DIN EN 13169 EPB
Jede Region des deutschen Landes pflegt Eigenheiten, die dazu angetan sind, dass sich alle anderen mit Schaudern abwenden: An der Nordsee werden schleimige Muscheln als Delikatesse gehandelt, in Niedersachsen wird etwas als “Brot” verkauft, das bei uns Backstein heißt und in der Architektur verwendet wird, in Berlin halten sie einen rot-rot-grünen Senat für eine Regierung und ich habe schon einmal nicht fetttriefende Krapfen in Hessen gegessen, da war der Marmeladeanteil bei weniger als 0,2%. Allerdings sollte ich mich nicht beschweren, denn auch meine Heimat kann beim Wettbewerb der Absonderlichkeiten, wie immer, einen Spitzenplatz erreichen. Wir haben den Leberkäs. Stur behauptet der Bayer, es würde sich nicht um aufgekochte Schlachtabfälle, Darminnereien, Hirn und zerkleinerte Küchenrollen handeln, die mit Blut für roten und Urin für weißen Leberkäse entsprechend gefärbt werden, sondern um eine Spezialität. Aber ich komme von hier und kenne die echten Rezepte aus der alten, schlechten Zeit und habe nie verstanden, wie die Menschen in meiner Heimatstadt jeden Tag brav zum Metzger L. pilgern konnten, um dort am Mittag dieses Gericht so sehr in Senf zu tunken, dass es nicht mehr nach dem schmeckt, was es wirklich ist.
Aber wie auch immer, der Metzger K. alteingesessen seit dem 18. Jahrhundert an dieser Stelle dort unten im schlechten Viertel der Stadt, musste vor 14 Jahren schließen. Nicht etwa, weil der Einheimische nicht weiter zu Mittag dort Senfflecken auf sein erst 5 Tage getragenes und damit sehr frisches Hemd geträufelt hätte, sondern weil moderne EU-Forderungen in dem alten Gemäuer nicht mehr zu erfüllen waren. Man hätte die Produktion, die man im ganzen Viertel gerochen hat, aus der Altstadt weg verlagern müssen. Dazu sahen sich die Eigentümer nicht mehr in der Lage, zumal deren Kinder ein Professor in den USA und eine Lektorin in München wurden, und so wurde die Metzgerei geschlossen. Das barocke Haus wurde vorbildlich restauriert, und über dem Bereich, in dem früher der Leberkäs produziert wurde, mauerte man ein sogenanntes Townhouse kubistisch auf. In den Augen der Hiesigen fügte sich der Kasten nicht ins Bild, denn dort, wo andere ihren Giebel hatten, war hier einfach nur die Mauer der Dachterrasse.
Und während ansonsten von den Bürgern versucht wird, den Umbau ihrer Häuser in der Altstadt mit wenig Aufwand zu betreiben, war hier ein richtiger Architekt anwesend, der dem Vernehmen nach ganz von sich aus bereit war, das Objekt auch noch nach den Umweltidealen der Merkelepoche mit Schaumstoff einzupacken. In der Althausszene herrscht ansonsten die Überzeugung vor, niemals einen alten Putz zu entfernen, denn so gut wie der alte Putz wird kein neuer. Der aufgestockte Kubus jedoch wurde eingepackt, neu verputzt und grün bemalt. Schaut her, sagte das Ensemble, ich bin nicht mehr die Quelle Eurer heiß geliebten Schlachtabfälle mit Hirn und Augen und Reinigungspapierbeimischung, ich bin ein neues Haus, ein Vorbote der Zukunft, ich sehe aus, als würden die Bewohner nicht einen Kaffee trinken, sondern ein kenianisches Spitzengewächs zelebrieren. Einst roch ich nach Tod und Verwesung, hinter meinen Mauern wurde Fleisch durch den Wolf gedreht wie der Schulz durch die Koalitionsverhandlungen. Heute bekommen wir jeden Donnerstag die Zeit und verachten jeden, der seinen täglichen Bedarf nicht mit einem abgasfreien Spaziergang durch die pittoreske Altstadt erledigen kann. Hier ist mit einer Ausnahme fast jedes alte Haus so saniert, dass kein Oida Schdodara die Schleifmühl, in der der kubistische Gentrifiziererbrocken liegt, noch als das erkennen würde, was sie früher war: Ois Glosscheamviadl fiad Hobara, Heislleid und Graddler.
Diese Hybris und die Trennung des Einheimischen von seiner Lieblingsspeise bei seinem Lieblingsmetzger sorgten dafür, dass das Haus nicht nur ein Haus, sondern auch ein Symbol für eine wenig erbauliche Veränderung war: Neue Verordnungen hatten nicht nur einen Traditionsbetrieb hinweg gerafft, sondern auch noch Dämmplatten in die Stadt und an ein herausragendes Gebäude gebracht. Obwohl Dämmplatten so nahrhaft wie Leberkäs oder Berliner Spitzengastronomie sind, blieb in den rachsüchtigen Köpfen der Einheimischen der Eindruck: Unsere Metzger nehmen sie uns, und dann zwingen sie uns Styropor auf, für den Klimawandel. Vor dem Klimawandel gab es hier unten jährlich drei, vier Überschwemmungen, wenn die Schneemassen in den Alpen tauten oder einfach mal schlechtes Wetter war, monatelang waberte der giftige Donaunebel, und im Winter musste man jeden Morgen nach den eisigen Nächten Schnee räumen. Jetzt hat sich der Mensch endlich aus der späten Eiszeit herausgeheizt – prompt muss der Metzger schließen, und das alte Haus mit immensen Kosten eingeschäumt werden. Wie bei anderen Herausforderungen der Merkelzeit darf man ja den Mund nicht mehr aufmachen, aber gerade populär war diese Veränderung, die in die Altstadt kam, ohne dass man sie von der Stadtmauer mit Kanonen hätte beschießen dürfen, bei uns nicht.
Die Bauarbeiter kauften gegenüber bei der Bäckerei ein, die zur Mittagszeit dann ebenfalls Leberkäs angeboten hat, erzählten der Verkäuferin von den Problemen beim Umbau und wie es so ist, wusste dann auch die ganze Stadt, dass nicht alles glatt ging. Es kam einfach viel zusammen, und wer hier lebt und vorbei geht, schaut wissend das Gebäude an und denkt sich: Das war keine gute Idee. Was da passiert ist, was da der Stadtgesellschaft angetan wurde, da muss man sich Sünden fürchten. Das kann nicht gut gehen. Und tatsächlich, wenn man genau hinschaut, sieht man inzwischen Verfärbungen im Putz entlang mutmaßlicher Schaumplattenkanten. Irgendwas, vermutet man, stimmt da hinter der Fassade nicht, sonst gäbe es die schwarzen Linien nicht.
Und besonders resistent gegen mechanische Belastungen ist der Umbau trotz Armierungsfolie auch nicht. Sie kennen das: Wenn man etwas nicht besonders mag, weil es einem gegen die eigenen Wünschen zugemutet wird, dann sieht man plötzlich jedes fragwürdige Detail. Zumal auf die besitzende Klasse nicht nur die Dämmplatte für das Klimaziel, sondern auch der Energieausweis für dreiste Mieter aus dem Norden dazu kommt, die, wenn es ihnen nicht passt, doch in ein gedämmtes Kasterlhaus ins Donaumoos ziehen sollen, zu den anderen Zuchthäuslern, die da vor 150 Jahren zwangsangesiedelt wurden, zefix owara.
Also, das Haus war ein Anlass für schlechte Laune, obwohl es eigentlich die Altstadt verschönerte und ein klarer Gegensatz zu dem Haus dahinter gewesen ist, das seit Jahrzehnten unrestauriert vor sich hin bröckelte. Nun aber geschah es, dass dessen Besitzer dieses ältere Haus ohne Genehmigung hat abreißen lassen, ein Frevel der besonderen Art, der in unserer kleinen Stadt für sich schon ein Skandal ist. Aber wie es nun mal so ist, das andere Haus ist weg, und jetzt sieht man von hinten erst, wie die Isolierung wirklich gemacht wurde.
Warten Sie, warten Sie, das ist noch gar nichts, dass dieses topmoderne Ensemble hintrücks der alte, überklebte Schleifmühlslum wie eh und je ist. Seit Tagen steht der Stadtbewohner vor dem Desaster und schaut sich nicht nur die alten Kacheln alter Bäder an, sondern auch, was da alles am verhassten, sagen wir es gradaus, wie es ist, Schaumstoff zu erkennen ist. Da wurde nämlich ganz schön mit Schaum rumgeschmiert.
Und was ist dieses schimmlig aussehende, dunkelgrüne Zeug da?
Diese Abstände zwischen Isolierungsschicht und Mauer, gehören die wirklich so? Man hört doch so viel von Schimmel an Grenzflächen, die das Wasser nicht verlassen kann. Und wie schaut es mit dem Kamineffekt aus, wenn das einmal brennt und von beiden Seiten Sauerstoff nachkommt? Man fragt ja nur, nicht wahr. Und da, ui, schaugn’S nur, pfeigrod, die Platte, die ist unten schon in sich geborsten. Wie ist das eigentlich im Winter, wenn da Feuchtigkeit eindringt und gefriert, reisst das nicht die vorhandenen Spalten noch mehr auf?
Gibt es da vielleicht einen Zusammenhang mit diesen komischen Linien auf der anderen Seite? Nemmas’es ned peasenlich, ma frogd ja nua, so wengam Mitleid. Jo, es is fuachtboa, fuachtboa, sog i Ehana, fuacht-boa. Es ist eine Sensation, und die Merkelregierung wird wieder Millionen für Plakate ausgeben müssen, die für Dämmung werben: Aber wir sehen, wie das ist, wenn einmal das Nachbarhaus weg bricht. Eigentlich müsste hier den ganzen Tag ein Vogt des Umweltministeriums stehen und Anweisungen verteilen, wie der Bürger die Schäden zu beurteilen hat und warum das alles kein Problem sein kann, wo es kein Problem sein darf. Ich war gestern auf dem Wochenmarkt und habe allen gesagt, sie sollen schnell herüber laufen und sich das anschauen, aber die meisten kannten es schon. So ist das hier bei uns, es kam halt einfach viel zusammen.
Es gibt Eisbärenvideos im Netz und Forscher, die schon vorher wissen, was sie in Antarktis und der Sahara als Belege für die kommende Katastrophe finden wollen, aber die Dämmerei ist allgemein verhasst, und was man hier jetzt bei uns findet, das will man nicht zwingend am eigenen Haus. Für Wochen und Monate sieht jetzt jeder, wie das wirklich ist, und wir sind alle gespannt, wie das mit dem Neubau laufen wird. Denn der Abreißer hatte keine Baugenehmigung, das kann sich noch sehr lange hinziehen, und so lange wird der Nordwind Regen gegen die offene ´Mauer peitschen, neben der das offene Styropor mit seinen Rissen und Fugen klebt. Es wird ein epischer Großversuch, wir haben alle schon Photos gemacht, um die Entwicklung zu dokumentieren, und warten gespannt auf den Tag, an dem zu erkennen ist, wie die Wand darunter wohl aussehen mag. Altstadt, Laufnähe, jeder kennt jeden und es is wias is, sagen wir in Bayern. Es ist vielleicht gar nicht so schlimm, aber die Klimaziele haben wir innerlich schon aufgekündigt, bevor Merkel und Schulz erklären, warum die Nation an ihren eigenen Vorgaben scheitert, und was nun an Projekten getan werden muss, auf die hier auch keiner so wirklich Lust hat. Kein Eisbär kann so hungrig sein wie ein Bürger, der den Leberkäs vom K. kannte und ohne Aussicht auf Befriedigung seiner Gelüste an der ehemaligen Metzgerei vorbei gehen muss. Das verstehen die hohen Herren und Damen in Brüssel und Berlin nicht. Sie schicken Forscher für ihre Wunschergebnisse um die Welt und erwarten, dass sie am Ende von den Hiesigen die Wunschergebnisse bei der Wahl bekommen.
Dass sie sich da mal nicht so täuschen, wie ein Dämmplattenbewohner.