Diese in der Akademie der Künste am Berliner Hanseatenweg stehenden Kisten verschwinden heute nacht zum letzten Mal aus Deutschland und kehren nie mehr zurück. Vierzig Jahre lang erreichten sie und ihre Vorläufermodelle, beladen mit Kostümen und Dekorationen, aus Übersee kommend europäischen Boden, immer Neues bergend. Es sind die Kisten eines großen Zauberers. Mit den Gerätschaften, die sie bargen, zersägte er konventionellere Theaterkonzepte des zwanzigsten Jahrhunderts wie seine mit komplizierteren Requisiten hantierenden Magierkollegen ihre Jungfrauen. Doch, wirklich.
Foto: Annie Leibovitz, Courtesy Akademie der Künste Berlin
Merce Cunningham hat im hohen Alter entschieden, dass seine Company sich zwei Jahre nach seinem Tod auflösen soll. Es gibt unter denen, die als Organisatoren, Veranstalter, Agenten, Mitglieder des Trusts oder im Rahmen der Merce Cunningham Foundation mit dem Choreographen gearbeitet haben, einige, die der strikten Auffassung sind, dass dies die einzig richtige Lösung ist. Robert Swinston, Director of Choreography von MCDC seit Cunningham im Juli 2009 verstarb und zuvor sein langjähriger Assistent, hat jetzt zumindest die Gewißheit, dass die Tanztechnik weiter unterrichtet werden kann. Denn das Merce Cunningham Dance Studio, 55 Bethune Street, New York, jahrzehntelang der Ort, an dem die Tänzer trainiert, die Stücke erdacht und geprobt wurden, muß im Frühling nächsten Jahres ebenfalls geräumt werden.
Aber der „Merce Cunningham Trust”, jene Organisation, bei der die Rechte der Choreographien liegen, Hüterin des digitalen Archivs der Stücke, wo die „dance capsules” verwaltet werden, wird zum neuen Jahr ins „New York City Center” ziehen und dort wird auch täglich eine Trainingsklasse in Cunningham-Technik gegeben werden. Außerdem gibt es ein Pilotprojekt, bei dem Stipendien an einzelne Tänzer vergeben werden, um sie Choreographien von Cunningham erlernen zu lassen. Sodass sie diese – idealerweise haben sie in der Company das betreffende Stück schon getanzt – anderen Ensembles einstudieren können.
Eine gute Gelegenheit, über alle diese Fragen nachzudenken, ist ein Besuch von Tacita Deans Installation „Stillness”, die noch bis zum 3. Oktober in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg zu sehen ist. Dean hatte den achtundachtzigjährigen Cunningham gebeten, ob er etwas zu John Cages „4:33″ machen könnte, das sie filmen würde. Nun sieht man sich in einer dunklen Halle sechs Leinwänden gegenüber, die den in einem Stuhl sitzenden alten Tänzer vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang beinahe (aber auch nur beinahe!) regungslos zeigen, gefilmt aus unterschiedlichen Perspektiven.
Merce Cunningham bei den Dreharbeiten zu “Merce Cunningham performs “STILLNESS (six performances, six films)”, 2008, Installation von Tacita Dean. Foto: Michael Vahrenwald
Die Kisten werden noch für ein Gastspiel nach London verschifft, wo die Company vom 5. – 8. Oktober im Barbican Center auftritt und im Dezember nach Paris, wo im Théâtre de la ville vom 15. – 23. 12. die letzten Vorstellungen in Europa stattfinden.