Supermarktblog

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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Jedes. Produkt. Einzeln. In die. Tüte: Was Real über Selbstbedienkassen gelernt hat

| 24 Lesermeinungen

"Scan 'n bag" ist keine neu Fun-Sportart, sondern die Bezeichnung für ein Verfahren, bei dem sich die Kunden im Supermarkt selbst abkassieren. Seit einigen Jahren sammelt die Handelskette Real Erfahrungen mit den so genannten SB-Kassen. Für viele Kunden sind die Systeme aber immer noch eine ziemliche Herausforderung.

„Geben Sie. Die Anzahl. Für. Die Gurken. Ein. Berühren Sie. Anschließend. Eingabe. Eins. Legen Sie. Die Gurke. In die. Einkaufstüte. Neunund. Dreißig. Cent“, sagt die Stimme, zu der es kein Gesicht gibt, die ich mir aber immer als große Schwester der Frau vorstelle, die in der Berliner U-Bahn die Ersatzverkehrsdrohungen ausspricht. Sie wohnt in den Automaten, die die Handelskette Real in ihren Märkten aufgestellt hat, um den Kassiervorgang im Lebensmittelhandel zu modernisieren.

Wenn eine laute Frauenstimme über mehrere Meter Entfernung gut hörbar bekannt gibt, was es bei Ihnen nachher alles zum Abendbrot geben soll, ist das vielleicht modern. Vor allem aber gewöhnungsbedürftig.

Die so genannten SB-Kassen („SB“ für Selbstbedienung) von Real wirken monströs. Auf zwei Metern Breite ist an der Seite ein großer Bildschirm montiert, auf dem Bedienanweisungen erscheinen; vorne und unten gibt es Strichcode-Lesefenster, dazu ein schnurgebundenes Lesegerät; an der Seite sind Plastiktüten an metallenen Wäscheleinen in Armhöhe aufgespannt, und von einer separaten Kiste wird Kleingeld entgegen genommen, direkt neben dem Einzug für Geldscheine.

Ungefähr so stellt man sich als Laie die Steuerkonsole im Todesstern vor.

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Jedes eingelesene Produkt muss erst einzeln in eine vorbereitete Tüte gelegt werden muss, damit der Bezahlvorgang vorgesetzt werden kann („scan ’n bag“ heißt das im Fachsprech). Gut möglich, dass die Kinder den Papa nicht mehr erkennen, wenn er nach dem Joghurteinkauf für die Großfamilie aus dem Markt zurückkehrt.

Das weiß auch Real: „Wir haben festgestellt, dass die ersten SB-Kassen-Modelle für Großeinkäufe nur bedingt funktionieren, allerdings auch gegenüber den Kunden immer sehr offen kommuniziert, dass diese Modelle nur für einen kleinen Einkauf geeignet sind“, sagt Sprecher Markus Jablonski. Seit Oktober 2003 testet das Unternehmen unterschiedliche SB-Kassenmodelle, die es inzwischen in rund 70 der über 320 deutschen Märkte gibt. Dabei geht’s weniger um Einsparungen, heißt es bei Real: Durch die SB-Kassen sei bisher noch in keinem Markt Personal gestrichen worden, weil außer vor Feiertagen ja auch die normalen Kassen nicht immer alle durchgehend besetzt seien.

Jablonski sagt: „Bei allen Untersuchungen im Einzelhandel sind Kassenwartezeiten das größte Ärgernis. Die SB-Kassen sollen diesen Prozess entzerren. Wenn das funktioniert, trägt das elementar zur Kundenzufriedenheit bei.“ Ja, genau: wenn.

Bild zu: Jedes. Produkt. Einzeln. In die. Tüte: Was Real über Selbstbedienkassen gelernt hatDie Konkurrenz ist eher zurückhaltend. Real hat in Deutschland die meisten Erfahrungen mit den SB-Systemen sammeln können und versucht nun, aus den Erkenntnissen zu lernen. Als Weiterentwicklung des oben beschriebenen Modells gibt es inzwischen eine Kasse, an der man die Produkte nach dem Einscannen auf ein Förderband legt, an dessen Ende man alles wieder einsammelt und sich einen Bon abholt, der wiederum an einer extra Zahlstation gescannt wird, um dort den Betrag zu begleichen. (Vielleicht schreiben Sie sich das fürs erste Mal auf die Handinnenfläche, um es nicht zu vergessen.)

Das hat einen entscheidenden Vorteil, sagt Jablonski: „Es gibt immer mehr freie Zahlstationen als Erfassungsbänder – und der Kunde muss nicht warten, bis der Käufer vor ihm den Vorgang abgeschlossen hat. Das entzerrt die Situation über den gesamten Kassenbereich im Markt, auch an den herkömmlichen Kassen.“

Wirklich Zeit spart so ein Einkauf, bei dem man sich selbst abkassiert, aber erst nach einiger Übung, wenn man mit den Tücken des Systems vertraut ist und als alter SB-Hase Kassenfrischlingen stolz erklären kann, wie und vor allem wo sie Leergutbons korrekt entsorgen („Bitte werfen Sie. Den Leergutbon. In den Schlitz. Neben dem grünen Blinklicht“). Eine komplette Umstellung der Märkte auf SB-Kassen steht für Real deshalb derzeit nicht zur Diskussion: „Wir wollen niemanden zwingen, sondern lediglich einen erweiterten Service bieten.“

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Das größte Problem der SB-Kassen ohne Förderband wird sich jedoch auch für Kunden mit Bedienerfahrung schwer lösen lassen. Denn das System funktioniert tatsächlich nur, wenn Sie. Jedes. Produkt. Einzeln. In die. Tüte. Packen. Das ist nicht als Schikane gedacht (auch wenn es effektiv eine ist), sondern funktioniert als Diebstahlsicherung, weil eine Waage das Gewicht des abgelegten Produkts mit der gescannten Ware abgleicht. „Wenn Sie Sprühsahne scannen, aber eine teure Flasche Wein ablegen, erkennt das die SB-Kasse“, sagt Jablonski. Besonders diebstahlanfällig seien die Systeme, die auch beaufsichtigt werden, aber nicht: „Die schwarzen Schafe unter den Kunden, werden völlig unabhängig von den SB-Kassen auch weiterhin ihr Glück versuchen.“

Und wir lernen: Sie müssen auf jeden Fall ein bisschen Zeit mitbringen, wenn Sie an der SB-Kasse welche sparen wollen. Und natürlich damit einverstanden sein, dass der halbe Markt ihr Abendessen vorgetragen bekommt.

Fotos: Real / Supermarktblog


24 Lesermeinungen

  1. CaoKy60 sagt:

    Von der SB Tankstelle lernen:...
    Von der SB Tankstelle lernen: Warum wuerden Menschen ihr Kfz selber betanken wollen, gelegentliche Verschmutzung von Haenden und Bekleidung in Kauf nehmend, statt sich das Kfz betanken zu lassen? – Weil es viel billiger ist. – Mir scheint, das Zeitersparnismodell ist nicht so entscheidend. Aber wenn es beim Selbstscannen dann auf dem Bezahlbon auch nur 0.1 % Rabatt gaebe – wie schnell waeren dann die Schlangen vor den „Kassen mit Bedienung“ leer, und alles staut sich am SB Band! – Die Voice-Instruktionen erscheinen mir als Overkill. In den USA bei Walmart geht so etwas nur auf dem Bildschirm. – Ansonsten wollen sich die Deutschen ihre Einkaeufe ja auch nicht umsonst wie in den USA eintueten lassen, sind also theoretisch schon ganz fuer’s SB Bezahlen bereit – der Preis/Rabatt wird der entscheidende Punkt sein. – Von der DB lernen: nicht die Bedienung teurer machen, sondern den Automaten billiger!! (Natuerlich ist ueber das Pricing das eigentlich das Selbe, aber so wird es halt akzeptiert).

  2. Besorgte Anfrage eines...
    Besorgte Anfrage eines besorgten Mitbürgers:
    Kann man auch seine eigenen Taschen benutzen wie in England (wo das dann aber trotzdem die Kassenmaschine überfordert, so dass dann doch noch immer ein Angestellter daneben stehen muss), oder gibt es dann wieder mehr Plastiktüten?

  3. pschader sagt:

    @Alberto Green: Wenn du nach...
    @Alberto Green: Wenn du nach dem Bezahlen noch mal alles aus den Plastiktüten in deine eigene Tasche räumen magst und damit den Betrieb aufhalten, kannst du das machen. Ist aber im Ablauf eher nicht vorgesehen. Und das ist tatsächlich ein interessanter Zusatzpunkt: Jahre lang haben die Ketten den Kunden beigebracht, dass Plastiktüten Geld kosten und sie lieber ihre eigenen Taschen mitbringen sollen. An der SB-Kasse (konkreter: dieser einen ohne Förderband) gilt das aber plötzlich nicht mehr.

  4. Jeeves sagt:

    Ja, auch das ist "doof aber...
    Ja, auch das ist „doof aber modern“ = „auch gegenüber den Kunden immer sehr offen kommuniziert“.
    Wieso reden die so? Haben die nie bei Mutti und Papa Deutsch gelernt? Verlernt?
    .
    Disclaimer: Ich kauf in solch Orten nichts.

  5. tberger sagt:

    @CaoKy60: Umgekehrt fände ich...
    @CaoKy60: Umgekehrt fände ich auch eine Sonderkasse nicht schlecht, an der man 5% mehr bezahlt. Schlicht, weil es an dieser schneller voran ginge.

  6. CaoKy60 sagt:

    @tberger: Wuerde so etwas in D...
    @tberger: Wuerde so etwas in D nicht sofort aehnlich schlechte Publicity wie der Bahn-Bedienungsaufschlag bringen? Stellen Sie sich vor, sie kaufen z.B. heute Gruendonnerstagabend ein, vor den 3 normalen Kassen stehen die Schlangen 6 Menschen tief, und Sie fahren an allen vorbei mit dem Einkaufswagen an die veroedete 5%+ Sonderkasse. Neid und Hass sind Ihnen sicher!!! Und wenn an dieser Sonderkasse noch eine arme generell betaetigungslose Verkaeuferin saesse, moechte ich nicht in deren Haut stecken, wenn die Schlangen hasserfuellte Blicke auf sie werfen solange sie selber anstehen – und gegenueber den schwerbeschaeftigten Kolleginnen ist’s auch nicht leicht. Nur eine SB Maschine koennte so etwas natuerlich ab. – Noch schlimmer: fuer Sie und die Sonderkasse kommt bei Bedarf extra eine Verkaeuferin von einer der anderen Kassen – die dann erstmal stoppt! – herueber. Viel, viel Spass ihnen Beiden!!

  7. @ Peer. Danke. Nicht gerade...
    @ Peer. Danke. Nicht gerade ein sympathisches Konzept: Arbeitskräfte sparen (Ja, ich weiß, dass es weiterhin die normalen Kassen gibt und die SB-Kassen von Angestellten überwacht werden, aber es passt mir nicht in die Verkürzung) und die Umwelt belasten.

  8. pschader sagt:

    @Alberto Green: Naja, die...
    @Alberto Green: Naja, die neuere SB-Kasse macht den Tütenverzicht ja wieder möglich. Und ob am Personal gespart wird, kann ich natürlich nicht selbst beurteilen, sondern bloß Real zitieren. Sagen wir mal so: Wenn gespart werden soll, dann muss so ein Unternehmen dafür sicherlich nicht erstmal teure Kassensysteme anschaffen, oder? Das würde vermutlich auch so gehen.

  9. tberger sagt:

    @CaoKy60: Auf das Konzept mit...
    @CaoKy60: Auf das Konzept mit der Kassiererin, die von einer anderen Kasse herwechselt, bin ich nicht gekommen – Sie scheinen ja ein noch schlechterer Mensch zu sein als ich… 🙂

  10. Der Gärtner sagt:

    Gute Idee eines solchen Blogs....
    Gute Idee eines solchen Blogs. Denn der Gang zum Supermarkt ist unsere tägliche Realität. Das snobistische ,,ich kaufe nur auf dem Wochenmarkt bei der Gemüsehändlerin meines Vertrauens“ ist doch in Deutschland überwiegend aufgesetzte Attitüde und wird demnach v.a. von Männern geäussert, welche gekocht bekommen oder nicht in die Verlegenheit gebracht werden, einkaufen zu müssen. Nirgendwo wird mehr gelogen. By the way: Einer Ihrer Blogkollegen kultiviert dieses Gefühl ganz besonders, zeigt von seinem Esstische aber dann nur fette Torten und grauenhaft überbackene Semmeln. Pfui Deibel!
    Jedenfalls freut es mich, dass Sie ein so wichtiges Alltagsthema blogtauglich machen.

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