Supermarktblog

Supermarktblog

Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Kalt, ganz kalt: Was sich deutsche Supermärkte in Großbritannien abschauen können

| 28 Lesermeinungen

Seit der Gründung ihrer "Simply Food"-Läden im Jahr 2001 lässt die britische Kaufhauskette Marks & Spencer täglich eine Vielzahl frischer Mittag- und Abendessen, Nachtische und Säfte zubereiten – ein Traum für alle, die sonst in deutschen Mittelklassesupermärkten nur traurige Standardsalate und Pilzpfannen aus der Tiefkühlinsel fischen können.

Manchmal braucht es keine technischen Wunder, keine Zeitsprünge, nicht mal eine Glaskugel, um in die Zukunft zu blicken. Wer wissen will, wie wir morgen Lebensmittel einkaufen, muss nur nach Großbritannien fahren, wo sich deutsche Supermärkte gerne neue Trends abgucken. Das Supermarktblog hat sich in London in ganz verschiedenen Märkten umgesehen und berichtet in mehreren Teilen.

* * *

Gehen Sie da nicht rein!

Bild zu: Kalt, ganz kalt: Was sich deutsche Supermärkte in Großbritannien abschauen können

Also: Gehen Sie da nicht mit kurzen Hosen oder Ärmeln rein! Die unbedingt notwendige Bekleidung für den ersten Besch eines M&S Simply Food ist: Polarmütze, doppelt gefütterter Mantel mit aufgestelltem Kragen, drei Paar übereinandergezogene Socken, lange Unterhose und dicksohlige Stiefel.

Wer entsprechende Vorbereitungen verweigert, setzt sich unweigerlich dem Gefrierschock aus. Denn der Lebensmittel-Ableger der britischen Kaufhauskette Marks & Spencer besteht quasi ausschließlich aus mannshohen Kühltheken, in denen alles aufbewahrt wird, was sich bei drei nicht als Rotwein verkleidet hat. Das gilt auch für Waren, von denen deutsche Verbraucher wüssten, dass sie nicht sofort wegschimmeln, wenn man sie nicht in den Kühlschlaf versetzt. (Äpfel zum Beispiel.) Wahrscheinlich ließe sich mit der Energie, die für den Betrieb der Kälteanlagen benötigt wird, sonst eine komplette englische Kleinstadt versorgen. Und wenn die Pole tatsächlich eines Tages schmelzen sollten: in einer M&S-Simply-Food-Filiale fände die flüchtende Tierwelt ein ideales neues Lebensumfeld.

Aber all das stört beim Einkaufen in den über 350 britischen Filialen niemanden. Denn schon allein die Aufbewahrung fast des kompletten Sortiments in Kühlanlagen suggeriert den Kunden vor allem: Hier ist alles frisch!

Das ist sehr, sehr schlau.

Und wer sich an die Kälte gewöhnt hat, merkt beim Schlendern durch die Gänge schnell, dass er im Paradies für Sofortessen (*) angekommen ist.

Unter dem eigenen Namen lässt Marks & Spencer seit der Gründung seiner Food-Stores im Jahr 2001 eine Vielzahl fertiger Mittag- und Abendessen, Nachtische und Säfte abpacken – Obstsalate und Gemüseschalen, klassische Salate, Nudelsalate, Couscous-Variationen, Törtchen und Kuchen, Sandwiches in rauen Mengen.

Bild zu: Kalt, ganz kalt: Was sich deutsche Supermärkte in Großbritannien abschauen können

Bild zu: Kalt, ganz kalt: Was sich deutsche Supermärkte in Großbritannien abschauen können

Man neigt beim ersten Rundgang dazu, angesichts der Vielfalt zu hyperventilieren – erst recht, wenn man sonst nur in deutschen Mittelklassesupermärkten steht, wo morgens eine Mitarbeiterin missmutig Tomaten, Gurken und Eisbergsalat kleinhäckselt, um das dann mit absurd hohem Gramm-Preis in einer traurig-leeren Kühlinsel im Eingangsbereich zu beerdigen. Das Höchste der Gefühle in einem deutschen Supermarkt ist oftmals die „Pilzpfanne“, bei der sich ein paar geschnittene Pilze mit Zwiebeln und Dekogewürzen unter eine Plastikfolie quetschen. Oder eine bereits geschälte Ananas im durchsichtigen Töpfchen, das an der Kasse in Gold aufgewogen wird.

Sofortessen in deutschen Lebensmittelmärkten ist: langweilig, lieblos, hässlich verpackt. Kein Wunder, dass sich das seit Jahren hier nicht durchsetzt.

Das Sofortessen bei M&S Simply Food ist in jeglicher Hinsicht das Gegenteil. Die Briten scheinen sehr viel besser verstanden zu haben, „Convenience“ als ernstzunehmende Unterkategorie im Lebensmittelhandel zu etablieren. Teuer sind die Produkte bei M&S Simply Food auch. (Und genau das führte vor zwei Jahren dazu, dass einige Filialen geschlossen werden mussten, weil die Briten in der Krise dann doch lieber günstig bei der Discount-Konkurrenz einkauften.)

Aber zum Beispiel im Vergleich zur traurigen Auswahl Mayonnaise-ertränkter Salate und Sandwiches, die Rewe to Go in seiner Testfiliale im Regal stehen hat, ist quasi für jeden Geschmack etwas dabei. Alles kann als Happen für zwischendurch gegessen werden oder nach Belieben zu einer „echten“ Mahlzeit kombiniert (Salat, Sandwich, Saft). Die meisten Produkte sind ansprechend-dezent verpackt. Überall steht drauf, ob das Sofortessen für Vegetarier geeignet ist. Daneben ist eine Nährwerttabelle gedruckt und (wohl eher zur Wohlfühl-Simulation) die Verpackung verrät dem Käufer zusätzlich, wieviele der empfohlenen Stücke Obst und Gemüse er mit dieser Mahlzeit zu sich nimmt („2 of your 5 a day“).

Das ist ein Traum für Menschen, die zu schusselig oder zu faul sind, sich zuhause die Tupperbox zu befüllen, aber trotzdem nicht einsehen, deswegen unterwegs in fingerdick mit Salatcreme zugespachtelte Baguettes beißen zu sollen. Wann endlich trauen sich Edeka, Rewe und Tengelmann die Sofortessen-Revolution? Es muss dafür ja nicht gleich tausend neue Kühlanlagen hageln, das Obst darf weiter im Regal liegen bleiben. Mit Tankstellensortimenten in Fußgängerzonen wird es jedenfalls nicht getan sein.

Mehr zu den Konsequenzen der Sofortessen-Gewöhnung der Briten steht das nächste Mal an dieser Stelle. Damit Sie sich zwischendurch ein bisschen aufwärmen können.

Fotos: Supermarktblog

Das gefällt Ihnen? Das Supermarktblog gibt’s auch bei Facebook.

* „Sofortessen“ ist der Supermarktblog-Übersetzungsvorschlag für „Convenience“-Produkte. Zumindest heißt (annähernd) fertig zubereitetes Essen, bei dem man eigentlich nur noch eine Plastikfolie abreißen muss, in Fachkreisen so. Versteht aber ja kein Mensch. Im Englischen ist’s leichter: „ready-to-eat“ – deshalb „Sofortessen“. Oder: besserer Vorschlag? (zurück)


28 Lesermeinungen

  1. Jeeves sagt:

    "Bequemfutter" - das trifft's....
    „Bequemfutter“ – das trifft’s.
    Wie bei Chappi und Whiskas.

  2. pschader sagt:

    @Jeeves: Hausmann, hm?...
    @Jeeves: Hausmann, hm?

  3. C4shew sagt:

    Das mit der Pilzpfanne als...
    Das mit der Pilzpfanne als Top-of-the-range ist schön beobachtet. Immerhin schon ein Fortschritt, dass es überhaupt diese offenen Kühltheken mit Salaten, Obst und den angesprochenen Pilzpfannen gibt.
    Da sehe ich auf dem Artikelfoto Preisschilder mit 5 Pfund = 5,66 Euro, dafür kann ich natürlich auch schon locker einen Beutel z.B. Frosta Fertigessen ohne Konservierungsstoffe kaufen (der sogar mehr als eine Portion ist) und in 10 Minuten in der Pfanne warm machen. Oder mir vom China-Imbiss ein Essen mit gebratenen Nudeln holen.
    Aber schön ist so ein Angebot schon, habe ich mal in den USA gesehen, da gab es sogar warmes Essen zum selber abfüllen.

  4. pschader sagt:

    @C4shew: Das sind "2 for...
    @C4shew: Das sind „2 for 1“-Schilder (2 Schalen für 5 Pfund). Ist aber natürlich auch noch nicht günstig. Und es geht ja gerade um Essen, dass man nicht erst nachhause tragen und auftauen muss.

  5. Stabsy sagt:

    Gottseidank herrschen grosse...
    Gottseidank herrschen grosse Unterschiede bezüglich Esskultur und Qualität zwischen USA / UK und „old Europe“. Mir graut es wenn ich in England Hausfrauen das Fertigfressen für die ganze Familie einkaufen sehen. Dieser Trend ist bei Gott kein Fortschritt. Dann lieber Frankreich, wo mir die Fischtheken im supermarkt wirklich imponieren. Ich hoffe dass es nie den Markt für diese Supermärkte in Deutschland geben wird.

  6. CaoKy60 sagt:

    Eine schoene Alternative waere...
    Eine schoene Alternative waere doch auch „Essbereit“. Das ist natuerlich keine echte Abgrenzung, denn bereit zum Essen sollten eigentlich alle Lebensmittel sein (die Karotte sollte man zwar vor dem Verzehr abwaschen, aber grundsaetzlich ist auch sie essbereit, wie Jeeves sicher bestaetigen wird). Aber gerade daher ist dieser Begriff doch gut in der Werbebranche aufgehoben, die sich um so kleine semantische/logische Unterschiede eigentlich nicht kuemmert :-). Und es klingt einladender als „Essfertig“, wohinter sich die Kunden, wie schon von Zonebattler bezueglich Ihres „Sofortessen“ angemerkt, immer gleich ein Ausrufezeichen vorstellen. – Den Denglisch-Fanatikern wuerde ich allerdings wuenschen, dass sie auf die Alternative „Meals ready to eat“ hereinfallen – dass sind die Feldrationen der US Army! So wie „public viewing“ im Englischen die oeffentliche Leichenschau bedeutet, grins.

  7. Raoul sagt:

    Wenn ich mir die...
    Wenn ich mir die Sofortessangebote in hiesigen Supermärkten anschaue, dann habe ich refexartig gleich das Bedürfnis meinen Gastroenterologen zu kontaktiren und schon mal vorab einen Termin zu vereinbaren.
    Eine offentliche Marktlücke und ein Bedarf wird sehendes Auges nicht abgedeckt. Vielleicht hat ja jemand den Mut und fängt an.

  8. Alex sagt:

    Hab ich etwas verpasst, oder...
    Hab ich etwas verpasst, oder warum nicht einfach „Fertiggericht“? Das kennt sogar der Duden.

  9. pschader sagt:

    @Alex: Vielleicht weil man...
    @Alex: Vielleicht weil man dabei zuerst an den den Inklusive-Beilagen-Fraß aus der Packung denkt?

  10. Salathie sagt:

    Bei Rewe gibts (oft in der...
    Bei Rewe gibts (oft in der Kühltheke bei den Milchprodukten) eine winzige Abteilung, da liegen dann so abgepackte Sandwiches, die sogar halbwegs genießbar sind. Oft hab ich mir schon gewünscht, dass die Auswahl ein bisschen größer wäre und sich zwischen den Weißbrotdreiecken nicht nur Salami/ Thunfisch/ Käse und Mayonnaise befinden.
    Ach, und billiger könnten sie auch sein…
    P. S. Bei Real ist die Convenience- Abteilung auch so gekennzeichnet (für die Kunden also Learning by seeing ;-)). Da findet man aber die ekligen Fertiggerichte für die Mikrowelle (Bäh, Bäh!) genauso wie das Sofortessen, was natürlich nur aus wenigen Mayo- Sandwiches und Hot Dogs ohne Ketchup besteht…

Hinterlasse eine Lesermeinung