Supermarktblog

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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Kleine Ewigkeiten in der Kassenschlange – und was sich dagegen unternehmen lässt

| 21 Lesermeinungen

Nirgendwo sonst haben wir so viel Zeit für uns wie beim Anstehen im Supermarkt, wobei die Minuten, die wir aufs Bezahlen warten, gefühlt eher Stunden sind. Deshalb lassen sich die Supermärkte immer neue Ideen einfallen, um uns die kleinen Ewigkeiten in der Kassenschlange zu erleichtern. Drei Beispiele zeigen, wohin das führt.

Sehen Sie beim Warten in der Kassenschlange vor sich öfter mal ein kleines Mädchen mit lockigen Haaren, das ein bisschen schlafmützig guckt, lumpig gekleidet ist und eine Schildkröte auf dem Arm hat, die in die Zukunft schauen kann? Dann will Ihr Unterbewusstsein Ihnen womöglich mitteilen, dass Ihr Terminkalender zu voll ist. Oder Sie lesen beim Schlafengehen zu viele Kinderbuchklassiker vor. Oder Sie sind eine Romanfigur und irgendwann aus Versehen mal in die Wirklichkeit abgebogen. (Tut mir leid, dass Sie’s auf diesem Weg erfahren mussten.)

Dabei ist die Assoziation ja eigentlich richtig. Nirgendwo sonst haben wir so viel Zeit für uns wie beim Anstehen im Supermarkt, wobei die Minuten, die wir aufs Bezahlenmüssen warten, gefühlt eher Stunden sind, die uns niemand mehr zurückgibt.

Dafür braucht es nicht einmal graue Herren, die unsere Zeit in der Pfeife rauchen. Es reicht auch das Kassenpersonal im weißen Kittel. Vor dem sind alle Menschen gleich – vor allem aber: gleich gelangweilt. Deshalb lassen sich die Supermärkte immer neue Ideen einfallen, um der Kundschaft die kleinen Ewigkeiten in der Kassenschlange wenigstens ein bisschen zu erleichtern. Drei aktuelle Beispiele zeigen, wohin das führt.

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1. Großbritannien: Die Legehennenbatterie

Wahrscheinlich hat es der Erfinder der SB-Kasse (SB für Selbstbedienung) nur gut gemeint mit seiner Apparatur, die Kunden zu Kassierern macht, damit sie sich nicht langweilen. In Deutschland sammelt bisher vor allem Real Erfahrungen mit SB-Kassen, andere Unternehmen halten sich zurück. Im Supermarktzukunftsland Großbritannien allerdings haben sich die so genannten „Self-Checkouts“ längst durchgesetzt. Die britischen Versionen sind oftmals deutlich kleiner als die bei Real und stehen vor allem in Innenstadtmärkten, weil viele Kunden dort eh nur ein paar Produkte kaufen, um sich ein schnelles Mittagessen zusammenzukippen.

Das hat aber auch ein paar unschöne Folgen: Marks & Spencer Simply Food – das man gleichzeitig loben und verfluchen kann für sein Angebot an frischem Sofortessen – zum Beispiel hat in große Filialen wie die im Londoner Stadtteil Covent Garden ganze Kassenbatterien eingebaut (Foto oben). Dort stehen so viele Mini-SB-Kassen nebeneinander, dass das Kundengewusel dazwischen aussieht wie eine Legehennenbatterie, in die sich ein Fuchs verirrt hat. Vereinzelt stehen Angestellte dazwischen, um von Kassenzelle zu Kassenzelle zu hopsen und Probleme zu beheben. Wahrscheinlich würde sich niemand wundern, wenn die Mitarbeiter demnächst, ausgestattet mit Trillerpfeifen, bei Freiwerden einer Zelle den nächsten Kunden antrillern. Muss ja alles seine Ordnung haben.

Stressrisiko: enorm. Zeitersparnis: gut. Wohlfühlfaktor: sehr witzig.

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2. Deutschland: Die Klinik

Die modernste Kasse Deutschlands steht nicht in Hamburg, Berlin oder München, sondern – im nordrheinwestfälischen Zülpich. In einem seiner Märkte testet Rewe dort seit kurzem erstmals eine Apparatur, die ein bisschen so aussieht als könnte jeden Moment Dr. House dahinter auftauchen, um einen Patienten aufs Förderband zu schieben und eine komplizierte Diagnose einer höchst seltenen Krankheit zu erscannen, die wenige Minuten danach verworfen werden muss, weil die Sendezeit noch nicht rum ist.

Gescannt werden im „Tunnelscanner“ (Foto oben) allerdings – wie bisher – nur die eingekauften Produkte, dafür aber wie von Geisterhand. Denn wenn der Einkauf einmal auf dem Band liegt und unter den beiden Metallarmen durchgefahren wird, erkennen die darin angebrachten Abtaster die Strichcodes auf den Verpackungen automatisch, egal in welcher Position. (Wenn Sie auch so ein Ding haben wollen: dieses Video wird Sie endgültig vom Kauf überzeugen.) Bezahlt wird danach (anders als im Film) wie gewohnt bei einer Kassiererin aus Fleisch und Blut. Bis zu 60 Produkte sollen im Schnitt pro Minute gebucht werden, die Abtastgenauigkeit des Geräts liegt angeblich bei 98 Prozent liegen. (Wobei die interessante Frage natürlich ist, wie oft die restlichen 2 Prozent vorkommen.)

Noch ist’s nur ein Test. Aber wenn der bestanden ist, freut sich Rewe schon darauf, „Kassenprozesse beschleunigen und Warteschlangen erheblich reduzieren“ zu können. Also: vorausgesetzt, den Kunden macht es nichts aus, wenn es im Supermarkt plötzlich so ähnlich aussieht wie im Krankenhaus.

Stressrisiko: akzeptabel. Zeitersparnis: naja. Wohlfühlfaktor: optisch gering.

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3. Finnland: Der Kurort

Wer einmal der Angst ins Auge sehen will, der muss gegen halb sieben am Abend in einem gewöhnlichen Supermarkt in die Gesichter anstehender Kunden blicken, vor denen in der Schlange eine ältere Dame dem Kassierer gerade ihre seit Jahrzehnten angesparten Kleingeldvorräte in die Hand kippt und sagt: „Ich hab’s passend.“ Ein ähnliches Bedrohungspotenzial entfalten Kunden, denen kurz vor dem Bezahlen einfällt, dass sie die Hälfte vergessen haben und noch einmal losstürmen, „ganz kurz nur“ – um erst wieder aufzutauchen, nachdem die Marktleitung eine Suchaktion mit Hundestaffel bis zur Käsetheke veranlasst hat. Und natürlich Leute, die bloß Filtertüten auf Vorrat einkaufen, damit sie mit der Kassenfrau ausdiskutieren können, wohin die gemeinsamen Bekannten gerade schon wieder in Urlaub hin entschwunden sind.

Die finnische Supermarktkette K-Citymarket hat eine Lösung für solche Problemfälle gefunden – und sie einfach zur Regel gemacht.

In einer Filiale im südfinnischen Espoo gibt es seit Anfang Oktober eine Langsamkasse („Elä hättäile“). Anstatt hektisch Tüten vollzupacken, können sich die Kunden dort jede Menge Zeit lassen. Das Personal hilft sogar dabei, die Produkte vom Einkaufswagen aufs Kassenband zu legen, räumt alles in die mitgebrachten Taschen. Und wer noch nicht dran ist, nimmt so lange in einem Sessel neben der Kasse Platz.

Kein Witz, das Projekt gibt es tatsächlich. In Zusammenarbeit mit der Universität Aalto testet der Handelskonzern Kesko, wie sich Supermärkte verändern müssen, um für alle möglichen Zielgruppen attraktiv zu bleiben. (Und dass K-Citymarket dadurch auch gute Presse hat, stört nicht weiter.) Die Langsamkasse richtet sich explizit an ältere Kundschaft, aber auch an behinderte Kunden, deren Erfahrungen beim Einkaufen ausschlaggebend für den Test waren. In einem vorherigen Projekt mit behinderten Jugendlichen aus Espoo hatten die Uniforscher nämlich herausgefunden, dass das Einkaufen für viele absoluter Höhepunkt der Woche ist, aber der Stress an der Kasse alles kaputtmacht.

Die Resonanz auf die Langsamkasse war schon in den ersten Wochen so gut, dass sich Kesko entschlossen hat, weiterzumachen. Bald soll es auch eine Spielecke geben, wo Kinder auf ihre Eltern warten können, und für die Erwachsenen Kaffee. Wenn jetzt noch ein Masseur engagiert wird, lohnt sich’s eigentlich kaum noch nachhause zu gehen.

Stressrisiko: ei mitään. Zeitersparnis: auf keinen Fall! Wohlfühlfaktor: riesig.

Fotos: Supermarktblog, Rewe, Kesko

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21 Lesermeinungen

  1. Na, Schlange stehen wird doch...
    Na, Schlange stehen wird doch eindeutig suboptimal genutzt! Als Netizen habe ich doch heute die günstige Gelegenheit, in der Kassenschlange noch 148 Mails zu checken, ein paar Überweisungen online zu erledigen, meinen Facebook-Freunden wichtige Details mitzuteilen wie „Eh Leutz, ich stehe grad bei Aldidl in der Kassenschlange“ und mir bei waskochichheutedotcom Rezeptvorschläge für meinen Einkaufswageninhalt zu suchen. Mein RSS-Client versorgt mich mit den wichtigsten Ereignissen der letzten fünf Minuten (ich könnte ja was verpasst haben vom Weltgeschehen) und außerdem muss ich mich ja auch ständig um meine Farmville-Pflanzen kümmern. Natürlich surfe ich noch kurz auf das Kundenportal des gerade besuchten Supermarktes und werde noch die Beschwerde über das grottenlangsame Kassenpersonal (wieder mal nur 57 Scans die Minute!) los. Währenddessen ätze ich halblaut murmelnd über die inkompetenten 400 Euro Kräfte an der Discounterkasse, für die ja sogar der Mindestlohn zu viel ist und registriere zustimmende Blicke und Bemerkungen anderer Käufer. Das Kassenpersonal soll sich bloß nicht beklagen und froh sein, dass es überhaupt noch einen Job hat. Hoffentlich werden diese antiquierten Prozesse endlich optimiert und die Handarbeit überall durch Selfscanning-Kassen ersetzt! Welch Potenzial…
    SCNR.
    Brave new world! Schön, dass ich kein Smartphone habe und ich das Schlange stehen so wie Roul als Auszeit vom Tagesstress genieße. Zu bewusst langsamem Einpacken der Ware oder einem Schwätzchen mit der Kassiererin habe ich mich allerdings noch nicht hinreißen lassen. Vielleicht hat es hinter mir ja jemand tatsächlich eilig, weil zu Hause ein krankes Kind oder die pflegebedürftigen Eltern warten…

  2. Kleptomanin sagt:

    Kasse? Bezahlen? Iiich? Im...
    Kasse? Bezahlen? Iiich? Im Leben nicht! Außerdem ist der Ladendetektiv ein ganz Netter und freut sich immer über die EUR 50,- Fangprämie, wenn er mich erwischt.

  3. Petra sagt:

    @Jeeves und Raoul
    Genauso...

    @Jeeves und Raoul
    Genauso sollte Einkaufen sein. Vor der Kasse den Dorftratsch und hinterher zack!zack! alles rein in den Wagen. Ich gehöre allerdings zu den Leuten, die gern und immer noch vertrauensselig mit Karte bezahlen. Klimpergeld in Rot bekommt meine Lieblingsbackwarenfachverkäuferin und den Rest zockt mir mein Sohn für die Caféteria ab.
    Seitdem auch die Supermärkte wie EDEKA, Rewe oder Famila den Discounter in sich entdeckt haben, kaufe ich dort ein, wo mir an der Kasse die Auslaufzone am besten gefällt. Trotz guter Ware landen da bei mir Penny, Aldi und Netto an letzter Stelle, da das kleine Stück Blech, das dort „Auslaufzone“ genannt wird, gerade mal für ein bis zwei Artikel reicht. Bei Penny schaffe ich nicht mal die Artikel ohne blaue Flecken vom Band zu nehmen, weil dieser blöde Kartenzahlautomat so eingebaut ist, dass ich bei jedem Artikel mit der linken Hand dagegenknalle. Nehme ich die rechte Hand zum Einräumen, lande ich mit dem Ellenbogen immer an der virensicheren mannshohen Glasscheibe der Kassentür. Anscheinend ist dies aber nur ein persönliches Problem, andere Leute haben dies nicht.

  4. Laura sagt:

    Hier hat sich ja noch nicht...
    Hier hat sich ja noch nicht eine Kassiererin gemeldet! Das muss ich ändern 🙂
    Punkt Zwei halte ich, ehrlich gesagt, für ziemlichen Schwachsinn. Das wird zu keiner Verbesserung führen, sondern v.a. zu viel Streß bei den Kunden. 60 Artikel pro Minute bedeuten auch, dass man diese in diesem Tempo einpacken/wieder in den Wagen tun muss. Ich schaffe maximal so um die 40. Und das überfordert schon viele Kunden, darunter auch junge Menschen und solche, die zu zweit einkaufen… Da staut sich dann alles und ich kann gar nicht so schnell kassieren, wie ich könnte. Das sieht mir auch nicht danach aus, dass der Kassentisch größer wäre, also ist noch schneller einpacken gefordert!
    Ich freue mich sehr, wie selbstkritisch hier kommentiert wird – es sind eben nicht immer nur die KassiererInnen schuld, wenn’s mal wieder länger dauert.

  5. "die Abtastgenauigkeit des...
    „die Abtastgenauigkeit des Geräts liegt angeblich bei 98 Prozent liegen. (Wobei die interessante Frage natürlich ist, wie oft die restlichen 2 Prozent vorkommen.) “
    ich würde jetzt mal tippen, in 2 von 100 abtastfällen?

  6. pschader sagt:

    @zuschauerlich: Weiß ich...
    @zuschauerlich: Weiß ich schon, aber kennen Sie das nicht: Wie man an der Kasse steht und immer das Gefühl hat, der Ausnahmefall zu sein, bei dem alles schief geht?

  7. Hallo Peer,

    das ewige Warten...
    Hallo Peer,
    das ewige Warten an der Kasse ist an sich kein Weltuntergang. Viel schlimmer ist doch, dass wir uns auf diese Situation selten vorbereiten … obwohl wir doch ganz genaus wissen, dass Wartezeiten kaum zu verhindern sind … gerade in einem Supermarkt.
    Stattdessen ärgern wir uns grün und blau, dass wir unsere wertvolle Lebenszeit an Supermarktkasse verschwenden, und verstehen es nicht, Wartezeiten als „Zeitgeschenke“ zu betrachten.
    Wir könnte z.B.
    – mit den Menschen in der Warteschlange einen Smalltalk führen
    – Emails beantworten
    – Freunde anrufen
    – einem lieben Menschen Grüße per SMS schicken
    – unseren Lieblingssong anhören
    – oder wie jetzt … einen Kommentar in deinem Blog schreiben.
    Ich weiß. Das Thema ist nicht neu. Ich habe diesen Sommer dazu auch einen Artikel beigesteuert (Link siehe oben) … staune nur, wie „hartnäckig“ dieses Thema ist.

  8. B.Brüser sagt:

    Wir sind ein kleines...
    Wir sind ein kleines Start-Up-Unternehmen, das genau diese Zeit, die man sonst für den Einkauf ausgibt und in der Schlange steht kompensiert:
    Bei uns (Emmas Enkel in Düsseldorf, Berliner Allee 56) kann in der „Guten Stube“ während man einen Kaffee trinkt per iPad bestellt werden, genausogut kann ein handgeschriebener Einkaufszettel am Tresen abgegeben werden. die Onlinebestellung von zu Hause aus geht natürlich auch, genauso wie das klassische durch den Laden laufen. Onlineshop und Tante-Emma-Laden verschmelzen und während wir den Einkauf für die Kunden zusammenstellen (ein Großteil des Sortiments wird im Lagerbereich für den Kunden nicht wahrnehmbar kommissioniert) kann dieser entspannt das tun, was er möchte. Eine Kinderspielecke haben wir auch und die Preise sind wie in einem Supermarkt. Die Idee haben wir vor zwei Monaten in die Realität umgesetzt, weil uns genau das, was in dem Blog beschrieben wird gestört hat. Ich freue mich, diesen Artikel hier gefunden zu haben, weil er mir aus der Seele spricht! Und für die Menschen, die garnicht mehr in den Supermarkt laufen können, haben wir zudem einen Lieferservice- persönlich von uns und am selben Tag.

  9. pschader sagt:

    @B.Brüser: Dann sollten wir...
    @B.Brüser: Dann sollten wir uns bald mal zusammensetzen, oder?

  10. B.Brüser sagt:

    Von mir aus gerne! Unsere...
    Von mir aus gerne! Unsere Website wird ab der kommenden Woche auch Fotos unseres Ladens zeigen…das kleine Video (https://www.emmas-enkel.de/UEber-Emmas-Enkel/)zeigt eigentlich schon genau das Thema der Supermarktschlange…

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