„Venez, charmantes bayadères!
Venez, enfants de la gaité,
Commencez vos danses légères,
Image de la volupté.”
Kommt herbei, bezaubernde Tempeltänzerinnen!
Kommt, Kinder der Ausgelassenheit,
beginnt eure leichtfüßigen Tänze
Inbild der Sinnlichkeit
(Aus der am 6. Februar 1822 in der Pariser Oper uraufgeführten Opéra-Féerie „Aladin, ou la lampe merveilleuse”)
Wo wir gerade von Merce Cunningham sprachen – am Dienstag abend unter seinen Tier- und Pflanzenzeichnungen stehend im Museum Wiesbaden etwa mit Margarete Roeder, seiner New Yorker Galeristin – noch etwas anderes. Als John Cage und Merce Cunningham mit Robert Rauschenberg und sechs Tänzern zu ihrer Tournee aufbrachen – „Wir dachten, wir sollten Freunden und Fremden da draußen im Land zeigen, was wir machten, anstatt es in New York zu verstecken” (Remy Charlip) –
da war es John Cage, der die Restaurants ausfindig machte, die Picknicks vorbereitete und Pilze suchte. Zuhause in New York kochte der Musiker, nicht der Tänzer. Doch im Alter machte sich Rheuma bemerkbar, und darum setzte Cage beide auf eine radikal andere Diät. Und das kam so. Eines Tages, als er in Manhattan spazierenging, hatte eine schwarze Limousine auf seiner Höhe abgebremst und war langsam neben dem Spaziergänger, dem das Voranschreiten nicht leicht fiel, hergerollt. Geräuschlos hatte sich eine der verdunkelten Fensterscheiben gesenkt und den Blick auf die im Fonds sitzende Yoko Ono freigegeben. Die Gehweise des Komponisten betrachtend, sagte Ono: „John, you should really eat Macrobiotic”.
Merce erzählte diese Geschichte gerne, wenn Gastgeber mit ihm in etwaigen spezialisierten Restaurants essen gingen, um zu erklären, warum man ihn weder in ein Steakhouse noch zu einem Spitzenitaliener einladen konnte. (Dieses makrobiotische Restaurant in Berlin mochte er: www.naturalmente.de). Die erste Zeit makrobiotischen Kochens von John Cage habe er gelitten, aber nachdem einige Kochbücher studiert waren und Erfolge sich einstellten, wichen die beiden nicht mehr von dieser gesunden kuhmilch- und fleischfreien, mit Tofu, Soja, Sesam, Algen und anderen interessante Zutaten arbeitenden Ernährung ab.
Um Gewichtsfragen ging es dabei nicht. Doch strenge Diäten aus Panik zuzunehmen sind es ja recht eigentlich, die man den Bayaderen (s. o. , indische Tempeltänzerinnen mit einem Hang zur arabesque penchée), den Faunen, Schwänen, Nymphen, Sylphiden oder Najaden gerne nachsagt. Opfer auf der Genußseite seien zu bringen, damit die danses auch légères blieben. Also, zu weit soll es mit der volupté, der Sinnlichkeit eben auch nicht gehen. Das ist kein Problem des neunzehnten Jahrhunderts, obwohl sich am Körperbild des Tänzers einiges geändert hat. Im vergangenen Winter beklagte der Kritiker der New York Times, Alastair Macaulay, die Zuckerfee in George Balanchines “Nußknacker” am “New York City Ballet” habe wohl zuviel genascht (die Sugar Plum Fairy habe eine Sugar Plum zuviel gegessen). In Wahrheit sah Jenifer Ringer wunderschön aus und tanzte makellos und bezaubernd. Aber als amerikanischer Starkritiker darf man sich solche wohlfeilen Macho-Sprüche erlauben. Warum sollten wir als Publizisten auch nur einen einzigen Gedanken an die Gefahren der Magersucht verschwenden?
Wohlstandsprobleme? George Balanchine plagte die umgekehrte Sorge, er und seine Tänzer könnten zu sehr abmagern, als sie nach Lenins Tod aus Rußland flohen und nicht wußten, ob sie genug Arbeit finden würden. In Berlin landeten er und sein Trüppchen 1924 in zerrissenen Kleidern, mit ein paar schäbigen Kostümen im Gepäck und praktisch ohne Geld. Hinter ihnen lagen die Abenteuer einer gefährlichen Flucht. Hätte man sie erwischt, wären sie in den sibirischen Lagern verschwunden oder gleich erschossen worden und die Tanzgeschichte hätte einen wahrhaft anderen Verlauf genommen. Zum Glück hatte kurz nach ihrer Ankunft in Berlin Dimitriew, der das Unternehmen steuerte, eine Tournee entlang des Rheins abgeschlossen. „Wir nahmen jeden Job an, egal wo”, erinnerte sich Balanchine, wie sein berühmter Tänzer Jacques d’Amboise in seiner eben erschienenen Autobiographie „I was a dancer” berichtet.
„In Deutschland”, schwärmte Balanchine, „war das Essen so wundervoll. Ich erinnere die billigste Mahlzeit – gekochte Kartoffeln mit Hering und gehackten Zwiebeln. Und obendrauf gab man etwas Olivenöl. Dazu wurde Weißbrot gegessen und Bier getrunken. So gut. Wir hatten kein Weißbrot gesehen seit der Zar gestorben war.”
Balanchine probt mit d’Amboise (Quelle: Getty Images)
Die zeitgenössische Variante von Balanchines “best meal” – Wasabi statt gehackter Zwiebeln. Ist doch besser für Tänzer
Sidi Larbi Cherkaoui, der soeben in Moskau mit dem Prix Benois de la Danse für sein gemeinsam mit Damien Jalet choreographiertes Stück „Babel” ausgezeichnet wurde, isst als genuiner Vegetarier nicht mal Fisch. Das Vertrauen der Shaolin-Mönche, die in seinem Kungfu-Stück „Sutra” mittanzten, habe er auch dadurch gewonnen, dass er nicht trinke, keine Drogen nehme und keine Tiere esse. Das Gemüseröllchen auf Avocadomus wurde dem Choreographen heute morgen in Wolfsburg serviert, wo er an zwei Abenden sein Duett “Dunas” mit der Flamencotänzerin Maria Pagès zeigte.
an ElisabethSchaefer: Ich habe...
an ElisabethSchaefer: Ich habe den Fehler jetzt im Text korrigiert, damit die Leser nichts Falsches lesen, noch mal vielen Dank für Ihre aufmerksame Lektüre.
an ElisabethSchaefer: Sorry,...
an ElisabethSchaefer: Sorry, ich hatte mit Tänzern vom ABT über ihren neuen Nußknacker gesprochen und das dann durcheinandergeschmissen. Das soll nicht vorkommen, natürlich, ist aber im Hinblick auf die Sache hier unerheblich. Es geht darum, dass wir nicht erwarten sollten, dass alle Tänzerinnen die gleichen superschlanken, flachbrüstigen Körper besitzen. Jeder Körper entwickelt sich anders unter der großen physischen Belastung des Tanzens. Manche werden extrem sehnig – was nicht heißt, dass sie zuwenig essen, und manche werden immer kräftigere Oberschenkel haben, oder ein üppigeres Dekolleté. Zum Glück sind die Menschen und also auch die Tänzer verschieden. Und da finde ich die Bemerkung des Kollegen ästhetisch falsch, unsensibel und anmaßend. Sorry
Jenifer Ringer tanzt beim New...
Jenifer Ringer tanzt beim New York City Ballet, nicht beim ABT, und der Nussknacker dort stammt von Balanchine, nicht von Alexej Ratmansky. Übrigens hat Alastair Macaulay im selben Satz auch Ringers männlichen Partner bezichtigt, er hätte wohl „Kostproben vom gesamten Süßigkeitenreich“ genascht. Die Bezeichnung „wohlfeile Macho-Sprüche“ trifft deshalb kaum zu.