Supermarktblog

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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Süßigkeiten-Bescherung: Brandnooz verschickt neue Lebensmittel per Abo-Box

| 15 Lesermeinungen

Einmal im Monat schickt das Hamburger Start-up Brandnooz eine Box mit Lebensmitteln, die gerade auf den Markt gekommen sind, an seine Abonnenten. Die Hersteller erhoffen sich ein Feedback der Kunden und wollen sich ein Stück weit von den Supermärkten emanzipieren. Schade, dass das bisher nur mit Süßkram und Fertigessen klappt.

Als die ersten Tester Anfang Mai ihre Urteile veröffentlichten, war der kleine Milchreis-Eklat nicht mehr aufzuhalten: „Sieht aus wie Milchreis, schmeckt nach nichts“, schrieb einer. Ein anderer bemängelte „ekligen Geruch“. „Nicht cremig genug“ und „geschmacksneutral“ kritisierten die nächsten. Weniger höfliche Bewertungen lauteten: „muffig“, „pappig“ und „abartig“. Am Ende aber waren sich die meisten Kommentatoren einig: „Kaufen würd‘ ich mir das nicht.“ Spätestens da muss den Marketingleuten von Reis Fit klar geworden sein, dass ihr neuer Milchreis für die Mikrowelle im Supermarkt kein besonders großer Hit werden würde.

Die Entwickler bedankten sich höflich bei den Testern für ihre Einschätzung und erklärten, diese ernst nehmen zu wollen:

„Daher arbeiten wir aktuell mit Hochdruck an einer verbesserten Rezeptur, um den Milchreis so zu gestalten wir ihr es euch gewünscht habt.“

Mit einer derart brutalen Ehrlichkeit der Konsumenten haben Danielle Fontaniello und Johannes Nielsen vielleicht nicht gerechnet, als sie vor drei Jahren ihr Start-up Brandnooz für so genanntes „Empfehlungsmarketing“ gründeten. („Brand“ steht für Marke, „nooz“ ist die hippe Schreibweise für „News“.) Aber zumindest zeigt der kleine Milchreis-Eklat, dass ihre Idee funktioniert. In manchen Fällen halt nur anders als gedacht.

Fontaniello hat bei Coca Cola im Marketing gearbeitet, Nielsen war Fachverkäufer in der Lebensmittelabteilung des KaDeWe, und ihre ursprüngliche Idee ist eine Art online-basiertes Vorkostersystem für Neugierige, das gleichzeitig als Promotionplattform für Hersteller funktioniert.

Regelmäßig verschickt Brandnooz Kostproben an Leute, die sich nachher dazu befragen lassen, ob’s ihnen geschmeckt hat. Seit April geht das auch per Abo: mit der Brandnooz-Box. Für zehn Euro wird einmal im Monat ein Paket mit ungefähr zehn neuen Produkten geliefert. Drin ist zum Beispiel: ein neuer Fruchtdrink, eine Kekssorte oder ein ungewöhnlicher Snack. In einer Online-Umfrage erkundigt sich Brandnooz nachher, was gut angekommen ist und ob die Tester ein Produkt wiederkaufen oder sogar weiterempfehlen würden.

Bild zu: Süßigkeiten-Bescherung: Brandnooz verschickt neue Lebensmittel per Abo-Box

Nielsen sagt: „Wir bieten den Verbrauchern die Möglichkeit, neue Produkte auszuprobieren, und den Unternehmen den Zugang zu einer konsumfreudigen und meinungsführenden Zielgruppe, die bereit ist, im Monat 10 Euro auszugeben, um sich überraschen zu lassen.“

Und um danach damit bei Freunden und Arbeitskollegen anzugeben. Zumindest kalkulieren die Hersteller damit, dass die Testesser unbewusst zu „Markenbotschaftern“ werden. (So hat’s die „Lebensmittelzeitung“ formuliert.) 15 Cent zahlt ein Unternehmen pro Paket, um ein neues Produkt in der Box zu platzieren. Wenn es eine etwas ausführlichere Marktforschung im Anschluss sein soll, auch mehr. Derzeit haben 3000 Neugierige die Box abonniert.

Für Markenhersteller werden solche Wege der Kundenansprache immer wichtiger. Nicht nur, um rauszukriegen, ob ihr Milchreis ein Flop ist. Sondern, um überhaupt eine Chance zu haben, ein neues Produkt zu etablieren.

Jährlich kommen in Deutschland laut GfK etwa 30.000 neue Produkte auf den Markt. 70 Prozent davon sind ein Jahr später gefloppt. Die GfK weiß auch, wie sich das vermeiden lässt: Indem ein Hersteller die so genannten „Innovatoren“ unter den Kunden für sich gewinnt. Und indem er alles unternimmt, sein Produkt möglichst schnell an möglichst vielen Stellen verfügbar zu machen. Das Problem ist nur: In den meisten Supermärkten ist gar nicht genug Platz, um 600 neue Produkte pro Woche in die Regale zu stellen. Viele Ketten verringern den Platz für Markenprodukte sogar, weil sie ihren Eigenmarken den Vorzug geben.

Die Markenhersteller müssen sich deshalb neu überlegen, wie sie ihre Produkte verkaufen können. Zum Beispiel online. Nestlé versucht es mit seinem „Marktplatz“. Für den mittelständischen Quark-Produzenten würde es sich aber kaum lohnen, eine eigene Seite aufzubauen. Der bräuchte eine Plattform, die herstellerübergreifend funktioniert. Start-up-Gründer Fontaniello macht kein Geheimnis daraus, dass es seinem Start-up genau darum geht: „Unser Ziel ist es, dass die Produkte aus der Box auch über Brandnooz im Internet gekauft werden können.“

Zunächst einmal soll aber der Abonnentenkreis erweitert werden. An kreativen Ideen dafür mangelt es schon mal nicht. Geplant ist unter anderem eine Themen-Box, bei der die Produkte alle zueinander passen. Im Oktober wird erstmals eine Kühl-Box über einen Spezialversender verschickt, deren Inhalt von Kühlpads frischgehalten wird, die sich wiederverwerten lassen. Zumindest wenn die Lieferung wie versprochen innerhalb von 24 Stunden klappt.

Bisher hapert’s daran noch sehr. Offensichtlich kriegt es der beauftragte Lieferdienst Hermes bisher nur selten hin, die Boxen alle einigermaßen rechtzeitig zu ihren Empfängern zu bringen. Wer nicht zuhause ist und das Pech hat, seine Box beim Nachbarn abholen zu müssen, kann zufrieden sein, wenn er sich nicht wegen einer fehlenden Benachrichtigung über eine teure 0900er-Nummer bei Hermes Auskunft über den Abgabeort erbetteln muss. Bei Facebook ärgern sich Abonnenten darüber, dass ihre Lieferung spät dran ist und sie dann schon von anderen Nutzern wissen, was drin steckt.

Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil die Box als „Wundertüte“ funktionieren soll, wie Nielsen es formuliert: „Es weiß niemand vorher, was drin ist. Für viele ist das deshalb jedes Mal wie Geschenkeauspacken zu Weihnachten.“ Diese Emotionalität sei der Branche abhanden gekommen. „Im Supermarkt gehen die Leute ihre Liste mit den üblichen Produkten durch, und für viele Hersteller ist es ungeheuer schwer, überhaupt auf den Einkaufszettel zu kommen.“

Selbst wenn die Chancen mit dem Probierabo steigen: Als schmatzend vor sich hinplapperende Reklametafeln wollen sich die Abonnenten trotz des Geschenkekitzels auch nicht behandeln lassen. Im Gegenteil: Die „meinungsführende Zielgruppe“, die sich Brandnooz geangelt hat, schaut ziemlich genau hin und ist sehr kritisch.

Bereits nach der ersten Box gab es Beschwerden in Blogs (hier, hier und hier zum Beispiel), dass viele Produkte überhaupt nicht neu seien, sondern schon seit Monaten auf dem Markt. Fontaniello und Nielsen haben reagiert und schreiben seitdem den exakten Regalstart auf die beiliegenden Übersichtskarten. Damit sich niemand übers Ohr gehauen fühlt. An der Kombination soll sich aber nichts ändern. „Rechtlich gesehen darf ein Produkt sechs Monate lang als ’neu‘ bezeichnet werden“, sagt Fontaniello. „Aber oft ist es so, dass die meisten Leute das Produkt in diesem Zeitraum noch nie in der Hand hatten. Oft dauert es Jahre, bis etwas Neues überall verfügbar ist.“ Sein Geschäftspartner erklärt: „Die Hersteller haben natürlich auch ein Interesse daran, Produkte in die Box zu bringen, die es schon zu kaufen gibt, um deren Absatz zu steigern.“ Inzwischen werden solche Produkte als „Tipp“ gekennzeichnet. (Und das Versprechen „Immer als Erster probieren“ ist in „Immer etwas Neues probieren“ verändert worden.)

So richtig klar ist nicht, wer im Geschäftsmodell der Brandnooz-Gründer den Vorrang hat: Werden die neuen Produkte der Hersteller an die Kunden verkauft – oder doch zuerst die Kunden an die Hersteller? Wahrscheinlich besteht die Kunst darin, beiden Seiten zu vermitteln, das Angebot richte sich jeweils ganz nach ihren Bedürfnissen.

Fontaniello und Nielsen riskieren in jedem Fall, mit ihrer Box als verlängerter Arm der Industrie dazustehen, wenn sie dabei assistieren, neue Trends im Markt durchzudrücken. In den ersten drei Brandnooz-Boxen waren stets Produkte, die das erst kürzlich in der EU zugelassene Süßungsmittel Stevia enthalten, das zwar kalorienarm ist, aber – unter anderem wegen seines Eigengeschmacks und Diskussionen über mögliche Risiken – kein besonders gutes Image bei den Verbrauchern hat. Die Industrie will Stevia trotzdem durchsetzen. Und Brandnooz liefert die Testgelegenheiten dazu: die Stevia-Halsbonbons, das Stevia-Süßungspulver, die Stevia-Marmelade.

Noch ein Problem ist, dass Brandnooz bei den Empfängern schnell als Fast-Food- und Süßigkeiten-Box abgehakt werden könnte: weil bisher vor allem Zeug drinsteckte, das sich die Industrie in ihren Labors zusammenbraut. Einen Beitrag zur Debatte über gesunde Ernährung leistet Brandnooz mit Kaugummivariationen, Mikrowellenfutter und bunt verpackten Zuckerdrinks jedenfalls nicht. Das wird kaum ausreichen, um die Abonnenten dauerhaft zu halten. Weil man nach dem Probieren jedes Mal einen Tag Obstkur einlegen möchte, um den ganzen Zucker und die Geschmacksverstärker auszunüchtern. „Wichtig ist für uns vor allem, dass es emotionale Produkte sind – und die sind natürlich stärker mit Lebensmitteln verbunden, die für Genuss stehen“, erklärt Nielsen, ergänzt aber, dass das auch Bio-Lebensmittel leisten könnten. Eine Bio-Themenbox wäre zumindest eine willkommene Abwechslung. Weil Ehrlichkeit und Transparenz bei der Produktion offensichtlich auch für viele Tester ein großes Thema sind.

Das hat jedenfalls der Reis-Hersteller Gallo zu spüren bekommen, dessen Fertigrisotto der Juni-Box beigelegt war. Auf der Packung warb Gallo damit, ohne Zusatz von Mononatriumglutamat auszukommen. Weil in der Zutatenliste auf der Packungsseite aber Hefeextrakt aufgeführt ist, das denselben Effekt wie künstliche Geschmacksverstärker erzielt, fühlten sich viele Brandnooz-Tester veräppelt und brachten das in ihren Online-Bewertungen entsprechend zum Ausdruck.

Die Industrie sollte solche Kommentare ernst nehmen. Vielleicht ist die Brandnooz-Box für sie ja nicht nur eine Möglichkeit, neue Produkte zu etablieren und sich ein Stück von den Supermärkten zu emanzipieren – sondern auch eine Chance, endlich zu erkennen, dass die Konsumenten ernst genommen werden wollen und sich nur ungern täuschen lassen.

Foto: Supermarktblog

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15 Lesermeinungen

  1. Petra sagt:

    Mich ärgert an dieser Box,...
    Mich ärgert an dieser Box, dass man auch noch 10 € bezahlen soll um sich im Dienste der Allgemeinheit den Magen zu ruinieren
    Als Produktester bei einzelnen Firmen gibt es sogar noch Geld dafür..

  2. Uli sagt:

    Bei sowas wie dem Nestlé...
    Bei sowas wie dem Nestlé „Marktplatz“ bin ich ja immer skeptisch wie man sich Spinner und Trolle vom Hals halten will. Ich erinnere mich da an ein „Schmeckt lecker nach Hähnchen“ Design für ein Geschirrspülmittel und an eine „Currywurst ist SPD“ Crowdsourcing Aktion.
    Nicht jedes Feedback ist auch wirklich wertvoll und wenn der Milchreis Hersteller fragt was man ändern soll, kommen vielleicht auch bald Vorschläge es solle mehr nach Hähnchen schmecken…

  3. dr_goldmann sagt:

    die produkte sind schön...
    die produkte sind schön verpackt, das gefällt. zehn euro inkl. versand für produkte, die um die zehn euro warenwert haben, scheint mir ein guter deal. zu stevia: nicht alles mit stevia gesüsste schmeckt top, aber ich hatte neulich lutschbonbons im paket, die mich überzeugt haben und die ich jetzt auch so kaufe.
    die box ist einfach eine nette alltagsüberraschung in zeiten, wo dir jeder unserer lieben europäischen freunde täglich die letzten kröten aus der tasche ziehen will. ausserdem gibt es den laden noch nicht so lange, dafür ist der erreichte level absolut okay. die faz war auch nicht von anfang an die zeitung, hinter der „immer“ die klugen köpfe steckten. also weg mit dem pessimismus und stattdessen immer schön her mit den kleinen überraschungen. mein gehirn braucht übrigens zucker, und zwar viel davon.

  4. CaoKy60 sagt:

    Grundsaetzlich eine...
    Grundsaetzlich eine hervorragende Idee. Das Problem wird sein, den Kunden, die durch ihr Abonnement ihren Wunsch nach immer etwas Neuem signalisieren, auch Monat fuer Monat eine Ueberraschung zu bieten. Denn wenn die Brandnooz Box nicht mehr neu sondern selber Alltag wird, erloescht ihr Konzept. Fuer diese Art Marktforschung auch Geld zu verlangen ist doch eine tolle Ausweitung des „crowd sourcing“ :).

  5. Carsten sagt:

    Hallo Peer,

    es ist schade das...
    Hallo Peer,
    es ist schade das du nicht auch daraufhingewiesen hast das man dort auch Produkte kostenlos Testen kann und auch auf Wunsch Gratisproben erhält etc. Ich bin dort Box Kunde und gebe dir in einem Recht die Industrie Verschenkt viel Potential wenn sie dort Produkte versenden Lässt die bereits im Handel sind. Von den „Tip“ hatte ich schon 90% vorher im Handel selber erworben.
    Liebe Grüße
    Carsten

  6. pschader sagt:

    @Carsten: Es ging mir explizit...
    @Carsten: Es ging mir explizit um die Box, weil die das supermarktblogrelevantere Thema ist.

  7. René sagt:

    @Peer
    Handelt es sich bei den...

    @Peer
    Handelt es sich bei den 30.000 Neu-Artikel nur um Lebensmittel, und wenn ja, hast du eine grobe Verteilung? Ich habe so den Eindruck, daß es sich zu 50% um Süßkram und Bier-Mix-Getränke handelt.

  8. Geniale Geschäftsidee …...
    Geniale Geschäftsidee … Klingt nach einer Win-Win-Win-Situation 😉 … 1) Markenhersteller können ihre Produkte für ein Appel und ein Ei bei experimentier- und zahlungswilligen Kunden platzieren, 2) Kunden bekommen ihren Das-ist-Neu- und Ich-bin-der-erste-Kick für weniger als zwei Schachteln Zigaretten pro Monat und 3) Brandnooz kassiert kräftig von beiden … Wenn ich im Kopf richtig nachrechne, dürfte der Mindestumsatz mit 3.000 Kunden bei ca. 414.000 Euro pro Jahr liegen … Chapeau, Daniele und Johannes!

  9. pschader sagt:

    @René: Nein, nicht nur...
    @René: Nein, nicht nur Lebensmittel, sondern alles (soweit ich das verstanden habe). Spezifizierungen gibt es ganz sicher, aber die würde die GfK vermutlich gerne teuer verkaufen.

  10. Stefan G sagt:

    Eine durchaus lustige Idee,...
    Eine durchaus lustige Idee, wenn wir immer auf dem laufenden bleiben wollen, welches neue Designerfood, mit fast natürlichen Aromastoffen, es denn schon wieder auf dem Markt gibt.
    Wie wäre es denn einfach mal jeden Monat 10,00 EUR beim Bauern um die Ecke oder beim Gemüsehändler auszugeben, um neue Lebensmittel auszuprobieren, die man selber zubereiten kann und muss. Irgendiwe geht die Esskultur immer weiter den Bach runter und Dank der Werbung glauben Kinder dann dass Erdbeeren so schmecken, wie in den Fruchtzwergen. Das das aber mit der Realität nichts zu tun hat, sondern nur Zucker und künstliche Aromastoffe sind, werden Sie vielleicht erst viel später erfahren.
    Kauft euch doch lieber ein vernünftiges Kochmesser und habt wieder Spass daran mit Freunden oder der Familie die Esskultur des „wir kochen zusammen, was wir hinterher geniessen“ zum Leben zu erwecken.
    Ich kann sehr gut ohne ein solches Abo leben.
    So und jetzt erwarte ich ordentliche verbale Kloppe…

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