Machn’S a Sondersendung
Horst Seehofer
Laut Frau Özoguz gibt es keine deutsche Leitkultur jenseits der Sprache. Darüber kann man diskutieren, aber bei mir daheim, auf dem Dorfe Gmund am Tegernsee, da gibt es schon eine Leitkultur. Die Trachtenträgerquote liegt am Wahltag bei über 80% und die Quote für die Partei von Frau Özoguz ist so niedrig, dass sie nach der gerupften CSU, der Millionärspartei FDP und der AfD, versehen mit einem befremdlichen Kandidaten, noch dahinter auf Platz 4 liegt. Nur 0,7% bräuchten die Grünen hier, um die nordwestdeutsche Regionalpartei SPD nach dem Verlust jedes 4. Wählers auch noch zu schlagen. Es gibt bei mir im Wahlkreis keine Leitkultur mehr, bei der die SPD von Frau Özoguz als relevanter Teil zu identifizieren wäre. Die SPD wurde hier geschlachtet und weggeputzt.
Und das, obwohl wir hier Übervollbeschäftigung und Reichtum und Bildung haben, und eigentlich überall an der Spitze stehen. So richtig Abgehängte, sei es in Fragen der Kultur oder der Klassen, gibt es hier nicht, oder jedenfalls nicht genug, um das gute AfD-Ergebnis auch nur ansatzweise zu erklären. Man kann der Region viel vorwerfen, aber der Tourismus spielt eine grosse Rolle, und sie ist sehr gastfreundlich. Auch Frauen mit Vollverschleierung werden anstandslos bedient, man hat sich an die Erscheinung der Gäste aus der arabischen Welt schon lange gewöhnt. Flüchtlinge sind im Tegernseer Tal und auch in Südbayern mit dem rigiden Integrationsgesetz seltener geworden. Bei den Gebliebenen gibt es auch phantastisch funktionierende Modellprojekte in der Gastronomie. Trotzdem sind der Alpenrand, das grössere Umland von München, und der Bogen hoch am Inn zur Donau verantwortlich für das Abschneiden der AfD, die hier insgesamt die zweitstärkste Partei nach der CSU ist – und das mit einem im übrigen lausigen Organisationsgrad.
Für die SPD ist der Niedergang in Hamburg vermutlich wichtiger als ihre aufgeriebene Nachhut an den Alpen, und weil die CSU trotzdem jeden einzelnen Wahlkreis in Bayern direkt und überragend gewonnen hat, schlägt sich die Niederlage auch nicht so schlimm im Bundestag nieder. Und trotzdem, dieser schmale Streifen Land und seine seltsam gekleideten Dorfbewohner, die hier der CSU einen Denkzettel verpasst haben: Die werden jetzt wichtig.
Um zu verstehen, was jetzt kommt, muss man hier während der Asylkrise in den Bürgerversammlungen gewesen sein. Normalerweise tritt dann der Bürgermeister auf, erzählt den Bier trinkenden und Tracht tragenden Anwesenden, dass alles bestens ist, mahnt mehr Blumenschmuck an und referiert die blendende Haushaltslage. Ärmere werden mit Einheimischenprogrammen ruhig gestellt, so sie heiraten und Kinder bekommen möchten; man klagt über die Zuganbindung und schüttet Wohltaten über dem Volk aus. Während der Asylkrise war das anders, da mussten auch hochrangige Politiker aus München kommen, weil der Volkszorn auf dem Land brannte. Bei uns hatte kurz vor diesem denkwürdigen Treffen ein polizeibekannter Einzelfall aus einer Turnhalle vorbeifahrende Autos demoliert, und war auf Wachleute und Polizei losgegangen – in der Folge machte auch Bilder vom Zustand der Sanitäranlagen die Runde, und man muss schon sagen, dass die Willkommenskultur danach keine Leitkultur mehr war.
Auch nicht für die CSU. Die Angereisten aus München wurden gefragt, was das soll: Auf der einen Seite sei die Grenze offen, und die Region müsste die Hauptlast der Krise tragen. Wenn Sie, liebe Leser, sich auf der Karte anschauen, wo die AfD in Bayern besonders stark ist: Das sind, vom Sonderfall München einmal abgesehen, die ländlichen Gegenden entlang der Endpunkte der Brenner- und Balkenrouten. Die Gebiete, die damals die Hauptlast bei der Erstversorgung trugen, und denen später nicht sonderlich gedankt wurde. Das “Wir schaffen das” war bei uns ein “Ihr macht das halt”. Dafür gingen bei den Bürgermeistern wenig verständnisvolle Briefe von Gästen ein, die die Gegenden als Urlaubs- und nicht als Krisenregionen besuchen wollten. München bekam ein Konzert für die grossartige Leistung der Helfer, wir am Tegernsee bekamen, und das war absehbar, ein Raumproblem durch anerkannte Asylbewerber und viele Überstunden für die Gemeindemitarbeiter. Das waren nicht eben die angenehmsten Momente, und die jungen Männer, die erst einmal die Existenz Deutschlands in reichsbürgerlichem Untertone anzweifelten, stellten bei solchen Veranstaltungen das kleinste Problem dar. Das grosse Problem war wirklich die Frage: Wie kann die CSU gegen eine Politik sein, wenn sie gleichzeitig Teil der Regierung ist, die diese Politik macht.
Die Antwort war immer, wenn ich drin saß und Spezi statt Bier trank, die gleiche. Die grosse Koalition sei so gross, dass sie auch ohne CSU problemlos weiter machen könnte. Die CSU könnte natürlich die Fraktionsgemeinschaft verlassen und die Regierung aufkündigen – dann wäre sie eben die einzige Oppositionspartei, während Grüne und Linke sofort bereit wären, den politischen Kurs von Merkel zu stützen. Man würde nichts gewinnen, aber sich alle Möglichkeiten des Einflusses selbst nehmen. In der Regierung könnte die CSU auf eine europäische Lösung zur Begrenzung der Zahlen hinarbeiten, und dann hoffen, dass die Partner anders als Merkel denken. und die Obergrenze via Brüssel käme. Man sei da in guten Gesprächen. Man bitte die Anwesenden um Geduld. Man wisse genau, wo die Probleme liegen. Man erklärte die enormen Herausforderungen bei der Rückführung und zeigte jedes Verständnis für die Sorgen der Betroffenen. Zähn zsambeissn, oweschwobm, woadn, da Seehofa duad, wosa ko. Ausserdem habe man Freunde und wirtschaftlich verbandelte Partner im Balkan, die auch betroffen sind. Ein Austritt aus der Regierung sei wirklich nur das allerletzte – und wenig sinnvolle – Druckmittel.
Letztlich wurde die Balkanroute durch Österreich geschlossen, Merkel protestierte dagegen, und Seehofer war wohl nicht traurig. Aber das kam sehr spät, und die Leute treibt die Angst um. Vorletzte Woche gab es bei mir an der Donau einen Vergewaltigungsversuch mitten in der Stadt durch einen Mann mit dunkler Hautfarbe. Zwei grössere Gruppen Araber und Afrikaner haben sich vor meinem Haus eine Auseinandersetzung geliefert, die weit über dem Rahmen des Gewohnten lag – wir diskutieren über die Sicherheitslage in Afghanistan, aber in jener Nacht war die Sicherheitslage von Kabul vor meinem Haus. Wir haben den Fall der ermordeten Sexarbeiterin in Regensburg – der Täter sollte abgeschoben werden, aber der Staat scheiterte. Es fällt schwer, das alles noch als Einzelfälle abzutun, und dann gibt es hier eben auch Leute, die das überhaupt nicht mehr differenzieren wollen. Das sind gar nicht so wenige.
Mein Eindruck ist, dass man das nicht an der Zurückgebliebenheit einiger bayerischer Regionen festmachen kann, sondern an den Erfahrungen des sog. deutschen Sommermärchens, als die Medien in Berlin feierten und bei uns die meiste Arbeit angefallen ist. Man – ich übrigens auch – hat die Bilder vom Bahnhof gezeigt, wo ein paar hundert, maximal wenige tausend Leute klatschten. Wenn man aber über den Kontext reden wollte, über Risiken und Folgen, die sich buchstäblich vor der Haustür abspielten, verlor man schnell die Freunde in Berlin. Heute machen hier Geschichten die Runde, wie die von dem LKW, dessen Gerettete nach drei Tagen spurlos verschwunden sind. Das Misstrauen, dass es bei diesem System erneut zu einem Staatsversagen an der Grenze und gleichzeitig im Kernland der CSU kommen könnte, ist gross.
Daher kommt vermutlich die Schlappe für die CSU und SPD im südostbayerischen Raum. Daher kommt das gute Ergebnis für die AfD. Aber diesmal ist es anders, die SPD steht für eine grosse Koalition nicht mehr zur Verfügung, und es kann eine Jamaika-Koalition geben. Die wird dann wegen der Grünen sicher nicht die Abschiebungen beschleunigen, Grenzen schützen und Leute ohne Papiere abweisen, oder mehr sichere Drittstaaten ausweisen. Sie wird eher die hier ohnehin schon überfüllten Gemeinden, in denen die eigene Ärmeren kaum Wohnraum finden, mit Familienzusammenführungen belasten. Das ist hier bei uns auch ein soziales Problem: Es gibt keinen Leerstand, den man dafür aktivieren könnte. In Italien warten Hunderttausende, die dort nicht bleiben wollen, und Frau Merkel hat gesagt, man könnte die Grenze nicht schützen. Die einen wählen daher AfD und die anderen immer noch zähneknirschend CSU. Aber die Stimmenverteilung ist im Bundestag so, dass Jamaika nur mit CDU, Grünen und FDP möglich ist, wenn die CSU auch mitmacht. Wenn ein Austritt etwas bringen würde, hieß es damals in den Bürgerversammlungen, dann würden wir das schon versuchen. Jetzt bringt es etwas, und wenn die CSU wieder kneift und wieder nur langsame, aber wenig effektive Ränkespiele macht und hofft, dass die Afrikaner aus Italien ohnehin alle nach Berlin wollen, wie das auch einmal ganz offen gesagt wurde – dann droht 2018 von den Bierbänken bis zu den feinen Cafes eine krachende Niederlage in Bayern.
Die CSU steht bei Dörfern wie meinem, die ihr Kernland darstellen, im Wort. Die Räume waren voll, alle haben es gehört, jeder sollte damit beruhigt werden; Die CSU würde alles tun, was in ihrer Macht steht. Jetzt steht deutlich mehr in ihrer Macht, und nun lässt sie die CDU spüren, dass sie nicht mehr nur austauschbarer Quengler ist, sondern unverzichtbarer Teil einer neuen Regierung. Mag sein, dass an der CDU nicht vorbei regiert werden kann. Aber die Stimmen sind nun mal so verteilt, dass Jamaika ohne CSU nicht geht. Und die Stimmung im Land ist nun mal so, dass die Leute fragen, warum sie für das ganze Elend der Welt zuständig sein und es hier finanzieren sollen. Das mag aus Berliner Sicht kleingeistig, dumpf und ohne Privilegiencheck sein. Wenn es egal ist, ob Teile der CSU-Wähler dauerhaft nach rechts abdrücken, kann das gepflegt ignoriert werden. Es sind ja nur ein paar Wahlkreise ganz im Süden. 2015 warfen sie noch die Helden der Willkommenskultur, weil keiner sie gefragt, hat, ob sie die Völkerwanderung betreuen wollen. 2017 sind sie die neuen Hochburgen der Unberührbaren, weil viele dort die Erfahrung nicht so toll fanden, und keine Neuauflage wünschen.
Ich halte nichts von CSU oder AfD und habe sie nicht gewählt, aber für die CSU geht es gerade um alles, weil die paar Dörfer hier unten für sie und ihren Anspruch deutlich wichtiger als für die gerümpften Nasen in den Berliner Feuilletons sind. Sicher, es ist a wengal unkommod, wenn jetzt die Begehrlichkeiten von Frau Göring-Eckardt und die Wünsche von Herrn Lindner sowie das weitere Schicksal von Frau Merkel hier bei uns mit entschieden werden. Vielleicht knickt die CSU auch erneut ein und verliert nächstes Jahr ganz schrecklich. Aber nur, weil sich bei der CDU keiner findet, der Frau Merkel sagt: “Du Angie, das war’s, so geht es nicht weiter”, muss das noch lange nicht für jene gelten, denen gerade sehr deutlich hineingedrückt wurde, dass es so nicht weiter geht.
Soweit also mein Bericht aus einem fernen Alpentale nahe der Grenze, das so unbedeutend scheint, und über dessen Leitkultur man woanders natürlich auch kritische Töne verlieren darf, besonders, wenn man hier wie die SPD ohnehin nichts und schon gar keine Heimat mehr zu verlieren hat.