Supermarktblog

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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Evolution der Ketten-Bäcker: Riecht nicht nach Fritten, sieht aber so aus

| 21 Lesermeinungen

Die Evolution hiesiger Bäckereien hat sich in den vergangenen Jahren drastisch beschleunigt: aus dem kleinen Familienbetrieb wurde der Kettenbäcker, aus dem Kettenbäcker der Discountbäcker – und jetzt steht die nächste Mutation an. Das Supermarktblog stellt zwei der neuen Typen vor, die sich derzeit in den Städten breit machen.

Die Evolution hiesiger Bäckereien ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Das erste war das der kleinen Familienbetriebe, die dachten, die Leute würden bloß leckeres Brot essen wollen. Die Franchise-Bäcker bewiesen später, dass die Leute am liebsten überall dasselbe Brot essen wollen – und vererbten dieses Merkmal in der nächsten Generation an die Discountbäcker, die sich mit ihren Niedrigpreisen rasend schnell ausgebreitet haben.

Seit einige Zeit gibt es aber ein großes Problem, vor allem für Franchise- und Discountbäcker: die Backtheken, die in Supermärkten und Discountern aufgestellt werden.

Weil die Leute keinen Grund mehr haben, für aufgebackene Teiglinge extra zum Bäcker zu gehen, wenn sie ganz ähnliche aufgebackene Teiglinge auch gleich beim Einkaufen mitnehmen können. Das führt wiederum dazu, dass sich die Ketten auf die neue Situation einstellen und – mutieren. Das Supermarktblog stellt zwei der neuen Typen vor, die sich derzeit in den Städten breit machen.

1. Der Fast-Food-Bäcker

Was ist rot, riecht nicht nach Fritten, sieht aber so aus? Das neue Back-Factory-Café am Berliner Checkpoint Charlie! Das hat praktischerweise genau neben einer McDonald’s-Filiale eröffnet und funktioniert auch so ähnlich: als Schnellrestaurant.

Normale Brote gibt es bis auf wenige Ausnahmen keine zu kaufen, stattdessen zentimeterdick mit Mayo grundierte Brötchen, auf die Wurst und Käse geklebt wurden, dazu haufenweise Süßkram, kalte Getränke und viel, viel Kaffee, den sich die Kunden bitteschön selbst an einer Theke aus den Maschinen drücken sollen. Gleich auf zwei Etagen gibt es Sitzplätze, auf denen man seine selbstgewählt Mahlzeit sofortverzehren darf – wenn man dabei gerne permanent auf „Bild“-Zeitungs-Ausrisse aus dem Mauerbaujahr schauen mag, mit denen die Tische beklebt sind. Das soll an den historischen Ort erinnern, an dem früher Panzer standen (und heute vollautomatische Aufbacköfen).

Bild zu: Evolution der Ketten-Bäcker: Riecht nicht nach Fritten, sieht aber so aus

„Moderne Backgastronomie“ nennt Back-Factory Geschäftsführer Peter Gabler den Laden, wahrscheinlich weil er eine Agentur teuer dafür bezahlt hat, dass sie ihm sagt, „Fast-Food-Bäcker“ würde nicht so gut klingen.

Der Berliner Laden soll als „Flagship-Store“ funktionieren und zugleich Vorbild für die baldige Umrüstung der bisherigen Selbstbedienungskette sein. Weil sich nämlich mit Snacks und Getränken viel mehr Geld verdienen lässt als mit einfachen Broten.

Bild zu: Evolution der Ketten-Bäcker: Riecht nicht nach Fritten, sieht aber so ausPate für das neue Konzept waren ganz eindeutig die etablierten Fast-Food-Ketten. Die Back-Factory stellt es mit ihren „Cafés“ aber noch schlauer an als McDonald’s oder Burger King – weil die Kundschaft ja schon trainiert ist, sich ihr Essen selbst zu holen und einzupacken. Auf diese Weise lässt sich ganz hervorragend Personal einsparen.

Beim Testbesuch in dieser Woche waren zwei Mitarbeiter dafür zuständig, die Backtheke mit geschmierten Brötchen nachzufüllen. Eine weitere Mitarbeiterin musste abwechselnd die drei Kaffeeautomaten neu bebohnen, Milch und Zucker nachkippen, Becher auspacken und stapeln, die Sauerei wegmachen, die jeder Kunde macht (weil kein Mensch beim ersten Mal versteht, dass man unter jede der drei Apparate unterschiedlich große Becher halten muss), sämtliche Kunden abkassieren, durch den Laden fegen und die benutzten Tabletts abwischen. Gut möglich, dass die Frau zwischendurch auch den Laden neu gestrichen hat, das war schwer zu verfolgen.

Erste Hinweise darauf, dass auch das Essen fastfoodiger wird, gibt es auch schon: in Form einer in Barbecue-Soße getunkten Bulette, die in ein trockenes Brötchen gepresst wurde. Es kann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich irgendwer lustige Aktionswochen ausdenkt und einen Drive-in-Schalter in die Friedrichstraße schraubt.

Und nächstes Mal: Der Showbäcker.

Fotos: Supermarktblog

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21 Lesermeinungen

  1. Die Back-Gesellschaft...
    Die Back-Gesellschaft verkommt. Diese Kettenmonster sind omnipräsent und deren Brötchen schmecken nach Pappe. Essen denn wirklich so viele Menschen gerne mit Luft gepolstertes Papier? Sieht so aus. Schließlich wird man ja nicht gezwungen. Oder doch? Fehlt etwa die Mitte? Ist das Brötchenland voller Extreme? Nur noch billige Pappe und auf der anderen Seite neumodische Edelbäcker, die wissen, dass Brot aus Mehl gemacht wird und das zelebrieren, auch preislich? Während in China die Mittelschicht rasant wächst, wird hierzulande die Kluft zwischen „Brot und seine Freunde“ und „Billig-Back-Kette“ scheinbar immer größer.
    Oder nicht? Hoffentlich gibt es Beweise dafür, dass diese Theorie nicht stimmt. Ich würde mich freuen aus jeder deutschen Großstadt mindestens drei Beispiele zu lesen. : )

  2. kuhnf sagt:

    Interessant, was zu lesen war,...
    Interessant, was zu lesen war, sowohl der Blog als auch der Kommentar.
    Haben Sie Interesse an neuen verbraucherfreundlicheren Läden
    im digitalen Zeitalter? Dann freuen wir uns Sie kennenzuleren.

  3. T.I.M. sagt:

    "stattdessen zentimeterdick...
    „stattdessen zentimeterdick mit Mayo grundierte Brötchen, auf die Wurst und Käse geklebt wurden“ … erinnert mich an:
    https://www.youtube.com/watch?v=IfJHN9kekqU
    (wenn der Link nicht geht – nach „Das Wurstbrot“ googlen und ersten Hit bei YT ansehen)
    Was hat der Mann? Recht hat er!
    Prinzipiell muss ich aber sagen, dass ich das Selbstbedienungskonzept gut finde (es spraeche ja nichts dagegen, das mit guten Backwaren durchzufuehren). Zum einen muss man nicht mehr das ganze Dorfgetratsche abwarten, bis man endlich mal an der Reihe ist, hat andererseits aber gerade beim Broetchenkauf genuegend Zeit, sich eine Alternative zu ueberlegen, wenn die eigentlich gewuenschten Broetchen gerade aus sind, ohne andere dabei aufzuhalten, und es ist billiger; ausser man ist Baeckereifachverkaeufer/in (wenn man ehrlich ist ein aeusserst unnoetiger Beruf) also nur Vorteile.

  4. @Hans: Klasse, vielen Dank!...
    @Hans: Klasse, vielen Dank! Wird notiert und verwendet. : )

  5. Jeeves3 sagt:

    Ich back' mein Brot natürlich...
    Ich back‘ mein Brot natürlich selbst: Mehl, Wasser, Hefe, viel Kneten, Hitze. Mehr braucht es nicht. (+ evtl. etwas zerstoßener Koriander für den Geschmack).
    Und das beileibe nicht etwa, weil die Verkäuferinnen hier beim Bäcker schon überfordert sind, wenn sie zwei kleine Summen im Kopf zusammenrechnen müssen. Obwohl auch das etwas stört. Nein, des Geschmacks wegen und ich weiß, was drin ist im Brot. Denn der Bäcker hier an der Ecke hat inzwischen „Sauerkrautbrot“, „Tomatenbrot“ und macht überflüssigerweise auch noch Reklame à la: „Wir backen mit Tiramisu“ (oder so was ähnliches; kannte und kenne das Zeugs nicht. Weizen- oder Roggen-Mehl gehört dazu).
    Solche Aufwärmstationen wie oben beschrieben sind doch wohl das Letzte. Aber die Masse kauft wohl das Zeugs dort. Auch die Blödzeitung und die bunten Wochenblätter haben ja täglich/wöchentlich Millionenauflagen…
    .

  6. Jeeves3 sagt:

    Berlin-Lankwitz:...
    Berlin-Lankwitz: Kurfürstenstr./Ecke Frobenstraße
    Man backt noch selbst, morgens in eigenen Räumen.
    Brot ist exzellent. Kuchen nicht so.
    Nur eben die jungen Verkäuferinnen – wenn doch ihre Rechenkunst (25 + 98 Cents = ???) so groß wäre wie ihre künstlichen Fingernägel lang…

  7. hotyork sagt:

    Hier im Rheinland haben viele...
    Hier im Rheinland haben viele Bäckereibedienkräfte (weiblich) die 100kg
    Grenze Körpergewicht längst überschritten. Sie sind von der ARGE wahr-
    scheinlich nicht mehr vermittelbar und müssen deshalb, wobei sie sich
    kaum noch bücken können!, für ein unwürdiges Gehalt(Taschengeld) Dienst tun.
    Unterstützt von der ARGE. Der Filialist, ein Landbäcker von der holländischen
    Grenze, vor 20 Jahren 10 Filialen, jetzt geschätzte 120, hat die kleinen Bäcker komplett verdrängt. Trotz „Dorftratsch“ ein Verlust an Lebensqualität.

  8. Herr Schmidt sagt:

    "bebohnen" - herzichen Dank...
    „bebohnen“ – herzichen Dank fuer dieses schoene Wort, ick‘ freu mir so!

  9. @Jeeves3: Na prima. Hätten...
    @Jeeves3: Na prima. Hätten wir also auch Berlin. Danke schön.
    Was die Rechenkünste angeht… Ein Trauerspiel. Vielleicht findet sich ein Berater, der von Bäckerei zu Bäckerei geht, den Zustand prüft und als Gratisdienstleistung 1×1 Aufklärung betreibt? Mögliche Weiterverwendung der Ergebnisse / Erlebnisse: Als Markt-Studie verkaufen oder einen schönen Artikel in einer großen Tageszeitung veröffentlichen.

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