Es ist gut möglich, dass man beim Edeka-Discounter Netto am Anfang gar nicht verstanden hat, was dem Unternehmen da für ein Schatz in den Schoß gefallen ist. Als das Bundeskartellamt Ende 2008 die Übernahme des Tengelmann-Discounters Plus genehmigte und mit der Umgestaltung der Filialen in Netto-Märkte begonnen wurde, verschwanden nach und nach nicht nur die „kleinen Preise“, sondern auch zahlreiche Plus-Eigenmarken aus den Läden, um durch die von Netto ersetzt zu werden.
Das war zunächst einmal relativ undramatisch, weil den meisten Discounter-Kunden egal ist, was genau auf ihrer Butter steht.
Mit einer Ausnahme: Im März 2002 hatte Plus als erster Discounter Deutschlands Produkte mit offiziellem Biosiegel ins Angebot genommen und lag damit goldrichtig. Die Kunden wollten günstig einkaufen, waren aber bereit, für Bio-Lebensmittel mehr Geld auszugeben.
Mit „BioBio – Bio-Produkte für alle“ hat sich im Laufe der Jahre eine Eigenmarke etabliert, die in der Wahrnehmung der Verbraucher fast mit „echten“ Marken mithalten konnte. Auf diese Weise hob sich Plus von Wettbewerbern wie Aldi und Lidl ab, die lange Zeit ausschließlich auf niedrigste Preise setzten, und versöhnte die Günstigkäufer mit denen, die Wert auf ökologisch hergestellte Lebensmittel legten. Kurz gesagt: „BioBio“ wäre für Netto das ideale Werkzeug gewesen, um den früheren Plus-Kunden die Umstellung „ihrer“ Märkte leicht zu machen. Aber Kommunikation ist nicht gerade die Stärke deutscher Discounter.
Und in der Umbauphase blieben zunächst einmal viele der Regalplätze leer, wo zuvor „BioBio“-Produkte zu finden waren. Netto ließ seine Kundschaft ratlos zurück: War’s das jetzt?
Einige Kunden schimpften ins Internet hinein, dass ihnen ihr Lieblingskäse, die Tofubratlinge und die Milch weggenommen worden sei. Dabei hätte sich Netto diesen Image-Ärger ersparen können: wenn die Information weitergegeben worden wäre, dass „BioBio“ seinen festen Platz im Sortiment behält – auch wenn es in den Läden erst einmal nicht danach aussah. Dass einige Produkte zeitweise nicht mehr verfügbar waren, könnte damit zusammenhängen, dass Netto zum Teil mit anderen Herstellern als Plus zusammenarbeitet und der Übergang nicht ohne kurzfristige Ausfälle zu managen war. Dazu mag sich Netto auf Anfrage aber nicht äußern.
Heute jedenfalls gehört die Eigenmarke wieder ganz selbstverständlich zum Angebot dazu. 150 bis 170 Produkte mit dem grünen Logo werden in den Märkten angeboten, je nach Saison. Außer Obst und Gemüse, Molkereiprodukten und Aufschnitt würden vor allem Nudeln und Reis besonders oft gekauft, sagt Netto-Sprecherin Christina Stylianou. „Ökotest“ hat einer Auswahl gerade das Siegel „sehr gut“ verliehen.
Das mag für Inhaltsstoffe und Geschmack gelten. Aber beim Packungsdesign hat sich Netto zuletzt größte Mühe gegeben, die Marke zu verhunzen.
Um sich von der Konkurrenz abzugrenzen, die inzwischen auch im Discount eigene Bio-Linien führt, ist das allerdings nicht ganz unwichtig. 2005 nannte der damalige Plus-Marketing-Chef das „ansprechende Produkt-Design“ als einen der Gründe für den Erfolg von „BioBio“. Und tatsächlich fielen die Packungen für Discounter-Verhältnisse vor allem dadurch auf, dass sie einem nicht mit grellen Farben und schlimmen Schriftkombinationen aus den Regalen entgegenschrien. Im Gegenteil: „BioBio“-Produkte sahen aufgeräumt, schlicht, simpel aus – ohne billig zu wirken.
Netto hat der Einheitlichkeit nach der Übernahme ein abruptes Ende gesetzt. Statt der Schriftart Futura Book kam (unter anderem) die altmodisch wirkende Optima Bold zum Einsatz. Insgesamt wirkte das Sortiment nach der Umgestaltung unprofessioneller und rumpeliger. Vor allem aber gab es keinen – den Kunden – einleuchtenden Grund, warum überhaupt etwas geändert werden musste.
Knapp ein Jahr nachdem Plus endgültig aus den Städten verschwunden ist, steht nun der nächste Relaunch für „BioBio“ an: Die Marke bekommt wieder ein einheitliches Design.
Jeweils links das alte Netto-Packungsdesign, rechts die neue Variante, die jetzt nach und nach die Regale füllt und wieder an die Plus-Verpackung erinnert. Beim Orangensaft unten ist der Unterschied am deutlichsten:
Anstatt vor weißem Hintergrund sind die Produkte auf den Verpackungen nun mehrheitlich vor grünem Hintergrund abgebildet, samt neuem EU-Bio-Siegel. Das „BioBio“-Logo steht über dem weiterhin in dunklem Grün gehaltenen Produktnamen. Darunter folgen in unterschiedlich farbigen Balken Ergänzungen wie Geschmacksrichtung und Mengenangabe (im Bild: „15 kuvertierte Aufgussbeutel“, „Pfirsich-Marille“, „mit Joghurt“). Alles sieht ein bisschen so aus als hätten die Netto-Designer gerade die Farbverlauf-Option in Photoshop entdeckt.
Die neue Schrift ist erstaunlicherweise die, die Netto erst vor einem Jahr abgeschafft hat: Futura Book. Nur sind die Produktnamen nicht mehr in Versalien gesetzt (wie damals bei Plus).
Wer derzeit bei Netto einkauft, kann sehr schön sehen, wie in den Regalen noch „alt“ verpackte Produkte neben den neuen steht. „Bis Ende des Jahres“ werde das Sortiment „überarbeitet“ und „vereinheitlicht“, sagt Netto-Sprecherin Stylianou. (Ob auch die Produkte selbst sich ändern, weiß man als Kunde nicht.)
Drei Generationen „BioBio“-Design: Links in Futura Book (Basilikum), noch für Plus hergestellt; vorne (Emmentaler) das bisherige Netto-Design in Optima Bold; hinten (Hafertaler) die neue Variante.
Und weil die Qualität der Produkte ja gerade schon von „Ökotest“ bewertet wurde, kümmern wir uns jetzt einfach ums Design. Jürgen Siebert, Autor des sehr empfehlenswerten Fontblog und Mitgründer von fontshop.com, fällt ein ziemlich hartes Urteil zur Schriftauswahl von „BioBio“:
„Optima ist aus den 60er Jahren und sehr weit verbreitet, unter anderem bei Kosmetikverpackungen, weil sie durch ihre Formgebung etwas Edles hatte. Heute sieht sie eher antiquiert aus. Futura ist eine sehr technische Schrift aus den 30er Jahren. Beide Schriften halte ich für ungeeignet, wenn es um Bioprodukte geht. Je statischer eine Schrift ist, desto neutraler wirkt sie auf den Betrachter. Das passt nicht zum Produkt, bei dem in diesem Fall ja Leidenschaft und Engagement vermittelt werden sollen. Ich glaube, hier wurde keine bewusste Schriftentscheidung getroffen. Es sieht eher so aus als sei das genommen worden, was da ist – weil beide Schriftarten bei PC und Mac relativ weit verbreitet sind.“
Im besten Fall haben sich Plus – und jetzt Netto – für Futura entschieden, eben weil sie so bekannt ist und deshalb vielen Kunden unterschwellig vertraut sein dürfte. Die Rückkehr zum Ursprung hält Siebert aber dennoch für falsch:
„Wahrscheinlich hat man sich darauf besonnen, dass in der Plus-Zeit etwas richtig gelaufen sein muss. Deshalb wird jetzt einen Gang zurück geschaltet. Man hätte auch die Chance nutzen können, sich etwas Eigenes auszudenken. Gerade in Biomärkten und Reformhäusern werden immer wieder Schriften gewählt, die nicht so statisch sind, kontrastreicher. Bio heißt ja auch: weniger technisch.“
Sieberts Vorschläge für Bioprodukt-geeignete Schriften, die auch noch nicht so verbreitet sind, sehen so aus:
Quelle: Fontshop/J. Siebert
Wobei es natürlich dringendere Probleme gibt als die Schriftauswahl für Bio-Produkte im Discounter. Und zwar bei Netto mindestens die Verpackung für die 1,5-Prozent-H-Milch, von der man im Konzern glaubt, es sei eine gute Entscheidung, sie blutrot zu verpacken. Aber darum kümmern wir uns dann ein andermal.
Vielen Dank an Jürgen Siebert für die Identifikation der „BioBio“-Schriften. Netto erklärt auf die Frage, welche Agentur für das Redesign zuständig ist bzw. welche Schriftart eingesetzt wird, nämlich: „Wir bitten um Verständnis, dass wir dies nicht kommunizieren.“
Fotos: Supermarktblog
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Nun, so eine wackelige Schrift...
Nun, so eine wackelige Schrift wie Duper hat man vielleicht nicht gewaehlt, um vom Image „Bio = Spassbauer oder Waldschrat“ wegzukommen :-). Die rot-blau-weisse Milchverpackung halte ich eher fuer originell – rot ist Signalfarbe die den Karton von den anderen unterscheidet, und die Milch ist ja schoen blau (=sauber). Dagegen erscheint mir der Schrifttyp zu „fett.“ – Was die Produktbilder auf den Verpackungen angeht: gilt in D eigentlich das gleiche Gesetz wie in den USA, dass in der Werbephotographie gezeigte Lebensmittel auch echte Lebensmittel sein muessen (und z.B. nicht aus Plastik sein duerfen)?
Hehe, über die rote Milch hab...
Hehe, über die rote Milch hab ich mich auch schon immer gewundert.
Super Post!! Den Supermarktblog lese ich immer gerne 🙂
Hallo Ihr,
aufgrund meiner...
Hallo Ihr,
aufgrund meiner Bachelorarbeit dieses Jahres, die sich mit dem Thema Supermarkt und Kundenzufriedenheit befasst, führe ich eine Umfrage durch.
Ich bitte euch sehr, daran teilzunehmen, damit ich möglichst vielfältige Antworten erhalte. unter diesem Link könnte Ihr diese Umfrage beantworten!:
https://edu.surveygizmo.com/s3/556114/Supermarktkunden-Zufriedenheit
Vielen Dank schon im Vorraus!!!
Fotos und zugehörige Aussagen...
Fotos und zugehörige Aussagen stimmen bei diesem insgesamt sehr amüsanten Artikel leider nicht immer überein.
„Nur sind die Produktnamen nicht mehr in Versalien gesetzt.“
Wenn man die Fotos anschaut, sieht man, dass auch früher nicht alle Produktnamen in Versalien gesetzt waren, siehe „Topfencreme“oder „Orangensaft“. Vielleicht ist etwas, das Netto vereinheitlichen wollte? Oder sind die Fotos als Herausforderung für wahre Fans gedacht?
Die roten Reiswaffeln kamen früher etwas aggressiv daher, diesen Part hat scheinbar die Milch übernommen. Sicherlich ein versteckter Anti-Globalisierungs-Akt: Rettet die deutsche Kuh, nicht das chinesische Reisfeld!
Der Orangensaft möchte daran erinnern wie Orangen aussehen, bei der Topfencreme möchte man die Frucht-Illusion schon bei der Auswahl rauben. Der Pfefferminztee ist nicht mehr so wässrig und die Reiswaffel gaukelt neuerdings Gesundes vor. Das Schönste aber bleibt: Die Erwartungen, die draußen durch das Netto-Logo geweckt werden, erfüllt das Interieur des Supermarktes fast immer.
@Kreativer Frechling: Das...
@Kreativer Frechling: Das haben Sie missverstanden. Die Versalien bezogen sich auf das Plus-Design in Futura (siehe z.B. Basilikum). Hab’s oben im Text noch einmal deutlicher gemacht jetzt.
@Peer Schader: Vielen Dank...
@Peer Schader: Vielen Dank für den Hinweis, Herr Schader. Erinnerung an mich: Auch in einer kurzen Arbeitspause sollte man aufmerksam lesen und nicht abschweifen. Das viele „BioBio“ hat mich scheinbar etwas benebelt; ich kaufe viel lieber auf dem Markt ein. Das ist natürlich keine Ausrede: Ich gelobe Besserung und streiche den ersten Teil meines Kommentares.
@Kreativer Frechling: Ist...
@Kreativer Frechling: Ist zugegebenermaßen aber auch etwas kompliziert.
die duper geht gar nicht das...
die duper geht gar nicht das ist ein fast schon comic sans. die unit round ist ganz schön ich könnte mir aber auch eine garamond light gut vorstellen. bei der milchtüte assoziiere ich spontan waschmittel funktioniert ungefähr so gut wie blau eingerichtete restaurants.
Netto hat bei Uebernahme die...
Netto hat bei Uebernahme die Drehrichtung im Laden geändert. Aus Eingängen wurden Ausgänge.
Nachdem ich gegen die geschlossene Scheibe gelaufen bin, gehe ich nicht mehr zu plu respektive Netto.
Ausserdem wurde das non-food-sortiment auf absoluten Ramsch umgestellt. Nichts lockt mehr.
Für mich schon beruflich...
Für mich schon beruflich gesehen ein interessanter Beitrag über Verpackungsdesign. Anstelle der Futura hätte es auch die FF Meta sein können, der Alternativen Gutmenschenschrift. Da ist mir die klassische Variante lieber. Dass man sich überhaupt die Futura »traut« ist ein kleines Wunder. Da muss ein Gestalter gut argumentiert haben.
Natürlich hat irgendein Marketingfuzzi zum Ausgleich die Verläufe reingedrückt, damit die Packung »reichhaltiger« aussieht. Was noch fehlt, sind Abbildungen von Bauernhöfen, weidenden Kühen, Festtafeln und weiterer einfaltsloser Grafikmüll. Das wird bald kommen, schätze ich.