Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Bilder vor Bücher als moralisches Menschheitsproblem

Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Säsong!
Ich hab ein Pianola, zu Haus in mein Salong!
Friedrich Hollaender

Sie kennen das als Vertreter des privilegierten Bildungsbürgertums: Sie sehen ein Gemälde mit einer feschen Lola, und der Anbieter erzählt Ihnen eine wilde Räuberpistole, es stammte aus einer alten Villa an Lago Maggiore, wo es auf dem Dachboden Jahrhunderte vergessen geschlummert haben soll. Eine hochgestellte Persönlichkeit! Mit Nerzmantel! Andere würden hier nun an eine Fälschung glauben oder in die Leinwand treten, um dieses Beispiel für Tierquälerei und Klassengesellschaft zu vernichten – aber Sie schauen mit Kennerblick hin und sehen einen kleinen Anhänger an ihrer Brust, ein weisses Kreuz auf rotem Grund, und wissen sofort: Die Dame stammt aus dem Haus Savoyen, das damals im 18. Jahrhundert die Könige von Sardinien stellte.

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Die Datierung des Bildes, das eine neue Firnis brauchen wird, ist leicht: 1760, 1765, das können Sie nach Ihren 20 Semestern Kunstgeschichte im Nebenzwischenpartyfach gerade noch einordnen, und daheim schauen Sie nach, wer damals die Königin in diesem Reich war: Maria Antonia von Spanien. Das Bild passt zum Alter der Dargestellten, und damals war es eben so, dass man sich in repräsentative Gebäude Gemälde der Herrscher hängte: Das war keine grosse Kunst, reine Werkstattserienproduktion, aber es ist doch schön, dass Sie das Gemälde kulturhistorisch zuordnen konnten. Und weil Sie gegenüber dem Händler einen Wissensvorsprung hatten und die Geschichte des Bildes auf dem Dachboden am Lago Magiore selbst dann gut erfunden ist, wenn sie nicht wahr sein sollte, haben Sie natürlich auch von Ihrem Wissen profitiert. Und gekauft, während andere noch zögerten. Denn identifizierte Gemälde hochgestellter Personen haben nun mal einen anderen Wert als beliebige Adlige, deren Namen längst vergessen sind. Ausserdem ist das Bild damit ein Ausweis ihrer Kennerschaft in Sachen Heraldik, europäischer Geschichte und Kunst. Das können Sie unmöglich neureichen Leuten überlassen, die sich das tumb und ahnungslos in ihre Zahnarztpraxis hängen würden. Nein, das gehört Ihnen und in Ihr Jesuitenseminar der Spätrenaissance.

Sie kennen das. Und weil Ihr Kopf so voll von Erkenntnis und Wissen ist, ist dort wenig Platz für den Umstand, dass es daheim ein kleines Problem gibt: Die Wände sind schon voll mit Habsburgerprinzessinnen, lesenden Sybillen, Heiligen, Nackten, Capriccios und genug lasziven Adligen, um Zweifel an ihrer korrekten politischen Haltung zu Fragen der Sklaverei, der Leibeigenschaft und der angeblichen Gleichheit aller Menschen aufkommen zu lassen.

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Und dann ist das Bild auch noch oval. Rechteckige Bilder kann man wie ein Tetrisspiel verdichten, da findet sich, oh Wunder, immer ein Platzerl. Zur Not, die alle paar Monate eintritt, weil man die Sache mit dem Platz oft vergisst, hängt man halt um. Aber diese ovalen Bilder: Die sind, wenn es ans Aufhängen zwischen anderen Bildern geht, ein Graus. Ich habe damit abschreckende Erfahrung, ich weiss, dass es so ist, es bleiben unbrauchbare Ränder, in die man keine rechteckigen Gemälde hängen kann. Es geht nur, wenn man eine ganze Wand mit runden Bildern füllt – aber es dauert noch etwas, bis ich so viele besitze. Ich schaue ja schon immer nach einer kleinen Villa mit hohen Wänden in Meran, deren Erwerb mich schlagartig von allen Sorgen der Gemälde und der deutschen Eigenart befreien würde, unter der man bei Gruppenvergewaltigung mit Bewährung davon und wegen Nichtzahlung von Zwangsgebühren für Pöbelprojekte wie “Funk“ ins Gefängnis kommt. Aber das dauert sicher noch, und so lange ist da also die Savoyenkönigin Maria Antonia mit ihrem intriganten Lächeln und kein Platz, an dem ich sie aufhängen könnte.

Leibeigenschaft, das möchte ich an dieser Stelle bemerken, war übrigens besser als ihr Ruf. Es gibt – auch bei mir – haufenweise Capriccios, auf denen leibeigene Bauern zwischen Ruinen der Antike faulenzen und es nicht für nötig halten, den Unterschied zwischen dorischen und korinthischen Kapitellen zu erlernen. Deren Dasein unterscheidet sich also in Nichts vom Leben Berliner Hipster ohne Tischmanieren, die anstelle der Schweine und Ziegen nun die Communities von Bento und Ze.tt hüten, und bei Twitter nach billigen Dachkammern für das niedrige Gesinde des 21. Jahrhunderts suchen. Es gab früher nur weniger Magersüchtige.

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Was Sie auf diesem Bild noch sehen, ist der Umstand, dass ich bei kleineren Bildern und Gipsabgüssen schon mal die Bücher in die zweite Reihe rücken lasse. Bücher sind auch so ein Thema, denn irgendwann waren auch hier unten die Regale voll, nachdem der allergrösste Teil der Bibliothek ohnehin in der Gästewohnung untergebracht ist. Wenn die Reihen voll sind, staple ich die Bücher noch darüber. Immerhin tue ich nicht das, wozu sich andere Bibliophile gezwungen sehen: Ich mache keine Doppelreihen von Büchern, ich lagere Neuerwerbungen zumeist an den Tegernsee aus. Doppelreihen sind ein Buchbegräbnis des Vergessens, das ist nicht nett. Da findet man nichts, und es ist jedesmal ein Elend, die erste Reihe auszuräumen, wenn man doch etwas braucht. So ein Bildchen räumt man schnell weg, das ist kein Problem. Aber die Frage, die ich mir ernsthaft stelle, lautet: Wie gross darf so ein Bildchen zu diesem Zwecke letztendlich sein?

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Ich mein, ich weiss, dass die Frage sich nicht stellen würde, wäre ich verheiratet: Dann wäre eine bessere Hälfte hinter mir her, dass ich meinen Besitz nicht mit neuen Anhäufungen strukturiere, sondern durch Verkauf konsequent Freiräume schaffe. Sie würde meinen Besitz so verteilen, dass mehr als nur eine Person ungehindert auf der Fläche existieren könnte, auf der sich manche Familie oder ein ganzes Genderdoktorandenkolloquim der HU Berlin drängen muss. Nur sind solche Lebensumstände die Probleme anderer Leute, meine Probleme gehören mir, und daher ist die Frage von grösster Dringlichkeit: Darf so ein Bild, das vor Büchern zu sehen ist, höher als eine Reihe sein? Wie viel darf es verdecken? Ist es nicht gar vorteilhaft, weil aufmüpfige Bände der Edition Suhrkamp aus der Bundesrepublik liberale Einstellungen verraten, die in einer Gegenwart unerwünscht sind, in der eine Ex-Stasi-IM Broschüren über Hate Speech erstellen lässt? Ist man mit Thomas Mann nicht schon ein Bonner Republiksreaktionär, so eine Art Reichsbürger light des Neuesten Deutschlands? Sind hardboiled Diogenesausgaben von Chandler und Hammett nicht gar verwerflich in einer Epoche, in der eine Vergangenheit als Ritzerin die moralische Überlegenheit einer oktoberfestlügenden Autorin definiert? Möglicherweise passt so eine aus dem sittenstrengen Spanien stammende Königin sogar besser in unsere Epoche, und auf dem Plüschsessel macht sie schon eine gute Figur beim Verdecken von Meinungen, die heute im Netz dem Feuer des Shitstorms zum Opfer fallen würden. Dass Jean Genet neben Albert Camus steht – unverzeihlich!

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Faschismus und Feudalismus haben viele Gesichter, aber die Ersteren sehen momentan aus, als nähmen sie öfters mal Chrystal Meth und die Zweiteren wussten noch, wie man lächelt und was sich gehört: Natürlich ist die Frage in Zeiten der Buchmesse nicht ganz unheikel, aber die Bücher sind hinter so einem Gemälde ja nicht weg. Sie sind weiterhin da, man ahnt sie, Suhrkamp und Diogenes spitzen über die Gemälderänder hinaus. Es ist fraglos ein wenig luxuriös, so zu verfahren, aber es erlaubt immerhin, gegenüber gleichrangigen Besuchern zu sagen: “Das ist nur ein Provisorium, aber Sie wissen ja, wie schwer es ist, die passende Villa in Meran zu finden, ich bin wirklich so verzweifelt, und würde sogar an den Lago di Como gehen.“ Sie kennen das alle. Es sieht für mich wie eine echte Lösung für ein echtes Menschheitsproblem der echten Menschen aus. Denn die guten alten Tage, da man einenauch für die Bewohner unerquicklichen Slum abreissen lassen konnte, um darauf einen hübschen Palast zu errichten, sind bei uns endgültig vorbei. Gemälde bleiben, Bücher werden stets neu gedruckt, historische Bausubstanz wächst nicht nach: Das kann nicht gut ausgehen. Ich habe viel nachgedacht, aber am Ende muss man sagen: Ja, es ist legitim, Bilder in Notwehr gegen unsere Zeiten vor Bücher zu hängen.

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Solange es sich um gute Bücher handelt. Es ist ein erbaulicher Umstand, derartige Sorgen und Probleme zu haben, während andere von den neuen Herrschern erfahren, dass sie ohnehin alle Bücher digital lesen und besser im Schnellrestaurant essen sollen. Denn dann brauchen sie weder Bücherschrank noch Küche und können mit ihrer Microwelle als Integrationszusatz auch in neuen, staatlich errichteten Kleinräumen glücklich werden, die bei unsereins allenfalls Vorzimmer wären. Bei uns geht es um die Frage, wo wir einen Nagel einhauen, statt vom Leben genagelt zu werden.

Ich finde, sie hängt da gut. Das Oval bricht die geraden Linien der Regale auf. Es sieht etwas dekadent aus, aber wie gesagt, andere vermarkten sich mit ihrer Neigung zum Ritzen. Ein jeder, wie er kann. Sie kennen das, mit dem Hauen in die Saiten, und dem Treten aufs Pedal.