Es ist natürlich nur ein Zufall, dass Mary Shelley vor exakt 200 Jahren eine enge, finstere Treppe beschrieb, wie jene, die mich nach oben in den Speicher führt. Es ist auch nur ein Zufall, dass sie in einem Haus ist, in dem früher Alchemisten wohnten wie jener, über den Shelley schrieb, und es hat auch nichts zu bedeuten, dass Haus und Treppe und Speicher in exakt jener Stadt zu finden sind, in dem die ersten Teile von Frankenstein spielen. Wie wir aufgeklärten Menschen alle wissen, gibt es keine aus Leichenteilen zusammengesetzten Monster, und außerdem zitiere ich auf den Stufen Baudelaire.
Du, dessen Klarblick in die Arsenale dringt
Wo der Metalle Volk im Schlafe blinkt
Satan, meines Elends dich erbarme
Das steht in den Blumen des Bösen, die nach Frankenstein geschrieben wurden, und somit ist eigentlich klar, dass ich nicht Victor Frankenstein bin und dort oben nicht einen neuen Prometheus horte.
Sondern gleich ein paar Dutzend.
Manche Geschöpfe meiner ölschwarzen Kunst sind noch in Einzelteilen und warten auf die Vollendung, manche sind nagelneu und dämmern hier trotz ihres Alters wieder ein paar Jahrzehnte, manche habe ich nur zum Zeitvertreib gebaut und andere wiederum, weil Männer wie ich, wie man so schön sagt, zumindest ein Laster im Leben brauchen. Manche saufen, manche fressen, manche ruinieren sich beim Glücksspiel, sei es Roulette oder Partnerwahl, manche nehmen Drogen, manche machen Polit-PR beim NDR, manche studieren Gender, manche sind einfach nur fad und langweilig, und ich, nun, ich werfe einen Blick auf die Wettervorhersage. Die lässt mich wissen, dass es am Samstag auf 1500 Meter Schnee geben wird, und wie es der Zufall will: Genau dort hinauf sollte ich eigentlich fahren. Mit dem Rad.
Jeder normale Mensch würde sich nun an den Rechner setzen und eine Mail des Inhalts schreiben, die Veranstalter dieses Radrennens hoch zu den Gipfeln möchten es einem nachsehen, denn erstens habe man sich im Datum geirrt und zweitens sei das Auto kaputt und drittens fühlte man eine Grippe, man würde es also sehr bedauern, dass man nicht teilnehmen könnte. Ich schrieb, bevor ich die Treppe zu meinen Kreaturen hinauf ging, in die Waffenkammer der Drahtesel, dass ich mich im Datum geirrt habe und jetzt halt alles verschiebe und fliege, damit ich am Samstag, 9 Uhr, in Innichen den ersten Südtiroler Schnee nach dem Winter sehen und befahren kann.
Denn in Innichen ist die erste Auflage der L’Eroica Dolomiti, und ich bin ein wenig besessen. Ausserdem ist der Himmel heute morgen blau, das kann auch halten, und was weiss schon so eine Wettervorhersage? In den Alpen ist das Wetter immer überraschend. Und außerdem habe ich vor zwei Jahren ein Rad speziell für ganz schlechtes Wetter gebaut; Ein RUFA Sport von ca. 1972. Mit kleinen Schutzblechen. Was soll also schon auf dem bisserl Schnee, der ja auch nur Wasser ist, schon schief gehen? Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden! Tief in mir drin sagt eine Stimme, dass ich mich überschätze und das alles sicher kein Spass wird, während ich die Winterhandschuhe suche, und eine alte Fliegerbrille gegen den Matsch. Man glaubt gar nicht, wie weit der Glibber fliegen kann. Wenn man mit Tempo 90 gute 50 Meter hinter einem anderen einen Pass hinunter brennt, bekommt man so viel Schneefango, dass die Haut für Monate kältekonserviert ist. So spart sich unsereins das Botox und die Wellnes-Suite.
Sehen Sie, es gibt halt zwei Arten von Menschen auf dieser Welt: Die einen sind eher vernunftgesteuert und heissen Frauen, die anderen haben das Hirn nur als Rezeptor für Adrenalin und Testosteron: Das sind dann Männer. Männer können monatelang gediegen auf dem Sofa sitzen und den Gesellschaftsfinger vom Hutschenreuther spreizen – aber irgendwann heften sie sich ein Abzeichen ans Revers, tun ein paar Tage etwas Unvernünftiges, und dann sind sie auch wieder zufrieden. Aber ein paar Mal im Jahr muss das ausgelebt werden, wenn schon das restliche Leben nicht mehr jene Situationen bietet, die gemeinhin die ständige Präsenz solcher Körpersäfte erforderlich machen. Vielleicht sorgt die neue Berufswelt der Menschen auch dafür, dass sie diese Stoffe zurückbilden, und Anlass für all die Transgeschichten liefern, die man heute in den Medien so liest. Ich fürchte, bei mir da nichts mehr zu machen. Dafür habe ich Franz-Gewinde in der Kurbel. Das ist auch schon was!
Die habe ich heute noch einmal überprüft – es ist nicht spaßig, wenn einem die Kurbel beim Antritt nach der Serpentine bricht. Frauen verstehen das nicht, weil sie nicht wissen, wie dieser Cocktail der Körpersäfte bergauf und bergab im vollen Ausmass tobt. Eine Bekannte mit intensiven Drogenerfahrungen – was wohl alles ist, wozu die Grüne Jugend wirklich taugt – meinte einmal, meine Erzählungen klängen doch sehr nach Drogenrausch. Ich zweifle jedoch, dass sie wirklich ahnt, was es bedeutet, wenn einen die Faust Gottes über ein schmales Asphaltband in die Tiefe pfeffert, und hinter jeder Kurve der Tod warten kann. Da ist es gut, dass der Mechaniker heute noch einmal die 50 Jahre alte Bremsenkonstruktion und die Speichen nachjustiert hat: Sorgfalt und Mut überlebt, Dummheit und Mut stört bei der natürlichen Auslese.
Das System, in dem wir leben, will etwas anderes: Es redet uns ein, wie wir die Welt sehen sollen, welches Verhalten richtig ist, welche Willkommenskultur wir zu leben und welche Positionen wir abzulehnen haben, Wir sollten Christopher Street Days schätzen, auch wenn dort inzwischen die Kirchen, nach Kernseife und Enthaltsamkeit riechend und Fett in Leggins pressend, mitgehen, und immer an die Umwelt denken, auch wenn die Macher dieser Vorschriften Natur nur als den Busch kennen, in dem ihr voll in die grüne Weltsicht integrierter Dealer die Drogen versteckt. Es gibt in diesem Wertesystem jenseits der reinen Fortpflanzung keine natürliche Auslese durch Leben und Tod, Geschlechtspartner und sich anziehende Gegensätze, die die Jungen stark machen. Es gibt Leitlinien und Filterblasen, an denen sich die Auswahl vollzieht.
Minister laufen mit Schauspielerinnen davon, EKD-Mitglieder finden sich in Räten, der Gewerkschaftler trennt sich irgendwann von der SPDlerin und politische Überzeugung ist wichtiger als körperliche Attraktivität oder gar Vermögen, Die Ausleseprozesse sind nicht mehr durch Umwelt und Not definiert, sondern von Sozialen Netzwerken, ideologischen Gruppen, Singlebörsen und der Fähigkeit des Mannes, Wellnessurlaube zu ertragen. Im Überfluss des Westens kann man sich tatsächlich beschweren, wenn der Partner einen Mangel wie ein Produkt hat, das man folglich umtauschen kann. Das wird als Grundrecht empfunden. Es überlebt in diesen Zirkeln nicht der Stärkste, sondern der, der sich diesem System am besten anpassen kann.
Die Fähigkeit, einen Berg im Schneetreiben zu erklimmen, ist da nicht mehr relevant, aber der Trieb ist jmmer noch da, also machen es die Männer alleine. Vor ein paar Wochen war ich mit einem ebenfalls nicht fitten Mann an einem Berg, und wir fuhren nebeneinander hoch: Trotz schwacher Muskeln am Limit natürlich, mit gefletschten Zähnen, und aus den Augenwinkeln sah ich, wie hinter uns seine Begleiterin die Augen verdrehte: Aber so ist eben die Natur, so funktioniert der Körper, man weiss, dass es nicht vernünftig ist, und man bekommt dafür keinen Preis. Aber es fühlt sich nett an, wie jener Sex, der in Zeiten von Social Freezing für die Frau auch nicht mehr nötig ist, wenn sie sich auf die Karriere konzentriert, und erst später auf das Finden des richtigen Partners, der bis dahin professionelle Sexdienstleistungen als ökonomische Alternative erkannt hat. Die schiere Kraft, die unsere Urgrosseltern noch besangen und auf Dorffesten bewunderten, ist etwas für Proleten, oder wird versteckt irgendwo in den Bergen ausgelebt. Da hilft auch keine Frauenquote und kein Programm für Familien. Es ist nun mal ein atavistisches Ritual. Eine Abweichung von der Norm der Evolution. Man könnte auch an der warmen Heizung sitzen und Tee trinken, und melancholisch in den Regen schauen.Man muss nicht verstehen, warum ich morgen um 9 Uhr im Regen hoch zu den drei Zinnen fahren werde, wo der Winter Einzug hält und der kalte Schlamm in alle Poren dringt. Man muss auch kein Mitleid haben, denn wer das macht, der lebt sein Testosteron. Das, was die Evolution vom Mann der Vergangenheit zur Memme der Gegenwart nicht beseitigen konnte: Das will es so. Es wird eine phantastische Sauerei, und ich hoffe, dass neben mir auch die Kamera überlebt, damit ich Bilder vom Gemetzel mitbringen kann. Die Kastraten der Zukunft werden schaudern, wenn sie das später einmal wieder entdecken.
Nein, ich habe nicht Frankensteins Monster im Speicher. Aber vielleicht werde ich morgen im Ziel selbst so aussehen.