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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Ilse Aigner erklärt das Mindesthaltbarkeitsdatum zu Tode

| 18 Lesermeinungen

Um die Wegwerfrate von Lebensmitteln zu senken, startet die Politik eine Kampagne, die uns in Vorschulsprache beibringen soll, wie das Mindesthaltbarkeitsdatum richtig interpretiert werden muss. Stattdessen für eine verständlichere Kennzeichnung zu sorgen, kommt für die Ministerin nicht in Frage. Dabei wäre es höchste Zeit, den verkorksten Begriff loszuwerden.

Eins kann der Journalist und Filmemacher Valentin Thurn schon mal von sich behaupten: seine Arbeit zeigt Wirkung. Zumindest ist es ihm gelungen, mit seinem Film „Taste the Waste“, der im vergangenen Jahr ins Kino kam (Trailer ansehen), bei vielen Leuten ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass (nicht nur) in Deutschland zu viele Lebensmittel weggeschmissen werden, obwohl sie noch verwertet werden könnten.

Die Resonanzen waren so gewaltig, dass sie sogar zur Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz durchgedrungen sind. Um sich nicht nachsagen zu lassen, sie sei untätig geblieben, hat Ilse Aigner in dieser Woche eine „Informationskampagne“ unter dem Motto „Teller oder Tonne?“ gestartet.

Aigner hat bei der Uni Stuttgart eine Studie in Auftrag gegeben, um rauszukriegen, wieviele Lebensmittel in Deutschland tatsächlich weggeworfen werden. (Hat aber nicht viel gebracht, weil die Forscher nur bisher existente Ergebnisse ausgewertet und Supermarktblog gelesen haben.)

Sie hat Forsa meinungsumfragen lassen, dass viele Leute von dem Problem schon gehört und ihre Einkaufsgewohnheiten angepasst hätten.

Sie hat den Supermärkten das unglaubliche Opfer abgerungen, Infobroschüren in den Läden auszulegen.

Sie hat sich bei einem Presstermin mit eingeschweißtem Hack vor einem offenen Kühlschrank fotografieren lassen und dazu gelächelt.

Und sie hat dafür gesorgt, dass die Website ihres Ministeriums mit Erklärsätzen, schlechten Wortspielen („Jedes Mahl wertvoll“) und Gute-Laune-Verbrauchertipps geflutet wird, obwohl sie am Ende doch eigentlich nur eines kommunizieren möchte: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Wegwerfdatum – bevor man zuhause was wegwirft, sollte man mal nachsehen, ob es nicht noch in Ordnung ist.

Und Thurn ist immer noch nicht zufrieden. Wie kommt das?

Bild zu: Ilse Aigner erklärt das Mindesthaltbarkeitsdatum zu Tode

Wenn Sie erstmal einen Tipp wollen: Lesen Sie den Erklärschwall des Ministeriums bitte nicht – es sei denn, Sie lassen sich gerne so behandeln als würden Sie nächstes Jahr eingeschult. (Die Forderung nach einer „Sesamstraßen“-Kampagne zum Mindesthaltbarkeitsdatums, die im Herbst hier im Blog stand, war ein Scherz, Frau Ministerin!)

Sie brauchen künftig auch keinen „Augen-Nase-Zungen-Check“ machen, sondern können einfach die Folie vom Joghurt abziehen und nachschauen, ob darauf bereits ein grüner Flaum Party feiert. Sie müssen nicht „mit Resten zaubern“. Es reicht völlig, wenn Ihr Hirn tagsüber eingeschaltet bleibt. Vor allem aber: Lassen Sie sich bitte nicht davon einlullen, dass Aigner behauptet, das Mindesthaltbarkeitsdatum, das uns den ganzen Schlamassel eingebrockt hat, sei eine „verbraucherpolitische Errungenschaft“ und eine „wertvolle Orientierungshilfe“. Mit ihrer Kampagne beweist die Ministerin nämlich gerade recht beeindruckend das exakte Gegenteil.

Kein normaler Mensch hat bisher richtig interpretiert, was das Mindesthaltbarkeitsdatum überhaupt angibt – nämlich nur das Datum, bis zu dem der Hersteller garantiert, dass das gekaufte Produkt die gewohnte Form, Farbe und Konsistenz behält. Und nicht etwa, ob man’s danach wegschmeißen sollte.

Anders ist das mit dem Datum, das auf frisch abgepacktes Fleisch gedruckt ist. Das gibt an, dass man das Produkt danach auf keinen Fall mehr essen sollte, weil die Ware leicht verderblich ist.

Anstatt sich dafür einzusetzen, eine Kennzeichnung von Lebensmitteln zu erarbeiten, die ganz und gar unmissverständlich ist, „müssen Verbraucher nun Nachhilfestunden in der Deutung von Beamtenkauderwelsch über sich ergehen lassen“, schreibt die „Süddeutsche“ heute. Wobei: Das Problem ist ja gar nicht, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum besonders kauderwelschig wäre. Es wird nur seit seiner Einführung vor 30 Jahren kontinuierlich missverstanden.

Mal angenommen, ein Hersteller findet heraus, dass die Werbung für sein Produkt derart falsch interpretiert wird: Es wäre der sofortige Grund dafür, sich etwas völlig Neues auszudenken. Im Verbraucherschutz der Bundesregierung ist es hingegen der Anlass, eine vermutlich nicht ganz günstige Kampagne mit Infobroschüren, lächerlichen Klappkarten zum Ausdrucken und „interaktiven“ Videos zu starten (deren einzige Interaktivität darin besteht, sich am Ende des ersten Teils zum zweiten zu klicken), um 80 Millionen Menschen in die Birne zu hämmern, dass sie einen längst gescheiterten Begriff verdammtnochmal endlich richtig interpretieren sollen.

Wir kriegen das hier auch in einem Satz hin: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist das Datum, nach dem ein Lebensmittel vielleicht nicht mehr gut ist.

Wenn man die Aussagekraft des Begriffs aufs Wesentliche herunterbricht, sieht man schon, wie verkorkst er eigentlich ist.

* * *

Ach so, und was sagen die Supermärkte, in diesem Fall der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BLV), der Aigners Vorstoß unterstützt? (Vor allem, weil er den Händlern bis aufs Broschürenauslegen keinerlei ernsthafte Konsequenzen abverlangt.) Ganz einfach: BLV-Präsident Friedhelm Dornseifer erklärte am Montag bei der Kampagnenpräsentation, das Mindesthaltbarkeitsdatum habe sich „bewährt“, eine Umbenennung halte er nicht für sinnvoll.

Hoffentlich sagt dem Mann noch mal jemand, warum er da überhaupt stand.

Foto: Supermarktblog

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18 Lesermeinungen

  1. hanswurst sagt:

    In meinem tegut-Supermarkt...
    In meinem tegut-Supermarkt werden seit langem Waren, deren Mindesthaltbarkeitsdatum bald erreicht ist, in einer separaten Truhe reduziert angeboten. Viele Kunden haben es schätzen gelernt, so günstige Produkte zu erwerben, die sie sonst wegen des Preises kaum kaufen würden. Käseliebhaber erwischen hier ihren Brie im perfekten Reifegrad, den die frischen Waren noch lange nicht erreicht haben.
    Als ich neulich hier eine Salami entdeckte und sie höchst erfreut über das Schnäppchen auf’s Band legte, nahm die Kassiererin nach Blick auf das Mindesthaltbarkeitsdatum mir die Salami weg, mit der Bemerkung, die dürfe sie mir nicht mehr verkaufen, da das Mindesthaltbarkeitsdatum mit dem heutigen Tag überschritten sei. Meine Frage, was mit dieser einwandfreien Wurst nun geschehen solle, beantwortete sie mit einem Wort: „Abfall“! Es schien sie nicht weiter zu irritieren.

  2. Tja, mag sein, dass das...
    Tja, mag sein, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum das Datum ist, nachdem das Lebensmittel vielleicht nicht mehr verzehrbar ist. Aaaaber: Nach all den Reportagen über Keime im Lachs, noch vor Ablauf des MHD, muss sich eigentlich keiner wundern, dass die Leute vorsichtig sind. Man kann es eben nicht immer riechen oder sehen, ob etwas nicht mehr ganz gut ist – und manchmal werden Lebensmittel schon schlecht, bevor der Tag des MHD anbricht, weil nämlich illusorische Kühlwerte angenommen werden (4 ° ohne Unterbrechung der Kühlkette).
    Vielleicht wären zwei verschiedene MHDs sinnvoller, so wie im Ausland: Ein „Best before“ und ein „Zu verkaufen bis“? Wo habe ich das bloss gesehen, war’s in den U.S.A., oder England?

  3. Uli sagt:

    Die meisten Leute wissen...
    Die meisten Leute wissen wahrscheinlich längst was es mit dem MHD auf sich hat, aber dann kommt z. B. die abgebildete H-Milch daher die eben nicht sauer wird wenn sie schlecht geworden ist. Also steht man wieder da und versucht sich zu erinnern wie lange die wohl schon im Kühlschrank steht und schmeißt die Milch im Zweifel in den Müll.
    Die Verkürzung der gesamten Problematik auf das MHD halte ich für wenig zielführend, das ist nur ein Faktor von vielen und wahrscheinlich bei weitem nicht der größte.

  4. pschader sagt:

    @Uli: Welche Faktoren wären...
    @Uli: Welche Faktoren wären Ihnen denn noch wichtig?

  5. Uli sagt:

    Zum Beispiel die Lebensmittel...
    Zum Beispiel die Lebensmittel die gar nicht erst in den Handeln kommen weil der Apfel nicht grün genug ist oder die Kartoffel zu klein. Dazu die Bäckereien die „frisch bis Ladenschluss backen“ (und danach tonnenweise Brot wegwerfen) oder die 78 Sorten Joghurt im Supermarkt die gar nicht alle rechtzeitig verkauft werden können.
    Der gigantische Beifang bei Fisch oder das Verbot vom „containern“ wären auch noch wichtige Punkte, ebenso das man in der EU Essensreste inzwischen nicht mehr zu Tierfutter verarbeiten darf (Stichwort Seuchengefahr). Frau Aigner ist ja angeblich auch Landwirtschaftsministerin.

  6. Hildegard sagt:

    Ilse Aigner´s...
    Ilse Aigner´s „MHD-Syndrom“ geht mir allmählich auf die Nerven. Soll sie sich um die Lebensmittel kümmern, die aufgrund ihrer Minderwertigkeit in der Restmülltonne wandern, im Klo (noch bevor die Verdauung angefangen hat) .. oder einfach nur ungenießbar sind.
    Ich glaube, Frau Aigner eignet sich nicht für den Posten, der ihr quasi als Rest-Posten von Herrn Seehofer übergeben wurde.
    Hm, vielleicht ist sie es ja, die überfällig ist, wer weiß.. Sevus Ilse, machs guat.

  7. Petra sagt:

    Arme Ilse! - Immer dieses...
    Arme Ilse! – Immer dieses Aigner-Bashing!
    Tatsächlich zielt ihre Kampagne auf die Eigenverantwortung des Verbrauchers, und das ist auch gut so.
    Was sie konsequent vermeidet, ist an die Allgemeinverantwortung der Lebensmittelproduzenten zu appellieren. Kein Verbraucher blickt mehr durch bei den ständig neuen „und jetzt endlich für alle“ Bio- oder sonstigen Labeln. Und die Seite von Lebensmittelklarheit enthält tatsächlich nur das, was man auf den ersten Blick teilweise schon im Laden erkennen kann.
    Aber um zu wissen, wo mein Kotelett herkommt, muss ich mich schon in die Tiefen des Internets begeben. Darüber hätte ich gern mehr Klarheit, liebe Frau Aigner!!

  8. CaoKy60 sagt:

    Der allerbeste Film zum Thema...
    Der allerbeste Film zum Thema MHD ist Wong Kar-wei’s „Chungking Express“ (1994). Um ueber eine verflossene Liebesbeziehung zu kommen, isst der Polizist He Qiwu jeden Tag im April bis zu seinem Geburtstag am 1.Mai eine Dose Ananas, die genau an diesem Tag verfaellt :-). — Was mir am besten gefaellt ist die Uhrzeit beim MHD – die im Blog abgebildete H-Milch kann also am 16.4. um 2:20 Uhr frueh schon schlecht sein – also bitte bis 2:19 Uhr austrinken!!

  9. Su sagt:

    Erstens kommt die aktuelle...
    Erstens kommt die aktuelle Kampagne der Ministerin für diejenigen, die Print oder Fernsehen verfolgen, zu spät.
    Schon im Oktober 2010 hat die ARD einen Film von Valentin Thurn zur Vernichtungsproblematik ausgestrahlt („Frisch auf den Müll, Die globale Lebensmittelverschwendung“). Der dadurch schokierte und aufgerüttelte Zuschauer musste aber danach selber zusehen, was er gegen das gewaltige Problem tun konnte (außer der individuellen Vermeidung von Müll nichts wenn man das containern ausnahm und man keiner foodcoop angehörte. In einem gutem Haushalt wird aber ohnehin kein Essen weggeworfen).
    Zweitens braucht es keine monatelange Überlegungs- und Wartefrist um am Ende zu dem Schluss zu kommen, dass einige Verbaucher über die Bedeutung des MHD aufgeklärt werden müssen. Darüber haben im übrigen die Medien schon längst aufgeklärt.
    Drittens soll die Ministerin effektive und vor allem umfassende politische Maßnahmen treffen. Dafür wird sie schließlich bezahlt.

  10. Epicurea sagt:

    ohne die ganze kampagne zu...
    ohne die ganze kampagne zu sehr in schutz nehmen zu wollen, muss aber doch auch gesagt werden, dass sie nach jahren, in denen schlagzeilen von einem lebensmittelskandal zum naechsten gepraegt waren (@mama arbeitet – ja man kann wirklich angst bekommen), immerhin mal wieder die leute dafuer sensibilisiert, wie viel eigentlich verschwendet und weggeworfen wird. und anscheinend gibt es tatsaechlich viele auf sesamstrassen-niveau, was die kenntnis frischer lebensmittel angeht.

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