Er war Shakespeare’ s “Zettel” in Frederick Ashton’s Version des “Sommernachtstraums”, mit Oberon hätte er nicht getauscht. Könige und Prinzen zu verkörpern reizte ihn nicht.
Am vergangenen Freitag starb einer der meistgeliebten Tänzer Englands: Sechsundachtzig Jahre alt ist Alexander Grant geworden. Neben Margot Fonteyn, Michael Somes, Antoinette Sibley, Anthony Dowell und Robert Helpmann hatte Grant eine ganz besondere Stellung im Royal Ballet inne. Als tanzender Komiker war er so phantastisch wie Helpmann, aber er besaß nicht nur das seltene Vermögen, witzig tanzen zu können, er war auch ein solcher Virtuose der klassischen Technik, dass die meisten männlichen Tänzer der Company den direkten Vergleich gescheut hätten. Nach dem phänomenal erfolgreichen ersten Auftritt des Sadler’s Wells Ballet in Los Angeles kippte ihm Somes ein Glas Wasser über den Kopf – Grants Vermutung nach aus „professioneller Eifersucht”. Grant aber war zu klein, um Somes wirklich die Prinzenrollen abzujagen. Doch unglücklich machte das den am 22. Februar 1925 in Wellington, Neuseeland geborenen Sohn einer Hoteliersfamilie nicht. Frederick Ashton, Großbritanniens bedeutendster Choreograph bis heute, wurde sein Liebhaber und blieb sein lebenslanger Freund. Die beiden arbeiteten wundervoll zusammen. Ashton hinterließ ihm folgerichtig „La fille mal gardée”, das Grant in aller Welt einstudierte. Noch zu Lebzeiten Ashton’s hatte er als Ballettdirektor des National Ballet of Canada zwischen 1976 und 1983 dafür gesorgt, dass Kanada etwas anglisiert wurde. Zweiundzwanzig Rollen schuf Ashton für ihn, der von 1946 bis 1976 dem Royal Ballet angehörte. In insgesamt dreißig Balletten Ashton’s tanzte Alexander Grant und gehörte dreißig Jahre einer damals stürmisch gefeierten Company an, in der die größten Choreographen der Zeit arbeiteten. Darum wurde er auch nicht neidisch auf die Prinzen – es gab zu viele neue Rollen zu erfinden und auszufüllen.
Grant war ein Démi-Charactère-Tänzer mit der melancholischen Sensibilität eines danseur noble. Sehr dosiert floß das in seine komischen Rollen ein und gab seinen Figuren Wärme, Tiefe, Geist. So spielte und tanzte er einen tief berührenden Petruschka und einen exzentrischen Dr. Coppélius. Ashton machte ihn zu einem wundervollen Alain in „La fille mal gardée”. Niemand hat den simpleton je wieder so süß aussehen lassen, naiv, und kindsköpfig-bauernschlau. Schwer, den tumben kleinen Sohn des reichen Bauern, der nach dem Willen der Eltern Lise heiraten soll, die ihrerseits den gutausehenden armen Colas niemals aufgeben würde, schwer, ihn so zu tanzen, dass sein Tanz interessant bleibt, nicht eine Spur zu echt tölpelhaft aussieht und so, dass sein Charakter nicht zu liebenswert dasteht, denn sonst würde das Lise und Colas schlecht anstehen. Léonide Massine hatte ihn, der im Alter von sechs Jahren anfing in die Ballettschule zu gehen, in London, wo er mit einem Stipendium studierte, entdeckt. Ashton gab ihm den Zettel im „Sommernachtstraum”, wo er auf Spitzenschuhen tanzte, die wie Eselshufe verkleidet waren, und die wild lachende Sibley auf seinen pelzigen Rücken setzte. Als Gott Eros in „Sylvia” stand er im ersten Akt beinahe eine halbe Stunde lang still, bevor seine Statue zum Leben erwacht, ein Moment, der Englands Frauen regelmäßig ohnmächtig werden ließ. Als Piratenhauptmann in „Daphnis und Chloé” 1951 ergriff er Fonteyn mit einer Hand, hob sie in die Luft, rannte mit ihr davon, schlang sie sich um den Hals, warf sie schließlich zu Boden wie eine Beute und sprang über sie. In „Undine”, an dem Hans Werner Henze und Ashton eng mit Grant zusammenarbeiteten, war er der Mittelmeergott Tirrenio. Sanfter und zugleich verfressener spielte er das Schwein „Pigling Bland” in Ashton’s Version der „Tales of Beatrix Potter”, nur um gleich seine Eignung zum Spitzentanz erneut unter Beweis zu stellen.
Grant blieb ein Star. Er wurde alt? Fein, sagten sich seine Choreographen, dann denken wir uns Rollen für ältere Männer aus! Sicher seine berühmtesten Rollen der späten Phase sind William Meath Baker in „Enigma Variations” und der Ehemann Yslaev in „A Month in the Country” als Gegenüber von Lynn Seymour. Und natürlich war er – beim London Festival Ballet – ein großartiger Drosselmeyer im „Nußknacker” und eine furchteinflößende Hexe Madge in „La Sylphide”. Tänzer würden einiges geben, um in „Cinderella” den Joker so tanzen zu können, wie Grant das tat: Hintersinnig, aber nicht maliziös, in ennui gebadet, aber nicht in schwarze Galle getaucht, klug, aber nicht hochmütig. Und alles mit auch nur zwei Füssen.