Zersetzung
Ein Journalist der Berliner Zeitung über meine Arbeit
Also, ich werde die AfD ganz sicher nicht wählen. Das ist einfach zu erklären. Ich lehne ihr Programm ab, und ich habe keine Kinder, bin nicht von Hartz IV betroffen, und auch nicht von Minijobs. Ich wähle übrigens auch nicht die FDP, einfach aus reinem Klientelgefühl heraus: Ich bin schon oben und habe etwas gegen Leute, die der Meinung sind, Klasse könnte man sich erarbeiten. Es gibt schon zu viele reiche Nichtsnutze ohne Manieren, als dass man sich von der FDP neue aus der Unterschicht importieren lassen müsste. Es passiert, aber ich wähle das nicht.
Zurück zur AfD. Ich bin auf der Sonnenseite des Lebens und weiß, dass man die große Politik nicht ändern kann. Wir können Einfluss auf kleine Aspekte nehmen, die uns nicht gefallen, wir können Druck bei der Stadt machen, dass wir den Straßenbelag unserer Wahl bekommen, dass Autos langsam vorbeifahren müssen und der polizeiliche Schutz unserer Viertel besonders gut ist. Geht ein Atomkraftwerk in die Luft, leiden wir alle gleich. Gibt die Kanzlerin die Grenze auf, lädt sie alles und jeden ein, hier ihr freundliches Gesicht zu sehen, können wir darauf hinwirken, dass die Heime am entgegengesetzten Ende der Stadt gebaut werden. Das ist so üblich, dass es bei uns gemacht wurde, ohne dass jemand überhaupt darum bitten musste.
Ich kenne zufällig eine Tankstellenangestellte auf dem Weg hinaus zu jenem Gelände, auf dem die Container stehen. Früher war das eine ruhige Ecke der Stadt, denn dort ist ein Gewerbegebiet, in dem nach 8 Uhr nicht mehr viel passiert. Seitdem dort die Container stehen, kommt fast täglich die Polizei vorbei. Mit Vollgas und Blaulicht. Sie hat auch mit Flüchtlingen zu tun und ein gewisses Verständnis für deren Lage, aber trotzdem wurde massiv aufgerüstet. Die Regale wurden umgeräumt, weiter weg von der Tür. Ich tanke dort regelmäßig, wir kennen uns und plaudern, und ich merke, wie im Lauf der Monate ihre Erfahrungen wuchsen und die Anteilnahme weniger wurde. Aber sie hat ein gutes Auskommen, und andere, meint sie im Hinblick auf ihre Kunden, saufen auch. Sie wählt CSU. Das tue ich übrigens auch nicht. Aber ich kann verstehen, warum sie das tut, und warum das bayerische Integrationsgesetz, das in den migrationsfreundlichen Medien so scharf kritisiert wird, ganz in ihrem Sinne ist. Integration bedeutet mehr als die gleichen Alkoholika zum Zudröhnen. Integration würde bedeuten, wenigstens das Alkoholverkaufsverbot nach 22 Uhr zu akzeptieren. Das klappt aber nicht.
Aber zurück zur AfD. Viele sagen, die AfD würde eine Politik gegen die ärmeren Schichten machen, und daher sei es unverständlich, warum sie trotzdem dort ihr Kreuz machen. Das müsste wohl daran liegen, sagen vor allem Linke, dass die Menschen so abgehängt sind, dass sie nur noch reflexhaft gegen jene agieren, die, um es mit der Kanzlerin zu sagen, “noch nicht so lang da sind”, und daher, da ist man sich von der Kanzlerin bis zur kurdischstämmigen Zeit-Autorin Kiyak einig, selbst einen Integrationskurs bräuchten. Ich könnte nun erklären, wie ich mir eine angemessene Integration von deutschenfeindlichen Integrationskursforderern in Kurdistan vorstelle, aber das mache ich ein andermal. Jedenfalls – eine Frage: Wissen Sie, wie hoch der Hartz IV Regelsatz für ein Kind ist?
237 bis 306 Euro im Monat. Kurzzeitpfleger unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge bekommen diese Summe in rund drei Tagen. Allerdings zahlt Freiburg an das Jugendwerk im Jahr 2014 335 Euro pro Tag.*
Ich war öfters in Hotels, die teurer waren, aber das sind Hotels für die Elite, und dauernd würde ich mir das auch nicht leisten können. Das ist, im Vergleich zum Hartz-IV- oder Geringverdienerniveau, natürlich eine soziale Ungerechtigkeit, wenn man so will. Es ist aber Geld, das ich selbst auf die eine oder andere Art verdient habe. Das Mehrfache eines Hartz-IV-Regelsatzes dagegen kommt für minderjährige Migranten vom Staat, und es geht an ein System, in dem sicher viele sind, die wirklich “besonders schutzbedürftig” sind. Aber nun ist es im Fall von Maria L. in Freiburg so, dass Geld auch an ein Betreuungssystem ging, das durch den Mordfall Teil eines Skandals der deutschen Asylpolitik wurde.
Und jetzt tauchen auch noch die ganzen schlimmen Details auf. Der Mann führte in Freiburg ein wenig integriertes Dasein und hatte eine eher fragwürdige Freundesgruppe. Aus dem persönlichen Umfeld wird bekannt, dass er wohl schon in Griechenland Probleme hatte, und siehe da: Er hat mutmaßlich in Korfu eine Frau überfallen und eine Steilküste hinuntergeworfen, weshalb er zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde. In Korfo soll er vor zwei Jahren auch schon 17 Jahre alt gewesen sein. Eine umfassende Überprüfung seiner Person hat es in Deutschland offensichtlich nicht gegeben, als er auf dem Höhepunkt der Migrationswelle hier eingereist ist. Andere Morde durch Asylbewerber bleiben wirklich Regionalnachrichten – dieser Fall nicht. Dieser Fall war spektakulär und wurde durch die Weigerung der ARD, über die Aufklärung in der Tagesschau zu berichten, erst richtig bekannt. Jetzt kommt also alles dazu, wovor jene Politiker gewarnt haben, vor denen Zeit, SZ und Spiegel Online warnen. Der Staat hat offensichtlich versagt. Hätte er das getan, wozu Grenzen da sind – überprüft, wer da kommt, und zurückgewiesen, wer kein Recht zum Kommen hat – wäre der Täter vielleicht wieder in einem griechischen Gefängnis. Statt dessen war er Teil eines – auch nach deutschen Maßstäben – luxuriösen Betreuungsprogramms mit hohen Kosten.
Würde man auf so eine Geschichte auf einer rechten Webseite stoßen, würde man sagen: Die ist konstruiert. Die ist so überzogen, das muss eine Fake News sein. Es ist aber die Folge der Ablehnung von Vorschlägen, eine Transitzone einzurichten, in der jeder Ankommende geprüft wird, bevor er in das Asylsystem kann. Es ist die Folge einer Politik, die es den Menschen erlaubte, ihre Pässe zur Verschleierung ihrer Identität wegzuwerfen, falsche Angaben zu machen oder sich falsche Papiere zu beschaffen. Man hat ein lückenloses Transportsystem auf dem Balkan eingerichtet, auf dem jeder einreisen konnte. Das alles wurde als richtig und angemessen dargestellt. Falsch war es dagegen, wenn Anwohner in München eine legale Lärmschutzmauer gegen ein Heim durchsetzen. Ein Gespräch mit meiner Tankstellenangestellten könnte da für ein wenig Verständnis sorgen. Statt dessen wurden die Anwohner weltweit durch die Medien gehetzt.
Das alles kostet Geld. Enorm viel Geld. Geld, das aus den Steuern der Bürger genommen wird und aus den Rücklagen der Krankenkassen. Es gibt ein Programm mit 100.000 1-Euro-Jobs, das mit ein paar tausend Angeboten nicht ins Laufen kommt, und die Integration in den Arbeitsmarkt ist offensichtlich ein langer, steiniger Weg. Die neue Regierung von Berlin will Migranten nur als Ultima Ratio gegen ihren Willen abschieben, und quotiert für die Bleibenden Wohnraum schaffen. Forderungen nach den Anschlägen des IS, man sollte noch einmal überprüfen, wer genau da in unserem Land ist, verhallen ungehört, und das ging eine Weile gut – bis Freiburg. In Freiburg hat man die Probleme in einem Fall gehäuft. Das abstrakte Problem bekommt ein Gesicht. Und wenn ich alleinerziehende Mutter wäre und am Abend in einer Tankstelle sitzen würde, Alkohol und Zigaretten an Migranten verkaufen würde und wüsste, dass ich gerade mit einem Journalisten rede, würde ich auch sagen, dass ich eine Partei wähle, die Medien halbwegs akzeptieren.
Aber als Wähler einer Partei, die vor allem meine eigenen Interessen durchsetzt, würde ich möglicherweise denken, dass Milliarden für Leute ausgegeben werden, von denen wir nicht wissen, wer sie sind, und die gekommen sind, weil die Bedingungen in einem Land ideal sind, wo die Medien aufschreien, wenn es statt Geld nur noch Gutscheine geben soll. Ich würde mir, weil es meine Lebensrealität wäre, Gedanken machen, dass der Tagessatz des mutmaßlichen Mörders in Freiburg so viel ist, wie ich in meinem Nebenjob hinter der Kasse pro Woche verdiene, und dass meine Kinder zu Weihnachten für weniger als so einen Tagessatz neue Kleider bekommen. Ich würde vielleicht das Blaulicht des Polizeiwagens sehen und denken, dass es draußen wieder Streit beim Abendessen gab, und nach der Arbeit zwei inzwischen trockene Brezen und Brötchen mitnehmen, die sonst weggeworfen werden würden, mich aber wieder einen halben Tag satt machen. Dem Journalisten mit dem vollgetankten SLK, den ich nicht ganz einschätzen kann, würde etwas erzählen, von dem ich denke, dass man es in einem Land sagen kann, in dem man als früherer Ex-Stasimann Staatssekretär wird, und wegen eines falschen Satzes auf Facebook seinen Job verlieren kann, weil eine andere frühere Stasimitarbeiterin Anzeigen empfiehlt.
Wir finden es akzeptabel, wenn in Berlin aus Eigeninteresse die Linke gewählt wird, weil manchen die Miete zu teuer erscheint, und in der Folge eine Figur wie Holm zum hochbezahlten Beamten wird. Dafür gibt es in den Medien Verständnis. Da muss man differenzieren. Vielleicht sollte man das aber auch bei meiner Tankstellenangestellten machen, die sich auch etwas Schöneres vorstellen könnte, als in der Dezembernacht aufzupassen, dass da keiner was einsteckt, wenn sie zu viert reinkommen – zum Beispiel bei den eigenen Kindern sein. Vielleicht würde sie sich auch über kostenlosen juristischen Beistand freuen wie jenen, mit dem man Entscheidungen des BAMF anfechten kann, weil sie ihre Ansprüche gern gegen ihren Exmann durchsetzen möchte.Vielleicht fragt sie sich, wie schnell die überlastete Polizei da sein kann, wenn wieder einer nicht einsieht, das es nach 22 Uhr keinen Alkohol gibt, und er sich das schon gar nicht von einer Frau sagen lassen will.
Vielleicht, auch das sollte man bedenken, hat sie Angst, weil hier vor ein paar Wochen ein Migrant nach einem Tankstellenbesuch versuchte, eine Taxifahrerin zu vergewaltigen. Ein sogenannter regionaler Einzelfall, von dem es hier einige gab, so dass man das Wort “Einigenfall” einführen müsste. Vielleicht gibt es in Deutschland viele, die durchaus differenziert denken, differenzierter als wir Journalisten, die wir Studien durchreichen, unsere Migranten seien laut Umfrage bei Frauenrechten gut angepasst, und die Leser nicht mit dem Kriminalitätsbericht des BKA Bayern behelligen, der letztes Jahr einen Anstieg von 40% bei den ausländischen Sexualstraftätern aufwies.
In Baden-Württemberg übrigens nicht, dort schlüsselt man das nicht nach Herkunft auf. So ist das also an der Kasse meiner Tankstelle, und manchmal denke ich auch gar nicht lang darüber nach, wenn ich auf das feine, graue Leder gleite, den Sechszylinder starte und zu meinem gehobenen Arbeitgeber über das flache Land nach Frankfurt fahre und nicht in den Bahnhof muss. In meinem Stand wird man schon komisch angeschaut, wenn man auf die absurde Idee kommt, manche Überprüfungswünsche der CSU nicht sofort abzulehnen. In meinem Stand differenziert man die Stasi und versteht, dass die ARD Freiburg nicht groß aufgezogen hat. In meinem Stand wird man darauf verweisen, dass in Aleppo Leben zu retten sind, insofern war die Politik der offenen Grenzen richtig, und jetzt bloß keine Debatte wegen eines Einzelfalls oder gar eine Statistik, die nicht zu anderen Statistiken passt. In meinem Stand gilt es als extrem unfein, die einen sozial Benachteiligten gegen die anderen auszuspielen, das helfe nur den Rechten. Aber in meinen Kreisen sitzt auch niemand an der Kasse einer Tankstelle und hofft, dass die Kinder selbständig die Hausaufgaben machen, und dass nichts passiert, wenn man danach noch ein paar Kilometer durch die Dunkelheit nach Hause radelt. In meinem Stand denkt man an die nächste rührende Herbergssuchegeschichte, an 10 Traumziele im Süden, an die besten Weihnachtsgeschenke für den letzten Moment und an die großen Linien der Politik. So sind wir. Ich denke daran, dass ich Elektroautos nicht mag und das Gebrüll meines Motors schätze. Andere schweigen. Aber ich verstehe, dass sie innerlich brüllen und sich mit den Mitteln wehren, die ihnen nicht durch den sozialen Druck gegen abweichende Meinungen genommen werden können.
In meinem Stand nennt man so einen Beitrag “Zersetzung”. Oder populistisch. Ich fürchte aber, ich bin nur etwas, das zwischen meinem Stand und den Fackeln und Mistgabeln steht, und möchte Differenzierung auch dort sehen, wo man meint, es nicht nötig zu haben.
*an dieser Stelle wurden Zahlen korrigiert, die ich von einem – ebenfalls inzwischen korrigierten – Beitrag der FAZ übernahm.