Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Kinder aus Burgen, Villen und Teppichbodenhaltung

Wenn Ihr wollt, ist es kein Märchen.
Theodor Herzl

Man sagt gemeinhin, vor dem Tod wären alle gleich, aber ich sage, es macht schon einen Unterschied, ob man nach drei Jahren Verwesung vor dem laufenden Fernseher aufgefunden wird, oder nach dem letzten Vorhang von Don Giovanni mit gerade erst einsetzender Leichenstarre in der Loge eines Rokokotheaters. Es gibt einige schöne Tode und ganz viele, deren Natur nur mit dem Wort hässlich zu umschreiben ist, und so grundsätzlich der Umstand der Unvermeidlichkeit auch sein mag, so unterschiedlich ist die individuelle Ausgestaltung. Darin unterscheidet sich der grosse Tod nicht von seinen kleinen Ableitungen – neben Krankenhausaufenthalten als Kassenpatient fallen mir dazu der Familienseuchenherd Kita und die vielen Keime ein, die von dort aus die Keimzellen des Staates gerade reihum befallen.

Ich sage es Ihnen, wie es ist: Das grosse Rodelvergnügen mit befreundeten Familien fällt in diesem Winter nicht nur wegen der unerträglichen Kälte aus – wie Sie sehen, ist am Rodelhang gegenüber meiner bescheidenen Bleibe am Tegernsee auch am Wochenende nichts los. Das Gaudium fällt auch aus, weil die Mütter alle gerade erst langsam auf dem Weg zur Genesung sind, während die Väter wie üblich erst die Viren in die Großraumbüros trugen, bevor sie ihre Durchseuchung auch als solche begriffen haben und daheim bleiben, wo sie nun röcheln und jammern. Nur ich schreibe in Bergeseinsamkeit in der alpinen Aussenstelle fern der Klimanlagen des Todes und automatisch gesteuerter Durcherregerlüftung, und Kinder habe ich auch keine – sollte der Natur mal eine wirklich fiese Mutation ihrer Grippekrankheiten einfallen, werde fraglos ich Fortpflanzungsverweigerer zu den Überlebenden gehören, die den neuen genetischen Flaschenhals der Menschheit bilden. Man hatte das ja auch schon bei Pest, die das ein oder andere entlegene Alpental verschonte, warum sollte das beim nächsten Mal anders sein? Einen leichten Vorgeschmack bekomme ich jetzt schon dank der KiTakinder von Bekannten und Leuten, von denen ich im Netz lese, verbunden wie immer mit den üblichen Klagen, da hätten das Betreuungspersonal für den Nachwuchs eben besser aufpassen müssen

Ich schreibe Betreuungspersonal, weil ich das zumindest hier in der privilegierten Wohnlage öfters höre. Das ist mit diesen jungen Frauen zur Kinderumsorgung so unterschiedlich wie mit dem Tod, für manche sind es Betreuerinnen, weil gute KiTas Mangelware sind und man es sich nicht mit ihnen verscherzen will, und für manch andere, denen reiche Voralpengemeinden auf Wunsch alle Optionen bieten, nur das Personal: so eine Art gesunkenes und ausgelagertes Kulturgut, das früher die Haushälterin war und heute eben in Putzfrau und KiTa-Personal zerfällt. Das mag arrogant klingen und ist vielleicht auch etwas überheblich aber erstens, wer ist das nicht und zweitens, die Schuld tragen unsere KiTas selbst.

Denn die KiTas wissen durchaus, dass sie gesellschaftlich bestenfalls zweite Wahl sind, was allein schon durch ihre Herkunft aus Ostdeutschland begründet ist. Das Ideal ist bei uns ist – wir sind hier schließlich in der besten aller möglichen Welten – dass der Mann das Geld nach Hause bringt und die Frau sich um die Villa und die vier Pferde auf der Koppel kümmert. Sie als Leser mögen das für eine Überspitzung halten, aber diese Koppel mit den vier Pferden, die drei blonden Töchtern und einer blonden Mutter gehören, befindet tatsächlich bei uns auf dem nächsten Grundstück. Nach vorne hinaus hat man egalitär Sonne, See und Berge, nach hinten hinaus die immer noch erheblichen sozialen Unterschiede in einer Welt, die von aussen betrachtet in sich geschlossen reich wirkt. Und wie es dann nun mal so bei uns ist; Die frühere Kinderindoktrinationsanstalt aus dem Merkelteil des Landes mit ihren klassenloser Vorstellungen wird entsozialisiert und feudalisiert. Deshalb heissen KiTas in meiner Heimatregion, wenn sie besser sind, oft Villa, Burg oder Schloss. Man wundert sich fast, dass noch niemand auf die Idee kam, hier neben dem herzoglich-bayerischen Brauhaus Tegernsee, dem sogar Berliner verfallen sind, auch eine herzoglich-bayerische Kindertagesumsorgung “Prinzessin Augusta” oder “Erzherzog Anton Maria Eusebius” oder so etwas in der Art anzubieten – das ginge bei uns wie Freibier vom Fass.
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Aber auch so gibt es jetzt schon diesen halbironischen Schlag in den Feudalismus: Es mag nur eine Zwergerlburg sein, eine KiTa mag nur in einer alten Fabrikantenvilla sein, weil die halt da war und gefüllt werden musste – das passiert hier so, wie vieles andere geschieht, aus einer gewissen Unachtsamkeit heraus, die man zwangsläufig entwickelt, wenn die wahren Objekte sozialer Diskriminierung längst der Verdrängumg zum Opfer gefallen sind. Es gibt hier Orte mit vier, fünf rechtskonservativen Gemeinderatsparteien, aber keine Linke: Das Streben nach Höherem findet hier einfach keine Gegner, die sich über feudalistische und grossbürgerliche Namensgebung schon für die Unterbringung der Kleinsten empören würden.

Und wie es halt dann mit Schlössern, Burgen und Villen so ist, Sie kennen das ja: Das geht eben nur mit einer gewissen neofeudalistischen Hierarchie, die dann in Begriffen wie Betreuungspersonal zum Ausdruck kommt. Das ist immer noch netter als “Büttel” oder “Magd” oder was es da sonst noch an schönen Begriffen aus der guten, alten Zeit für das Gesinde gibt, drückt aber soziale Schichtung und Dominanz adäquat aus: Die KiTas haben angefangen, mit solchen prestigeträchtigen Anspielungen zu arbeiten. Sie müssen sich nicht wundern, wenn Eltern diese Gelegenheit mit beiden Händen ergreifen, solange es eben geht und die KiTaseuche sie nicht hinwegrafft. Man muss nehmen, was man kriegen kann, in diesem nach oben ausgerichteten, sozialen Konstrukt, in dem wir leben. Das Personal kann immerhin damit reüssieren, dass es zum Schloss- und Burggesinde am Tegernsee gehört, das ist auch schon etwas, wenn man es mit den freigehegelosen Kinderraubritterburgen mit Teppichbodenhaltung der Schadmünchner vergleicht.

Es gibt eben solche sozialpolitische Seuchenherde und solche – die einen lassen die Eltern erst um Aufnahme wimmen und dann über Grippe klagen, und die anderen lauern nur auf die Einrichtung theoretisch sozialer Einrichtungen, um sie zu befallen, zu mutieren und zum Wirtstier zu machen, das gefälligst den eigenen Ansprüchen zu dienen hat. Das ist hier der Lauf der Welt, mein Eisenwarenhändler hat auch Schilder mit der Aufschrift “Privatstrasse” oder “Privatparkplatz”, die irgendwelche findigen Geister dann bedenkenlos an öffentlichen Strassen anbringen, um sich gegen die Invasion von Wochenendmigranten zu wehren. Am Sonntag war hier Bürgermeisterwahl und ein Kandidat ist mit dem Vorschlag aufgefallen, mit der grossen, dem öffentlichen Wohle dienenden Ampel 5 Kilometer vor dem Tal doch einfach den Verkehr zu regeln: Wenn zu viele kommen, bleibt die Ampel eben länger rot und man hat im Tal länger seine Ruhe. So denkt man hier laut nach: Zugbrücke hoch, wer zu arm ist, hier zu leben, soll auch nicht kommen. Der berechtigte Aufnahmestopp der Tafel in Essen ist nichts gegen unsere Diskriminierungsvorstellungen gegenüber der ganzen einfallenden Welt, aber es regt keine uckermärkische Pastorentochter auf.

Nimmt es dann noch jemand Wunder, wenn all die Prinzen und Prinzessinnen in Burgen leben, die der Staat für sie einrichtet? Es ist natürlich nicht gaBerlnz kostenlos, aber dafür muss auch niemand Angst haben, jemand könnte mit einer von Berliner Sexualkundlern ausgearbeiteten LBGT-Broschüre erklären, wie das heute so mit frühkindlichen Transsexuellen ist, oder was man sonst heute so für geeigneten Fortbildungsstoff halten mag – die fragliche Initiative, die das mit Segen des Berliner Senats macht, nennt sich übrigens Queerformat, Format wie “Formatieren”. Bei uns ist das undenkbar: Man hat selbst schon gehobene Ansprüche, da ist wenig Platz für die steigenden Ansprüche anderer Leute. Statt dessen gibt es Rollenspiele wie “so funktioniert der Bauernhof”, was auch im Rokoko schon frühzeitig den kommenden Herren des Landes spielerisch nahe gebracht wurde. Mag die KiTa auch eine bundeseinheitliche Einrichtung sein – ihre Normierung anhand ideologischer Vorgaben im Grossen wurde dankenswerterweise vergessen, und so ist hier diejenige Einrichtung begehrt, die so wenig wie möglich an den bestehenden Zuständen dieser besten aller möglichen Welten ändert. Vielleicht muss sich wirklich alles ändern, aber der Veränderung werden bei uns dann alle Knochen im Leib gebrochen, damit alles so bleiben kann, wie es ist, und die Veränderung nichts zu melden hat.

Ich mein, es ist jetzt 100 Jahre her, dass die Monarchie die Flucht ergreifen und ins Exil gehen musste, und seit 50 Jahren wirken hier die 68er mit dem Wunsch, einen neuen, besseren Menschen zu erschaffen: Dass die besseren Kreise dennoch nicht einem Pol-Pot vorgestellt werden wollen, und nicht von hochherrschaftlichen Anspielungen und Privilegien lassen können, und dass hier schon die Formbaren im Gefühl aufwachsen, eigentlich in ein Schloss zu gehören, spricht Bände über die reale Bereitschaft, von Privilegien zu lassen. Das bleibt auch so, wenn Fernsehsender aus dem Norden mit Filmen über die Flucht aus Europa den Menschen hier eindrücklich nahelegen, jetzt gefälligst mal ihre Privilegien zu checken. Auswege aus dem vorgestrigen Denken und der Gier, etwas Besonderes sein zu wollen, gab es zuhauf. Ständig wird berichtet, wie wichtig die vergleichbaren Lebensverhältnisse seien und dass man doch bitte auch an die nächste Generation denken sollte, die gerechter und einsichtiger als ihre Eltern in die Notwendigkeiten der veränderten Zeiten sein sollten, die in der klassischen Kleinfamilie das Übel und in der Migration das Heil für das Neue Europa erkennen.

Statt dessen werden die unterfinanzierten KiTahütten des Nordens mit Kinderschlössern bekriegt. Es ist eigentlich ein Skandal, aber was soll man tun, so ist es nun mal mit den bürgerlichen Freiheiten: Ein jeder kann sie antibürgerlich verwenden, und wenn die einen dort ihre Experimentierfelder für sexuelle Identitäten finden, beharren andere auf starre Regeln und Rollenbilder wie unter dem Prinzregenten. Es kann beides geben, nur der Virus, der die Eltern befällt, der hat die immer gleiche genetische Konsistenz, als wäre es eine unvermeidliche GroKo in Berlin. Dort kann man übrigens auch nicht rodeln, weil die Eltern am Wochenende die ramponierten KiTas in Eigenleistung renovieren müssen, wenn sie denn wieder gesund geworden sind.