Wenn der Chef eines Unternehmens nicht an die eigene Strategie glaubt, dann muss in seinem Laden irgendwas Grundlegendes falsch laufen. Aber wahrscheinlich war die „Süddeutsche Zeitung“ in der vergangenen Woche zu beschäftigt damit, Karl-Erivan Haub zu seinen Laufrekorden, seinem Sozialengagment im Obdachlosencafé und seiner „Gospel-Leidenschaft“ zu befragen, um zu bemerken, was der Tengelmann-Geschäftsführer da Kurioses ausplauderte. Auf die Frage, ob er dem Online-Handel mit Lebensmitteln in Deutschland eine Chance gebe, sagte Haub:
„Keine große jedenfalls.“
Das ist schon deshalb ein ganz beachtliches Zitat, weil Tengelmann seinen Lieferdienst erst vor zwei Monaten als „Die Bringmeister“ aufgepeppt und auch nach Düsseldorf gebracht hat – offensichtlich aber ohne Haub Bescheid zu sagen. Der lieferte in der „SZ“ auch gleich eine Erklärung dafür, warum das mit den Online-Lebensmitteln nicht klappt:
„Wir sind mit einem Lieferservice seit vielen Jahren in Berlin und München tätig. Das ist ein ganz schwieriges Geschäft. Joghurts, Milch, Butter – viele Produkte müssen gekühlt werden. Und was machen Sie damit, wenn der Besteller nicht zu Hause ist?“
Vielleicht wird es Zeit, dass Haub sich aus der „respekteinflößenden“ („SZ“) Konzernzentrale in Mülheim mal nach Berlin oder München bewegt. Dort könnte er sich die kleinen Transporter ansehen, mit denen seine Mitarbeiter die Lebensmittel an die Kunden ausfahren, und sich davon überzeugen, dass das mit der Kühlung gar kein so großes Problem ist. Die Fahrer besitzen sogar Handys, mit denen sie ihre Kunden anrufen können, damit nichts liegenbleibt. Die eigentliche Lieferung ist, wie an dieser Stelle in der vergangenen Woche schon mal stand, das geringste Problem des Tengelmann-Bringdiensts. Viel problematischer sind die miserable Online-Seite, der ruppige Kundenumgang, der Medienbruch zwischen Online und Telefon für Nachbestellungen und der heimliche Preisaufschlag auf jeden einzelnen Bestellposten.
Wenn Haub seinen „Bringmeistern“ also schon „keine große“ Chance gibt, wär’s ganz nützlich, wenn er wenigstens die richtigen Gründe dafür kennen würde. Bisher sieht es nicht so aus, dass man sich im Unternehmen der vielen kleinen Probleme bewusst ist, die den Lebensmittel-Einkauf bei den „Bringmeistern“ für viele Kunden momentan so unattraktiv machen.
Viel lieber redet Haub über seine Online-Beteiligung am Schuhbringdienst Zalando, den Erfolg seiner Billigtextilienkette Kik oder die Ergebnisse von Obi. Wie’s den klassischen Supermärkten geht, hat die „SZ“ in ihrem Gespräch erst gar nicht interessiert. Dabei ist das durchaus erzählenswert. Mitte Juli hat Tengelmann nämlich die Bilanzzahlen fürs vergangene Geschäftsjahr bekannt gegeben, und dabei auch einen Umsatzrückgang für seine Supermarktsparte. Der sei immer noch darauf zurückzuführen, dass sämtliche Läden in der Region Rhein-Main-Neckar an Rewe und Tegut verkauft wurden, heißt es in der Zentrale. Rechnet man diesen Effekt raus, „habe das Unternehmen dagegen den Umsatz des Vorjahres erreicht“, meldete die „Lebensmittelzeitung“.
Das hört sich erstmal gut an, ist aber ein Problem – weil nämlich die Konkurrenz überhaupt nicht daran denkt, bloß die Vorjahresumsätze zu erreichen.
Laut „GfK Consumer-Scan“ legt der Umsatz der klassischen Supermärkte derzeit massiv zu und wächst deutlich stärker als bei den Discountern. (Im ersten Halbjahr 2012 um 4 Prozent.) Als Grund nennt die GfK unter anderem die Innovationsfreudigkeit von Rewe und Edeka. Das Problem ist: Tengelmann ist davon meilenweit entfernt und kriegt vom Schwung vielleicht gar nichts ab.
Kaiser’s Tengelmann solle als „Qualitäts- und Frischesupermarkt“ positioniert werden, sagt Haub – und merkt nicht, dass das für die meisten Kunden längst eine Selbstverständlichkeit ist, weil sie sonst ja auch zum Discounter gehen können. Rewe und Edeka haben das verstanden und versuchen sich zusätzlich zu profilieren: Edeka über das große Sortiment, die persönliche Kundenansprache, eine besondere Markenauswahl; und Rewe durch eine Flut an Eigenmarken, die alle möglichen Spezialinteressen abdecken. Kaiser’s Tengelmann kann nichts davon vorweisen. Das Eigenmarkensortiment ist klein und reicht vielleicht, um sich mit Grundnahrungsmitteln einzudecken, aber noch lange nicht als Argument, um wiederzukommen. Neu eröffnete Läden sehen zwar schick aus, aber vor lauter Mittelinseln und Aktionsstapelhürden wird der Einkauf darin zur Geduldsprobe.
Kaiser’s Tengelmann hat seine Märkte gerade so viel wie nötig an moderne Einkaufsgewohnheiten angepasst. Die Standards setzt meist die Konkurrenz. Das reicht vielleicht, um eine Weile als akzeptable Einkaufsalternative durchzuhalten. Aber wenn jetzt jemand fragen würde, ob Tengelmann mit dieser Strategie eine Chance hat, sich langfristig gegen Edeka und Rewe zu behaupten, müsste die Antwort lauten:
Keine große jedenfalls.
Foto: Supermarktblog
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Wo gibt es das Interview denn...
Wo gibt es das Interview denn zu lesen?
@Uli: Die "SZ" hat's leider...
@Uli: Die „SZ“ hat’s leider nicht frei online gestellt.
Schade, hatte ich mir fast...
Schade, hatte ich mir fast schon gedacht.
Ziemlich dämlich vom...
Ziemlich dämlich vom Tengelmann-Chef, die aktuelle Entwicklung zu verschlafen. Ich kenne Kaisers/Tengelmann noch gut aus meiner Zeit in Aachen vor 2001 – und damals war es praktisch die einzige positive, grosse Alternative zu den versifften Discountern wie PLUS oder dem Minimalismus von Aldi. Die lokalen EDEKA Läden waren eher der legitime Nachfolger der vielbeweinten Tante-Emma-Läden.
Wenn die Erfahrung repräsentativ war (was ich nicht weiss), hat Tengelmann gute Chancen aber richtig gründlich verschlafen. Denn aufgrund seiner Sonderstellung konnte der lokale KAISERs deutliche Preisaufschläge verlangen. Und bekam sie.
Gruss,
Thorsten Haupts
Nicht nur bei den...
Nicht nur bei den Supermärkten, sondern in vielen Branchen werden noch ein paar Leute aufwachen müssen.
Die Frage ist doch erst...
Die Frage ist doch erst einmal, ob so eine „große Zukunft“ außerhalb von Nischenmärkten wie der Belieferung von z.B. von irgendwie in ihrer Beweglichkeit eingeschränkter Personen überhaupt erforderlich oder wünschenswert wäre.
Eine „große Zukunft“ würde eher dazu führen, daß Lieferungen von wenigen Zentrallagern aus erfolgen würden, was dann zu Lasten der flächendeckenden Filialnetze gehen und einer erschweten Erreichbarkeit für den Kunden führen würde – diesen also im Ergebnis abhängiger machen würde.
Irgendwie erinnert mich das an die Zeit, als die Menschen Digitaluhren noch für eine wahnsinnig tolle Erfindung hielten und jedes auch nur halbwegs geeignete Produkt mit einer ausstatteten…
Der Aussage, dass der...
Der Aussage, dass der Lebensmittelverteib per Internet zumindest mittelfristig keine grosse Zukunft hat würde ich mich vorbehaltlos anschliessen.
Bisher ist jeder versuch des Online-Lebensmittelvertriebs meilenweit davon entfernt dass abbilden zu können, was die Kunden jeden Tag im Supermarkt machen: Inhaltstoffe von Fruchtjoghurts anschauen, Optik/Haptik/Geruch von Bananen, Klopapier oder Toastbrot vergleichen oder sich vom Werbetext der Marmelade (samtig, furchtig, streichzart, frühlingsfrisch…) einlullen lassen.
Wie auch immer, Kaisers/Tengelmann hat in der Tat im Supermarktgeschäft die Zeichen der Zeit wirklich ziemlich verschlafen und hat absolut kein Alleinstellungsmerkmal.
Grade für eine Kette, die nur noch lokal begrenzt aktiv ist und daher nicht mit bundesweiten Werbekampagnen auf sich aufmarksam machen kann (bzw. nicht unbedingt sollte, von wegen Preis/Leistung etc.) ist das natürlich ein ziemliches Problem.
Ein interessanter aktueller...
Ein interessanter aktueller Text über die Situation in der Schweiz mit dem Titel „Reifer Online-Lebensmittelhandel sucht Wachstumsimpuls“.
https://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsnachrichten/reifer-online-lebensmittelhandel-sucht-wachstumsimpuls-1.17465807