Supermarktblog

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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Hereinspaziert! Die Abschaffung der Personen-Vereinzelungsanlage

| 9 Lesermeinungen

Früher haben Supermärkte unentschlossenen Kunden den Rückweg durch rote Verbotsschilder, Drehkreuze und Schleusentore versperrt. Heute sollen offene Eingangsbereiche Vertrauen vermitteln. Ausgerechnet jetzt denkt der Möbelriese Ikea darüber nach, die Kunden wieder einzumauern – an den neuen Selbstbedienungskassen.

Wer heute neue Bekanntschaften schließen möchte, geht dafür einfach ins Internet – und nicht mehr, wie früher, in den Supermarkt. Das hat gleich zwei Vorteile: Erstens kann man sich im Netz aussuchen, mit wem man ins Gespräch kommen mag. Und zweitens geschieht das Kennenlernen freiwillig, ohne dass man sich mit anhaltendem Entschuldigungsmurmeln an der Kassenschlange entlang zum Ausgang drängeln muss, wenn das Obst zu teuer, kein Kaffee mehr da war oder man nicht zu den Leuten gehört, die durch lautstarkes Motzen das Öffnen einer weiteren Kassenschlange zu erzwingen versuchen, an die sich sogleich alle übrigen Wartenden umverteilen (vorzugsweise, indem sie ihren Konkurrenten den Einkaufswagen in die Hacken rammen).

Ohne Drängeln kam noch vor einigen Jahren keiner mehr aus dem Markt raus. Die geschlossenen Kassen waren durch Sperren verriegelt und der Weg zurück durch die Eingangstür nicht nur mit roten Verbotsschildern untersagt, sondern auch durch silbern schimmernde „Personenvereinzelungsanlagen“ gesichert.

Oder wie normale Menschen sagen: Drehkreuz.

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Die Botschaft der Märkte lautete: Wenn du schon da bist, kaufst du gefälligst auch was ein! Und wenn nicht, gestalten wir dir den Weg nach draußen so unangenehm wie möglich.

Diese Zeiten sind vorbei, zumindest bei großen Ketten wie Rewe, Edeka und Tengelmann, die schon länger an der Abschaffung der Drehkreuze arbeiten. Das hat nicht nur den Vorteil, dass es auch Kunden mit Kinderwagen oder Rollstuhl problemlos möglich ist, in den Markt zu gelangen ohne vorher eine Sondergenehmigung beim Personal zu beantragen. Sondern soll auch Vertrauen signalisieren: Jeder kann rein- und rauslaufen wie er möchte und hat dabei nicht mehr das Gefühl, als potenzieller Dieb behandelt zu werden, der es wagt, entgegen der vorgeschriebenen Richtung nach draußen zu wollen – womöglich auch noch zur Konkurrenz.

Bei der Renovierung älterer und der Eröffnung neuer Märkte verzichtet zum Beispiel Kaiser’s Tengelmann komplett auf Zugangssperren. Stattdessen werden die Kunden sofort in die Abteilung mit Obst, Gemüse und Salat geleitet, so wie hier in einem kürzlich eröffneten Berliner Kaiser’s-Markt:

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Etwas besser erkennt man die Struktur im Bauzustand wenige Wochen zuvor (links die offene Obst- und Gemüseabteilung mit freiem Durchgang zu den Kassen rechts):

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„Nach der Demontage der Anlagen in Bestandobjekten sind keine signifikanten Veränderungen zu erkennen“, erklärt Raimund Luig, Geschäftsführer von Kaiser’s Tengelmann, in schönstem Handelsdeutsch, dass die Diebstahlquote wegen der Änderungen nicht besonders gestiegen sei. „Der offene Eingangsbereich ermöglicht den Kunden einen ungehinderten Eintritt in unsere Filialen. Darüber hinaus können wir den gesamten Eingangsbereich effektiver nutzen.“ Das heißt übersetzt: Es ist jetzt einfach mehr Platz da.

Für mehr Übersichtlichkeit im Markt sorgt das allerdings nicht, weil man zwar nicht mehr vom Drehkreuz abgebremst wird, dafür aber zwischen den vielen Regalinseln entlangsteuert, die im ersten Drittel der Kaiser’s-Märkte wie kleine Flöße umherschwimmen. Und die man mit dem Einkaufswagen mehrmals umkreisen muss, bis man endlich die frischen Pilze oder den Radicchio gefunden hat. Danach kennt man zwar das komplette Obst- und Gemüse-Angebot, hat aber womöglich auch einen kleinen Drehwurm.

Während die klassischen Supermärkte ihre Eingänge öffnen, finden es vor allem die Discounter weiterhin praktisch, ihr Kunden zu „vereinzeln“. Das passiert jedoch seltener durch Drehkreuze, sondern mit Schleusentoren, die per Sensor erkennen, wenn sie sich öffnen müssen – natürlich nur als Einbahnstraße.

(Und Lidl hält es zum Beispiel für eine gute Idee, die Kundschaft in manchen Märkten erst durch eine Sensorschleuse und dann noch durch ein Drehkreuz zu lotsen, obwohl man in viele Märkte wegen der selbstöffnenden Türen sowieso nur in eine Richtung reinkommt, was ein bisschen das Gefühl vermittelt, als wolle man jemanden im Hochsicherheitstrakt einer Vollzugsanstalt besuchen.)

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Womöglich steht den Schleusen jetzt sogar eine Renaissance bevor: nicht im Eingangsbereich, sondern am anderen Marktende, für Kunden, die bereits bezahlt haben.

Schuld daran sind die SB-Kassen (über die an dieser Stelle ja kürzlich schon berichtet wurde), an denen die Kunden sich selbst abkassieren. Die werden nicht nur im Lebensmittelhandel getestet, auch der Möbelriese Ikea hat entsprechende Systeme in seinen deutschen Filialen installiert, erstmals vor zwei Jahren. Heute gibt es durchschnittlich 24 SB-Kassen (!) pro Haus, mit der Einschränkung, dass dort momentan nur bis zu 15 Artikel gekauft werden können. Weil Sie sonst genauso lange dafür brauchen, die Küche zu bezahlen, wie es dauert, sie aufzubauen.

Spannend ist, dass Ikea gerade sämtliche SB-Kassen nachgerüstet hat: mit einem Ampelsystem, das den Mitarbeitern auch aus der Ferne signalisiert, was gerade am jeweiligen Terminal passiert. Wenn ein Kunde einen Artikel scannt, leuchtet das grüne Licht kurz auf. Rot bedeutet, dass der Kunde falsch gescannt hat oder Hilfe braucht. Das orangefarbene Licht in der Mitte leuchtet über die gesamte Dauer eines Kassiervorgangs – und zeigt somit an, wenn ein Kunde bloß so tut als würde er bezahlen und vorzeitig verschwinden möchte.

Zusätzlich zur Ampel wurden an den Kassen Monitore angebracht, auf denen man sich selbst im Bild der Überwachungskamera sieht, um zu signalisieren, dass man beobachtet wird.

Bei Ikea möchte man das selbstverständlich nicht als Überwachungsmaßnahme verstanden wissen, sondern als „zusätzliche Möglichkeit“, bei potenziellen Möbelneppern „das Nachdenken in Gang zu setzen“, wie es Ikea-Sprecher Kai Hartmann formuliert. (Also: „Möbelnepper“ sagt er natürlich nicht.)

In ausländischen Filialen ist – und damit sind wir wieder beim eigentlichen Thema – außerdem eine dritte Sicherung erprobt, nämlich die Installation von Schleusen hinter den SB-Kassen, die sich erst öffnen, wenn ein Kunde nach dem Bezahlen seinen Bon noch einmal scannt. Zum Wohlfülimage, um das sich Ikea bei seinen Kunden sonst bemüht, indem es sie konsequent duzt, mit günstigem Frühstück versorgt und die Kinderbetreuung übernimmt, passt dieses Einmauern an der Kasse natürlich nicht. Deshalb bemüht sich Hartmann auch eiligst, Entwarnung zu geben: „In Deutschland gibt es diese Pläne konkret nicht. Dafür sehen wir keine Notwendigkeit.“

Vom Ikea-Manager Holger Apel, der die Technikinfrastruktur der Kassen verantwortet, erfuhr die „Lebensmittelzeitung“ Ende Februar allerdings noch das Gegenteil: „Erste Tests [mit Schleusentoren] sind nach seinen Angaben in Planung.“

Wenn Sie beim nächsten Kauf eines Sperrholzreagls an der SB-Kasse besonders ehrlich in die Überwachungskamera lächeln, lässt sich das vielleicht noch verhindern.

Fotos: Supermarktblog

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9 Lesermeinungen

  1. Andi sagt:

    Der hiesige REWE hat gerade...
    Der hiesige REWE hat gerade brandneue Sperrtüren aufgebaut, nachdem er vor über einem Jahr das Drehkreuz entfernt hatte und der Durchgang in der ganzen Zwischenzeit ungehindert möglich war. Ich kenne jetzt in der Umgebung nur noch zwei Supermärkte (einen Kaiser’s und einen Ex-Plus netto), in denen man den Laden ungehindert verlassen kann.

  2. pschader sagt:

    @Andi: Wo ist denn "hiesig"?...
    @Andi: Wo ist denn „hiesig“? In Berlin hat Rewe z.B. nach Integration der ehemaligen „Extra“-Märkte alle Sperren abgebaut, was in den schon leicht in die Jahre gekommenen Märkten ein bisschen seltsam aussieht,

  3. CaoKy60 sagt:

    Interessant, dass die...
    Interessant, dass die Diebstahlquote bei offenem Eingang nicht zugenommen hat, aber auch irgendwo intuitiv: die meisten Ladendiebe werden wohl nicht so dreist sein, nur hereinzugehen, um zu stehlen, und wieder hinauszulaufen =>sondern – wie auch mit Sperre! – eben ein bischen kaufen und das teure Gut klauen. – Ansonsten koennte man auch herrlich theoretisieren, dass die Sperren Territorium signalisieren: nun sind Sie in UNSEREM Laden, haben den Rubicon ueberquert, jetzt muessen Sie auch handeln = einkaufen! – Ein traditionelles Geschaeft, dass den Kunden beim Eintritt begruesst (und in Japan mit einer Verbeugung verabschiedet) braucht natuerlich keine Sperren. – Zu IKEA sei gesagt, dass die Idee, dem Kunden bewusst zu machen, man sieht von ferne dem SB Bezahlen zu, durchaus dazu beitragen mag, Ehrlichkeit zu motivieren. Und was die Ausgangskontrolle anbelangt: nun, wenn es keine schwarzen Schafe gaebe, braeuchte man es nicht. Niemand sollte es dem Laden zumuten, dass boese Menschen die weisse Ledercouch ASSANGE umsonst durch die Kasse schleusen koennen :-).

  4. T.I.M. sagt:

    Es ist mir unbegreiflich,...
    Es ist mir unbegreiflich, wieso in Deutschland ausgerechnet die Laeden, in denen man eher groessere Einkaeufe erledigt, mit den SB-Kassen anfangen muessen (die erste in Mainz hatte ich in einem Real gesehen). Hier in den USA stehen die Dinger vornehmlich in CVS oder Rite Aid Filialen (fuer den, der’s nicht kennt: Schlecker + Apotheke + Grundnahrungsmittel [oder was man in den USA dafuer haelt]). Das ist aeusserst praktisch, weil man meist eh nur zwei, drei Teile hat. In solchen Faellen dauert das Drumherum (Geld raussuchen, einpacken,…) laenger als der eigentliche Scanvorgang. D.h. solange man nicht der einzige Kunde an der Kasse waere, spart man auf jeden Fall Zeit. Bei mehr als zehn Teilen bevorzuge ich aber die bewaehrte deutsche Aldimethode. Wobei man hier ja die Sachen im Supermarkt noch schoen langsam in Plastiktueten eingepackt bekommt, was die ganze Angelgenheit dann manchmal wieder quaelend langsam macht.
    Am schnellsten ist man natuerlich hueben wie drueben wenn man die richtigen Einkaufszeiten abpassen kann. In Deutschland war das zum Beispiel nach 21.00 im grossen Supermarkt (‚gruene Wiese‘) – ausser natuerlich man wohnt in Bayern 😉

  5. Hannes sagt:

    Das mit den Drehkreuzen finde...
    Das mit den Drehkreuzen finde ich interessant – ich habe hier in Oberfranken seit sicher 3 Jahren kein solches Drehkreuz mehr gesehen. Alle Supermärkte haben hier eigentlich ausnahmslos die völlig offenen Eingangsbereiche. Mit Ausnahme von Aldi.

  6. Ralf Koenig sagt:

    Hallo Herr Schader,

    Ich weiß...
    Hallo Herr Schader,
    Ich weiß nicht, was Andi mit „hiesig“ meint, aber bei Ulm gibt es einen Rewe, der ohne Drehkreuz gestartet ist und seit einigen Monaten nun ein solches wieder installiert hat. Ein neu gebauter Rewe noch etwas weiter von Ulm entfernt, hat von vorne herein das Drehkreuz installiert und somit deutlich gezeigt, dass er an die Ehrlichkeit seiner Kunden nicht zu glauben bereit ist. Dazu kommt noch eine „offiziell“ geschlossen Verbindungstür zwischen den beiden Teilen, aus denen der Rewe Markt besteht (der andere Teil ist der Getränkemarkt, der aber die Drogerieartikel und das Knabberzeugs beinhaltet). Anscheinend war das eine Auflage der Baubehörde, die den Getränkemarkt getrennt vom Lebensmittelgeschäft haben wollte. Dass das kreuzdämlich ist und den Kunden zu sinnlosen Umwegen zwingt, weil erin zwei Läden gehen und zweimal bei den gleichen Leuten bezahlen muss, interessiert natürlich wieder keinen …
    Da kriegt man richtig wieder Lust in kleinere Läden zu gehen (z.B. Alnatura, ist vielleicht teurer, aber man fühlt sich wenigstens nicht wie im Hochsicherheitstrakt) ;-).

  7. pschader sagt:

    @Ralf Koenig: Sehr...
    @Ralf Koenig: Sehr interessant, vielen Dank!

  8. Florence sagt:

    Hallo Zusammen,

    aufgrund...
    Hallo Zusammen,
    aufgrund meiner Bachelorarbeit dieses Jahres, die sich mit dem Thema Supermarkt und Kundenzufriedenheit befasst, führe ich eine Umfrage durch.
    Ich bitte euch sehr, daran teilzunehmen, damit ich möglichst vielfältige Antworten erhalte. unter diesem Link könnte Ihr diese Umfrage beantworten!:
    edu.surveygizmo.com/…/Supermarktkunden-Zufriedenheit
    Vielen Dank schon im Vorraus!!!

  9. Super Artikel! Könntest du...
    Super Artikel! Könntest du mal etwas über diese obernevige „Taschen- bzw. Wagenkontrolle“ („Könnten sie bitte einmal ihre Tasche hochnehmen?“) im Supermarkt schreiben?

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