Supermarktblog

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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Iss erstmal was! Wie britische Bio-Märkte wieder Lust aufs Einkaufen machen

| 15 Lesermeinungen

In den Filialen der Bio-Kette Whole Foods funktioniert alles anders als im normalen Supermarkt. Statt möglichst schnell wieder rausgeschmissen zu werden, sollen die Kunden sich Zeit nehmen und ein bisschen länger bleiben. Auf diese Weise wird der sonst so lästige Einkauf auf positive Weise wieder in den Alltag integriert – fast wie früher.

Das Nervige am Einkaufen ist ja die fürchterliche Zweckgebundenheit. Anders formuliert: Es macht einfach keinen Spaß, seinen Einkaufswagen durch lange hässliche Regalreihen zu schieben, um dort das herauszusuchen, was zuhause im Kühlschrank fehlt. Am Ende muss auch noch dafür bezahlt werden und in langen Schlangen darauf gewartet, dass es soweit ist. Anschließend wird man augenblicklich aus dem Laden bugsiert.

Der Kunde hat seine Schuldigkeit getan, der Kunde kann gehen.

Das ist in Großbritannien auch nicht anders – aller Innovationslust zum Trotz. Wer in London durch einen durchschnittlich überdimensionierten Tesco oder Sainsbury’s läuft, staunt zwar über die Vielfalt der Produkte, ein besonders ästhetisches Erlebnis ist so ein Einkauf allerdings nicht.

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Braucht ja auch kein Mensch, sagen Sie jetzt. Jedenfalls bis Sie zum ersten Mal in einem Laden gestanden haben, bei dem es selbstverständlich ist, sich auch – wohlzufühlen. Mir ist das neulich im Whole Foods Market in Kensington so gegangen, weil dort alles genau andersherum funktioniert wie im normalen Supermarkt. Statt möglichst schnell wieder rausgeschmissen zu werden, suggeriert einem alles: Bleib doch noch ein bisschen – und nimm dir Zeit!

Das beginnt bei der hellen, freundlichen Ladengestaltung: Regalreihen und Wände sind unaufdringlich erdfarben, selbst im Kellergeschoss gibt es absolutes Neonlichtverbot, trotzdem leuchtet der komplette Laden taghell und ermöglicht sofort einen Überblick, weil die Regale nicht bis unter die Decke hochgezogen sind. Die integrierte Bäckerei ist das Gegenteil des Brötchenknasts der großen Ketten: alles ist luftig-offen, unter den frisch gebackenen Broten stapeln sich die Mehlsäcke.

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In der Obst- und Gemüseabteilung macht alles den Eindruck als sei es gerade frisch vom Bauern angeliefert worden. Direkt über den Pilzen, den Äpfeln, Gurken und Tomaten hängen Schilder, die das auch noch bestätigen.

„Meet your Farmer“ oder „Meet your Producer“ („Lern die Hersteller kennen“) steht darauf, weil Whole Foods, das ursprünglich aus Texas kommt und in Großbritannien bisher lediglich sechs Läden betreibt, es zum Prinzip gemacht hat, nicht bloß Herkunftsländer auf Verpackungen zu drucken, sondern – zum Teil auf handgeschriebenen Tafeln – ausführlich zu erläutern, von welchem britischen Bauern das jeweilige Produkt stammt. Das gilt für Obst und Gemüse genauso wie fürs Fleisch.

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Natürlich ist das (auch) ein Marketingtrick – aber eben ein ungeheuer cleverer: Weil er den Kunden noch beim Einkauf das gute Gefühl gibt, dass sie hier quasi direkt vom Bauernhof einkaufen, und nicht irgendwelche Massenware aus dem Gewächshaus oder der Legebatterie.

(Anders als die Bauern sind deren Betriebe auf den Tafeln nicht abgebildet, das würde – obwohl alle Produkte Bio sind – dann vermutlich doch einige Illusionen zerstören.)

Whole Foods ist also ein Supermarkt, der möglichst wenig nach Supermarkt aussehen soll. Ein wesentliches Element ist (neben der Warenpräsentation) die Einladung an die Kunden, doch gleich da zu bleiben und sich sattzuessen. Direkt hinter dem Eingang sind lange Theken aufgebaut, an denen man sich seine Mahlzeit selbst zusammenstellen kann: kalte und warme Gerichte, Salate, Nachtisch. Das ist nicht ganz ungefährlich, weil die Kantinenhaftigkeit dieses Angebots schnell schlechte Erinnerungen an betriebliche Verpflegungseinrichtungen weckt, bei denen das Kochen oft daraus besteht, dass große Säcke Tiefkühlkost in riesigen Töpfen aufgewärmt werden.

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Für Whole Foods ist es allerdings die Möglichkeit, das eher lästige Einkaufen mit einem positiv besetzten Erlebnis zu verknüpfen: einer (gemeinsamen) Mahlzeit, bei der man schon mal probieren kann, wie das schmeckt, was nachher im Einkaufskorb landet.

Diese Fusion aus Bistro und Supermarkt gehört zu den wichtigsten Supermarkttrends im Ausland, und im Londoner The Natural Kitchen wird sie sozusagen von der anderen Seite her betrieben. In den beiden Filialen im Stadtzentrum geht es zuallererst um – gutes Essen. Mitten in der Stadt gelegen, wenden sie sich vor allem an Leute, die sich in der Mittagspause oder nach Arbeitsschluss einigermaßen gesund ernähren möchten. Und nachher vielleicht noch ein paar Lebensmittel mit nachhause nehmen. Markt und Restaurant sind untrennbar miteinander verbunden, wobei der Bistro-Bereich zumindest in der zweiten Filiale klar den meisten Raum einnimmt.

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Beide Konzepte sind nix für Leute, die bloß den Einkaufzettel fürs Wochenende abarbeiten wollen und dann möglichst schnell wieder nachhause. Aber sie sind ganz wunderbar für alle, die es satt haben, das Einkaufen als lästiges Übel hinzunehmen und es stattdessen (wieder) in ihren Alltag integrieren wollen, wie das früher mal der Fall war bevor die großen Supermärkte den kleinen Lebensmittelhändlern das Geschäft streitig machten.

Ob Sie’s glauben oder nicht: Auch in Deutschland gibt’s Beispiele dafür, dass sich diese Erkenntnis durchsetzt. Wie und wo steht bald hier im Supermarktblog.

Und falls Sie weitere Beispiele (aus dem Ausland) kennen: immer her damit! Die Kommentarspalte ist nach unten offen.

Fotos: Supermarktblog

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15 Lesermeinungen

  1. mfk24 sagt:

    die Power nahrung für deine...
    die Power nahrung für deine Zellen

  2. KaffePartei sagt:

    Falls ihr mich zum...
    Falls ihr mich zum Regierungschef wählt verspreche ich jedem Bürger 1000 Euro im Monat geschenkt (oder bei Bedar auch mehr) wenn ich dafür als Regierung auf eure Bürg(er)schaft Geld bei der Bank aufnehmen oder sonstige Anleihen drucken darf.

  3. fionn sagt:

    Re: GB
    Auch wenn "Bio"...

    Re: GB
    Auch wenn „Bio“ draufsteht, ist „Bio“ wirklich drin? Ich bin gar nicht so sicher – wer kontrolliert die GB-Bio-Produzenten?
    Anders ist es in der Schweiz – Migros und Coop bieten heute über 3’000 Bio-Produkte und die Produzenten werden streng kontrolliert Nicht zu vergessen – the Mad Cow Skandal in GB vor ca. 10 Jahren….

  4. pschader sagt:

    <p>@fionn: Die Bedeutung der...
    @fionn: Die Bedeutung der (amerikanischen) Bio-Standards erklärt Whole Foods relativ ausführlich hier.

  5. Jeeves sagt:

    "die Einladung an die Kunden,...
    „die Einladung an die Kunden, doch gleich da zu bleiben und sich sattzuessen“: Macht IKEA das nicht schon seit Jahren? Und auch der örtliche Baumarkt hier (und wohl auch woanders) hat eine Theke neben dem Eingang, an der man Kaffee, Tee, Kuchen, Sandwiches oder eine Suppe essen kann. An (bisher nur) zwei Tischen mit Stühlen, neben den üblichen Stehpulten.

  6. pschader sagt:

    @Jeeves: Im baumarkt kann man...
    @Jeeves: Im baumarkt kann man dann ja schon mal auf den Schrauben rumkauen, die man danach dort kaufen will.

  7. Siobhan sagt:

    Leider liegen beide Laeden in...
    Leider liegen beide Laeden in sehr wohlhabenden Gegenden (bzw einer am Rand der City) und sind sehr, sehr teuer. Das ist so inetwa, als wuerde man in Manufactum den Wocheneinkauf fuer Lebensmittel erledigen.
    Es sind tolle Laeden, aber man kann sich das sogar als normaler (Nicht-Banker) Doppelverdiener ohne Kinder hier nicht wirklich leisten. Zudem sind all diese Laeden sehr „weiss“ und irgendwie fangen sie nicht wirklich die Lebenswirklichkeit Londons ein.
    Aber es gibt in London doch auch ganz andere, guenstige und gute Alternativen, wo Wocheneinkaeufe sehr viel Spass machen.
    Zb in Shepherd’s Bush in der Uxbridge Road ein sehr guter syrischer Laden namens Damas Gate (gerade jetzt zu Ramadan mit extrem guten Gebaeck)
    ZB auch im Suedwesten Londons in Southall „Quality Foods“ ein riesiger indischer Supermarkt (47-61 South Road, Southall, Middlesex UB1 1SQ )
    ZB auch der Queen’s Market (Ubahn: Upton Par)k in Ost London
    Dort wird es einem bestimmt auch nicht langweilig und es ist zudem noch guenstig.

  8. Tobias sagt:

    @Jeves: Klar, Ikea oder der...
    @Jeves: Klar, Ikea oder der örtliche Baumarkt probieren auch auf Ihre Weise den Kunden ein Wohlfühl-Gefühl zu vermitteln. Beim Ikea ist es das günstige Mittagessen für die ganze Familie. Im Baumarkt hingegen eher das Verbotene, das Mann sonst nicht so ohne weiteres Essen darf. Denn außet der Bäcker-Theke gibt es draußen noch die Currywurst-Bude, in die man gerne geht, weil der Einkauf doch wieder lnger gedauert hat, weil der Magen knurrt und weil es nichts anderes gibt.
    Im Lebensmittel-Bereich gibt es auch etliche Beispiele für ein eher erlebnisorientiertes Shopping. Einige neuere Supermärkte von Edeka und Superbiomarkt sind ähnlich aufgebaut. Und auch der Wochenmarkt in Münster ist für Jung und Alt zum Event eines jeden Samstags geworden.

  9. fionn sagt:

    @ Peer Schader.

    Merci für...
    @ Peer Schader.
    Merci für Ihre Antwort vom 31.7
    Re Die Migros Genossenschaft und nachhaltige-Labels
    https://www.migros.ch/de/supermarkt/nachhaltige-labels/bio/grundsaetze.html
    Ich weiss nicht ob z.B. Walmart in den USA oder Tesco in GB eigene Bio-Labels
    eingeführt haben.

  10. pschader sagt:

    @Siobhan: Das nehm ich sehr...
    @Siobhan: Das nehm ich sehr gerne als Anregung fürs nächste Mal. Danke!
    @fionn: Auch das ist sicher ausführenswert, ich hab’s auf der Liste.

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