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Nach jedem Lebensmittelskandal wollen die Verbraucher wissen: Was können wir noch essen? Dabei ist die Frage, wie wir einkaufen, mindestens genauso

Ferien am Radieschen River: Ein Reisebericht aus Schweizer Supermärkten

| 23 Lesermeinungen

Hohe Berge, tiefe Täler, tanzende DJs - den Touristen hat die Schweiz so einiges zu bieten. Leider weigert sich die Fremdenverkehrswerbung bis heute, die zahlreichen Sehenswürdigkeiten des Lebensmittelhandels in ihren Katalog aufzunehmen. Das Supermarktblog ist extra nach Zürich gereist, um das Versäumnis nachzuholen.

Hohe Berge, tiefe Täler, tanzende DJs – Touristen hat die Schweiz so einiges zu bieten. Leider weigert sich die Fremdenverkehrswerbung bis heute, die zahlreichen Sehenswürdigkeiten des Lebensmittelhandels in ihren Empfehlungskatalog aufzunehmen. Das Supermarktblog ist extra nach Zürich gereist, um Migros und Coop einen Besuch abzustatten und das Versäumnis nachzuholen. (Bevor Sie auch die Reiselust packt: bitte das Kleingedruckte lesen.*)

*Wechselkursbedingt eignet sich der Einkauf in Schweizer Supermärkten ausschließlich für mehrfache Lottogewinner, die gerade geerbt haben. Sollten Sie nicht zu dieser Gruppe gehören, seien Sie vorsichtig! Ihr Portemonnaie wird es Ihnen danken.

Pizza-Stalaktiten
Malerisch gelegen in den Tiefkühlzonen vieler Ladengeschäfte, gehören die wunderbaren Pizza-Stalaktiten zu den einzigartigen Naturschauspielen des Landes. Aus kleinen Metallarmen in den Kühlmöbeln wachsen vorbelegte Pizzen in allen Farben und Größen, oft reichhaltig belegt mit Wurstsorten, Gemüse oder sogar Meeresgetier. Die zur Familie der Teigfladen gehörenden Pizza-Stalaktiten sind ein Phänomen der Supermarktneuzeit und werden lediglich durch eine dünne Plastikschicht von ihrer Umwelt geschützt. Einmal aufgewärmt, sind sie schnell verschwunden. Auf keinen Fall sollten sie mit ihren tiefgefrorenen Artgenossen in deutschen Supermärkten verwechselt werden, die oft eine deutlich längere Haltbarkeit aufweisen und zu den so genannten Flachwüchsern gehören. Die Tiefkühlzonen sind jahreszeitenunabhängig begehbar. Bei längerem Aufenthalt empfiehlt sich geeignete Kleidung (gefütterte Jacken etc.).

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Billigmarken-Tiefebene
Zu den für Touristen weniger empfehlenswerten Regionen des Schweizer Lebensmittelhandels gehören die Bück- und Reckregionen der Marktregale. Ihrer leichten Zugänglichkeit zum Trotz sollten Urlauber sie meiden, da sie in Migros-Filialen zum bevorzugten Lebensraum der „M Budget“-Billigmarken gehören (u.a. Schokolade, Zwieback, Kartoffelpüree). Diese fallen sofort durch die ungewöhnlich ablehnend gestalteten Verpackungen auf, die selbst Discount-erfahrener Kundschaft schwer zusetzt. Mehr noch als die alarmierende Farbkombination aus dunklem Grün und Migros-Orange signalisiert das Fehlen beschönigender Inhaltsabbildungen (deutsch: „Serviervorschlag“) den heimischen Einkäufern Gefahr. Viele Schweizer machen deshalb automatisch einen großen Bogen um die Produkte, auch um nicht von Eidgenossen bei einer eventuellen Konsumabsicht beobachtet zu werden. Touristen sollten es ihnen gleichtun, um Einheimische nicht zu mitleidigen Blicken zu provozieren.

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Radieschenwasserfall
Von regelmäßigen Kunden liebevoll „Radieschen River“ genannt, ist dieses Phänomen sicher ein Höhepunkt der Schweizer Supermarkteinrichtung und wegen seiner günstigen Lage im Seitengang der Gemüseabteilung des Bahnhofs-Coop in Zürich nur schwer zu verpassen. Umringt von prächtigen Südfrüchten, heimischem Obst sowie Zucchini und Auberginen in Bio-Qualität sprudelt ein Wasserfall über Treppengitter, auf denen sich tagsüber ganze Radieschenkolonien erfrischen. Ursprung dieser beinahe natürlichen Quelle ist eine Minisprinkleranlage an der Oberseite des Regals. Allerdings zeigt sich hier auch die Zweiklassengesellschaft in Schweizer Frischeabteilungen. Zwecks Nutznießerschaft haben sich zwar einige parasitäre Kräuter an die Seiten des Radieschenwasserfalls geklemmt; das Restgemüse sitzt aber weiter auf dem Trockenen.

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Recycling-Quelle
Vielen Deutschen sind aus ihrem Supermarkt die störrischen, nach Alkohol riechenden Pfandautomaten bekannt, vor denen man bis zur endgültigen Flaschenerkennung ganze Nachmittage lang belästigt werden kann. Ihre Schweizer Verwandten sind edler, frischer, in der Regel hinter der Kassenzone beheimatet und schlucken leere Plastikflaschen ohne Widerstand. (Allerdings verzichten Sie auf die Herausgabe nützlicher Pfandbons.) An Regentagen kann sich ein Besuch lohnen, sonst gehören die Recycling-Quellen aber nicht zu den Must-see-Attraktionen.

Heiße Theken und Döner-Hügel
Sie sind wenig appetitlich, aber ein unverzichtbarer Teil der Supermarktbiosphäre unserer Nachbarn: die heißen Theken, in denen allerlei Würste und Schnitzel eine Heimat gefunden haben. Ihre Existenz ist oft nicht von langer Dauer, da sie zum Sofortverzehr erhitzt und in Plastiktaschen verpackt werden. So sind sie leichte Beute für hungrige Mittagspausenhetzer und fettsüchtige Touristen. Während sich Würste und Schnitzel am liebsten in höhlenartigen Heißregalen aufhalten, die direkt an die Supermarktwände grenzen, bevorzugen Quiches, Pasteten und Frischfrittiertes frei zugängliche Metalltheken mit offenen Seiten. Ab und an verirrt sich auch mal eine Focaccia dazu. Höhepunkt ist aber der nahegelegene Dönerhügel, der ebenfalls eine Theke belegt, an der jedoch Bedienungspflicht durch Marktpersonal herrscht, welches das Schichtfleisch nach den individuellen Wünschen des Künden Kunden abträgt und zu einer „Mahlzeit“ verknetet. Der Besuch ist vor allem zu Stoßzeiten empfohlen, da sich das Fast Food zu weniger geeigneten Snackzeiten in seine Heißregale zurückzieht und sich seltener blicken lässt.

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Falls Sie weitere Sehenswürdigkeiten in Schweizer Supermärkten empfehlen können, schreiben Sie die doch in die Kommentare!

Fotos: Supermarktblog

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23 Lesermeinungen

  1. tricky1 sagt:

    @Peer Schader
    Nach einer...

    @Peer Schader
    Nach einer faulen Ausrede eine Nebelgranate, und dann?
    (Ich weiss, das Internet ist kurzlebig und Sie werden damit davonkommen).

  2. pschader sagt:

    @tricky1: Ich schocke Sie nur...
    @tricky1: Ich schocke Sie nur ungern (naja…), aber wie würden Sie reagieren, wenn ich Ihnen beichte, dass NICHTS in diesem Beitrag so ernst gemeint ist, wie Sie’s gerne verstehen wollen? Focaccia verträgt sich auch gar nicht mit Quiche. Jetzt ist’s raus.

  3. Marc sagt:

    Interessant finde ich die...
    Interessant finde ich die gesunde Einstellung von Migros. Dort gibt es traditionell keinen Alkohol und keine Zigaretten. Daher sieht man häufig in der Nähe von Migros-Filialen (sprich: im selben Gebäude) Läden der Kette „Denner“. Deren Sortiment zeichnet sich durch seine Unsortiertheit aus, besteht aber zu 50% aus alkoholischen Getränken. Eine besondere Wendung bekam diese Beobachtung erst, als ich las, dass Denner inzwischen auch zum Migros-Konzern gehört.

  4. karlen sagt:

    <p>Die grünen 'ungewöhnlich...
    Die grünen ‚ungewöhnlich ablehnend gestalteten Verpackungen‘ in der Migros haben übrigens überraschenderweise Kultstatus erreicht. Eigentlich ist die M-Budget Linie äusserst beliebt und sollte eigentlich keine mitleidigen Blicke hervorrufen, aber wer weiss..
    p.s1: Es gibt sogar M-Budget Autos, Notebooks, Handys, Snowboards und anderen ungewöhnlichen Kram, der sogar bei Sammlern durch limitierte Editionen reissenden Absatz findet.
    p.s2: Die Coop hat wohl versucht mit einer noch viel ablehnenderen Verpackung einen ähnlichen Kult zu starten, doch die abscheulich anzusehende, rosarot-weisse ‚Prix-Garantie‘ Linie kann hier nicht mithalten.

  5. Denis sagt:

    Danke für diesen schönen...
    Danke für diesen schönen Beitrag! Ich mag den Humor von Peer in seinen Artikeln sehr. Die Wortwahl und die ironische Art sind toll. Hoffe auch auf noch viele weitere Einträge im Supermarkt-Blog (und Fernseh-Blog)!

  6. trible sagt:

    Oh ja, der coop am Züricher...
    Oh ja, der coop am Züricher Bahnhof. Erinnert mich an einen meiner Interrailurlaube in frohen Jugendtagen. Wir kamen damals aus Portugal und mussten in einem Rutsch Heim weil das Ticket endete. Ergo saßen wir irgendwann seit fünf Tagen ungeduscht in noch viel länger ungewaschenen Klamotten am Züricher Bahnhof und stellten fest, dass wir bis zum Anschlusszug noch Zeit und außerdem noch ein paar müde Fränkli hatten, die weg mussten. In dem supersauberen coop bot uns dann sofort eine freundliche Dame in einem Dienstmädchenkostüm (einem züchtig verhüllten ! Das ist die Schweiz und nicht RTL 2 !) ein kostenloses „Schoki“ zum probieren an. Es gab sogar drei Sorten. Sie hat ob unseres Aussehens und Geruchs keine Miene verzogen, sondern sogar noch nett mit uns geplauscht obwohl klar war, dass wir weder groß was kaufen noch wiederkommen würden. War wirklich mal kundenfreundlich der Laden 😉 .

  7. Weltfremd sagt:

    Ich kanns nicht mehr hören:...
    Ich kanns nicht mehr hören: Die unerhörten Schweizer Lebensmittelpreise. Kann sich kein Mensch mehr leisten, wenn man nicht erbt und Lottogewinner ist.
    Wenn ich einen Deutschen Discounter mit einem schweizer Lebensmittelladen (der den Namen auch verdient – im Gegensatz zum deutschen Einzelhandel) vergleiche, weiß ich genau, wo ich gerne einkaufe und danach mit Genuss esse. Ich freue mich auf jeden Urlaub in der Schweiz und bringe mir gute Lebensmittel mit, die man hier lange suchen muß. Und wenn wir wüssten, wie teuer billige Lebensmittel wirklich sind, würde dieses Argument des Preises auch nicht mehr zählen. WIe arm sind geistig geworden, wenn wir Qualität nur noch als Preis ausdrücken?
    Warum ist dem Autor nicht aufgefallen: Die vielen Bioprodukte in der Schweiz. Die vielen Regionalen Produkte. Spezialitäten, bei deren Kauf man mit einem kleinem Aufpreis zB den Hochgebirgsbauern hilft? Die Frische, die Vielfalt, die optisch attraktive Darstellung der Lebensmittel?
    Ja es ist teuer in der Schweiz Lebensmittel einzukaufen. Nicht jeder will sich das leisten. Ich verzichte auf Fernsehen. Auf ein „grosses“ Auto. Ich kaufe gute Lebensmittel – und leiste mir die essentielle Notwendigkeit NICHT nach dem Preis zu schauen, sondern nach Qualität! Und das ist deshalb KEIN Luxus. Und … ich habe leider nicht geerbt. Und… anstelle Lottotips gebe ich lieber mein Geld für Biolebensmittel aus.

  8. pschader sagt:

    <p>@Weltfremd: Sie merken aber...
    @Weltfremd: Sie merken aber schon, dass Sie die eine (im wahrsten Sinne des Wortes kleine) Bemerkung zum Preis im Text zu einem riesigen Kommentar aufgeblasen haben? Aber gut:
    Biolebensmittel sind keine Besonderheit aus Schweizer Lebensmittelmärkten, zur Regionalität steht im nächsten Blogeintrag jede Menge Wissenswertes – und kein normalverdienender Mensch aus einem Euro-Währungsland könnte seinen Lebensmittelbedarf derzeit wegen des Währungsunterschieds in einem Schweizer Supermarkt decken, würde ich behaupten.
    Weil so viele Schweizer in Grenznähe nach Deutschland zum Einkaufen fahren, hat Coop übrigens gerade bekannt gegeben, dass sie vermutlich die Preise senken wollen.

  9. Gaspar sagt:

    Die kleinen Denner-Läden...
    Die kleinen Denner-Läden könnte man als Discounter durchgehen lassen. Mangels hoher Verbrauchsteuern ist Kaffee in diesen Läden recht günstig. insbesondere, wenn man eine Kaffeemühle sein eigen nennt. Für das Mahlen und Vakuumverpacken muss eventuell ein Aufschlag gezahlt werden, was die Schweizer nur ungern tun.

  10. Jonas sagt:

    @Peer Schader
    Naja, ich denke...

    @Peer Schader
    Naja, ich denke schon, das die Biolebensmittel eine Besonderheit aus dem Schweizer Lebensmittelhandel sind, ich als Schweizer habe im Ausland noch nie eine vergleichbare Auswahl wie bei uns in der Schweiz angetroffen. Desweiteren hat Coop wohl als einer der ersten weltweit den Biotrend im Supermarkt lanciert hat. Und wenn ich mich nicht täusche, hat die Schweiz den grössten Bioumsatz pro Kopf, obwohl es keine einzige Biomarktkette gibt…
    „Viele Schweizer machen deshalb automatisch einen großen Bogen um die Produkte, auch um nicht von Eidgenossen bei einer eventuellen Konsumabsicht beobachtet zu werden.“ – Kann ich so gar nicht bestätigen. Ich kann mich gar an M-Budgets-Partys erinnern, einige Prdoukte wie der M-Budget-Energydrink sind sogar mit Abstand Marktführer in ihrem Gebiet.
    Das die Preise hier so hoch sind, liegt nicht nur am Wechselkurs, sondern auch an den höheren Löhnen, anderen gesetzlichen Tierhaltungsbestimmungen, Importzöllen, fehlender Konkurrenz (als Lidl und Aldi vor paar Jahren in den Markt eintraten, kamen die Preise erstmalig ins Rutschen) sowie an der höheren Kaufkraft, die sowohl von den Anbietern wie auch den Exporteuren schamlos ausgenutzt wird (man vergleiche mal den Preis eines Markenprodukt mit dem aus dem Ausland, Unterschiede von bis zu 80 % sind keine Seltenheit).
    Ansonsten ganz netter Bericht, besonders das mit den Pizzen ist mir bisher noch nie als Schweizer Eigenart aufgefallen 🙂

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