Sportler leben nicht länger, sie sterben nur gesünder.
Während ich das hier schreibe, versucht sich die Pressestelle eines Ministeriums einen Eindruck vom Umfang enes Förderungsdebakels zu machen, betreffs einer heftig finanzierten Organisation, die im Begriff “deutsche Dreckskultur” aus der taz keinerlei Hate Speech erkennen kann. Die neue Sitzungsperiode des Bundestages fängt also schon einmal gut an. Und weil man vermutlich noch eine gewundene Antwort entwirft, die dem Ministerium besser nicht gleich die erste kleine Anfrage einbringen sollte, hatte ich viel Zeit und etwas in meinen Augen Sinnvolles getan: Ich habe ein Rad restauriert.
Restauriert habe ich es nicht, weil ich den nächsten “So kommen Sie mit ihrem Rad durch den Winter“-Beitrag verfasse. Wir sollten hier so ehrlich sein und den Tatsachen ins Auge sehen. Die meisten Leser von Medien, die hierzulande solche Beiträge in diesen Wochen publizieren, leben in Deutschland. In Deutschland ist der Winter kalt und die Tage sind kurz. Jede Mutter, die irgendwie kann, fährt ihre Kinder mit dem Auto zur Schule, weshalb vor meinem Haus jetzt schon täglich der Verkehr zusammen bricht. Im Winter sind die Strassen voll mit Autos, und die 200 Teilnehmer der Critical Mass Raddemo schmelzen auf eine kleine, steinharte, rein männliche Truppe von 25 Helden zusammen, die der Zumutung des Wetters trotzen. Niemand spricht mehr über Fahrverbote. Auf die Frage “wie komme ich mit dem Rad gut durch den deutschen Winter” gibt es nur eine richtige Antwort: Seien Sie privilegiert genug, den Winter in Italien verleben zu können. Da geht das wirklich. In Deutschland ist das nie gut, es ist immer kalt und brutal und und grau und hässlich wie ein Jamaika-Streit um die Versorgung mit Staatssekretärsposten.
In Deutschland, um den nötigen, grundlegenden Serviceteil eines derartigen Heuchlerbeitrags abzuarbeiten, sollten Sie wenigstens so wie ich leben: Mit drei Zimmern zwischen Bett und Arbeitssofa an der warmen Heizung, an einem Empiretisch aus Mahagoni und mit einer silbernen Teekanne darauf. Dann verlassen Sie das Haus nur, wenn das Wetter halbwegs erträglich ist, und können dann auch mal mit dem Rad fahren. Aber bitteschön fahren Sie nicht mit dem guten, neuen Rad: Der Winter setzt Rädern bei uns schlimm zu. Kaufen Sie bei einem Gebrauchtmarkt lieber ein altes Bergrad der Mittelklasse und fahren Sie es runter: Die 50 Euro sind billiger als die Nachwinterinspektion bei den speluncae latronum, wo man alle pfennigguten Verschleißteile erneuert und Ihnen dann einen Betrag abnimmt, für den Sie auch schon ein halbes Neurad oder einen Phototermin mit einem Ex-Minister bekämen.
Das hier ist so ein ideales Winterrad: Ein 22 Jahre altes Scott American von 1995, ein ganz normales Rad der oberen Mittelkasse, das bei uns auf dem Fundamt endete. Ich habe es schneller repariert, als ein Bundesministerium erklären kann, warum mit Geld überschüttete Handlanger des Hauses meinen. “deutsche Dreckskultur” sei keine Hate Speech: Es war also nicht sonderlich schwer oder arbeitsintensiv, und ich musste lediglich Lenker und Vorbau austauschen: Den Lenker, weil er verbogen war, und den Vorbau, damit man bequemer sitzt: Im kalten deutschen Winter muss keine geduckte Rennhaltung sein, denn Fahrtwind vereist den Fahrer.
Ansonsten – Sie merken, wir sind immer noch im öden Serviceteil, und das Veganervorführen kommt noch – ist die Ausstattung so gut wie unzerstörbar:Eine ungefederte Stahlgabel, ein pulverbeschichteter Aluminiumrahmen, der kaum rosten wird, relativ breite und hochwertige Felgen von Mavic, und eine Deore LX mit nur 7 Gängen hinten. Die Reifen sind breit und profiliert, um auch im Schnee voran zu kommen. Eine Scheibenbremse oder gar einen Elektromotor hat es nicht. Es ist völlig unscheinbar, und Diebe klauen dann eher dem kommenden Aussenminister das grüne Rad, der dadurch noch einmal die Nöte jener hier beheimateten Bevölkerung kennen lernt, bevor er um die Welt reist, und sich Sorgen um jene macht, die erst noch kommen, um hier noch nicht so lange zu leben. Wenn der Frühling erwacht, wäscht man das Winterrad ab, stellt es in den Keller, und holt wieder das gute Rad hervor. Das Rad ist einerseits funktional, andererseits aber, gemessen an den Versprechungen der Konsumwelt, ganz, ganz unten. Es ist in Radform so eine Art intersektioneller Feminismus, jede Art der eigenen Benachteiligung lässt sich damit konstruieren, und das ist auch der Grund, warum man wirklich genau so ein Rad haben sollte.
Denn nehmen wir einmal an, jemand möchte einen dazu ermutigen, die Eßgewohnheiten vegan auszurichten. Richtig, sagen Sie dann, es ist furchtbar, was mit den Tieren geschieht – und da geht es ja nicht nur um Massentierhaltung, sondern auch um Umweltschäden durch Benzin, wenn afrikanische Flussdeltas verdreckt werden oder die Fische bei Tankerunglücken sterben, ganz grässlich, man fragt sich, wie Menschen es überhaupt verantworten können, hier nicht die Folgen zu betrachten und zu bedenken, wie viel Tierblut doch im Benzin steckt. Aber Sie, Sie fahren natürlich auch im Winterrad und zwar wirklich umweltbewusst – und hier nun kommt die technische Ausführung aller Details, die Sie bei Ihrem Winterrad bedenken und die anderen sträflich, sträflich übersehen, wenn sie vegan essen, aber tiermassenmordend Auto fahren.
Oder jemand möchte Ihnen erklären, dass wir die Grenzen öffnen müssen, weil der deutsche Raubbau an der Natur für Klimaerwärmung sorgt und das wiederum die Menschen zur Flucht treibt. Sie haben ein 22 Jahre altes Rad gerettet, sagen Sie mit einem liebevoll-nachsichtigen Gesichtsausdrucks eines fastpensionierten Soziologielehrers aus dem schönen Münster, dem ein Schüler gerade erzählt hat, er sei AfD-Erstwähler, und tragen alte Kleider auf, wenn Sie damit durch die Stürme radeln. Sie machen die Klimaveränderung nicht, ihr Tweedsakko ist 10 Jahre alt und mit Cashmere, aber jene, die bei H&M kaufen, und meinen, sie hätten im Winter Anrecht auf neue Garderobe, diese Menschen, die sollten sich mal überlegen, warum sie eigentlich nicht auch die Freuden der sieben Gänge hinten im Winter gegen ihren perversen Luxus eintauschen, denn so eine Kette halte 3000km und es gäbe kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Kleider und man wäre gern bereit, zur Rettung des Klimas und der Grenzen die Vorteile einer 95er Deore LX zu erklären, als die wären: …
Sie verstehen, was ich meine. Niemand fährt in Deutschland im Winter gern mit dem Rad durch, noch nicht mal ich mache das, wir sind alle mal bequem und faul und suchen uns eine andere Moral, die wir anderen zu unserer eigenen Überhöhung verdeutlichen. Wir tun das mit der charakterlichen Verkomm Vollkommenheit, mit der Cem Özdemir seinem Akku- und Stromrad nachsagt, es sei “emissionsfrei”. Ein 1995er Scott American, im Winter durchgefahren – man kann das ja einfach behaupten, wenn das Rad zumindest herumsteht – schlägt das alles. Jeder grüne Dienstpedelecminister ist dagegen die reinste Umweltbelastung, die sich fragen lassen muss, wo eigentlich der Strom für das Rad produziert wird, und warum so ein abgehobeneer Luxusradbesitzer sich zu fein zum proletarischen Treten ist. Das Scott ist ein Rad ohne jedes Privileg, und daher ideal geeignet, jeden anderen zum Check seiner Privilegien zu zwingen. Die Flugzeugbenutzer. Die Bahnfahrer, die sich über Verspätungen beschweren. Die Leute, die Bus eine Heizung erwarten. Die Klimaretter, die mehr als 7 Grad in ihrer Wohnung haben. Die Warmduscher und die sozial Gerechten. Die Metoo-Verbreiter mit China-Handies und Atomstrom. Die Leute, die der Meinung sind, dass man mehr vom eigenen perversen Luxus abgeben sollten, und dabei gern bei anderen anfangen. Sie alle kann man darauf hinweisen, dass man selbst.
Im Winter!
In Deutschland!
Bei diesem Wetter!
Konsequent!
Alles!!!
Mit einem 22 Jahre alten Scott American wenn nicht etwa mit einem 6000€ teuren Scott CR1 macht, das man bei der Caritas gekauft und gerettet hat, um seiner Verantwortung im Gegensatz zu Privileg X gerecht zu werden. Man selbst ist nicht nur dabei, man radelt dem Fortschritt voran. Man hat längst für sich selbst die richtigen Konsequenzen gezogen, während andere immer nur reden.
So macht man sich natürlich keine Freunde, denn niemand mag Tugendterroristen, die noch extremer als man selbst sind, und einen dann auch noch eine halbe Stunde lang die Feinstaubreduktion bei Verwendung ihrer alten Coolstop-Beläge im Unterschied zu den neumodischen Scheibenbremsen anderer Leute Pedelecs erklären. Jede billige Chinagabel mit Federung enthält Öl, ja Öl zur Dämpfung und ein weiteres Argument, warum der andere bei einem wahrhaft ganzheitlichen Ansatz nicht aufgepasst hat. Man wird sich hüten, Ihnen gegenüber noch einmal Themen anzuschneiden, die Ihnen die Rolle des entbehrungsreichen Franziskus unter all den fettigen Tartuffes überlassen, die auch nur erzählen, was sie irgendwo über Glyphosat und Raubbau in der Dritten Welt gelesen haben. Denn die Zeiten, in denen die Bigotterie noch mit Kirchenbesuchen, Reliquien, Beichtzetteln und Rosenkranz mühsam erworben wurde, sind vorbei. Die richtige Gesinnung bekommt man billig in den richtigen Tugendmedien. Aber es gibt nun mal zwei Arten Menschen auf dieser Welt, die einen werden von einem ausgebeuteten Lieferanten mit der Prantlhausener Zeitung beliefert, und die anderen haben ein seelenschwarzes Scott American von 1995 und behaupten, es ohne Rücksicht einzusetzen. Auf der Strasse und im Gespräch, mit allen Details, die den Fanatiker ausmachen und Amateure der Bigotterie schnell ermüden.
Man darf halt dann bei Twitter kein Video posten, wie man mit dem SLK einen neuen Rekord nach Mailand in den Asphalt gebrannt hat, mit 18l/100km zur Caravaggio-Ausstellung, und dann weiter an den Comer See. Dieser grosse Verzicht ist der wahre Preis der Tugend. Ansonsten lohnt sich das Scott aber wirklich.