Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Kein Mitleid mit Millenials

Sei still Bub, lass sie reden, was wir tun, geht niemand etwas an.

Nachdem noch kein Reichtum vom Himmel gefallen ist, wurde er hier unten irgendwie erschaffen, und wie es immer so ist: Des einen Vermögen ist das, was der andere nicht hat. Das sorgt natürlich dafür, dass es hier, in meiner kleinen, dummen Stadt an der Donau, unausrottbare Legenden über die bekannten Familien gibt, die man nicht laut sagt, sofern mehr als 200 Leute in einem Saal sind. Kein Ton! Also, zum Beispiel, da ist die Familie B., Sanitärdynastie, da sollen die Schwestern 1890 den Erstling, der wegen Frauengeschichten nichts taugte, mit Ratzengift aus dem Weg geräumt haben, aber der Firma tat es gut. Bei den G.s lief das Immobilienvermögen wieder zusammen, nachdem eine Tante mit Neigungen, alles der Kirche zu vermachen, in 17 Meter Höhe aus den Fenster schlafwandelte, so um 1927 war das. Gewissen Konditorenclans wird nachgesagt, dass sie Kakerlaken an Stelle von Korn gern mitverbacken haben, und die angesehene Familie K. hat jahrzehntelang über einen sudetendeutschen Hausmeister ein Haus vermietet, das rot angemalt war, und eine nackte Frau im Schaufenster zeigte, zu sehr hohen Preisen an durchreisende Damen. Naja. Sie kennen das sicher auch, diese Indiskretionen und Gerüchte, schauderhaft, das sagt man doch nicht.

Aber immerhin blieb das unter denen, die wussten, um wen es ging, und es stand nicht etwa, Gott bewahre, offen im Internet, das wäre ja schrecklich, und würde die besseren Kreise mit manchen Scharten und Schrunden versehen. Es ist wenigstens keine pauschale Herabwürdigung von Vermögenden, die auf die ein oder andere Art, gut oder böse, das Hab und Gut der Familien mehrten. So etwas machen wir hier nicht, das wäre ja langweilig. Gemacht wird es allerdings im Berliner Tagesspiegel von einem gewissen Christopher Lauer, seines Zeichens früherer Piratenpolitiker im Abgeordnetenhaus zu Berlin, und heute, soweit ich weiss, Mitglied der SPD, wo man dieses Talent angesichts der eigenen ruhmreichen Wahlsiege gern haben wollte. Ich habe seine Karriere etwas aus den Augen verloren, aber nun gibt es im Netz auch eine Textfassung seiner Wutrede. Lauer, mit Geburtsjahr 1984 tatsächlich Millenial, sprich der um das Jahr 2000 herum volljährig geworden Jugend, kritisiert im Zuge der #diesejungenLeute-Kampagne generell ältere Semester, die den Jungen die Chancen rauben. Erfreulicherweise hat Hadmut Danisch den Videoauftritt nicht nur in großer Schrift für Ältere transkribiert, sondern auch schon umfassend einen anderen Standpunkt eingenommen, so dass sich jeder eine gefällige Sichtweise erwählen kann. Allerdings ist da ein Satz von Lauer, bei dem ich auch etwas anmerken möchte:

Die ältere Generation, insbesondere die Baby-Boomer, die fliegen ja ins gemacht Nest, ne? Wirtschaftswunder, stabile Sozialsysteme, gute Löhne, feste Arbeitsplätze, nicht soviel Konkurrenz, und man konnte sich Wohnungen für 50.000 Mark kaufen, und die dann easy-pisi abbezahlen, weil man eben wusste, dass man fest angestellt ist.

Es geht ihm um Personen wie meine eigenen Eltern, und weil es meine Eltern sind, habe ich zu dieser Goldenen Zeit, von der der nachgeborene Lauer da berichtet, auch etwas beizutragen – ich restauriere gerade eine Wohnung aus jener Zeit. Zum Beispiel, dass man in halbwegs akzeptablen Lagen halbwegs guter Städte niemals Anfang der 70er Wohnungen für 50.000 D-Mark bekommen hätte, die für eine Familie ausreichten. Diese Zeit, in der die jungen Leute selbst zwischen Berufsanfang und Familiengründung standen, war alles andere als sicher, 1973 gab es eine Ölkrise und 1979 noch einmal. Dazwischen lag Rezession und RAF-Terror. Von 1964 bis 1969 herrschte bei Audi mit damals 12.000 Mitarbeitern in der Region eine schwere Krise, die die Wirtschaft der ganzen Region in ihren Grundfesten erschütterte: Es war nichts sicher, niemand konnte wissen, wie es weiter ging, die Eltern eines Bekannten mussten ihre Drogerien aufgeben: Trotzdem kostete damals ein kleines, älteres Haus mit Garten schon 150.000 Mark.

Aber daran führte damals kein Weg vorbei, denn dem Bürgertum, das Dutzende von wenig schmeichelhafte Begriffe für Mieter kannte, war es unvorstellbar, selbst in den sozialen Wohnungsbau zu gehen. Auch viele Gastarbeiter, die in die Stadt kamen, legten jeden Pfennig beiseite, um sich ein eigenes Haus leisten zu können. Beim Abbezahlen von Bankschulden halfen in den 70er Jahren die relativ hohe Inflation, die auf der anderen Seite das Geldvermögen verrnichtete, und die teilweise erheblichen Lohnsteigerungen, sowie die steuerliche Absetzbarkeit von Krediten. Vor allem half aber eine Sparsamkeit, die aus heutiger Sicht teilweise groteske Züge hat: Zahnpastatuben wurden zerschnitten, um alles heraus zu holen, Spülmittel wurde verdünnt, und der mir als Paradies erscheinende Apfelstrudel und der Zwetschgendatschi waren in der Erntezeit alles, was es an Süßspeisen gab. Kein Sirup, wir haben eigenen Apfelsaft, kein grüner Wackelpudding, weil zu teuer, keine Barbie und kein MonChichi, weil damit fangen wir erst gar nicht an, Fußballsammelbilder galten als Teufelswerk, und nie konnte mein Vater es sehen, wenn ich eine Digitalkamera ohne Bereitschaftstasche trug. Der Anblick einer ungeschützten Kamera war ihm unerträglich, denn er wusste, was Objektive früher gekostet hatten, und wie man sie begehrte. Es war einfach eine andere Welt.

Aber eben auch eine, die Prioritäten gesetzt hat, und nach Familie, Immobilie und Abitur für die Kinder kam ganz lange Zeit: Nichts. Rückblickend habe ich überhaupt nicht den Eindruck, dass meine oder andere Eltern die Kinder kurz gehalten hätte, ganz im Gegenteil, die Kindheit war schön und erlebnisreich und viel, viel besser als das, was die Generation davor in der Nachkriegszeit an Armut, Kälte, Beengung und Hunger erleben musste. Die Freizeit dieser Tage würde nicht mehr dem heutigen Sicherheitsdenken entsprechen, und die gebauten Häuser waren Symbole der Überwindung der Nachkriegsnot. Sie war aber ganz sicher nicht easy-pisi. Tischgespräche drehten sich oft um Finanzen, Belastungen und Kosten, denn meine Eltern wollten und bekamen ihr eigenes Haus im eigenen Garten. Niemand hat sich deshalb beklagt, das haben alle bauenden Eltern eisern gegen alle Krisen und Unsicherheiten durchgezogen. Dieser Wille zum Eigentum hat die Gesellschaft verändert: Hatten 1993 noch 38,8% der Bevölkerung Wohneigentum, sind es jetzt 52,4%. Das ist im internationalen Schnitt immer noch seher niedrig, in Italien und ähnlichen Ländern ist die Partnersuche ohne Wohneigentum eher schwierig. Da sparen 4, 5 Generationen an Häuser hin: Das sind Leute, die den deutschen Weg als „easy-pisi“ bezeichnen könnten.

Aber nicht die Wütenden in Berlin, wo Herr Lauer sagte:

„Wohnungen kaufen kannste Dir heutzutage abschminken, wenn Du n einer Stadt wie Berlin oder sonstwo leben willst, weil es ist halt astronomisch teuer. Wenn Du nicht gerade irgendwo in der Uckermark leben möchtest.“

Berlin war, abgesehen von einem kurzen Hype in den späten 90er Jahren, finanziert durch dummes, deutsches Zahnwaltgeld aus dem Süden, spottbillig. Es wurde in den 90er Jahren viel zu viel mit überzogenen Renditeerwartungen gebaut, die Fonds gingen reihenweise pleite, und als dann noch die New Economy zusammen brach, wurde Berlin wirklich günstig. 2008 kam die Finanzkrise dazu, die Banken wurden mit Geld geflutet, und die Zinsen sanken auf Null: Das enorme Überangebot, die Krisen und der Umstand, dass gezielte Wohnimmobilieninvestitionen bei Deutschen bis 2008 ungefähr so beliebt wie Rattengift waren, machten Berlin zur billigsten Hauptstadt von Lissabon bis Peking. Und die jungen, zugewanderten Menschen fanden es prima, dass sie alle paar Monate mit einer Robbe in die nächste, bessere Mietwohnung umziehen konnten. Man wollte flexibel sein, sich nicht festlegen, keine Verantwortung übernehmen, und so stand ich eines Tages in einer wirklich schönen, sonnigen Altbau-Wohnung am Humboldthain, und ein zerknitterter Makler ganz ohne Porsche verlange dort für den Quadratmeter keine 700 Euro. Mehr war damals einfach nicht zu erzielen. Selbst die abgelegenen Dörfer meiner Heimat waren teurer als Berlin.

Das war nicht nur eine kurze Phase. Vom Ende der New Economy 2002 bis zum vollen Ausbruch der Eurokrise 2010 waren Immobilien schlichtweg unterbewertet, und speziell in Berlin extrem günstig zu bekommen – ich kenne einen geplatzten Fonds in Charlottenburg, bei dem der Quadratmeter Wohnfläche nur 500 € erbrachte.. In meiner Familie herrschte Ende der 80er Jahre noch die Überzeugung, dass Kaufen in München langfristig erheblich günstiger als die Mieten wäre. Der – zugegeben kleine – Preis war, dass kein Kind auf die Idee kommen konnte, den Wohnort Knall auf Fall zu wechseln. In Berlin erfand man eine Mieterbewegung und dachte, es werde schon gehen, egal wie viele andere Prekäre, Kanzleien, Firmensitze, Künstler, Zweitwohnsitzhabenwoller, Hostelbetreiber, Migranten innerhalb und außerhalb der EU und AirBnB-Weitervermieter in die Stadt zogen. Die Bevölkerung ist arm und kann sich oft keinen Kauf leisten. Aber die Paradiesvögel der digitalen Boheme, die ich kennenlernte, waren oft nicht wirklich arm, sondern auf der Suche nach der Hauptstadt und Projekten und nicht gezwungen, wie Egon Plawumkowski um 9 Uhr Toiletten anzuschließen. Man probierte etwas aus. Man hatte eine Idee, Man wollte etwas Neues machen, vom Esoterik TV bis zur Bitcoin-Börse. In der Lauerklasse der Berliner Öffentlichkeit gibt es viele, die jahrelang suchten und heute politischen Aktivismus betreiben. Easy-Pisi halt. Immer tun, was einem richtig erscheint, wie: Aufstand der Millenials gegen die fetten, eingerosteten, alten Privilegieninhaber, gegen die Leute, denen bis 2003 von nassforschen Vermögensverwalter erklärt wurde, Immobilien seien ein Klumpenrisiko mit Nullrendite.

Für die Aufpeitschérei braucht man einen Anlass, einen Dreh, einen Spin, und Neid ist da eine starke Waffe, wenn es zur Umverteilung, zur sozialen Gerechtigkeit, zum BGE kommen soll. Die Erzeugung des Neids geht nicht mit Wochenendausflügen ins Schambachtal statt Kurzflügen nach London, das geht nicht mit Wählscheibentelefon mit Kostenliste statt iPhone, das geht nicht mit Leberwurstsemmel statt Angus-Beef-Burger, das geht nicht mit einem 15 Jahre betriebenen Schwarz-Weiss-Fernseher statt Netflix und Amazon Prime, und es geht auch nicht mit Zwetschgendatschi statt Essenlieferung mit 25€ Mindestbestellwert. Das muss man ausblenden, um die Alten als Reiche zu diffamieren, die sich angeblich auf wenig lautere Art bereichert haben. Man muss ihre seit 1973 nicht mehr existierende Vollbeschäftigung und die Bedrohung durch Kurzarbeit und Frühverrentung verschweigen, um Praktika und prekäre Beschäftigungen dagegen zu halten. Ich sage es nur ungern, aber wer eine falsche Lebensentscheidung trifft und trotz Hochschulbildung Berufe wählt, die nicht gut bezahlt werden, hätte seine Studienentscheidung überdenken sollen. Das ist das Risiko, das diese Leute – und ich gehöre mit meinem Studium selbst klar zu ihnen – eingegangen sind. Manchmal geht es gut, manchmal macht man Photos und Texte am Markt einer Stadt vorbei, in der sich jeder zweite zum Künstler berufen fühlt. Es gibt hierzulande deutlich schlimmere Schicksale als unzufriedene Millenials des westdeutschen Besitzbürgertums, die sich nicht genug gefördert sehen und eine Wohnung in Mitte zum Uckermarkpreis erwarten. Und meine Bäckereiverkäuferin, die jetzt mit 30 Jahren und ihrem Freund neben ihren Eltern ein Haus in einem Vorort baut, erscheint mir deutlich gesetzter.

Die Risiken meiner Eltern waren ganz andere. Diese Risiken wurden ernsthaft besprochen und überwunden. Keiner hätte sich bei uns mit einem vulgäre Video beim Tagesspiegel über die Lage beklagt. Man hat die Zähne zusammen gebissen und getan, was getan werden musste, und das alles auch ohne die Untaten, die früheren Generationen nachgesagt wurden. Man hat es getan, und nicht öffentlich über die eigenen Probleme geredet.

Sondern nur über ökonomisch passende Stürze der Tanten und peinliche Auftritte der Kinder anderer Leute.