AVRI SACRA FAMES
Vergil, Aeneis
Natürlich lüge ich beim Vermieten. Das ist so üblich, das wird von unsereins so erwartet, und zum Glück sind nun mal die innerstädtischen Toplagen so teuer, dass ich gar nicht mehr illegal lügen muss, wie etwa bei der Wohnungsgrösse oder beim Energienachweis. Es gibt nun mal zwei Arten von Menschen auf dieser Welt: Die einen vermieten die guten Lagen, die anderen mieten sie, und wer sich das nicht leisten kann, ist mehr so “Leute” denn “Menschen” und wohnt hier nicht. Also, jedenfalls, der Druck in die Städte ist enorm hoch, auch feministische Vorreiterinnen tragen mit 6 gewedelten 100€-Scheinen dazu bei, dass in Berlin Türken und Alleinerziehende nach Lichtenberg ausweichen müssen, und ich muss nur ein paar Details schöner reden, als sie in der geschichtlichen Wirklichkeit sind. Wie etwa das Fenster auf dem Weg zum obersten Stockwerk unter dem Dach.
Früher brauchte man nämlich in einem Haus wie dem meiner Familie noch Dienstboten, um es am Laufen zu halten: Waschen, kochen, Holz holen und anliefern, putzen, Ungeziefer jagen und dem Clan die Arbeit abnehmen – das alles verlangte nach Helfern, die damals unter dem Dach untergebracht wurden. Die Erzählung weiss zu berichten, dass vor dem Ausbau des Hinterhauses dort oben zig Menschen auf 110m² hausten, und so log man damals wie heute, dass so ein Oberlicht einfach mehr Helligkeit auf den Weg ins damalige soziale Nirgendwo – und heute in die Dachwohnung – bringt. Das ist gelogen: Das Fenster wurde eingebaut, damit sich der Gestank nach billigem Essen wie Kohl, Karotten und Sauerkraut nicht im ganzen Haus verbreitete und ins Piano Nobile zum Duft vom Rehbraten waberte. So sah man es jedenfalls früher, als Veganismus die natürliche Ernährung der Armen, und Rehe noch zur Belustigung der Reichen niedergeschossene Schädlinge und kein Bambis waren.
Dafür war alles bio: Wer kein Geld hatte, ging zu Fuss, und wer reich war, hatte eine Kutsche und Pferde, die als Emissionen Kot hinterließen, der von den Armen getrocknet und im Ofen verbrannt wurde. Sie ahnen jetzt, warum man nicht erpicht war, auf einem Stockwerk mit den Armen zu leben, aber immerhin war damals auch noch kein Lobbyverein Umwelthilfe nötig, weil man noch keinen Diesel verbrannte. Smog und Feinstaub waren sicher schon damals krebserregend, aber die meisten starben ohnehin vorher an Syphilis und Typhus oder Kälte und Hunger im Winter, da hatte man noch andere Prioritäten. So war das damals, als meine Vorfahren das obere Fenster einbauen ließen. Wichtig war, dass man etwas im Bauch hatte, und das war angesichts des deutschen “Sommers” nie leicht. Im Winter jedoch… schauen Sie mal, meine entzückenden Jahreszeiten aus Capodimonte!
Die habe ich in Vergils Heimatstadt Mantua auf dem Antikmarkt gekauft, 19. Jahrhundert nach Rokokovorbildern. Sind sie nicht niedlich, wie sie die Attribute halten? Blumen im Frühling, Früchte im Sommer, Wein im Herbst und Wurzelgemüse im Winter. Eigentlich ist das Tischzier beim Essen. Man stellt sie auf die gedeckte Tafel, idealerweise natürlich am Tegernsee mit Blick auf die Berge, aber beim Betrachten und Rekapitulieren der Familiengeschichte kam mir darüber eine Idee, wie man gleich ein paar Probleme gleichzeitig lösen kann: Den Wunsch nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, den viele junge Städter verspüren. Die Erwartung eben jener Städter, in einer Luft zu leben, ähnlich rein wie die am Tegernsee. Das Verlangen eben jener Menschen, bio und naturnah zu leben. Das ist in Städten natürlich nicht möglich, irgendwie müssen die unter Landverbrauch angebauten Nahrungsmittel in die Stadt kommen, und dann auch noch teuer bezahlt werden. Gemeinhin würde man in meiner Stellung sagen, dass sie zur Abhilfe reich heiraten oder erben sollten, dann hätten sie solche Probleme nicht. Aber ich gebe zu, dass ich als verantwortungsbewusster Influencer gern Auto fahre und mir natürlich Gedanken mache, wie man die Schadstoffe so absenkt, dass mein Leben nicht von den Sorgen niedriger Schichten beeinträchtigt wird, die sich bei Spiegel Online von Skandalen beeinflussen lassen und Fahrverbote fordern.
Und weil retro gerade wieder schick ist, kam mir da eine Idee für ein klimafreundliches, abgasreduziertes, biologisches Fastvegangrundeinkommen, das Stadt und Land entlastet. Weil, es ist doch: Früher überlebte man die kalte Jahreszeit nicht mit Bananen und Lebkuchen und Wein aus Italien und vor einem Notebook aus China, sondern mit Körnerbrei, dauerhaften Kartoffeln, Eiern, die man in Kalk eingelagert hatte, und einer Kiste voll mit Sand, in der das Wurzelgemüse wie Karotten geschützt wurde. Dazu gab es am Sonntag Fleisch in Form von dauerhaft geräucherten Schlachtabfallwürsten, die heute als “Kaminwurzen” wieder sehr populär sind. Darin ist alles enthalten, was so ein Mensch zum Überleben braucht, und dafür braucht man auch nur wenig Tierzucht, die für das klimaschädliche Methan verantwortlich ist. Obendrein kann diese Ernährung als weitgehend vegan gelten, und entspricht daher voll den Wunschvorstellungen des jungen Städters in seiner 1,5-Zimmer-Single-Wohnung für 600€ in Kreuzberg.
Man muss diesen Leuten, die jetzt das Verbot von Verbrennungsmotoren befürworten, eine echte, heimische Tomate zeigen, wie sie hierzulande eben erst ab Juli zu erhalten ist, wenn man sie wirklich biologisch und nicht künstlich geheizt bei uns anbaut: Nur jetzt darf man Tomaten bedenkenlos essen, Tomaten im Januar müssen mit Feinstaub und CO2 aus fernen Regionen nach Deutschland und in die Städte gebracht werden, wo man die eine Hälfte verkauft und die andere wegwirft. Diese deutsche, immer noch leicht unreife Julitomate, die ist echt und bio und dieselverbrennungsfrei. Alles andere schadet. Alles andere ist die Ursache für den mörderischen Feinstaub des Transports, und da kann wirklich jeder selbst anfangen – und darauf achten, dass feinstaub- und CO2angepasst gegessen wird. Baut man die Tomaten nicht selbst an, muss man trotzdem zum Biomarkt: Mit Tüten, und alle paar Tage, weil man nicht ausreichende Transport und Lagerkapazitäten hat. Und an dieser Stelle nun setzt mein bedingungsloses, weitgehend veganes, emissionsreduzierendes, retrogesundes Biogrundeinkommen an. Alles, was man dazu braucht, sind deutlich weniger LKWs, grünes Bewusstsein, staatliche Propaganda und – unser Beitrag als bessere Kreise – ein Oberlicht für den Abzug.
Denn mein Biogrundeinkommen macht es nicht mehr nötig, den Supermarkt aufzusuchen. Jeder Teilnehmer bekommt zweimal im Jahr die Nahrung, die er braucht: 2 Säcke mit jeweils 50 Kilo Kartoffeln. Ein Sack mit 40 Kilo Rüben für die Sandkiste. Eine Füllung von 40 Kilo Sauerkraut für das Krautfass. 50 Kilo trockenes Getreide für den Brei, der heute als “Müsli” bezeichnet wird, einen Eimer mit Apfelmus sowie 50 Kilo Mehl. Milch und Würste gibt es auch, aber nur soweit es sich eben mit nachhaltiger Landwirtschaft und den dort anfallenden Resten für meine Käseproduktion vereinbaren lässt – nicht nett, aber man muss eben an das Klima denken, und das Methan, das bei uns am Tegernsee freigesetzt wird. Darauf ist Rücksicht zu nehmen. Das Krautfass, die Säcke und die Kiste werden aus heimischen Materialien normiert gefertigt und sollten nicht mehr als 1m² in der Küche wegnehmen – da, wo früher das stromfressende Klimaungeziefer “Kühlschrank” stand.
Das wird ein Fest, jeden Tag ein neuer Genuss! Reiberdatschi Verduner Art mit köstlichem Sauerkraut, Erdäpfel “Engelbert“, Knödel mit Karottenbratling, Kimchi mit Kartoffelnudeln “Kim Jong-un”, Bratkartoffeln mit Wurst und Kraut, Gnocchi mit Rübenbolognese a la Repubblica Sociale, Gratin avec Collaboration Choucroute, Krautbällchen mit Getreiderisotto piccolo Benito, Piroschki Lenin, der kulinarischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt! In der Fastenzeit gibt es dann herrliche Kartoffelschalensuppe – ein Gericht aus grosser deutscher Leitkultur-Epoche. Eine einzige LKW-Fahrt reicht aus, um hundert Stadtbewohner auf Monate glücklich und satt zu machen, und erlaubt es den Landwirten, ökologisch und mit sicherer Abnahme nur das zu produzieren, was auch wirklich abgenommen und gegessen wird. Natürlich bleiben dann Supermärkten mit Orangen und Bananen auf der Strecke, aber wer das Klima retten will, muss einsehen: Die CO2-Bilanz von Südfrüchten ist, selbst verglichen mit meinem kleinen Sechszylinder, verheerend.
Man muss es nur richtig kommunizieren; Tütenverbote werden mit dem bedingungslosen Grundeinkommen überflüssig. Die Luft wird sauber. Fettleibigkeit wird reduziert. Wir beuten keine Länder der Dritten Welt mehr für Palmöl im Nutella aus. Statt Supermärkten mit 50 Sorten Klopapier wird es Raum für urbane Kunstprojekte und Ateliers der Kreativen geben. Der Klimawandel wird gebremst und Afrika wird endlich wahrhaft postkolonial, so ganz ohne wirtschaftliche Interessen der Deutschen. Die Kakaobohnen und die Schnittblumen dürfen das Leben an der Elfenbeinküste und in Kenia süß und bunt machen, während wir an der Zuckerrübe nagen und wieder im Topf deutsche Mimosen züchten. Jeder kann selbst dazu beitragen, und wenn das bislang angesichts all der nur schlecht ausgekratzten Nusscremegläser im Hausmüll nicht funktioniert, muss man staatlicherseits Grundeinkommen-Angebote machen, die dem Klima und den Ressourcen bedingungslos helfen. Dann werden auch die Städte wieder lebenswert und der verdammte Schadmünchner muss nicht mehr seine verbeulte BMW-Z4-Schleuder an meinen Tegernsee lenken und mich bei der Quiche inkommodoeren, sondern kann an der Isar mit Treibholz auf Steinen seine Kartoffel rösten.
Es hat wirklich nur Vorteile, passt punktgenau zu jeder grünen Verbots- und Juniorregierungspartei, und ist obendrein schon einmal eine gute Übung, sollte die deutsche Autoindustrie tatsächlich in eine Rezession fahren. Denn in diesem Fall würde es vor allem die Nettozahler des Bundesfinanzausgleichs treffen, Bayern und Baden-Württemberg, und die würden das tun, was man im Realsozialismus immer macht, wenn der marktwirtschaftliche Lack angekratzt wird: Ausgaben erhöhen, staatlich investieren, neue Möglichkeiten eröffnen und sich selbst zum Vorreiter stilisieren, damit unter der schönen Biooberfläche alles so wie bisher weitergehen kann. Das kostet eine Menge Geld, aber wir im Süden haben jahrelang gehortet und Fett angesetzt: Jetzt ist es eben an der Zeit, mit einem Investitionsprogramm zu schauen, dass alles im Lande bleibt und kein Cent mehr nach Berlin oder andere Regionen gelangt.
Woanders kann man mein bedingungsloses Grundeinkommen mit Hurrageschrei und veganem Jubel annehmen, und damit Gutes für die Umwelt tun. Oder von den Umständen dazu gezwungen werden, die eigenen Lebensvorstellungen einer heftigen Depression anzupassen. Man hat sich zu lange daran gewöhnt, dass süddeutsche Autobauer das Buffet bei Modemessen und Filmfestspielen bezahlen: Es ist keine schlechte Idee, sich einmal die Frage zu stellen, was aus dem sandigen Boden Brandenburgs an Essbarem gewonnen werden kann. Ich weiss das in Bayern, weil wir eben dieses Fenster zum Abzug von Kohlgestank schon haben. In Berlin hat der ein oder andere sogar Erfahrung mit der DDR, die länger als die BRD mit Lebensmittelrationen und autonomer Landwirtschaft umgehen konnte.
Da gibt es vielleicht sogar noch Spezialisten, auf deren Erfahrungen man zurückgreifen kann – wenn eine Ex-Stasi-IM mit dem Justizminister arbeitet, kann man doch sicher auch ein paar alte SED-Experten wieder in das Haus der Statistik einziehen lassen, die einmal durchrechnen, was meine Idee für die heimische Landwirtschaft, Feinstaub, CO2 und gewonnene Lebensqualität bedeutet. Ich bin jedenfalls gerne bereit, jede propagandistisch geförderte Einschränkungen für andere hinzunehmen, wenn ich weiterhin jederzeit nach Mantua fahren kann, um Figuren aus Capodimonte für meine reich mit selbst importierten, italienischen Gaumenfreuden bedeckte Tafel zu besorgen.