Als die Menschen plötzlich anfingen, sich in kleinen Bioläden mit ökologisch hergestellten Lebensmitteln einzudecken, muss den Verantwortlichen der großen Lebensmittelhändler das Herz in die Hose gerutscht sein – weil sich da plötzlich eine Konkurrenz auftat, mit der sie nicht gerechnet hatten.
Zwar kann es keine der (meist mittelständischen) Bioketten heute auch nur annähernd mit den Großen aufnehmen. Aber die Konzerne haben reagiert: Bio-Produkte im Sortiment sind selbstverständlich geworden, Nachhaltigkeit und Regionalität spielen eine größere Rolle. Bei Rewe ging man aber noch einen Schritt weiter. 2005 eröffnete das Unternehmen seinen ersten Bioladen, Vierlinden in Düsseldorf – allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Das lag zum einen am Misstrauen der Bio-Kunden gegenüber den großen Konzernen, das zum Beispiel die Biokette Basic zu spüren bekam als vor sechs Jahren plötzlich Lidl bei ihr einstieg, viele Kunden (und Lieferanten) mit Boykott reagierten und Basic in arge Schwierigkeiten brachten. Und zum anderen daran, dass Biomärkte vielen Kunden zu ökohaft waren.
Vierlinden konnte sich jedenfalls, trotz einiger Neueröffnungen, nie richtig etablieren. Christiane Speck, die als Geschäftsführerin der Rewe-Tochter Biokonzept für die Läden zuständig war, sagt:
„Wir haben die Erfahrung gemacht, dass so ein Markt eine viel breitere Zielgruppe braucht, um sich zu rentieren. Dafür muss man mehr bieten als ’nur‘ biologische Lebensmittel.“
Das war die Grundlage für die Idee zu Temma – einem Laden, in dem sich die Kunden wohlfühlen sollten und der automatisch Bio ist ohne dass es überall dick draufsteht.
„Temma ist für Leute, die Spaß an Lebensmitteln, Qualität und Genuss haben, für die Bio aber vielleicht gar nicht das schlagende Argument ist“, erklärt Speck, die sich inzwischen um den Ausbau des neuen Konzepts kümmert. Ziel sei es, biologische Lebensmittel auch Kunden zugänglich zu machen, die bisher vielleicht nicht in den Biomarkt gegangen sind.
Im Sortiment führt Temma deshalb einerseits Produkte klassischer Hersteller, wie sie auch bei den Konkurrenten Alnatura, Bio Company oder Viv zu kaufen sind. Ergänzend gibt es die Produkte der Rewe-Bio-Marke zu kaufen. Und eine kleine Auswahl von etwa 25 Lebensmitteln, auf die das Temma-Logo gedruckt ist: Nudeln, Tomatensoße, Apfelsaft und Wein für den Grundbedarf, dazu kleine Besonderheiten, die sich auch als Mitbringsel eignen (zum Beispiel der Kuchen im Einweckglas).
Keines dieser Temma-Produkte kommt vom Großhersteller, die meisten werden von kleinen Betrieben aus der Region hergestellt und sollen einen gewissen Mehrwert bieten. Die Tomatensoße stammt zum Beispiel von Kiebitzhof, einer Einrichtung nahe Gütersloh, die es behinderten Menschen ermöglicht, einer ganz normalen Arbeit nachzugehen.
Das Verpackungsdesign passt zum reduzierten Ladenkonzept: einfache Labels, klare Schriften, keine schrillen Farben. Speck sagt: „Wir hoffen, dass wir das Sortiment der Temma-Eigenmarken bald weiter ausbauen können.“
Mit der Auswahl eines durchschnittlich großen Rewe kann es Temma freilich nicht aufnehmen: Es gibt deutlich weniger Produkte zu kaufen, allein schon aus Platzgründen. Dabei muss das gar kein Nachteil sein. Speck ist überzeugt, dass es nichts bringt, zu viele Sorten im Regal zu haben, wenn man „normale“ Kunden für Bio-Lebensmittel gewinnen will. Dann sei es sogar hilfreich, eine gewisse Vorauswahl anzubieten. Weil sonst bei zig Fruchtaufstrichen keiner mehr durchblickt.
Die Gewöhnung ist schließlich auch so schon nicht ganz einfach: „Am Anfang waren einige Kunden irritiert“, sagt die Temma-Entwicklerin. „Sie fanden die Bäckerei gut, das Deli, die Bedientheken – und haben dann in den Regalen die Nudeln vom Hersteller gesucht, die sie sonst auch immer kaufen.“ Die gab’s aber nicht. „Unser Erfahrungswert ist: Die Leute kommen fünf bis achtmal für Wein, Käse und Wurst zu Temma und fangen dann an, sich weiter vorzuwagen und auch mal was zu kaufen, das neu für sie ist.“ Die meisten müssen sozusagen erst wieder verlernen, was ihnen die Markenartikelindustrie über Jahre hinweg eingetrichtert hat.
Vor allem müssen sie sich’s auch leisten können, denn eines ist Temma ganz sicher nicht: billig. Selbst die Eigenmarke pendelt sich ungefähr auf dem Niveau klassischer Marken im Supermarkt ein. Die jeweils günstigsten Produkte sind zur besseren Übersicht immerhin als „Sparpreis“ gekennzeichnet. Wer sonst nur bei Aldi einkauft, der sollte zu seinem Erstbesuch bei Temma allerdings die Herztabletten mitnehmen.
Den Test habe das Konzept bestanden, versichert Speck: „Jetzt ist Temma ein Teil von Rewe.“ Zumal auch Rewe-Chef Alain Caparros mit Freude dort einkaufen geht. Zumindest scheint sich die Offenheit für den Komplettumbau der ehemaligen Vierlinden-Märkte gelohnt zu haben. (Drei davon firmieren inzwischen unter Temma, die übrigen wurden wieder geschlossen.)
Und wie geht’s jetzt weiter? Bis Ende des Jahres wird in der Rewe-Zentrale über eine Expansion in weitere Städte entschieden. Wobei es Temma dort ziemlich schnell mit lokaler Konkurrenz zu tun bekommen könnte.
„Natürlich gibt es Märkte wie in Berlin, die schon sehr gut besetzt sind, und bei denen wir uns zweimal überlegen müssen, ob sich das für uns lohnt“, sagt Speck. „Aber in Großstädten mit hoher Kaufkraft wäre für Temma glaube ich Platz.“ Dabei wird es weniger um Fußgängerzonen gehen, eher um so genannte 1b-Lagen, bei denen es immer noch genug Laufkundschaft gibt, die aber nicht so teuer sind wie die Geschäfte in den Hauptstraßen. Das größte Problem wird wohl, Läden in angemessener Größe zu finden (die nicht schon von Konkurrenten besetzt sind). Es ist gut möglich, dass Temma in anderen Städten eine Nummer kleiner wird. Dafür bräuchte es eine Anpassung des Konzepts. Dazu will sich Rewe derzeit aber nicht äußern.
Klar ist nur, dass Temma der erste Versuch eines großen deutschen Lebensmittelhändlers ist, sich nicht mehr nur auf die Einbahnstraßenstrategie der vergangenen Jahrzehnte zu verlassen, bei der alles immer größer, lauter und hektischer wurde; sondern den Einkauf zu entschleunigen und ihm wieder eine soziale Komponente hinzuzufügen.
Wenn das tatsächlich Erfolg hat, könnte Temma den deutschen Lebensmittelhandel tatsächlich nachhaltig verändern.
Was meinen Sie?
Fotos: Rewe, Supermarktblog
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Der Beitrag erinnert mich...
Der Beitrag erinnert mich irgendwie an die Worte, die an Charlie Sheen’s Charakter in Oliver Stone’s „Platoon“ gerichtet werden: „You have to be rich to think like that!“ – Bis in die 1980er Jahre war es in der deutschen Mittelschicht nicht ueblich, in den Discountern Lebensmittel einzukaufen. Das hat sich nun grundsaetzlich geaendert, so dass die Deutschen die teuersten Kuechen Europas besitzen, und am wenigsten ihres Einkommens fuer Nahrungsmittel bezahlen. – Ob es wieder ein Trendwende geben wird, und nun der Einkaufsgenuss den Spartrieb besiegt? – Eine interessante Frage, sehen wir mal!
Es wäre wünschenswert, wenn...
Es wäre wünschenswert, wenn sich dieses Konzept durchsetzt und viele Nachahmer. Wie der Vorkommentator CaoKy60 schon schreibt, wird in Deutschland zu wenig Geld für Essen ausgegeben.
Ich kaufe meine Lebensmittel ,...
Ich kaufe meine Lebensmittel , nach Saison, „direk vom Erzeuger“ auf den Bauernmärkte (2x in der Woche) oder in den angeschlossenen Hofläden.
Hier gibt es frischen Fisch, Fleisch, Obst, Gemüse, Backwaren etc., Nach meiner Einschätzung finden die Bauernmärkte immer mehr Zuspruch und Kunden.
Die Preise sind angemessen und nicht überteuert!
Hier zur Info Seite Naturland: http://www.bioland.de
Solche Hofläden gibt's auch...
Solche Hofläden gibt’s auch im Großstadtmoloch Berlin, allein im Süden fallen mr ein: Domäne Dahlem, Lehmanns Bauernhof in Marienfelde, Gut Osdorf (im Süden von Lichterfelde, an der Straße nach Großbeeren.
Wäre schade, wenn REWE denen nun die Kunden wegnimmt; aber so sind sie nun mal, die Großen: da ist ein großer Trend, also muss man den (aus)nutzen. Clever.
Die Intention von REWE sollte mir ja egal sein, Hauptsache, man bekommt gesundes Essen ohne beschissen zu werden, könnte man meinen. Aber ich vermute, letztlich wird auch hier allein der Kommerz regieren (müssen), der Beschiss und die aufdringliche Reklame wird wieder einziehen, aber die „Kleinen“ – hier besonders die Hofläden – sind dann bereits tot. Wie zuvor die Tante-Emma-Läden, Bäcker, Schuster…
Meine Bitte: etwas kritischer berichten, denn REWE macht das nicht aus Überzeugung oder gar Menschenfreundlichkeit.
@CaoKy60: Subventioniert...
@CaoKy60: Subventioniert Oekostrom. == Zwingt diejenigen die trotzdem lieber den billigfsten Stromtarif haben wollen mit Waffengwalt am freien Markt ein Abo mit einem Oekostromanbieter abzuschließen.
@Jeeves: Sie haben den Text...
@Jeeves: Sie haben den Text nicht gelesen, oder?
@Peer: Sie aber auch nicht...
@Peer: Sie aber auch nicht oder? Sonst wäre nicht schon wieder im Teaser ein Tippfehler…
Sehr guter Bericht. Ich kaufe...
Sehr guter Bericht. Ich kaufe regelmäßig im Temma Braunsfeld, war auch vorher schon Kunde bei Vierlinden. Die Filiale auf der Aachener Strasse gefällt mir besser als in Bayenthal. Mir ist diese Filiale zu dunkel und vor allem passt das Konzept nicht zu diesem Standort (großer Parkplatz, hektisch). In Braunsfeld ist alles stimmig. Vor allem auch für Vegetarier ein super Angebot. Hoffentlich wird das Konzept von REWE weitergetragen.
Mal als Tipp Herr Schader: Einen sehr schönen Bistro/Gastro-Bereich gibt es auch bei Perfetto auf der Breite Straße. Man kann auch die Ware die im Bedienbereich ausliegt (z.B. Fisch) sich aussuchen und direkt zubereiten lassen. Der Laden ist aber nichts für Discount-Menschen, die die Qualität von Lebensmitteln nicht zu schätzen wissen. Weiterhin gutes Gelingen bei Ihrem Blog!
TEMMA = ein intelligenter...
TEMMA = ein intelligenter Ansatz für die breitere Kaufkraft-Masse des Mittelstandes… Jedoch: Ich als Kölner kenne natürlich mittlerweile auch beide Temma-Geschäfte, die in den Nicht-Innenstadt Stadtteilen Kölns liegen. Als kritischer und äußerst auf „wertvolle“ Lebensmittel bedachter Konsument (ca. 80% unseres 2-Mann-Haushaltes bestehen aus DEMETER / BIOLAND / NATURLAND / EG-ÖKO-Verordnungs-Produkten) begrüße ich das TEMMA-Konzept, jedoch kaufe ich meine meisten unverarbeiteten Lebensmittel wie Obst, Gemüse, Fleisch, Wurst, Käse, Brot, Brötchen sehr viel lieber auf den Kölner BIO-Wochenmärkten ein, die zum größten Teil ein DEMETER-Produktsortiment anbieten von HEIMISCHEN, besuchbaren, kleineren Bauernhöfen & Verarbeitungs-Betrieben des Rheinlandes. Hier ist echte Regionalität gepaart mit ökologisch-erzeugten & zumeist saisonal angebauten Produkten kaufbar und somit unterstütze ich weder Großkonzerne, die nur ihre Nase nach dem derzeitigen Trendwind richten, noch Pseudo-Ökobauern, die aus reinem Profit neben „konventionell“ hergestellten Lebensmittel mittlerweile auch Öko-Produkte nur nach EG-Öko-Verordnung verkaufen. Ich möchte voll aus Überzeugung heraus arbeitenden Menschen unterstützen, gleichzeitig unserem Planeten möglichst wenig Kraftfutter, Kunstdünger & gentechnisch manipulierte, risikoreiche Produkte ersparen, weil auch NACH meinem eigenen Leben die Erde sich weiterdreht für Pflanzen, Tier & Mensch…
Danke für die Fortführung...
Danke für die Fortführung und die Informationen zu Vierlinden!
Ich finde gut an dem neuen Konzept, Genuss und Qualität in den Vordergrund zu stellen, und ich meine (und hoffe), dass sich dafür in Deutschland immer mehr Menschen interessieren.
Übrigens kaufe ich auch gerne lokal und bei Bauernmärkten … aber gerade da muss man auch genau hinschauen, wie die dort angebotene Ware produziert wird. Gerade bei Gemüse und Fleisch. Und Fische bieten unsere Bauernmärkte keinen an, mangels Gewässern in der Gegend ;).