Aufforderung zum Tanz

Aufforderung zum Tanz

Was sie schon immer über Tanz hätten wissen wollen können und bisher nicht auf die Idee kamen zu fragen.

Zimmermädchen statt Tänzerinnen: Sind Straussenfederstaubwedel sexier als Spitzenschuhe?

Glaubt man Adorno, müßte das Ballett in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, das Ballett zu der Zeit, als Edgar Degas in den Gängen des Palais...

Glaubt man Adorno, müßte das Ballett in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, das Ballett zu der Zeit, als Edgar Degas in den Gängen des Palais Garnier dem Modell seiner „Petite danseuse de quatorze ans” begegnete, hervorragend gewesen sein. In „Kalte Herberge” beklagt der Philosoph die traurigen Zustände öffentlicher Bewirtung und Beherbergung. Er schreibt: „Wahrscheinlich datiert der Verfall des Hotelwesens zurück bis zur Auflösung der antiken Einheit von Herberge und Bordell, deren Erinnerung sehnsüchtig fortlebt in jedem Blick auf die zur Schau gestellte Kellnerin und die verräterischen Gesten der Zimmermädchen.”

Verräterische Gesten der Ballettratten werden es damals gewesen sein, welche die Herren der besseren Gesellschaft am Rande des Foyer de la danse einluden, den Dienstschluß der petit rats ungeduldig abzuwarten. Warum Ballettratten? Nun, vermutlich, weil sie überall im Gebäude umhereilten und so zahlreich waren – aber das nur nebenher. Das Theater muß, überträgt man Adornos wehmütige Beobachtung des Logis einst und jetzt, auf das Bühnenwesen, damals ein heimeligerer, ein besserer Ort gewesen sein. Denn durch die räumliche Einheit von ferner und naher Bewunderung, von abstrakter und in Zahlen, Diners und Francs, Apanagen, Equipagen konkreter angebotener Verehrung war es wärmer hinter der Bühne mit Degas als in den Hotels, in denen Adorno, le pauvre, abstieg, in New York und anderswo. Schließlich klagen die Theater doch über den Schwund an Abonnenten? Woran das wohl liegt? Übernachten muß der Mensch, abonnieren muß er nicht, wenn ihm der Charme an der Sache fehlt.

Man mag es bedauern oder nicht, aber diese Mätressenwahl auf der Hinterbühne ist in den europäischen Häusern unserer Zeit nicht mehr so ganz üblich. Boris Becker abgezogen, der eine Weile einer Tänzerin des Bayerischen Staatsballetts gewogen schien. Die Ballettcompagnie ist ein Arbeitsplatz für professionelle Künstlerinnen, kein Aufbewahrungsort für begabte, hübsche Teenager aus dem Prekariat, die noch nach Zusatzeinkommen im Anschluß an ihr Engagement suchen. Adornos Kellnerinnen und Zimmermädchen aber lösen nachwievor erotische Phantasien aus, die Tänzerinnen haben sie aus dem softpornographischen Bewußtsein scheints verdrängt. In der Juli-Ausgabe der deutschen „Vogue” leuchtet der Film „Black Swan” nur noch als ferne modische Reminiszenz auf – es erscheint in diesen Tagen die DVD-Ausgabe. Vogue fragt in der Rubrik Cool & Chic, einem Kästchen, das Begriffe einsperrt wie „Sexy Military” oder „winterzartes Pastell” – da fragt das Hipness-Thermometer „Odette oder Odile?” Das ist alles, was von diesem großen Drama blieb. Den Zimmermädchen aber widmet sich das Modemagazin ungleich ausführlicher. Die Modestrecke „Hotel de luxe. Anspruchsvoll und extravagant. High-Maintenance-Looks voller erotischer Eleganz” präsentiert Models in dienenden Posen, Straussenfederstaubwedel in den zarten, mit Yves Saint-Laurents „La Laque 14 Rose Transparent” manikürten Händen, in entschiedene Bedienung hübscher Retro-Staubsauger oder narzistische Selbstbetrachtung vertieft. Wem die abgebildeten Zimmermädchen-Outfits von Mercatores zu streng, zu keusch, zu undurchsichtig sind, dem wird zu einem weißen Lacklederkragen von Louis Vuitton ein „knielanges Kleid aus Chantilly-Spitze mit kurzen Ärmeln und weitem Rockteil, um 2675 Euro, von No.21″ empfohlen. So, und jetzt dürfen die geneigten Leserinnen und Leser spekulieren, ob das Mode ist für reiche Geschäftsfrauen, Anwältinnen und Popsängerinnen, die gerne Erniedrigung spielen oder ob hier der Geschäftsmann, Anwalt oder Popsänger auswählt, worin seine Gefährtinnen ihm Erniedrigung vorspielen. Die Frauen auf den Bildern sehen ein bißchen für dumm verkauft aus, um nicht zu sagen gedemütigt, egal was man sich dabei vorstellt. Irgendwie geht das gar nicht. Das ist so kalte Herberge. Ach schlimmer: Während diese Modeseiten produziert wurden, oder druckfertig, aber noch aussortierbar auf den schicken staubfreien Schreibtischen der Münchner Vogue-Redaktion herumlagen, wurde gerade après Monsieur Strauss-Kahn in verschiedenen Hotels de luxe über die Einführung einer Notruftaste für sexuell attackierte Zimmermädchen diskutiert. Das gibt es – Modeinszenierungen, die zu keiner Zeit sexy wirken, nicht drei Monate zuvor, nicht drei Monate danach, jetzt ausgerechnet aber, wo der Weltgeist just in diesem Moment wieder über menschliche Triebgesteuertheit stolpert, gepaart mit männlicher Menschenverachtung, so unsexy wie lange nicht.

Eine schöne Möglichkeit, weiße Schürzen so einzusetzen, dass Frauen sie ohne deprimierende Hintergedanken betrachten und tragen möchten, hat die Berliner Modedesignerin Ivo Schwarz gefunden. Ihre handgefertigten Entwürfe sind aus Vintage-Stoffen hergestellt – das abgebildete Modell unter anderem aus Schürzen und Bettlaken. Da schaust Du, Vogue.

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