Unter dem Vorwand, exakt nachvollziehen zu wollen, warum wir konsumieren, was wir konsumieren, sorgen selbstlose Unternehmen weltweit dafür, dass die Population der fleißigen Marktforscher nicht ausstirbt. Und zwar durch die Beschäftigung mit immer neuen Fokusgruppen-Gesprächen, Telefonumfragen und Experimenten in Testlabors.
Dieter Hiebers Markt-Forschung geht etwas anders. Er fragt seine Kunden einfach selbst.
Hieber ist Inhaber von elf Edeka-Supermärkten im Südwesten Baden-Württembergs, nahe der Schweizer Grenze („Hiebers Frische Center“). Dreimal im Jahr lädt er Leute, die regelmäßig beim ihm Einkaufen, zu einem Treffen ein, bei dem darüber gesprochen wird, was es Neues in den Filialen gibt, über Beschwerden, Vorschläge und was sich in den Märkten verbessern ließe.
„Die Idee ist daraus entstanden, dass es einige Kunden gab, die uns durch eine konstruktive Kritik aufgefallen sind, weil sie uns in den Märkten angesprochen haben und erzählt, was sie stört oder bedrückt“, sagt Hieber. Aus den Treffen ist eine regelmäßige Einrichtung geworden: der „Kundenrat“. Dafür braucht Hieber kein Labor, sondern bloß einen freien Schulungsraum. Und anstatt komplizierte Verhaltensmuster aus sich herauszukitzeln zu lassen, sagen die meisten Kunden freiwillig, was sie denken.
„Bei unseren neuen Einkaufswagen haben wir vergessen, vorne Haken für die Taschen anzubringen. Prompt kam im Kundenrat der Hinweis: das fehlt! Es können ganz banale Dinge sein, die uns im Tagesgeschäft durchgerutscht sind, genauso wie Hinweise, was im Sortiment fehlt, oder ein Tipp, dass wir im Vergleich mit der Konkurrenz preislich bei einem Artikel daneben liegen.“
Und dann wird’s billiger? „Ja klar.“
Aber wenn jemand aus dem Urlaub zurückkommt und sagt: Warum habt ihr den Käse nicht, den ich dort immer gegessen habe? „Dann versuchen wir, den ebenfalls anzubieten – wenn es machbar ist.“
Und wenn jemand den Laden lieber rosa gestrichen hätte? „Wenn wir der Überzeugung sind, dass sich etwas nicht ändern soll, erklären wir, was wir uns dabei denken und versuchen, die Kunden auf unsere Seite zu holen.“
Der große Vorteil ist, dass Hieber als selbstständiger Marktbetreiber auch alleine bestimmen kann, was in seinen Läden passiert – und nicht irgendwelche Vorschriften aus der Zentrale umsetzen muss. Als Edeka bundesweit das Bonusprogramm „Deutschland Card“ einführte, fragte Hieber seinen Kundenrat, was der davon hält. „Das Projekt ist von der Edeka-Zentrale vorgestellt worden, aber der Kundenrat hat beschlossen, dass es bei uns nicht umgesetzt wird“, erklärt der Kaufmann. „Bei uns gibt es die Karte nicht.“
Bloß: Wozu der ganze Aufwand? „Viele Neuerungen sehen wir nur noch aus unserer fachlichen Perspektive“, sagt Hieber. „Die Kunden haben da aber oft einen ganz anderen Blick drauf.“
Natürlich hat die Mühe auch etwas mit der Konkurrenz zu tun. „Meine Eltern haben [als Unternehmensgründer] früh erkannt, dass wir beim Preis mit den Discountern nicht mithalten können. Deshalb konzentrieren wir uns auf Qualität, Service und Dienstleistung. Ich glaube, die Leute haben das ständige Gerede über den Preis auch zu einem gewissen Teil satt. Alles muss immer noch billiger sein. Das können viele gar nicht mehr nachvollziehen. Unsere Kunden wissen, dass wir keine Billigheimer sind, aber auch nicht ständig die Preise nach oben setzen.“
(Beim Discounter Penny ist ein ähnliches Projekt übrigens gescheitert.)
* * *
Es gibt auch Leute, die es mit dem Engagement ein bisschen übertreiben. Einmal, sagt Jan Rutenberg, habe ihm eine Kundin gemailt und sich beschwert: Sie hätte ihm schon vor einer Woche Bescheid gesagt, dass sie den Kaffeeautomaten im Eingangsbereich ihres Markts nicht bräuchte – aber er sei immer noch nicht abgebaut worden.
Da musste Rutenberg ihr leider eine schlechte Nachricht zu überbringen: Der Kaffeeautomat bleibt erstmal stehen. Könnte ja sein, dass es bei den paar tausend Kunden in der Filaile doch jemanden gibt, der zwischendurch gerne einen Kaffee trinken möchte.
Rutenberg ist Leiter Kundenmanagement und Marktforschung beim Familienunternehmen Tegut, das über 300 Supermärkte mit Bio-Schwerpunkt betreibt, vor allem in Mittel- und Süddeutschland. Auch Tegut hat einen Kundenrat, seit 2008. Derzeit gehören etwa 200 Mitglieder dazu, die über das ganze Verbreitungsgebiet verteilt wohnen. Sechs bis sieben Treffen gibt es pro Jahr, immer an unterschiedlichen Orten, als nächstes in Offenbach, Kassel und Fulda. Außer Marktleitern und Mitarbeitern ist meistens auch jemand aus der Gründerfamilie dabei, um sich anzuhören, was die Kunden zu sagen haben.
„Für uns geht es in erster Linie darum, kritische Rückmeldungen zu bekommen“, sagt Rutenberg. „Aus Kundenratstreffen, bei denen wir nur gelobt werden, können wir am wenigsten lernen.“
Die Kunden fragen: Muss soviel Obst und Gemüse in Plastik verpackt sein? (Zum Teil ja, weil es gesetzliche Vorschriften gibt.) Warum gibt es das Tegut-Eigenmarken-Wasser nicht in der Glasflasche? (Weil die Energiebilanz nicht eindeutig besser ist als bei Plastik und es nur noch so wenige Anbieter von Glasflaschen gibt.) Und könnten die Tiefkühltruhen nicht am Ende des Markts stehen, damit die Fischstäbchen nicht schon im Markt zu tauen anfangen? (Ginge schon, aber die Umbaukosten wären enorm.)
An vielen Themen arbeite man sowieso im Hintergrund, sagt Rutenberg. „Aber als direktes Feedback vom Kunden bekommt das für die Verantwortlichen immer noch einmal eine zusätzliche Bedeutung.“
Mitmachen kann fast jeder – wenn er sich vorher die Zeit nimmt, in ein paar Absätzen aufzuschreiben, was seine Motivation ist. Die Troll-Quote ist erstaunlich gering, bestätigt Rutenberg. Nur zum Nörgeln kommt eigentlich keiner. Viele Mitglieder beschäftigen sich sowieso kritisch mit der Qualität von Lebensmitteln und wollen mehr wissen über den Umgang mit Tieren und über die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter – all die Punkte, zu denen sich der Handel in den vergangenen Jahren immer wieder erklären musste. Das hat offensichtlich Wirkung hinterlassen.
Lohn gibt es keinen, aber Bio-Obst für den kleinen Hunger zwischendurch („positionierungskonform“, sagt Rutenberg) und zum Schluss eine Tüte mit Eigenmarken als Dankeschön für Zeit und Kritik.
Dass sich ein Konkurrent einschleicht, um frühzeitig die neusten Tegut-Pläne zu erfahren, macht dem Tegut-Manager keine Sorgen. Im Handel sei es sowieso schwierig, längere Zeit geheimzuhalten, was man vorhabe. „Der Wettbewerb erfährt sehr schnell, was man vorhat.“
Den Kunden zu vermitteln, dass nicht von heute auf morgen der komplette Laden umgeschmissen werden kann, gehört zu den schwierigsten Aufgaben. Wenn die Einkaufswagen dreckig waren, lässt sich das schnell beheben. Manche Änderungen brauchen aber ihre Zeit. Nicht alle Anregungen lassen sich so einfach realisieren, sagt Rutenberg, aber wenn die Chefs wissen, was die Leute denken, die bei Tegut einkaufen, fließt das automatisch in die nächsten Entscheidungen mit ein.
Und wenn sich bald noch jemand über den Konsum von Heißgetränken im Eingangsbereich beschwert – wer weiß: vielleicht ist auch dieser unbeugsame Kaffeeautomat im Eingangsbereich bald Geschichte.
Fotos: Edeka Hieber, Supermarktblog
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Hiebers Geschäfte laufen gut,...
Hiebers Geschäfte laufen gut, davon habe ich mich schon persönlich überzeugt. Ein Grund ist allerdings, dass die Mehrzahl vorwiegend an der Grenze zur Schweiz liegen. Insbesondere in Grenzach, Hiebers „Flaggschiff“, kann man die Autos aus Basel kaum noch zählen. Lage ist eben doch alles.
Unabhängig davon: Kundenbeirat ist eine gute Idee!
Das ist 'ne tolle Idee. Aber...
Das ist ’ne tolle Idee. Aber das geht wohl nur unter den bedingungen wie oben geschildert. Es scheint ’ne absolute Ausnahme zu sein: man jümmert sich.
REWE: Wie oft hab ich mich schon nutzloc „beschwert“, das heißt, ich habe die einzige Dame im Laden (an der Kasse) nett angesprochen (man kennt sich ja inzwischen): Nämlich auf die idiotische Heavy-Metal-Pop-Musik die prompt beginnt, wenn ein neuer Kunde den Laden betritt, dazu gibt’s dann irgendwelche Durchsagen auf bestimmte Artikel, die niemanden interessieren und die man auch kaum versteht in der Riesenhalle.
Und wieso DIESE Musik? Diese riesige REWE-Halle liegt in einem Berliner Bezirk, der von mittelständischen Rentnern bevölkert ist. Die Musik ist slso total daneben, ohne Verstand.
Umso mehr gefiel mir dieser Marktleiter, wie er oben geschildert wird.
Aber es wird wohl leider eine Ausnahme bleiben. Wie so oft im Leben: Es ist so einfach, man muss sich nur ETWAS MÜHE GEBEN. Macht aber kaum jemand.
Schöne Idee das Konzept, mich...
Schöne Idee das Konzept, mich würde beispielsweise interessieren warum beim lokalen REWE 90% der Flaschen Einweg PET sind, die meistens eine deutlich schlechtere Ökobilanz als Mehrwegflaschen haben. Trotzdem scheinen bis auf wenige Ausnahmen (Adelholzener z. B.) inzwischen alle auf Einweg zu setzen, vielleicht weil man die Flaschen überall wieder loswird.
Im Prinzip ist doch ein...
Im Prinzip ist doch ein Kundenbeirat „nur“ eine Sonderform von Fokusgruppen und Ähnlichem, die sich vor allem durch ihre Langfristigkeit von diesen unterscheidet.
Es leuchtet auch ein, dass für den Erfolg Commitment von Kundenseite (Loyalität, etc.) unbedingt notwendig ist. Wenn es das Unternehmen nicht schafft, glaubwürdig zu vermitteln, dass die Meinungen der Kundenbeiräte ernst genommen und ggf. auch umgesetzt werden, dann ist das Projekt zum Scheitern verurteilt.
Insofern leuchtet es auch ein, dass sich dieses Konzept vor allem für Mittelständler (sei es mit eigener Kette wie Tegut, sei es als Genossenschaftsmitglied wie Hieber) eignet, die tatsächlich auf Grund der vergleichsweise überschaubaren Unternehmensgröße in der Lage sind, diese Voraussetzungen zu erfüllen.
<p>OT: spontane anregung...
OT: spontane anregung … wie wär’s den mit einer losen reihe über untergegangene supermarktketten aus den frühen tagen dieses geschäftsmodells im weitesten sinne oder übehaupt mit einem historischen überblick zur entwicklung des supermarktes in deutschland?
@westernworld: Guter...
@westernworld: Guter Vorschlag. Und: puh, viel Arbeit. Ich hab’s auf der Liste. Danke!
@westernworld Klasse...
@westernworld Klasse Idee!
Die genannten Beispiele finde ich sehr erfrischend, denn es muss nicht gleich immer eine hochwissenschaftliche Angelegenheit werden.
„[...] wie wär's den mit...
„[…] wie wär’s den mit einer losen Reihe über untergegangene Supermarktketten […] oder überhaupt mit einem historischen Überblick zur Entwicklung des Supermarktes in Deutschland?
Nicht vergessen dabei: Bantam Super.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-chronik-26-juni-1961/4323808.html“
Nicht vergessen dabei: Bantam Super
In West-Berlin eröffnet das zweite Lebensmittel-Discountergeschäft der Firma Bantam-Super in der Schöneberger Kolonnenstraße. Seit Mai gibt es bereits einen solchen Laden in der Bleibtreustraße nahe dem Kurfürstendamm. Der Verband Berliner Milch- und Lebensmittelkaufleute protestiert nun gegen den Billigverkauf und fordert den Großhandel auf, Bantam-Super nicht zu beliefern. Die neue Vertriebsart führe zu „anarchistischen Zuständen im Handel“.
Diese Konkurrenz sei „für die Pioniere des Handels, die Berlin nach Kriegsende mit aufbauen halfen, untragbar“. Der Discounter kontert, ein Lieferboykott sei nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verboten.
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46175466.html
Im Bantam Super hat immerhin schon Anfang der 60er sonnabends immerhin die Crème der 68er Rivita Knäckebrot eingekauft.
In meiner Erinnerung gab es nie wieder einen Discountladen, der sich mit dem Sortiment dermaßen von seinerer Konkurrenz positiv absetzte, wie einst Bantam Super. Sein Verschwinden war ein echter Verlust.
Aber auch nicht Vergessen: Konsum, geg, Esüdro und HO.