„So ham wer ‘t jeprobt und so wird’s och jemacht”. Kann man sich jar nie oft jenuch uffsagen, die herrliche Textzeile von Jo Fabian. Tauchte in einem frühen Stück des Berliner Regisseurs und Choreographen auf. War natürlich damals in den neunziger Jahren ein irrer Witz. Konnte Fabian ja nicht wissen, dass schon zwei Jahrzehnte später im Kontext des zeitgenössischen Tanzes, jawohl, den Witz keiner mehr versteht. Proben? Für festgelegte, auch nicht teil-improvisierte Vorstellungen in einem gewöhnlich als Theater bekannten und mit einer Bühne ausgestatteten Raum? Proben? Muß ich mir merken, könnten junge Choreographen heute legitimerweise sagen, wenn sie ins Gespräch mit Mitgliedern der Frankfurter Schule kämen. Proben? So wie Robert Gernhardts mit etwas steilen Thesen über die Kunstgeschichte aufwartender Herr Putel sich erstaunt zeigt in „Das Interview. Ratten, nichts als Ratten”: „Museen? ….Muß ich mir merken.”
Mein Schlüsselerlebnis mit dieser Sorte Bär (wie es in Harry Rowohlts Übertragung von A.A. Milnes „Pu der Bär” heißt), mein Schlüsselerlebnis mit dieser Sorte von zeitgenössischem Tanz, – also einem rätselhaften Vorgang, dessen tänzerische Anteile nicht augenfällig werden und dessen gesamter Sinn schwer auszumachen ist, – hatte ich angesichts eines spanischen Auftretenden, der auf der Bühne hinter einem Tisch saß und postkartengroße Papiere umdrehte und Texte verlas, in denen davon die Rede war, was für ein Stück er machen würde, wenn sein Antrag auf Förderung nicht abgelehnt worden wäre. Es zog sich etwas hin, die Zeit, bis man aufstehen und gehen durfte, um es vorsichtig auszudrücken.
Aber es kommt noch besser. Anstatt nur ein Publikum schwachzuquatschen, das in den letzten Jahren gelernt haben könnte, Pressetexte und Stückbeschreibungen im Kontext des zeitgenössischen Tanzes mit einer gesunden Portion Argwohn zu lesen und nicht gleich überall hineinzugehen, statt dessen sagt die Körperblabla-Fraktion jetzt zu den Unerschrockenen unter ihren Besuchern: Schaut mal, Gabriele Klein, Gitta Barthel, und Esther Wagner haben sich ein Spiel für Euch ausgedacht, es heißt „Choreographischer Baukasten” und darin steht, wie man selber im Kontext des Zeitgenössischen Tanzes loslegt. Die Gabriele Klein und ihre Assistentinnen haben zunächst einen Stapel „Praxiskarten” gelocht und bedruckt. Und es gibt einen Schlüsselring dazu, mit dem kann man sich seine eigenen Praxiskartenstapel machen und mit dem Ring zusammenhalten und mit einem Stift, der auch in dem Kasten ist, darf man „EIGENE IDEEN” dazuschreiben. Wer gelernt hat, was ironisieren, abstrahieren, sortieren, oder „Das Offensichtliche Tun” heißt, der darf es versuchen. Erst einmal aber lesen bitte alle die Modulhefte zum Thema „Generierung” oder „Spielweisen” oder „Zusammenarbeit”. Ich weiß allerdings nicht, wie witzig Hausfrauen, Obdachlose und Arbeitslose folgende Anleitung finden würden: „UNWIRTLICH: Es soll ein Stück zum Thema „Soziale Ungerechtigkeit” erarbeitet werden. Die Tanzenden arbeiten mit Alltagsbewegungen, die prekären Tätigkeiten, wie putzen, betteln, auf dem Arbeitsamt warten, entlehnt sind”.
An dieser Stelle könnte man jetzt Schluß machen mit dem im Transcript Verlag 2011 erschienenen, aber vielleicht nicht ganz durchdachten und noch nicht vollkommen ausgereiften Schatzkästlein sinnloser Anweisungen, das übrigens für 44,80 Euro in hoffentlich nicht zuviele „Tanz-in-Schulen-Lehrerzimmer und Bibliotheken wandert. Aber zuvor möchten wir mit dem Leser noch ins theoretische Herz des Körperblablas als Gesellschaftsspiel vordringen. Es steckt nämlich auch ein Textband in dem Köfferchen, fein, nicht? Darin stehen auch nicht so leicht verständliche Sachen wie etwa, die moderne Tänzerin Isadora Duncan hätte ihren Körperschwerpunkt in den Solar Plexus verlegt. Interessanter Körper, das.
Also hier das ultimative Zitat von Gabriele Klein, und ich wünsche mir Zuschriften:
„Im 20. Jahrhundert – nach Michel Foucault dem Jahrhundert des Raumes – hat sich ein Verständnis von Choreographie durchgesetzt, das diese topographisch als ein Verfahren des Verteilens und Ordnens von Körpern in Raum und Zeit deutet. Der panoptische Blick auf die Bewegung im Raum läßt zwei Dimensionen der Choreographie in den Hintergrund treten, die in der (westlichen) Geschichte der Choreografie von großer Bedeutung waren: zum einen die Praxis, Technik oder Strategie des Sich-Bewegens oder Tanzens, die über viele Jahrhunderte die primäre Perspektive auf eine choreografische Ordnung darstellten. Zum anderen die Tatsache, dass das Schreiben von und über Bewegung und ihre choreographischen Muster über viele Jahrhunderte die Grundlage dafür bildete, dass Choreografie überhaupt als eine räumliche Ordnung wahrgenommen werden konnte.”
Wer könnte diesen einladenden Worten widerstehen? Komm, mach dein Tanzding, ey.
@kjaeschke - Liebe Leserin -...
@kjaeschke – Liebe Leserin – oder lieber Leser – da würden Sie mich jetzt falsch verstehen – es lag mir fern, den Tanz zu verunglimpfen, das wäre ja auch verrückt von mir. Hier geht es nicht um Anleihen von ernster Philosophie – “Jahrhundert des Raumes – ist jetzt auch nicht eine der stärksten Formulierungen Foucaults – sondern es geht darum, dass die These, der zeitgenössische Tanz sei jetzt bei der Nicht-Choreographie für Nicht-Tänzer angekommen und habe somit seine höchste Bestimmung erreicht, einfach abwegig ist. Es gibt wie in allen Künsten auch schlechte Werke im Tanz, die beliebig wirken mögen oder die voraussetzungsreich sind. Aber ich kann nicht sagen, dass schlechter Tanz schlimmer sei als schlechte Literatur oder miese Malerei…
Diese unendliche, kaum zu...
Diese unendliche, kaum zu ertragende Beliebigkeit und nie wirklich festzumachende Richtung oder Aussage des Tanzes hat mich immer gestört.
Geboren aus der maßlosen Überbewertung des Körpers, kommen eben am Ende immer nur ——- Bewegungen heraus. Die begriffslose Welt des Tanzes bleibt leider, bei gleichzeitiger immerwährender Berufung auf Bedeutung und Sinn (s.o.), ein arbiträres, letztendlich nicht faßbares Dahinwabern.
Vielleicht muß es auch das geben in der Kunst, aber dann bitte nicht aufgebläht mit dem genauen Instrumentarium ernsthafter Wissenschaften, wie hier der Philosophie eines Foucault.