Einige der Trachtentänze der nordfriesischen Insel Föhr haben die Frauen sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts selbst geschrieben – in Anlehnung an ältere, vergessene oder verlorene Tänze. Die Festtagstracht, die sie tragen, wenn sie, mal begleitet vom Akkordeon, mal von Musikaufnahmen, je zu zweit Hand in Hand auf dem Dorfplatz Aufstellung nehmen, ist kostbar und schwer von Stoff. Gekrönt von einer aus einem bestickten Kaschmirtuch gefalteten Haube und mit einem reichen Brustschmuck in filigraner Silberarbeit geschmückt, beginnen sie ihre schreitenden, drehenden, ruhigen und würdevollen Tänze.
Nele Frederike Roeloffs (links) und Kira Franzen
Foto Dirk Kubatzki
Maja Ketelsen, die mit den Mädchen Tänze einstudiert, bis diese nach der Konfirmation in die Gruppe der Erwachsenen wechseln, beherrscht auch die Kunst, während der anderthalbstündigen Ankleide-Prozedur zu assistieren und sie sagt, nur noch wenige ältere Föhrerinnen seien imstande, das Kopftuch richtig zu falten und zu stecken. Verheiratete tragen noch ein rotes, mit schwarzen Perlen besticktes Tuch unter der Haube, um ihren Status anzuzeigen. Ein Tanz etwa beginnt mit einer Kreisaufstellung der Frauen, bei der sie nicht zueinander, sondern nach außen schauen, sodaß erst einmal nicht zu sehen ist, wer die rote Haube trägt und wer nicht – ein Spiel mit dem sozialen Stand. Meistens haben die Familien eine Tracht, die weitergegeben wird von Generation zu Generation. Aber sie helfen einander auch aus. Praktischerweise kann man die Samtärmel, die nur an einem Miederjäckchen angenäht sind, darum untereinander tauschen, wenn Ärmel und Arme zu verschieden lang sind. Mit den Ärmeln geht es los, danach wird das Unterkleid übergestreift. Der mehrere Kilo schwere dunkle Rock ist hinten so gefältelt, dass die herabhängenden Stoffmassen den Oberkörper wie von selbst nur durch ihr Gewicht aufrichten. Die weiße Schürze wird hinten geschlossen und vorne mit einem Schürzenband und Broschen geschmückt.
Männer machten da noch nie mit. Denn mit den Tänzen begannen die Frauen vor Jahrhunderten, während ihre Männer zur See fuhren. Sie teilten ihre Einsamkeit an den langen Abenden mit den anderen Frauen, sie festigten ihre Freundschaften, bestätigten tanzend in vielen reizenden Grußbewegungen der nickenden Köpfe ihre Verbundenheit, das Wissen um den Alltag der anderen.
Das sieht man heute noch. Etwa wenn sich die Tänzerinnen zu einem engen Kreis zusammenschließen, bei dem die Frauen abwechselnd unter den Armen der anderen hindurchtauchen, sodass immer zwei Kreise entstehen, ein innerer und ein äußerer. Das beste an dieser Figur ist das verschwörerische, geheimnisvoll-ironische Lächeln, das die niederknieenden und die stehenden Frauen austauschen.
Die Tracht sieht seit etwa 1850 unverändert aus. Der Silberschmuck ähnelt Brustschmuck aus dem Mittelmeerraum. Das läßt darauf schließen, dass das Original vielleicht von einem Seemann als Geschenk nach Föhr mitgebracht wurde. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurden Trachten in Europa allgemein sehr populär. Auch im Ballett – 1850 assistierte Marius Petipa Jules Perrot bei „Giselle” – wo die Winzerfrauen in sehr hübschen Trachten auftreten.
Nele mit dem klassischen Getränk der Heimatabende und Feuerwehrfeste, dem Manhattan
Foto Dirk Kubatzki
Männer tanzten nicht mit, Männer hatten auch gar keine Tracht. Da sie soviel auf See waren, kleideten sie sich in den verschiedensten Häfen der Welt ein und pflegten einen sehr individuellen, zugleich zweckmäßigen und eklektischen Stil. So waren sie waren gleichsam doppelt frei. Während Frauen sich durch einheitliche Kleidung ihrer Zusammengehörigkeit versicherten und einander tanzend Halt gaben. Nur die Nationalsozialisten meinten, auch den nordfriesischen Männern Volkstanz verordnen zu sollen. Das wurde gleich nach dem Krieg wieder abgeschafft.