Dieser Text kommt mit einem riesigen Umweg zum eigentlichen Thema, nur um möglichst viele Autobilder unterzubringen.
Immer, wenn ich in Italien war, erwarten mich daheim Neid und Missgunst. Früher hasste ich den Mai, weil ich vom Heuschnupfen geplagt war, heute hassen andere meinen Mai, weil ich den Birkenpollen und dem Heuschnupfen in Italien entgehe, und dabei nicht nur die L’Eroica, sondern auch die Mille Miglia mitnehme.
Und das Vergnügen zudem auch entsprechend offen darstelle, privat, und was bei von Lohnarbeit Abhängigen beruflich wäre. Zu Neid und Missgunst gesellt sich mitunter auch Eifersucht, wenn ich daheim nicht nur das Land, sondern auch seine Bewohnerinnen lobpreise. Das könnte mir auch diesmal passieren, denn in Brescia war ein ganzer Schwarm von Italienerinnen in Rokokokostümen, die sich auch so charmant verhielten, wie man das bei Diderot gern liest.
Knicks hier, Küsschen da, mit Fahrern in der Mitte und angeblich gibt es auch ein Bild eines deutschen Journalisten, den sie von zwei Seiten abbusseln also das geht Sie gar nichts an und hat Sie auch nicht zu interessieren, jedenfalls, Startnummer 180 bis 220 habe ich irgendwie verpasst. Es war eine sehr gelungene Aufführung, großherzig, sinnenfreudig, sie verschmolzen mit den Kostümen jener opulenten Epoche, die noch wusste, wie man mit der Leibeigenschaft Klassengrenzen befestigt. Sehr italienisch jedenfalls.
Dann war da Italienerin in Mantua, die einen Pudel hatte. Es war heiß, und sie hatte daher auch Wasser für den Pudel dabei. Und damit der Pudel nicht etwa aus der Flasche trinken muss, hatte sie auch ein pinkfarbenes Schlabbertässchen dabei. Und damit sie sich nicht etwa bücken und dem Hund das Wasser selbst geben muss, hatte sie auch einen Mann dabei, der das tat, während sie gut aussah und Sportautos bewunderte. Diese Rollenverteilung ist sehr, sehr italienisch!
Schliesslich würde ich daheim vermutlich erneut den Fehler machen und von italienischen Müttern erzählen, die nach der Geburt ihrer Kinder nicht wie Parteimitglieder der Grünen aussehen, sondern stilvoll mtt hochhackigen Schuhen, das Kind hinten drauf, durch die Städte radeln und in jedem Detail perfekt sind. Das zu erzählen ist ein Fehler, ich habe hier in der Zeitung auch einmal über “Italienerinnen in Bewegung” geschrieben, und zwar so euphorisch, dass ich mich nach meiner Heimkehr nicht etwa an Seiten einer Frau, sondern allein auf ihrem Sofa wiederfand. Aber es ist wahr und sehr, sehr, sehr italienisch!
Daheim jedenfalls hat man den Eindruck, dass ich zwar stets bereit bin, die Italienerin als solche in höchsten Tönen zu loben, wohingegen die Einheimischen weitaus weniger Komplimente erhalten. Ja, es wird mir gar nachgesagt, ich neigte dazu, nichtitalienische Frauen aufgrund ihrer Erscheinung in die Nähe der Grünen zu rücken, was überhaupt nicht stimmt, meistens jedenfalls, außer sie sind Parteimitglieder und lehnen alte Autos und andere Freuden des Patriarchats ab.
Trotzdem reagieren Frauen oft ungehalten auf mein Lob, fühlen sich zurückgesetzt und werden spitz bis garstig. Dann wird mir bedeutet, dass ich doch auch ganz nach Italien ziehen könnte, wenn dort alles so perfekt und schön ist, ein Haus kaufen, eine Italienerin heiraten, und ein Auto mit mehr als 2 Sitzen erwerben, für die Kinder und die Eltern der Braut und alle anderen Angehörigen. Dann wären alle zufrieden. Nur zu! Niemand möchte meinem Glück im Wege stehen, niemand würde mich allzu sehr vermissen. Bis dahin weiss ich ja, wo für das Übernachten das Sofa steht. In schweren Fällen auch: Mein Auto.
Das wird mir diesmal nicht passieren, denn ich war vorgestern ein wenig südlich von Maranello, in den nördlichen Ausläufern der Toskana. Es gibt dort winzige, vergessene Bergstrassen zwischen Weilern und Höfen auf den Bergen, die längst von breiten Strassen im Tal als Hauptverkehrswege abgelöst sind. Das macht sie so attraktiv für die Mille Miglia: Die alten Fahrzeuge können auf gesperrten Bergstrecken hemmungslos fahren, die anderen müssen ins Tal ausweichen.
Das ist überall bekannt, die Mille Miglia ist ein riesiges Fest, und ich bin dem Tross entgegen die Bergstrasse hinauf gefahren, so weit es eben ging. Am Ende standen Offizielle und die Polizei an einer Zeitkontrolle, die die Strasse wirklich blockierte, und winkten mich auf einen Parkplatz. Ich tat, was mir von der Polizei gesagt wurde, bedankte mich, Grazie, mille Grazie, stieg aus, und machte mich auf die Suche nach den besten Positionen, um das Geschehen in Bildern einzufangen. Das wird mir jetzt niemand glauben, der mich kennt, aber: Ich war sogar zu früh da.
Noch rauschten neumodische Ferraris durch die Landschaft. Als guter Deutscher tat ich das, was Deutsche immer tun, wenn sie, im tiefsten Inneren Romantiker, in Italien sind: Ich setzte mich auf die lehmige Erde und dachte mir in Selbstbescheidung: Du bist 100 Kilometer offen durch Italien gefahren, du bist in der schönsten Landschaft der Welt, ab und zu fährt ein Ferrari vorbei und die Sonne scheint – du sitzt nicht nur auf einem Berg, sondern an der obersten Spitze der menschlichen Entwicklung, nur ganz wenige haben es so schön wie du. Geniesse es. Sie werden schon noch kommen.
Ich war also, romantisch mit erfüllter Italiensehnsucht gesegnet, zufrieden und diszipliniert. So ist der Deutsche nun mal. Sie kamen dann auch, nach gut einer Stunde, als die Sonne schon tief stand, und das Licht zunehmend schlechter wurde.
Denn es war schon recht spät am Abend, und über der Poebene bildete sich ein rabenschwarzes, wagnerianisch-dramatisches Hitzegewitter. Einzelne Wolken zogen hoch über die Hügel und verdeckten die Sonne.
Ich machte das, was Deutsche immer tun, wenn sie aufs Sofa geschickt werden oder die Sonne verschwindet: Ich fügte mich ins Unvermeidliche. Ich stellte die ISO-Zahl auf 800 und begann, mit langer Belichtungszeit zu operieren.
Das ging oft grässlich schief und manchmal waren die Ergebnisse vorzeigbar, wenn man ein Faible für durch Bewegung verwischte Bilder hat.
Wie gesagt, die Strasse ist gesperrt und stark abschüssig, da kann man es laufen und den Bildberichterstatter mit Blende 3,5 verzweifeln lassen.
Langsam zog ich mich über den Bergrücken zurück zur Kontrollstelle, wo das Licht noch etwas besser war, und die abgebremsten Autos leichter zur Beute meiner Kamera wurden. Man muss eben nehmen, was man kriegen kann.
Dort standen weiterhin die Rennbevollmächtigten – was für ein schönes, deutsches Wort! – und die Polizei. Vom Berg herab kamen die Bugattis, BMWs und OSCAs, aber vom Tale herauf kam ein kleiner, roter Wagen, und seine Fahrerin war definitiv zu spät, um noch gute Bilder zu bekommen.
Das wollte sie aber auch gar nicht. Sie wollte durch. Sie ignorierte den ersten Bevollmächtigten und seine Pfiffe, und der zweite stellte sich ihr in den Weg – nur um gleich wieder zur Seite zu gehen, denn sie bremste erst im letzten Moment und auch nur, weil sie sonst in einen entgegen kommenden Jaguar gekracht wäre. Auf den Mann hätte sie keine Rücksicht genommen.
Der Leiter der Kontrollstelle kam herüber und erklärte ihr, was er allen schon gesagt hatte: Hier findet ein historisches Rennen statt. Hier kann man nicht durch.
Das steht auch auf einem Schild im Tal. Nur Anwohner werden durchgelassen. Alle anderen müssen zurück ins Tal und ihre Ziele auf der neuen Strasse ansteuern. Es sind maximal 10, 15 Kilometer Umweg.
Und die Signora sollte jetzt weg vom Endpunkt einer Zeitwertung, weil hier manche doch recht flott durchrauschen. Es rauschten derer fünf hupend durch die vom roten Kleinwagen gebildeten Engstelle, bis sie ihren Wagen laut zeternd über die Strasse auf den Parkplatz fuhr.
Und ausstieg und reihum begann, alle Anwesenden zu beschimpfen und gröblich zu insultieren. Was das für eine Frechheit sie, sie so zu behandeln. Ihr den Weg zu verbieten. Das sei schließlich ein freies Land, und sie sähe es überhaupt nicht ein, noch mal ins Tal zu fahren. Und warum die Polizei das zulasse. Es klang, als würde jemand eine feministische Kolumne der Zeit brüllen, und danach noch eine von Spiegel Online.
Nachdem sie alle beschimpft, verflucht und beleidigt hatte, wurde sie nicht festgehalten, weil sie eine gesperrte Strasse befuhr, einen Beamten beleidigt und einen Rennoffiziellen beinahe überfahren und andere gefährdet hatte. Sie stieg in ihr Áuto, schrie noch ein paar Minuten, die sich so endlos wie ein Vortrag der Familienministerin zur Gleichstellung anfühlten, und fuhr dann wieder hinunter, nicht ohne vorher eine Halteanweisung zu ignorieren und einen unschuldigen Aston Martin DB2 beinahe seitlich in die lehmige Erde der Toskana zu bohren.
Ich ging zu meinem Wagen, zeigte in ihre Richtung und meinte, sie sei wohl un poco verrückt, aber der Polizist sagte nur, so seien Frauen eben. Das ist sehr, sehr, sehr, sehr italienisch, dachte ich mir, denn die Vorstellungen von dem, was eine legitime Konfliktsituation und was strafrechtlich relevant ist, gehen wohl im internationalen Vergleich ziemlich auseinander. Die eigenen Normen hat man so verinnerlicht, dass sie nicht weiter bemerkbar sind – es sei denn, sie werden in Frage gestellt. Die deutsche Norm lautet; Beleidige nie einen Polizisten. Die italienische Norm lautet: Warte, bis die Furie ins Auto steigt und verschwindet.
Natürlich darf man nicht verallgemeinern, aber ich verallgemeinere schon bei Rokokokostümen, Hunde- und Männerhalterinnen und modischen Müttern, da kommt es auf einmal mehr nicht an. Man kann die Idee einer Leitkultur und einer Identität leicht verneinen, wenn man sich über Normen einig ist: Dann scheint es, als gäbe es so etwas gar nicht, weil es jeder automatisch tut, und man es nicht als relevant ansieht. Niemand käme auf die Idee, Ehebruch in Deutschland zu einer gesellschaftlichen Norm zu erklären: Das wird halt bei uns so gemacht, bis hinauf zum höchsten Politikerinnen und Politikern gleich welcher Partei. Dass es sehr wohl etwas mit unserer Identität zu tun hat, merkt man erst, wenn man in die andernorts geltende Scharia blickt. Es muss ja nicht gleich Steinigung sein, aber es gibt international sehr unterschiedliche Vorstellungen, welches Verhalten statthaft ist. Ausbrüche wie da oben am Berg mögen in Italien Teil des Lebensgefühls und der Selbstverwirklichung sein – in Deutschland würde so ein Benehmen, gerade bei nichtigen Anlässen, bald jede private und berufliche Beziehung sprengen.
Es verträgt sich überhaupt nicht mit den Normen, den kulturellen Vorstellungen von Interaktion, und das, obwohl nur die Alpen zwischen Deutschland und Italien liegen. Mir ist natürlich auch das eisige Anraunzen der Menschen in Berlin fremd, aber dort oben über Maranello wurde auch offensichtlich, dass die typische Bayerin ganz sicher keine nördliche Voritalienerin ist, auch wenn solche Mythen gern verbreitet werden. Man denkt darüber einfach nicht nach, wenn man daheim ist. Aber wer nicht glaubt, dass es so etwas wie eine spezifisch deutsche Leitkultur gibt, sollte einfach längere Zeit im Ausland verbringen – es muss noch nicht einmal Iran oder Nordkorea sein.
Ich bin danach wieder den Berg hinunter gefahren, eingeklemmt zwischen einem rasenden Delahaye und einem Polizeiwagen, der mir bedeutete, dass ich bitteschön hier auch absurd illegales Renntempo und mit quietschenden Reifen über Rondelle fahren sollte, wo die Menschen nur darauf warteten. Es gibt eine Leitkultur, in Deutschland wird man dafür eingesperrt und in Italien bejubelt. Dafür schläft man in Deutschland allenfalls allein mit der Leitkultur auf dem Sofa, wenn in Italien längst das Nudelholz spricht.
So ist das. Und dafür hat es sich gelohnt, nach Maranello zu fahren, auch wenn die Bilder nicht ideal geworden sind.