Man soll sich nicht selbst loben Punkt
Man soll sich nicht selbst loben Komma aber ich weiß ja nicht, wie die Leserschaft sich so durch den Tag bewegt hat – ich jedenfalls, wenn ich das anmerken darf, bin vom Haus meiner Vorfahren zum Haus meiner Eltern und zurück geradelt. Kalt war es, aber auch irgendwie schön, und ich habe den Gefahren vom schlecht geräumten Radweg bis zum Kita-Ausflug heldenhaft getrotzt.
Dann bin ich noch zum Bäcker und zur Bank und zum Radgeschäft, teils mit, teils gegen den erbärmlich kalten Ostwind, und sitze nun beim Tee mit guten 20 Kilometern in den Beinen und sage das ohne jedes Selbstlob: Das war gut, das war richtig, das fühlt sich sauber an. Ich habe auch ein wenig mitgezählt: Auf jeden radelnden Schicksalsgenossen im Kampf gegen die sibirische Kälte bemerkte ich so zwischen 20 und 50 Autos. Also jene Sprit- und Dieselsäufer, denen es demnächst vielleicht an den Kragen geht, weil die Grenzwerte von Stickoxiden überschritten werden, und irgendwelche Forscher Modelle entwickelt haben, nachdem dieses Zeug in der Luft jedes Jahr für zehntausende vorzeitige Tode verantwortlich sein soll. Man soll sich ja nicht selbst loben, aber vermutlich habe ich demzufolge für den ein oder anderen heute ein paar Lebensminuten erstrampelt – ich finde, Sie könnten ruhig etwas dankbar sein und hoffe, die Minuten kommen nur denen zugute, die ich persönlich schätze. Als geborener Elitist kommt es mir natürlich nicht nur darauf an, Gutes zu tun, sondern das Gute für die meines Erachtens Guten zu tun. Für Erdogan rollen deutsche Panzer – mit Diesel übrigens! -, ich strample lieber für nette Zeitgenossen.
Das hier ist übrigens so eine hübsche dieselfreie Strampelmaschine, auf der niemand loszieht, um Zivilisten abzuschlachten. Ein Hercules Damenrad von ungefähr 1967. Es wurde hier in meiner Heimatstadt abgegeben, und es ist in einem bemerkenswert guten, praktisch ungenutzten Zustand , was bei Alltagsrädern normalerweise selten ist. Das hier hat noch die originalen Reifen und stand vermutlich die meiste Zeit in der Garage, wo es verstaubte. Es gibt so eine bestimmte Phase, Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre, da kommt so etwas öfters zur Abgabestelle: Praktisch unbenutzte Alltagsräder, gekauft, aber nicht gefahren. Ich habe den Vorgänger dieses Rades aus den späten 50er Jahren als Herrenmodell: Es wurde lange Zeit gepflegt und gefahren, so dass es Patina trägt. Aus dieser späteren Epoche habe ich dagegen ein Göricke und ein Pärchen von Motobecane – alle diese Räder sind fast ladenneu.
Hübsche Muffen, schöner Chrom, eine Glocke mit dem italienisch klingenden Namen Anello. Wie, fragt man sich, kann es sein, dass die Besitzerin darauf nicht durch den Aufbruch der Neuen Zeit geradelt ist? Wie ist es möglich, dass sie nicht mit wehendem Rock durch die Scharen der damals immer noch üblichen, schwarzen Kriegsräder geflogen ist, und dabei, wenn schon keine Maobibel, so doch ein Bändchen von Cocteau schwenkte? Das Rad ist ein luxuriöses Modell, es ist schön bemalt und funkelt und glänzt und ist fast schon italienisch. Es könnte die Filmrequisite für die Hauptfigur einer französischen Sommerkomödie sein. Es ist viel zu hübsch, um altdeutsch zu wirken. Ich habe es ausprobiert, es fährt sich auch schön. Aber auch nur unter mir, die Besitzerin wollte nicht.
Man kann sich bei Statista anschauen, wie sich der grosse Konkurrent zum Rad entwickelte: Das Automobil. Wissen Sie, als ich klein war, gab es in der Strasse vor meinem Haus weder eine Einbahnstraßenregelung noch ein Parkverbot – es war so wenig Verkehr in der Altstadt der damaligen 70.000-Einwohner-Stadt, dass jeder sein Auto abstellte, wo es ihm gerade passte. Beim Blick auf die Zahlen ist völlig klar, warum das so war: 1960 waren gerade einmal 4,5 Millionen Autos zugelassen, 1965 immerhin schon 9,3 Millionen, 1970 waren es dann schon 14 Millionen und 1975 trotz der Ölkrise und nachlassender Konjunktur 18 Millionen. Die Koalition aus FDP und SPD geriet in die Krise, aber 1980 waren schon 23 Millionen KfZ unterwegs, 1985 unter Kohl 25 Millionen und 1990 kurz vor der Wiedervereinigung 31 Millionen. 1995 war das Land bei 40 Millionen, 2000 waren es 42 Millionen, und seitdem sind die Zahlen relativ konstant etwas um dieses Niveau herum. Der Markt ist gesättigt, wer ein Auto will, der hat eines, und viele benutzen es. Ausschließlich.
Es ist meines Erachtens überhaupt kein Zufall, dass die Zahl der Automobile ausgerechnet mit den 68ern, der ersten Wohlstandsgeneration und gleichzeitig letzten Vollbeschäftigungsgeneration, so schnell und dauerhaft nach oben geht. Das Bild der Zeit dominieren junge Menschen in Enten, oder in mit Pril-Blumen beklebten KdF-Wagen, die die Kinder der Nazis dann lieber naturnah Käfer nannten, mit einem elenden Dreckschleuderboxermotor im Heck. Oder man kaufte sich einen Bulli und fuhr damit an einen Strand zum Kiffen. Ober man klaute einen Sportwagen und liess sich, wie Andreas Baader, dabei beobachten und festnehmen und einsperren und verurteilen. Die Erzählungen von Terroristen sind voller Autos, die Filme der Zeit machen das Auto zur Ikone: Die 68er sind die Generation, die Stalin las und nach des Führers Sternenfahrzeugmarke schielte. Nur Dutschke wurde mit dem Rad in der Hand beschossen. Der normale Provinz-68er dagegen malte das Peace-Zeichen auf Vaters 911.
Bezeichnenderweise ist der einzige Beitrag jener Zeit zur Radkultur das Bonanzarad – ein Versuch, Merkmale des Motorrades durch gefälschte Teleskopgabeln und Sitzbänke auf das Fahrrad zu übertragen. Den Kindern wurde damit verdeutlicht, dass sie bald auch ein Moped und Motorrad bekämen, und so ist es eben kein Wunder, dass so ein Damenrad schnell einmal eingemottet wurde, wenn endlich des ersehnte Auto in der Garage stand. Die 68er haben Deutschland erst zu einer Autonation gemacht, die 68er sind die Freie-Fahrt-für-freie-Bürger-Epoche geworden, und sie haben alles mitgenommen, was sie kriegen konnten. Jetzt sind sie in Rente und können aus den Städten heraus fahren, wann immer es ihen passt. Vielleicht werden sie in Zukunft auch mal warten müssen, bis die Grenzwerte für Stickoxide nach dem Berufsverkehr wieder fallen. Das sind eben so die Vorteile des Rentnerdaseins. Vom Dieselverbot betroffen sind dagegen jene, die den Generationenvertrag für sie erfüllen und noch arbeiten müssen. Und natürlich die jüngeren Leute, die sich keine Wohnung und auch kein Auto leisten können.
Wissen Sie, man hört ja oft die Klagen, dass die Alten den Jungen alle Chancen wegnehmen und verprassen, was die Jugend heran schafft. Man hört den Ärger über Bigotte, die gleichzeitig besitzen und fordern, selbst wenn Altersarmut ein evidentes Problem ist. Aber in den Köpfen ist nun mal das Bild der in Saus und Braus lebenden Rentner, die ihr Leben lang gerafft haben, und anderen nichts vergönnen. Ich sehe das alles normalerweise differenzierter, aber ich komme noch aus einer Generation, die nach dem Nachtcafe mit dem quietschgelben Fiat Uno Turbo oder dem roten Golf GTI und 200km/h um 5 Uhr Morgens von München über die Autobahn nach Hause raste. Dort stehen heute überall Verkehrsleitsysteme, die nicht mehr als 120 erlauben. Und die Alt-68er und ihre Erben, die Grünen. sagen jetzt, dass bittschön weniger individuelle Mobilität sein soll, dass die Jugend doch bitte den ÖPNV nutzen soll, der gar nicht darauf vorbereitet ist, und dass gefälligst eine dieselfreie Verkehrswende zu kommen habe. Gerade noch für Stiftungen taugliche Lebenskiffer, die besoffen den Käfer ihrer Eltern in die Tiefgarageneinfahrt einklemmten, Alkoholfahrer und Radverweigerer und Gurtmuffel, die früher jede Dreckschleuder fuhren, bis sie auseinander gefallen ist, und die heute ganz selbstverständlich mit dem Auto fahren, weil alles unter 15 Grad plus bekanntlich mörderisch ist, sagen der Jugend jetzt, dass die guten Zeiten vorbei sind. Mit Ausnahme von Joschka Fischer vielleicht, der nach dem Außenamt zu BMW wechselte.
Denn es geht um die gute Sache, und natürlich wissen alt gewordene 68er auch, dass NOx, so es denn tatsächlich Leben verkürzt, zuerst einmal die irdischen Tage der Alten beendet. Da sollen die kommenden Generationen von zwangsmobilen Menschen bitte Rücksicht nehmen, da soll der Staat Milliarden für die Umstellung einplanen, und da müssen manche halt damit leben, dass ihre Autos wertlos sind. Das fällt diesen Leuten nach 5 Jahrzehnten Vollgas und Autobahn und am Wochenende mal schnell an den Gardasee reichlich spät ein – zufällig genau dann, wenn die einen gebrechlich werden und die anderen dem Winter mit dem Flugzeug in die Karibik entkommen. 50 Jahre lang wurde das Auto unverzichtbar gemacht, in manchen Innenstädten bekommt man ohne Baumarkt auf der grünen Wiese und Auto keinen Nagel mehr – und jetzt plötzlich entdeckt man Feinstaub und Gifte in der Atemluft und möchte, dass andere verzichten und das Auto stehen lassen.
So wie man selbst vor 50 Jahren das Hercules hat stehen lassen. Dazu gibt es Kommentare und Belehrungsjournalismus und Untersuchungen, nach denen jungen Leuten, die noch nicht wissen, was Kinderhaben bedeutet, das Auto gar nicht mehr so wichtig ist. Das Vermögen in diesem Land ist verteilt, und so, wie man die Wohnkatastrophe vom Investorenloch zum Businessapartment schön schreibt, treibt man die Autoreduzierung mit dem edlen Motiv der Atemwegsschonung und des generellen Umweltschutzgedankens voran. Das lese ich zumindest in den Medien. Trotzdem ist das Hercules nun schon seit zwei Wochen im Angebot, und keine Frau konnte sich dafür erwärmen. Ich frage mich daher, ob der Trend weg vom Auto im Jahre 2018 nicht vielleicht ebenso eine in den Redaktionen gezüchtete Chimäre ist, wie es die Willkommenskultur im Jahre 2015 war. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich neben Rädern auch noch ein Automobil, so eines flaches, breites Ding, das man öffnen kann und bei 250 km/h abgeriegelt werden muss. Ich weiß, wie mich die Mütter, die ihre Kinder von der Schule gegenüber abholen, mit diesem Auto anschauen, und ich kenne ihre Ignoranz, wenn ich mit dem Rad komme. Letztere ist in etwa so deutlich wie bei dem Hercules. Vielleicht freunden Sie sich dennoch besser mit meiner Empathie für alte Fahrräder an und kaufen welche, die Sie dann herzeigen können, und sich selbst lobend dreist lügen, sie wären damit trotz Eiseskälte 20km gefahren.
Denn meine ökototalitären NOx-dieselfeindlichen Umwelthilfenverstärkungskollegen anderer Medien werden mit Verweigerern ihrer Anweisungen sicher nicht so nett umgehen.