Aufforderung zum Tanz

Aufforderung zum Tanz

Was sie schon immer über Tanz hätten wissen wollen können und bisher nicht auf die Idee kamen zu fragen.

Was wird aus Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater?

Achtzehn der insgesamt vierzig abendfüllenden Tanztheaterstücke von Pina Bausch wird das Ensemble in der kommenden Spielzeit in Wuppertal und auf weltweiten Gastspielreisen zeigen und mehr als achtzig Vorstellungen tanzen. Eine Uraufführung aber wird es in der neuen Saison wieder nicht geben. In Wuppertal kann man sich auch zwei Jahre nach Pina Bauschs Tod noch nicht entscheiden, welcher Choreograph es sein soll. Wer jetzt bei den Maifestspielen in Wiesbaden "Babel" von Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet erlebte, hätte da vielleicht eine Idee.

Bei den Maifestspielen in Wiesbaden feierte das ausverkaufte Große Haus des Staatstheaters am vergangenen Wochenende Sidi Larbi Cherkaouis und Damien Jalets großartiges Tanztheater über den Turmbau zu Babel mit nicht enden wollendem Applaus. Von dem christlichen Mythos der Sprachverwirrung der Völker ist es in „Babel” nur einen akrobatischen Sprung weit zu den Grenzabfertigungsanlagen und den multi-ethnisch bevölkerten Wohncontainern der Stadtnomaden der Gegenwart. „Babel” ist musikalisch und tänzerisch mitreißend, wahnsinnig komisch und voller klug umgesetzter Gedanken über Kommunikation mit Händen, Füßen, oder Stimme. Es zeigt, wie weit der Weg vom Affen bis zum zeitgenössischen Tänzer war und wie kurz der Rückweg ist. Das nicht eine Minute langweilige Tanzkonzert läßt achtzehn Musiker und Tänzer aus dreizehn Nationen zusammentreten zu einem Dialog in fünfzehn gesprochenen Sprachen und allen anderen, die sie beherrschen: Gesang, Bewegung, Instrumentalmusik, Akrobatik – in einem so einfachen wie genialen Bühnenbild des britischen Künstlers Anthony Gormley. Wohin geht der zeitgenössische Tanz? ist eine Frage, die auch in diesem Stück gestellt wird. Cherkaoui und Jalet knüpfen eine Reihe von Insiderwitzen daran. Das macht klar, wie absurd Cherkaoui und Jalet die Frage nach der Zukunft überhaupt finden, denn an Ideen mangelt es den beiden sicher nicht.

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Foto: “Babel” von Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet

Welche Kraft und Austrahlung dieses neueTanztheater besitzt, empfand auch Pina Bausch, Cherkaoui war früh zu Gast auf ihrem Festival. Man muß darum gleichsam automatisch an ihn denken, wenn man hört, was heute auf der Pressekonferenz des Tanztheaters Wuppertal von seinen Leitern Robert Sturm und Dominique Mercy bekanntgegeben wurde. Sie würden auch in der kommenden Spielzeit 2011/2012 noch keinen Choreographen bitten, ein neues Stück mit Pina Bauschs Tänzern zu erarbeiten. „Wir sind noch nicht so weit”, sagt Robert Sturm mit leiser Stimme, und man glaubt es ihm sofort. Doch davon abgesehen, dass das Tanztheater sich zwei Jahre nach dem unerwarteten Tod seiner Begründerin noch nicht imstande sieht, diesen Schritt zu vollziehen – obwohl alle einsehen, dass er notwendig und eigentlich wünschenswert ist – abgesehen davon wird es eine phantastische Spielzeit. Der Fleiß und die Arbeitsdisziplin der Wuppertaler sind enorm, ihre Logistik bewundernswert. Am Ende der laufenden Saison werden sie 104 Vorstellungen absolviert haben, unglaublich, wenn man bedenkt, dass manche andere Stadttheatercompagnie wenig mehr als vierzig Vorstellungen spielt. Mit 104 Vorstellungen ist das verantwortbare Limit eigentlich überschritten, zu große Erschöpfung bedeutet schließlich Verletzungsgefahr für Tänzer. Immerhin noch achtzig Mal werden die Wuppertaler in der kommenden Saison zuhause und in aller Welt tanzen. Achtzehn von vierzig Bausch-Stücken werden dabei aufgeführt. Würde man ein Jahr dem Oeuvre von Bausch widmen, könnte man hinterherreisend fast die Hälfte ihrer Stücke kennenlernen. Das ist toll. Höhepunkt und Abschluß der Marathon-Spielzeit 2011/2012 bildet das vierwöchige London-Gastspiel des Tanztheaters anläßlich der Kultur-Olympiade in der britischen Hauptstadt, mit zehn Stücken in zwanzig Vorstellungen. Zum Glück, sagt Sturm, kämen sie mit den Neueinstudierungen und Wiederaufnahmen in gemeinsamer Anstrengung viel besser zurecht, als sie nach Pina Bauschs Tod gedacht hätten. Die Frage nach der Zukunft stellt sich gleichwohl.