Ob es Gott gibt oder nicht, wissen wir nicht. Also lasset uns ihm Opfer darbringen.
Konfuzius
Ich weiß gar nicht, was die Leute immer für einen Gehauf mit Geschenken machen. Bei mir gibt es immer das Gleiche. Kinder von 0 bis 6 sind noch Analphabeten und bekommen von mir nach dem Kaiserschmarrn auf dem Gipfel eine Rodelfahrt die Neureuth hinunter, und zwar ohne ihre störenden Eltern. Das härtet sie ab, sie erleben zum ersten mal ein echtes Risiko, und sie können in der Schule damit angeben. Mein Onkel hat das mit mir ähnlich gehalten, und schauen Sie, was aus mir wurde. Kinder von 6-10 bekommen Schmalzgebäck vom Wochenmarkt und das Buch Grossvaters Karpfen von Kathrin Jacobsen, denn da geht es erstens um meine kleine, dumme Heimatstadt und zweitens darum, dass man keiner Kreatur etwas zuleide tun soll, außer natürlich man kommt mit so einem Kind von der Rodelbahn ab und fliegt in die Bergwaldbotanik, aber das gehört dazu und die Eltern sind ja nicht dabei.
Kinder von 10 bis 14 lasse ich ganz allein auf einem Gasser Supersport die Neureuth hinunter in die aufsteigenden Gruppen von Schadmünchnern fahren, und es haben noch alle überlebt, nur die Eltern würden sterben, wenn sie wüssten. Ab 14 bekommen sie dann “Cafe Morelli” von Giancarlo Gemin, damit sie die Schönheit Italiens erahnen, und ab 16 gibt es dann Italo Calvinos “Ritter, den es nicht gab” und “der geteilte Visconte”. Danach folgen Jan Graf Potockis “Handschrift von Saragossa” und ab 18 gibt es Pitigrillis “Kokain”. Mut, Vegetarismus, Draufgängertum, Liebe zum Alten und Ambivalenten, ein gerüttelt Maß an Ideologiekritik und das beste Basiswerk zum Umgang mit dem anderen Geschlecht – niemand versteht besser als ich, was Kinder so brauchen. Wirklich niemand. Bei Eltern ist es auch nicht schwer, denn die meisten meiner Bekannten sind vom alten Schlag und hören Musik auf Stereoanlage und CD. Eigentlich reicht es da, wenn ich die hübschen Neuerscheinungen des Jahres erneut erwerbe und zusammen mit Beutegut vom Wochenmarkt und vom Teehaus überreiche. Zumindest war das früher so.
Aber jetzt hat metoo auch die klassische Musik erreicht, und Gerüchte, die der Spiegel vor 20 Jahren noch für voll akzeptabel hielt, gelten jetzt als Missbrauch, der eine Karriere beendete. Für mich ist das nicht so schlimm, denn James Levines Repertoire fängt dort an, wo meines aufhört, und somit war Levine noch nie unter den Künstlern, die ich zu verschenken beliebte. Aber weil eine der von mir geschätzten Neuerscheinungen die Oper Persee von Jean-Baptiste Lully ist, und Lully wiederum ein Päderast und auch sonst ein echtes Scheusal war, habe ich mir so gedacht, ich hebe den vielleicht auf, bis sich die Wogen der Empörung etwas geglättet haben. Allerdings ist gleich die nächste CD voll mit Musik für Papst Leo X. Leo X. wurde als Giovanni di Medici geboren und erst zum Kardinal, als sein Vater Lorenzo di Medici Giovannis Schwester Maddalena mit dem Sohn des damaligen Papstes zwangsverheiratete. Als Papst Leo X. hatte Giovanni fraglos auch seine guten Seiten, denn als Visionär erkannte er frühzeitig, dass Luthers Ketzereien Deutschland nichts als Religionskriege, uckermärkische Pastorentöchter, Kirchen ohne Prunk, zuckerreduzierte Plätzchen, abgebrochene Theologinnen bei den Grünen und auch nach 500 Jahren Irrlehre noch eine Schule in einem abgefallenen Landesteilen hervor bringen würde, die auf die “religionssensible Vermittlung der adventlichen und weihnachtlichen Inhalte“ achtet. Aber das Privatleben von Leo X. ähnelte doch stark dem des Herrn Weinstein – nach allem, was man so hört, mit Jünglingen als Ziel seines Verlangens, nun, was soll ich sagen, also, ich habe ja noch ein paar andere CDs.
Zum Beispiel die Komponistin Elisabeth Jaquet de la Guerre und Messen von Loyset Compere. Was könnte denn unverdächtiger sein? Schließlich war de la Guerre eine Frau, geradezu eine Protofeministin, ein unverdächtiger früher Stern am Komponistinnenhimmel am Hofe Ludwigs XIV. Ganz anders als Lully, der eine schwangere Sängerin so schlug, dass sie ihr Kind verlor, sollte man denken, bis man da auf ein gewisses Detail stößt, nämlich: Ihre Förderin und Freundin war die Marquise de Montespan, Mätresse von Ludwig XIV und Hauptperson der sog. Giftaffaire, mitsamt schwarzen Messen, Kindermorden und anderen extremen Taten. Im Zuge des Skandals verließ auch da La Guerre den Hof wohl nicht ganz freiwillig, und ich denke, ich sollte vielleicht zu Weihnachten dann doch lieber die gänzlich unverdächtigen Messen verschenken. Messen, die Comore für Galeazzo Maria Sforza komponierte, den Herzog von Mailand. Allerdings lässt eine kurze Recherche auch ahnen, dass Sforza den Sohn des florentinischen Botschafters sexuell missbrauchte und wegen sexueller Übergriffe auf die Frauen anderer Männer ermordet wurde, übrigens auf dem Weg zu exakt so einer Messe – also, nun, ich mein, naja, was haben wir denn sonst noch so?
Ah, Francesco Gasparini, sehr schön! Endlich mal ein unbefleckter, tugendsamer Komponist jenseits aller Skandale, mit seiner berühmten Oper Il Bajazet von 1719. Dagegen gibt es eigentlich nichts zu sagen, wäre 1719 nicht die Zeit der Türkenkriege gewesen, und bei Bajazet handelt es sich um eine Oper, die mit islamkritischen Untertönen das schaurige Ende eines gegen die Christen erfolgreichen Sultans in Gefangenschaft schildert. Und zwar durchaus mit Häme und Schadenfreude. Kann man noch guten Gewissens so ein klar islamfeindliches Werk empfehlen, selbst wenn dem neuen Sultan am Bosporus auch nicht umfassend von allen eine lange Regierung gewünscht wird? Eher nicht, man will ja nicht von der Sittenpolizei des NetzDG weggelöscht werden. Die patriarchalisch geprägte CD “Sicilianae” ist ebenfalls nur mit Kopfhörer im Kämmerlein zu genießen. Denn für den öffentlichen Vortrag der Liedtexte wäre man im Iran, in Schweden und Berlin-Kreuzberg schneller im Gefängnis als jeder gemeine Mörder, so freizügig wird da über Frauen und ihre Charaktereigenschaften gesungen, und so offen wird da Sexualität begehrt.
Weitere Optionen für weihnachtliche Geschenke? Da mag Chantal Santon Jeffery noch so dezent auf dem Umschlag der CD den Blick senken, aber Alessandro Stradella ist ebenfalls nicht im Post-Weinstein-Zeitalter hinnehmbar. Stradella soll neben seiner Karriere als Komponist zeitweise in Rom auch als Kuppler und Zuhälter gearbeitet haben, und brannte in Venedig mit seiner minderjährigen Schülerin durch, auf die ein Patrizier meinte, Ansprüche zu haben. Weitere Eskapaden machten es 1682 schwer, unter seinen vielfältigen, bei Amouren erworbenen Gegnern einen Bestimmten für den an ihm verübten Mord verantwortlich zu machen. Ich glaube zwar, dass ohne so einen Charakter keine Barockarie brillant werden könnte, aber auch hier nutzte einer seine Machtposition im Kulturbetrieb reichlich für Freuden aus. Franz Xaver Richter dagegen soll sogar für seine Zeit ein extremer Säufer und patriarchalischer Bonvivant gewesen sein. Dessen christliche Werke kann man in dieser Zeit unmöglich über Chia-Samen und vegan Italosyrian Fusion Food erklingen lassen.
Tafelmusik von Andreas Christoph Cramer verbietet sich auch, denn sie wurde zu den Banketten des Salzburger Erzbischofs Max Gandolph Graf Kuenburg aufgeführt – ein rücksichtsloser Protestantenvertreiber, Hexenverbrenner, durch und durch korrupt und nebenbei auch bei der Belagerung von Wien ein Beihelfer beim Türkentotschlagen. Es ist wirklich ein Graus, was alles so zu lieblichen Klängen damals getan wurde. Auch die CD L‘Angle & Le Diable verbietet sich, wird dabei doch Musik von Jean-Marie Leclair gespielt. Der war zwar einer der bekanntesten Violinvirtuosen seiner Zeit, aber er misshandelte seine Frau so, dass sie sich von ihm trennte – und als eine Hauptverdächtige galt, als Leclair 1764 mit drei Messerstichen in einer Blutlache tot aufgefunden wurde – was seinem Ruf als Teufelsgeiger noch Auftrieb verschaffte.
10 CDs. 10 mal Zuhälter, sexuelle Dienstleister, Verbrecher, massenhaft Kindsmissbraucher, Wüstlinge, Vergewaltiger, Meuchelmörder und fast durchwegs Sexisten als Komponisten oder Auftraggeber. Man kann über Weinstein und andere fragwürdige Vertreter des Kulturbetriebs sagen, was man will, aber sie stehen da in einer eindeutigen Tradition. Erst die 11. CD mit Trompetenkonzerten von Johann Melchior Molter ist, zumindest nach meinem Wissen, unbelastet, aber das liegt vielleicht auch nur an der dürftigen Recherche. Und ich kann nicht jedes Jahr nur Molter verschenken, denn auch Vivaldi hat so seine düsteren Aspekte und immer nur den Protestanten Bach hält auch niemand aus. Politisch korrektes Schenken ist schwierig geworden, jede Nicht-Jihad-und-Kopftuch-Barbie im rosa Traumhaus ist weniger kompromittierend als das, was ich für empfehlenswerte Musik halte. Würde man an meine bevorzugten Komponisten aus dem Regal werfen, wie Netflix es mit Kevin Spacey tat, oder die demokratische Partei mit Al Franken – dann müsste ich vermutlich von der schwedischen Religionspolizei genehmigte, nordische Popmusik hören. Oder die Gedichte von Ayatollah Khomeni. Auch in Nordkorea soll es noch sittenstreng zugehen, was man so hört. Aber die europäische Musikgeschichte ist das reinste Minenfeld der Moral, nachdem wir dazu übergehen, die erfahrungsfreien Sexvorstellungen der Grünen Jugend Kreuzberg auf Vergangenes zu übertragen. Man passe gut auf, wenn man sich dort hinein begibt.
Entschuldigen Sie mich jetzt, ich muss noch Chia-Samen kaufen gehen. Muss das übrigens wirklich Samen heissen? Das kann man doch auch gründlich beim Schenken missverstehen.