Hinsetzen!
August Stierhammer
Es gibt entsetzliche Arbeiten, auch im Journalismus. So wurde vor Kurzem bei einem Jugendportal dem dortigen Zielpublikum – links, Abitur allenfalls Berliner Güte und immer schnell beleidigt und empört – erklärt, warum momentan Gemüse im Supermarkt so teuer sei. Mit einfachem Deutsch und ohne Schreikrampf, den ich in solchen Fällen bekommen würde. Denn das Gemüse ist momentan nicht teuer. Es gibt in Supermärkten kein teures Gemüse. Gemüse ist in Supermärkten immer zum minimalen Preis im Angebot, wie eigentlich alles, ohne Rücksicht auf Bauern, Geschmack, Transportwege und Qualität. Gemüse ist so billig wie möglich, und momentan so billig wie möglich angesichts der Ernteausfälle in Spanien. Nur weil es teurer ist, bedeutet das noch lange nicht, dass einer der modernen Sklaven aus Schwarzafrika, der in Südspanien, Ägypten oder Sizilien auf den Plantagen schuftet, mehr Geld bekäme. Es ist so teuer, wie es ist, und wenn der Sklave dem System entgeht und genug gespart hat, sucht er sich einen besseren Ort. Das billige Gemüse und seine Arbeitsbedingungen – und nicht etwa Waffenexporte – treibt Schwarzafrikaner innerhalb Europa nach Deutschland.
Und dort wird es dann wirklich teuer. Aber diese Leute, die jetzt für den Salat im Winter 2 Euro zahlen müssen, haben keine Ahnung mehr, was teuer ist. Früher, in Friedenszeiten, war jetzt die Zeit, in der Essen generell teurer wurde, denn langsam gingen die im Herbst angelegten Vorräte zur Neige. Im Spätwinter gingen die Preise nicht wegen längerer Transportwege nach oben, sondern weil die Nachfrage begann, das verbleibende Angebot des Mangels zu übertreffen. Die Menschen hungerten und starben nicht ganz selten. Bei Missernten starben sie dann auch im Sommer. Das ist, im Gegensatz zu dem, was heute landläufig als teuer gilt, ein hoher Preis für Nahrungsmittel.
Weshalb die alten Leute früher immer, wenn die Kinder etwas wegen abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum ablehnten, vollkommen zurecht sagten, sie hätten noch keinen Krieg mitgemacht. Krieg ist – für die Jüngeren erklärt – so etwas ähnliches wie Veganismus, nur nicht so empfindsam: Man lernt, mit einem deutlich begrenzten Angebot auszukommen, nur ohne sich bei einem Bürgermeister über fuchsfeindliche Lieder zu beschweren. Im Krieg konnte man an Mangelernährung sterben, also wurde Essen fundamental wichtig, geschätzt, und auf gar keinen Fall weggeworfen. Man orientierte sich am Vorhandenen, und so möchte man den Nachgeborenen einfach die Weisheit mitgeben: Wenn dein Geld für Erdbeeren und Tomaten im Moment nicht reicht, halte dich an haltbare, heimische und dauerhaft verfügbare Kartoffeln, selbst eingelegtes Kraut und kühl gelagerten Kürbis, Karotten und Steckrüben. Früher ging das nämlich auch nicht anders, da musste man im Winter Milch konsumieren, auf der sich schon der Käse gebildet hatte, und Eier, die wegen der Lagerung in Kalkwasser geschmacklos geworden waren. So war das. Dank Deim Herrgod, du blahde Blunzn, dassd zum Subbama
Man sieht, herkunftsbedingt und durch die generationenübergreifende Prägung der besseren Kreise wäre ich nicht wirklich befähigt, nachkommenden Generationen vertiefend zu erklären, dass sie sich in einer historisch einmalig privilegierten Situation unseres gemüsesklavenhaltenden Kulturkreises befinden, da sie nicht arbeiten müssen, Jugendportale besuchen können und dennoch nicht, wie es früher normal gewesen wäre, der natürlichen Auslese zum Opfer fallen. Es fehlt der Jugend der historisch tradierte Erfahrungshorizont schlechter Zeiten – hätten sie ihn, verstünden sie, warum man früher das Brot bekreuzigte und genau das konsumierte, was da war – weil sonst nämlich nichts anderes da war, und der Hunger eine wirkliche Lebensgefahr und nicht nur krankhafte Magersucht für krankhafte Schönheitsideale war. Solange diese Leute nicht auf die harte Tour lernen, wie teuer Essen wirklich sein kann, werden sie es auch wegwerfen. Ich schlage das hiesige Anzeigenblatt auf und lese: Ein Pfund Hackfleisch 1,68 Euro.
Man kann in Deutschland ein Pfund von einem Lebewesen wegwerfen, für den Betrag einer durchschnittlichen Tüte Kartoffelchips. Das ist das Bewusstsein, in dem weite Teile der Bevölkerung aufwachsen, wenn sie selbst kochen. Andere Teile halten sich EU-Fahrradsklaven, die daheim keine Arbeit finden und für den Mindestlohn Essen durch den Matsch und den Strassenverkehr zu ihnen bringen, damit sie am Schreibtusch essen können und dort lesen, Gemüse sei gerade sehr teuer geworden. Vielleicht wäre es für solche Leute einmal interessant zu erfahren, was Essen wirklich kostet, wenn es so entsteht, wie sie es gern hätten. Also vor einer Traumkulisse in den Sarntaler Alpen, in frischer Höhenluft und ohne Zwischenhandel, direkt vom Produzenten zum Konsumenten. Denn für 25 Euro bekommt man im Supermarkt im Winter 2 Kilo Bananen, 2 Kilo Orangen, ein Pfund Hack und ein Pfund Gulusch, Zwiebeln, Reis, Nudeln, ein Brot, ein Netz Semmeln, und ein Kilo von etwas, das man dort als Frischkäse bezeichnet. Will man aber so essen, wie es nach übereinstimmender Meinung der rotgrünbiobewegten Billiggemüsesklavenprofiteure und meiner Klasse üblich ist, gäbe es dafür aus dem Sarntal 250 Gramm Bergkäse wie unten, 6 Monate gereift, und die 4 Kaminwurzen oben. Sonst nichts, auch kein Messer und keinen Teller gratis dazu. Das ist gerade so viel, dass der Bauer im Sarntal im Direktverttrieb davon leben kann. So wie früher auch.
Es wäre für die Menschen, die genau auf den grünen Biopunkt achten, mal ein spannendes Experiment, eine Woche, nur eine einzige Woche, genau das zu bezahlen, was sie im Supermarkt ausgeben, nur eben für echte Lebensmittel echter Erzeuger ohne Massentierhaltung, landschaftszerstörender Agrarbetriebe, Ausbeutung, umweltschädlichen Transport und Zwischenhandel. Sie würden nach 2 Tagen mit jenem Hunger ins Bett gehen, den ihre Vorfahren nur zu gut kannten, und nach 4 Tagen um eine Hirsesuppe betteln, wie ihre Vorfahren. Samstag würden sie für aufgekochte Kartoffelschalen dankbar sein, und am Sonntag würden sie in die Kirche gehen, nur um eine Oblate zu bekommen. Das hätte zwei angenehme Nebeneffekte: Sie wüssten, was das Essen wirklich kostet. Und sie würden eventuell nachdenklicher einkaufen, damit sie nicht mehr so viel wegwerfen. Das Wegwerfen haben die Alten nach der schlechten Zeit nämlich überhaupt nicht mehr ertragen, und egal ob Hipster oder Volksgenosse: Hunger, echter Hunger tut nach fünf Tagen immer gleich weh.
Das ist, weil wir in der Oligarchie leben, natürlich etwas ungerecht, denn es benachteiligt die Billiggemüsefreunde und nicht gerade die Oberklasse, die sich durch Luxuseinkäufe beim Essen definiert. Aber auch da, denke ich, könnte man erfolgreich auf den Schockeffekt setzen. Das hat nämlich bei der P. bei uns daheim ganz famos funktioniert, und dazu braucht man nicht mehr als einen frischen Hummer aus Paris. Die Familie P., deren Oberhaupt seine familiäre Firma verkauft hatte und danach Gelegenheit fand, sich auf seinem Arztsessel anderweitig zu bereichern, wurde nämlich in den wilden 70er Jahren von einem Pharmakonzern nach Paris eingeladen. Dazu gehörte auch ein Einkaufsbummel für die Frauen, die sich nehmen konnten, was sie wollten. Die Firma zahlte. Und die Frau P. entschied sich dabei unter anderem für einen Hummer. Einen riesigen Hummer, der ihr am letzten Tag dann tot und gut gekühlt überreicht wurde.
Aber wie das eben so war, im damaligen Leben unter den Schönen und Reichen, hatte ihr Mann daheim wenig Lust, sich mit der Post zu beschäftigen, und schlug vor, doch noch ein paar Tage in den Bergen dran zu hängen, wo es die obigen Bergkäsetopfenpflanzerl gibt. Aufgrund diverser Missverständnisse jedenfalls dachte Frau P., es reichte wie üblich, wenn sie den Hummer und alle anderen Trouvaillen in den Gang stellte, während ihr Mann bereits der Haushaltsführerin fernmündlich abgesagt hatte. Danach fuhren sie nach Tirol, hängten noch eine Woche dran und…
Also, die Frau P. ist heute alt und ihr Mann ist tot, die Villa wurde abgerissen und durch hochgeschachtelte Hundehütten ersetzt, die heute auch in guten Vierteln leider beliebt sind. Vielleicht habe ich die Geschichte sogar ein wenig verändert, weil sie schon schaurig ist und ich keinem übel nachreden möchte, aber die wahre und historisch belegte Kombination aus totem Hummer, etlichen anderen Spezialitäten und zwei Wochen Fussbodenheizung fügten dem Wohlgeruch des grossen Pharmageldes im Hause P. eine ungeahnte Note hinzu, die auch mit frisch geweissten Wänden nicht zu beseitigen war. Die P.s konnten danach nie wieder Hummer essen, und das alles war so ein unvergessliches Ereignis, dass die P. von da an deutlich mehr an den Dingen des Haushalts interessiert war.
Vielleicht also könnte man Arme zwingen, eine Woche wie ihre Vorfahren mit den wahren Preisen des Essens zu leben, damit sie den Wert desselben kennen, und die Reichen, den Verwesungsvorgang eines Riesenhummers in ihrer beheizten Halle zwei Wochen zu begleiten. Danach wäre wieder mehr Bewusstsein für das da, was zwischen unseren Sklaven, dem Supermarkt, dem Kühlschrank und der Mülltonne alles passiert, und alle würden Lebensmittel wieder so schätzen, wie es der Anstand befiehlt. Natürlich sind das drastische Massnahmen, aber historisch betrachtet weitaus weniger drastisch als die Bigotterie, mit der die Tränen der von Supermarktgemüsepreisen geschockten Kinderlein unserer Wegwerfgesellschaft getrocknet werden.