohin, wo man nicht nachdenken muss. Und deshalb werden die Gruben grösser und grösser und belasten nunmehr unsere Bauernbank.
Wobei es da ja um läppische Summen geht. Diese Wiese zum Beispiel ist diejenige, auf die ich von meiner Terrasse aus schaue. Sie gehört einem alten Mann, der in einem Rollstuhl sitzt. Momentan ist sie an einen Bauern verpachtet, und vielleicht, wenn der Bürgermeister es schafft, sie aus dem Flächenschutzprogramm zu nehmen, wird das einmal Baugrund. Dann sind das Abermillionen. Das ist aber dem Mann im Rollstuhl egal, und den Kühen ist es auch lieber so. Kann sein, dass sich einige Erben einmal ärgern, wenn es kein Baugrund wird. Aber wer ernsthaft meint, die paar hunderttausend Euro, die pro Anleger strafbezinst werden, spielten da eine grössere Rolle – der kennt die Bauernbankanlegerbauerndörfer hier nicht.
Da sind nämlich wirklich grosse, alte Höfe. Der Tourist sieht nur Wiesen und Bäume und macht sich keinen Eindruck vom Vermögen, das hier im Grund und Boden steckt. Wer hier einmal mit einem Waldbauern durch seinen Forst gegangen ist und gehört hat, was hier für Werte in den Himmel wachsen, was hier Generationen lang aufgebaut wurde, der kann sich über den Gehauf in den deutschen Medien wegen der paar Gruabm bei der Bauernbank nur wundern. Die wahre Rendite ist dunkelgrün, 30 Meter hoch und braucht Jahrzehnte, um realisiert werden zu können. Die Gruabm haben bei Bauern nichts mit Reichtum zu tun, das ist nur ein Teil der Sicherheit.
Deshalb merkt man hier auch gar nichts von der Aufregung. Es ist schon nett, in einer Gemeinde zu leben, wo die Bauern zu viel Geld in der Gruabm haben, aber das ist halt so und hat auch damit zu tun, dass man hier nur sehr selten bauen darf. Baugenehmigungen sind kaum zu bekommen, wir leben mitten im Landschaftsschutz, und während woanders die Gruabm spätestens geleert wird, wenn die Kinder heiraten, werden hier nur ehemalige Gesindehäuser aufgestockt. Wer sein Geld nicht weltweit verbreiten will, geht halt zur Bauernbank. Und wer zur Bauernbank geht, hat sonst keine hohen Ansprüche an materielle Güter. Es gibt bei uns Bauern, die sich alles mögliche leisten könnten. Trotzdem bekommt das dritte Kind auch noch den Bulldog vom ersten, und die Mädchen stricken im Winter Mützen für den Hofladen.
Das weiss man alles nicht, wenn man hier nicht lebt. Das verstehen Wirtschaftsseiten nicht, weil für sie das Vermögen nur dort ist, wo das Konto ist, und nicht im Wissen, dass es mit der Familie weiter geht und dass es vielen reicht, wenn sie am Abend auf der Bank vor dem Haus in der Sonne sitzen, und der Enkel neben ihnen spielt. Wer hier nicht lebt, glaubt an die Mär vom Tegernseemillionär und macht vielleicht Bilder von der AAA-Lage St. Quirin, die auch zu Gmund gehört und Leute beheimatet, die man superreich nennt. Die Bauern wohnen oberhalb, versteckt zwischen Wiesen und Baumreihen, und es macht ihnen nichts aus, wenn die Genossenschaft, bei der sie selbst Teilhaber sind, darauf achtet, dass die Bücher sauber bleiben. Die Gruabm will man nicht bei einer Bank, die in London zockt. Unsere Bauernbank macht sich noch Gedanken um ein paar hundert Euro bei 100.000 Einlage. Das ist in meinen Augen die gute Nachricht hinter der Geschichte. Anleger haften für Verluste. Und da wird auch auf Reiche keine Rücksicht genommen. Man schaut hier noch auf Heller und Pfennig. Bauernbank halt.
Wer das nicht will, kann ja woanders hin gehen. Auf den Lüftlmalereien wird noch gesoffen, gekartelt und gehurt, da geht das Geld noch dahin und das Tal ist voller Legenden über verzockte Höfe. Die Realität ist längst eine andere: Erst im letzten Winter haben die Staatsanwälte hinten in Rottach ein Anwesen ausgenommen, weil da ein betrügerischer Anlageberater das Geld seiner Kunden mit Autorennen durchgebracht hat. Oberhalb des Sees geht es ruhig zu, man denkt nicht in Jahren, sondern sehr viel weiter, wie es eben so ist, wenn man nicht ein Mensch ist, sondern Teil einer Geschichte, die aus bitterster Not und Armut kommt und heute, weil man Glück hatte und das nahe München so reich ist, eine Gruabm bei der Bauernbank hat. Und ein Hoftor voller Schilder. Und einen Anteil an der Käsereigenossenschaft des Tegernseer Tales.
Das sind die grossen Geschichten, die hier das Leben bestimmen. Strafzins mag den Anleger in Hamburg schrecken, und die überflüssigen Millionen werden den Ruf der Gemeinde mehren, aber so ist das hier nicht. Es ist ein Fragment eines Daseins, das man nicht versteht, wenn man nicht das Ganze kennt. Es ist ein mikroökonomisches Warnsignal in einem davon weitgehend entkoppelten, makroökonomischen System, in dem es Dinge gibt, die man bewerten kann, und andere, die sich entziehen. Ich habe davon ein ganz kleines Eckerl am äussersten Rand so einer Wiese, die nicht mir gehört – aber ich kann sie anschauen, und ich, wir alle, wir profitieren davon, egal wie reich wir laut Gruabmstand angeblich sind.
Heute Nacht waren die Sternschnuppen da. Aber was an so einem diamantfunkelnden Sternenzelt dran ist, verstehen jene nicht, die nur schnell ein Bild der Bauernbank, vom See, oder der Gemeinde aus dem Internet herunter laden und in ihren alarmistischen Beitrag bauen.