Aufforderung zum Tanz

Aufforderung zum Tanz

Was sie schon immer über Tanz hätten wissen wollen können und bisher nicht auf die Idee kamen zu fragen.

Der Skandal um den falschen schwarzen Schwan

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Natalie Portman hatte eine Solistin des American Ballet Theatre als Tanz-Double in „Black Swan“. Hollywood wollte Sarah Lane verstecken, wie jetzt herauskam.

Kaum daß der Film „Black Swan” in den Kinos angelaufen war, klingelten in Londons Opernhaus Covent Garden die Telefone heiß. Eine Menge Karten hätte das Royal Ballet verkaufen können, hätte es getanzt, was sich tausende von Anrufern wünschten: Wann denn die nächste Vorstellung von „Schwanensee” mit Natalie Portman in der Doppelrolle der „Odette / Odile” stattfände, wollten sie wissen. Auch vom New York City Ballet hörte man, dass viele der amerikanischen Kinobesucher Film und Wirklichkeit nicht unterschieden. Hätte man ihnen gesagt, was außer der Filmcrew von „Black Swan” nur wenige New Yorker Tänzer wußten, und was sich erst jetzt, zwei Monate nach der Oscar-Verleihung, öffentlich beweisen läßt, sie hätten empört aufgelegt. Denn alle, denen der Tanz in „Black Swan” so gefiel, dass sie – vielleicht zum ersten Mal – eine richtige „Schwanensee”-Vorstellung im Theater sehen wollten, hätten sich nicht Natalie Portman wünschen dürfen, sondern nur ihr Gesicht auf dem Körper einer echten Tänzerin. Wie das bitte funktionieren soll? Absurd, natürlich, im Theater vollkommen unmöglich zu realisieren. Und weil die Idee so unglaublich klingt, und fast wie ein Betrug am Zuschauer, kam auch niemand auf den Trick, auf dem der Erfolg Portmans und wohl auch ihr Oscar beruhen. Wie wir jetzt wissen, weil im Internet Filmmaterial kursierte, das von der Produktionsfirma sofort wieder gelöscht wurde und weil Portmans Tanzdouble dem amerikanischen Fernsehsender ABC ein Interview gegeben hat, stimmt das Ungeheuerliche: Fünfundneunzig Prozent der Tanzszenen in „Black Swan” zeigen nicht Natalie Portmans Körper in Bewegung, sondern den ihres Doubles, Sarah Lane. Die Sechsundzwanzigjährige ist Solistin des American Ballet Theatre in New York und tanzt seit ihrem vierten Lebensjahr. Nur das eine habe sie aufgeregt, sagt Lane, dass durch die Kampagne von „Black Swan” und insbesondere die Interviews von Natalie Portman und Regisseur Darren Aronofsky bewußt der Eindruck habe erweckt werden sollen, man könne nach etwas Kinderballett und einem Jahr Tanztraining als erwachsene Schauspielerin so tanzen wie Lane nach zweiundzwanzig Jahren Ausbildung und Praxis.

Bild zu: Der Skandal um den falschen schwarzen Schwan

(Foto links: Sarah Lane)

Wie oft ist nicht die Modeindustrie in den vergangenen Jahren mit Kritik überzogen worden dafür, dass sie Models mittels Computertechnologie noch dünner und hohlwangiger retuschiert, als diese ohnehin sind. Nun, nur die Filmkritik und das von ihr folglich in Unkenntnis darüber gelassene Kinopublikum argwöhnte nicht, dass es sich bei „Black Swan” um einen geschickten Einsatz der als „Face Exchange” bezeichneten Technologie handelte. Bild für Bild wurde in den Tanzsequenzen, in denen Sarah Lanes Körper zu sehen ist, ihr Gesicht mit dem Antlitz Natalie Portmans überschrieben.

Unabhängig davon, ob man findet, dass der Film auf der Ebene des Genres funktioniert, das Konzept des Thrillers also aufgeht oder nicht, diskutierte die Tanzwelt von Anfang an ganz anders darüber. Von vorn herein hatten sich sowohl das New York City Ballet als auch das American Ballet Theatre von dem Projekt distanziert und dem Filmteam um Darren Aronofsky ihre Mitarbeit und das Drehen in ihren Studios und Theatern verweigert. Natürlich gingen dann zu den Auditions auch Tänzer des ABT – wie Sarah Lane – und wirkten dann bei den Dreharbeiten mit, aber nicht als Ensemblemitglieder der Company, sondern sozusagen in ihrer Freizeit. Und genau darauf bezieht sich auch ein Teil des Ärgers der Ballettwelt. Sarah Lane wird im Abspann nur als „Lady in the Lane” aufgeführt, weil sie einmal im Gang als Tänzerin des Ensembles zu sehen ist. Nirgends steht, dass sie Natalie Portman gedoubelt hat. In Interviews betonten sowohl der Regisseur als auch seine Hauptdarstellerin, Portman habe ein Jahr lang acht Stunden täglich trainiert und nach Beginn der Dreharbeiten das Training fortgesetzt, wenn ihre Szenen abgedreht waren. Das sollte suggerieren, Portman selbst habe alle Tanzszenen gedreht. Denn die Oscar-Jury liebt es, das ist bekannt, wenn Schauspieler in Spielfilmen etwas tun, dass eigentlich nicht erwartbar ist und über die Grenzen der Schauspielerei hinausgeht. Heftige körperlich Veränderungen – dreißig Kilo zuzunehmen oder sich Oberarme wie ein Special Agent anzutrainieren – verdienen außerordentliche Verehrung. 

Bild zu: Der Skandal um den falschen schwarzen Schwan

(Natalie Portman im Film “Black Swan”)

Doch auch die Möglichkeiten von Schauspielern haben Grenzen. Oder würde man glauben, daß Gwyneth Paltrow oder Nicole Kidman nach einem Jahr Gesangsunterricht in einem Film über – sagen wir eine Don-Giovanni-Inszenierung – singen könnten wie Cecilia Bartoli? Portman aber antwortete kühn, sie habe mit ihrem Freund geübt – das ist Benjamin Millepieds, hoch gehandelter Nachwuchschoreograph und Solist beim NYCB, der die Tanzszenen im Film choreographiert hat und im Film den Prinzen Siegfried tanzt. Gelernt habe sie ferner aus dem Anschauen von Aufnahmen mit Natalia Makarova als „Odette/Odile”. So viel zur Frage der Authentizität des Films auf der Ebene seiner Darsteller.

Man muß außerdem sagen, dass die Klischees, die der Film über das Ballett benutzt, um daraus billigen Thrill zu schöpfen, sowieso entsetzlich simpel sind. Warum sich die Tanzwelt darüber aufregt, ist nur zu verständlich. Gegenwärtig gilt es nirgends blamabel, „Schwanensee” oder „Giselle”, nie gesehen zu haben. Mats Ek oder Birgit Cullberg oder Marius Petipa nicht zu kennen, löst kein peinliches Schweigen aus, anders als wenn von Ingmar Bergman, Guiseppe Verdi oder „Hamlet” die Rede wäre. In die Reihe dieser Beweise von Ignoranz und Überheblichkeit gehört auch „Black Swan.” In Hollywood eine erfolgreiche Schauspielerin zu werden, ist sicherlich hart. Von Natalie Portman’s Leidensfähigkeit hing vieles in ihrer Karriere ab, so auch bestimmt bei „Black Swan”, für den sie hungerte und übte, bis sie in einfacheren Bewegungen und im Darstellenden Spiel – aussah wie eine Tänzerin, aussah, als wäre sie mehr als eine Schauspielerin. Fast könnte man meinen, der ganze Vorgang läge in einer Rivalität der Künste begründet. Denn sind nicht Tänzer stets mehr als Leute, die sich ungewöhnlich bewegen können? Sind sie nicht -gleichsam nebenher – Schauspieler?


4 Lesermeinungen

  1. Huester sagt:

    @Steffi1969 Hollywood...
    @Steffi1969 Hollywood funktioniert nur als Star-System und interessanterweise hat Sarah Lane in Interviews ausdrücklich betont, dass sie Natalie Portman’s schauspielerische Leistung bewundert und dass diese ungeheuer hart für den Film gearbeitet habe. Ohne Doubles und Stunts geht es in den wenigsten amerikanischen Spielfilmen. Aber diese Profis müssen in angemessener Weise genannt werden. Und vielleicht hätte sich Portman während, aber mindestens nach der Oscar-Verleihung bei Lane bedanken können…

  2. Huester sagt:

    @HansMeier555
    Ich dachte genau...

    @HansMeier555
    Ich dachte genau das, als Tänzerinnen vom American Ballet Theatre, Kolleginnen und Freundinnen von Sarah Lane, anfingen zu erzählen, wie sehr die klischeehafte Darstellung der Ballettwelt sie aufregten und dann berichteten, Lane sei in den Credits nicht als Dance Double aufgelistet. Es ist sehr gut, dass man solche Geschichten veröffentlichen kann…

  3. Steffi1969 sagt:

    <p>Die Frage stellt sich,...
    Die Frage stellt sich, warum man nicht einfach mit Sarah Lane dreht? Glaubwürdig ist doch nur wer authentisch ist. Oder soll dieser Film Menschen erreichen, die sich bis heute nicht für den Tanz interessiert haben und wäre damit nicht eine Menge “gewonnen”? Es ist wie immer…Kommerzielles Denken (wer kennt schon Sarah Lane?) steht nicht im Einklang mit den bildenden Künsten…ein für mich durchaus bedenkliche Entwicklung.

  4. HansMeier555 sagt:

    Danke. Wozu gibt es eigentlich...
    Danke. Wozu gibt es eigentlich die Kulturkritik und das Feuilleton?

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