I’m dirty, mean and mighty unclean
Ich entschuldige mich an der Rezeption in Meran für meine äussere Erscheinung. Ich komme durch die Hitze am Brenner nach Meran, und durch den Graupelschauer eines Gewitters oben am Jaufenpass. Nach dem zweiten Tag der Alpenüberquerung sehe ich auch etwas ausgemergelt aus, weil man gar nicht so viel essen kann, wie man an Kalorien verbrennt. Freundinnen vibrierender, schmutziger, heissgelaufener Männlichkeit mit der Reinlichkeit eines durchschnittlichen Berliner Hipsters könnten meiner Erscheinung etwas abgewinnen, aber der Rest würde mich dorthin schicken, wohin auch auch sofort gehe: Unter die Dusche. Um dann am nächsten Morgen ordentlich am Buffet zu erscheinen und den dortigen Rentnern einen guten Eindruck zu vermitteln. Wie man das in Meran eben so macht.
Jetzt, da in den meisten Bundesländern die Schule wieder begonnen hat, wird Meran von den ansonsten viel geschmähten Alten förmlich überrannt, die die frei gewordenen Hotels für lange, ausgedehnte Wanderurlaube zur Weinverkostung und zur Busfahrt zurück zum Hotel nutzen. Meran böte genug gute Gründe für eine Rentenkürzungsdebatte, denn das junge Leben sitzt längst wieder im Büro oder in der Fabrik, und hat so gar nichts mit den viel photographierten Grazien gemein, die auf dem Kurhaus, in Stein gemeisselt, fröhlich tanzen. Es sind übrigens eher vier Grazien, die, um es höflich auszudrücken, gar nicht dürr oder eingefallen daher kommen. Sie sind wohlgenährt, und dennoch richten sich alle Kameras auf sie.
Es sind auch keine Rubensschönheiten und Botero hat sie nicht gemeisselt, aber wenn man sie heranholt und genauer betrachtet, dann sieht man durchaus voluminöse Oberschenkel, die mit Muskulatur aufwarten. Man sieht sehr runde Brüste mit Nippeln durch den antikisierenden Chiffon der leichten Sommerkleidchen, und vor allem sieht man, dass die Becken durchaus mehr gebärfreudig denn schmal sind. Alles an ihnen ist rund. Es ist mit Sicherheit das beliebteste Photomotiv der Stadt: Vier feminine, runde, hopsende Frauen in leichten Kleidern auf dem Kurhaus, die das pralle Leben aufführen und keine Ahnung davon haben, was ich so alles über Körper erfahre.
Ich lese zwar keine Frauenzeitschriften, aber feministische Blogs und linksbizarre Hassprojekte, in denen Crystalmettis moralische Vorgaben machen und Ex-Stasiletten von wildlaufenden Schweinen raunen – man will wissen, was die gegen einen Rechtsmittel prüfende Seite so denkt, daheim in Deutschland, hinter den Bergen (weiss man übrigens schon, welche moralisch wichtige Initiative diesmal die Gruppe des Tortenwerfers auf Meuthen mit Staatsgeldern gefördert hat?). Bei den Drogenkäufern und den DDR-Vorgeschichten bleibt es bei ihrer überlegenen Menschlichkeit, der 100% richtige Reinheit, aber bei Feministinnen muss ich mich öfters durch einen Wust von Körperleid quälen, bevor ich die ein oder andere Spitze in meine Richtung finde: Die meisten finden sich zu fett. Viele berichten von vergeblichen Diäten und langen Frustrationen. H&M ist böse, weil sie in deren Kleider ihre Schenkel nicht bringen und die Brüste zu gross sind. Sie sehen Fettrollen, ausladende Hintern und beklagen, dass sich ihre Oberschenkel aneinander reiben.
Nun habe ich gerade gut durchtrainiert mit 60cm einen Oberschenkelumfang, den viele Frauen gern als Taille hätten. Ob meine Beine aneinander reiben, weiss ich nicht – ich habe noch nie darauf geachtet. Wenn etwas nicht passt, trage ich es eben eine Nummer grösser. So lange mir bei einem Trachtenfest 3 Frauen auf den lederbehosten Hintern hauen, kann der Schinken nicht ganz schlecht geformt sein. Ja, ich bin etwas zu füllig, aber das sind viele und angesichts der sonstigen Kriterien bei der Partnerwahl kann ich mich über mangelnde Gelegenheiten nicht beschweren – andere sind noch unförmiger, MdB der Grünen oder sonstwie ein absolutes No-Go. So genau kenne ich die Kriterien nicht, weil Frauen da keine Auskunft geben – aber es gibt fraglos in der Provinz einen funktionierenden Markt für weisse, heterosexuelle, ungebundene Männer mit mehreren Wohnsitzen, Sportwagen und unrasierten Beinen wie dorische Säulen. Männer, die nicht ins Berghain gehen könnte, aber dafür durch Wände, Unwetter und Katastrophen. Männer, die sich ihre Seife seit 30 Jahren beim immer gleichen Imker auf dem Wochenmarkt kaufen und manchmal auch Felgenreiniger nehmen, wenn nichts anderes da ist. Männer, denen die Badausstattung egal ist, weil sie dort keine Minute länger als nötig sind. Männer, die umgekehrt nicht wissen, was die bei Feministinnen so verhassten Knubbelknie sein sollen. Es gibt bei Frauen Unterschenkel und Oberschenkel und ein Gelenk dazwischen, und das war es. Ich kann ich bei Frauen an vieles erinnern – aber Knie? Das galt – “Iiiich hab Dein Knie gesehen“ – doch das letzte Mal in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als erotisch, bevor es Internet und Pr0neaux gab, und Flaschenöffner in Dirndlform.
Doch, so etwas wird in Meran mit wahrer Begeisterung gekauft. Schwer vorstellbar, dass ein derartiger Käufer Verständnis für Hashtags hat, in denen Frauen fordern, man sollte sie für ihre Pfunde oder nicht der Mode entsprechenden Oberweite bemitleiden. Die meisten Älteren hier haben ganz andere und echte Sorgen wegen ihrer Körper: Sie brauchen Stöcke, Ebikes und Stützstrümpfe. Sie haben vielleicht noch ein, zwei Jahrzehnte zunehmend vereinsamt zu leben. Sie stehen dauernd an Gräbern irgendwelcher Freunde und schauen Krebs und Demenz zu. Niemand hat hier auch nur einen Funken Verständnis für eine 30-Jährige, die völlig überzogene Ansprüche an das Leben hat, ideologische Forderungen wie zur Kulturrevolution stellt und am Ende glaubt, dass ihre Einsamkeit etwas mit ihren Knubbelknien zu tun haben muss. Das alles wird übrigens, wenn sie erst 35 oder 40 oder so alt sind, dass sie eine Ex-Stasilette sein könnten, auch nicht besser. Apropos Social Media Stasi: Das hängt in meinem bevorzugten, vor allem von Frauen frequentierten Haushaltswarengeschäft unter den Lauben:
Auch hier sehen wir eher der Jugend zugetane, aber nicht auf aktuelle Körperideale der Frauenzeitschriften und der sie rezipierenden Feministinnen Rücksicht nehmende Vorstellungen von Form und Fülle. Wenn Menschen bereit sind, für so ein Holzbrett Geld auszugeben, sind sie auch bereit, sich mit solchen Körpern anzufreunden, selbst wenn sie nicht in H&M-Sommerkleider passen. Und die runden Damen auf dem Dach der Kurhauses werden vielleicht auch gar nicht wegen der durchsichtigen Kleider abgelichtet, sondern allein wegen der hemmungslos guten Laune, die sie verbreiten. Es kommt alles auf die richtige Mischung an. Niemand in perfekt. Alle haben ein paar Nachteile und Schattenseiten. Die verbirgt man, wenn man nicht gerade als Blogger damit sein Geld verdient, und stellt das Positive heraus.
Wenn man erst mal die grauen Haare mit Tüpfelhyänenpunkten aufpeppen muss, ist es zu spät. Diese Phase des Daseins kommt früh genug und dauert unerquicklich lang. Viel wird von solchen angeblich Knubbelknieenden auch von der absehbaren Altersarmut gesprochen: Das mag sein, aber besonders bitter ist es, vorher die Jugend an sinnlose Ideale und unerfüllbare Ansprüche verschwendet zu haben. Andere gehen zum Jungbauernball in Wattens oder zur Schaumparty in Warngau: Die haben auch eine Facebookseiten, aber auch gute Laune und andere Prioritäten, und sind, möglicherweise, oft auch glücklich. Ich kam auf meinem Weg nach Meran mitunter an alten Paaren vor ihren Häusern vorbei, die mich freundlich grüssten.
Ich habe ihre Knie nicht angeschaut, und meine Beine wirbeln zu schnell, als dass man sie mit ihren Schrammen, Narben, Borsten und Knien genauer anschauen könnte. Morgen bin ich wieder auf dem Weg nach Hause, als rollendes Gesamtbild auf den Pässen. Ich werde glühen, brennen und schwitzen und kein Cover der Cosmopolitan zieren, aber das Leben bei den Brüsten packen, wenn ich sie fassen kann. So einfach ist das hier. Man muss nehmen, was man kriegen kann, bevor man nur noch mit dem Rollstuhl in das barrierefreie Luxushotel geschoben wird, um sich an der Rezeption für die Umstände zu entschuldigen, die man machen wird, statt für den Dreck der Strassen und die Hitze, die die nackten Oberschenkel verstrahlen.
Daran wird man in den Bergen öfters als an Knubbelknie erinnert. Der grosse Gegensatz ist nicht zwischen den Photoshopkunstwerken und der Realität, sondern zwischen Leben und Tod. So einfach ist das hier. Die einen sind auf dieser Welt, die anderen liegen unten.