Aufforderung zum Tanz

Aufforderung zum Tanz

Was sie schon immer über Tanz hätten wissen wollen können und bisher nicht auf die Idee kamen zu fragen.

Drogenfahndung

  In den wenigen weltberühmten Ensembles kommt es nicht vor, dass neue Ballettdirektoren eine größere Anzahl von Tänzern austauschen. London, Paris,...

 

In den wenigen weltberühmten Ensembles kommt es nicht vor, dass neue Ballettdirektoren eine größere Anzahl von Tänzern austauschen. London, Paris, New York oder Kopenhagen haben eben Tänzer, die besser nicht sein könnten, Tänzer, von denen Ballettdirektoren träumen.

Kommt dann der neue Chef und ist nicht der Chef, von dem die Tänzer träumten, harren auch sie vielleicht lieber aus und hoffen, der ungeliebte Ballettmeister möge bald gehen und ihre Karriere nur kurze Zeit verbauen.

Am Königlich Dänischen Ballett in Kopenhagen sind jetzt angeblich zwanzig Tänzer, etwas weniger als ein Viertel der Compagnie, so weit, dass sie an Kündigung denken. Nikolaj Hübbe, ihr Ballettdirektor seit 2008, überzeugt sie nicht. Die Stimmung scheint bei manchen so schlecht zu sein, dass einige der insgesamt zweinundneunzig Tänzer bei einer internen Studie anonyme Anschuldigungen erhoben haben, die sich auf Drogenmißbrauch ihrer Kollegen beziehen. Nach einer Premiere des Balletts „Dornröschen” im vergangenen Jahr, so die Aussagen, seien den Befragten vier oder fünf junge Tänzer aus dem Fahrstuhl entgegengekommen und hätten berichtet, Hübbe habe ihnen in seinem Büro Kokain gegeben.

Bild zu: Drogenfahndung

Flext das Spielbein und weicht nicht in der Hüfte aus! Nikolaj Hübbe stemmt das Standbein fest in den Kopenhagener Ballettsaalboden.  (Foto Königlich Dänisches Ballett)

 

Keiner dieser nicht namentlich bekannten Zeugen hatte Hübbe selbst beim Koksen beobachtet. Mitte März lag der Bericht der externen Gesundheitsbeauftragten der Theaterleitung vor und Hübbe bot einen sofortigen Urintest an, was abgelehnt wurde. Nichts ist bis heute bewiesen.

 

Wie das bei solchen nach und nach durchsickernden Skandalgeschichten so geht: Jemand, der glaubt, damit etwas zu erreichen, spielt einen vertraulichen Bericht der Presse zu, in diesem Fall Jyllands-Posten. Die dänische Zeitung veröffentlicht ihre Enthüllungen Anfang Juli, der Minister mahnt den Theaterdirektor, aber der läßt seinen Ballettchef in Ruhe weiter arbeiten. Drei Wochen später schreibt eine deutsche Zeitung die Geschichte nach (es ist Sommer) und orakelt, Hübbes Satz, in New York lebe man nicht fünfzehn Jahre, ohne jemals mit Kokain in Berührung gekommen zu sein, könnte ihm das Genick brechen. Informationen? Keine neuen. Internen Bericht gesehen, Zeugen befragt? Fehlanzeige.

Was sollen die Leser jetzt denken? Dass die zwanzig vielleicht kündigenden Tänzer empört waren über Kokain-Mißbrauch in ihrer Umgebung und das Gefühl hatten, Hübbes fordernder Arbeitsstil und sein mitunter schwer zu zügelndes Temperament habe mit charakterlichen Veränderungen infolge Drogenmißbrauchs zu tun? Oder dass jemand oder mehrere von Hübbe schlecht behandelt wurden, nicht die Rollen bekamen, von denen sie glaubten, sie stünden ihnen zu, und sich dann abwandten, unter Waschen schmutziger Scheidungs-Wäsche?

Keine Version ist belegt. Aber ein Kribbeln läuft über den Rücken derjenigen, die schon den Film „Black Swan” für eine entlarvende, vollkommen realistische Darstellung der neurotischen Ballettwelt hielten. Die Drogenbeauftragte, die am Königlich Dänischen Ballett untersuchte, sagt, verglichen mit Drogenmißbrauch seien Ess-Störungen das weitaus gravierendere Problem solcher Compagnien.

Jeder, der bei der Erwähnung von Hollywood-Schauspielern, Popstars oder Topmodels mit aufgeregt fuchtelndem Zeigefinger berichten würde, einige von ihnen hätten Drogenerfahrungen, erntete ein müdes Lächeln. Ach WIRKLICH? Aber wenn es derartige Verdächtigungen gegen Tänzer gibt, dann gehen die Trivialfilm-Klischees durch wie wiehernde Kutschpferde in „Vom Winde verweht”. Ja genau, heißt dann der Subtext, so sauber und rein und fleißig und gut, wie die Tänzer immer tun in ihren langweiligen Balletten, sind sie gar nicht. In Wahrheit haben die ja so einen schrecklichen Stress in ihrem schrecklichen Beruf, dass sie essbrechen oder Schnee brauchen.

Na und dann noch Kokain, klingt ja auch plausibel: Putscht auf, dämpft Hungergefühle und Schmerzen, macht dich glauben, du bist der Größte. Jedenfalls eine Weile.

Man kann nicht leugnen, dass es Tänzer in den Hauptstädten dieser Welt gibt, die unerlaubte Substanzen konsumieren. Das ist bedauerlich angesichts der vielen Gefahren, in die sie sich damit bringen. Das bei einer Haschparty von der Polizei aufgegriffene Paar Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew kam nach einer Nacht auf dem Revier wieder frei und war von einer weiteren Schicht Bohème-Glanz umhüllt. Waren die beiden Kiffer? No, I don’t think so.

Dass Tänzer ihre Karriere aufs Spiel setzten würden, indem sie eine Drogenabhängigkeit riskierten, ist im Einzelfall denkbar, im Normalfall unwahrscheinlich. Manche von ihnen haben Schmerzen, manche leiden an mangelnder Anerkennung, manche kämpfen mit ihrem Gewicht. Aber sie alle haben acht, neun, zehn und mehr Jahre gearbeitet, um auf einer solchen Bühne tanzen zu dürfen. Wer das geschafft hat, wird nicht so leicht schwach. Zudem arbeiten viele der großen Compagnien seit Jahren mit Ärzten und Kliniken zusammen, die den Tänzern in Ernährungsfragen, bei Verletzungen oder anderen beruflichen Schwierigkeiten zur Seite stehen, um deren Gesundheit zu erhalten. Tänzer, deren Ausbildungszeit so lang ist, will man auch möglichst lange in ihrem Beruf arbeiten lassen können.

In einem der Internetforen der Tanzwelt schrieb jemand, Gesundheitsberichte wie am Königlich Dänischen Ballett sei der Staat als Arbeitgeber gehalten erstellen zu lassen, und sie seien wegen ihrer sensiblen Daten selbstredend geheimzuhalten. Die Presse aber stürze sich mit besonderer Verve auf alles, das mit dem Vermerk „Intern” gekennzeichnet sei. Man kann hinzufügen: Teile von ihr stürzen sich noch heftiger auf alles, das Interna der Ballettwelt zu enthalten scheint. Wer sich sie genauer anschaut, findet die professionellen Aspekte des Tanzes langfristig doch faszinierender.