Auf You Tube gibt es mehrere Versionen der berühmten 1966 uraufgeführten Anti-Choreographie „Trio A” der Tänzerin, Choreographin und Filmemacherin Yvonne Rainer. In einem Video bringt sie einem Wesen, das aussieht wie Amerikas legendäre Modern-Dance-Revolutionärin Martha Graham (1894 – 1991), eine Solo-Version von „Trio A” bei. Der Prozess gestaltet sich schwierig. Rainer, kurzes Haar, Brille, ungeschminkt, schwarzes T-Shirt, schwarze Trainingshose, unterrichtet die Person, die aussieht wie eine Inkarnation Martha Grahams – Hochsteckfrisur, knallrote Lippen, künstliche Wimpern, glitzernde Abendrobe – und hat ihre liebe Mühe, dem exaltierten Wesen beizubringen, dass diese Art postmoderner Entspannung und Nicht-Theatralität Spaß machen kann. „It’s not Medea’s Dance for Revenge, for Christ’s Sake!, ruft Yvonne Rainer aus – „Das ist doch nicht Medeas Rachetanz, um Gottes Willen!” So lustig ist der postmoderne Tanz. Yvonne Rainer, die mit „Trio A” 1966 Aufsehen erregte, einer Art -Nicht-Choreographie getanzt wie von Nicht-Tänzern, ohne Action, ohne gestreckte Füße, ohne Kostüme, Make-Up, ohne Story, als all dies noch recht ungewöhnlich war, bringt die Sache vierzig Jahre später Richard Move bei, einem New Yorker Tänzer und Choreographen, dessen Verkörperungen Martha Grahams die Tanzwelt seit langem ausser Fassung bringen. Das ist so besonders lustig, nicht nur weil der lineare Verlauf der Tanzgeschichte umgekehrt wird – jemand lernt etwas von jemand anderem, der viel später kam – sondern weil es gleichzeitig ideologisch wieder historisch korrekt vorgeht. Denn Graham würde natürlich das sachliche, alltagsbewegungsorientierte Tanzen von Rainer sinnlos, wenn nicht abscheulich gefunden haben. Naja, und Graham, bekennende Heterosexuelle, hätte Rainer, Feministin und ausgesprochene Lesbe von den neunziger Jahren an, vielleicht auch skeptisch betrachtet, umso witziger, dass Graham selbst hier von einem transssexuell auftretenden Mann verkörpert wird. Ach, der postmoderne Tanz (erfunden im New York der sechziger Jahre) ist so herrlich verwickelt und kompliziert!
Einer von Richard Moves amüsiertesten Zuschauern bei seinen „Martha@Move“-Shows war der Tänzer und Choreograph Merce Cunningham (1919 – 2009). Er wußte worüber er lachte, denn er hatte sechs Jahre lang in Grahams Company (1939 – 1945) mitgewirkt und war ein durch seine Sprungkraft und sein charismatisches Auftreten rasch unentbehrlich gewordener Solist der Drama Queen. Das Drama aber war genau das an Grahams Tänzen, was ihn nicht interessierte. Rainers Entspanntheit war ihm ihrerseits zu unterkomplex. Aber bringen wir die Dinge nicht zu sehr ins Rollen. Seit 2000, als Mikhail Baryshnikov mit seinem wundervollen Abend „Past Forward” die Meriten der amerikanischen tänzerischen Postmoderne mit exemplarischen Stücken und einer klugen, witzigen Moderation wieder in das richtige Licht rückte, seitdem ist Yvonne Rainer wieder prominent in der Tanzwelt und in ihr auch erst wieder aktiv. Lange Zeit war Rainer, die anfangs der siebziger Jahre aufhörte zu choreographieren und stattdessen Filme drehte, gegenüber Trisha Brown, Lucinda Childs oder Steve Paxton ins Hintertreffen des öffentlichen Bewußtseins geraten, da ihre Mitstreiter in der Judson Church, der Rebellen-Vereinigung des Tanzes, sich weiterhin mit Choreographie beschäftigten und es nie leid wurden, Schritte zu erfinden. Das ist vielleicht einfach der größte Unterschied bei Tänzern und Choreographen. Bei den einen erlischt nie das leuchtende Interesse an allen komplizierteren Formen von Bewegung, bei den anderen nimmt das Interesse an den den Tanz umgebenden Künsten oder der der Bewegung zugrundeliegenden Ideologie die Überhand. Wer Tanz benutzt, um etwas zu erreichen, zu beweisen oder zu demonstrieren, dessen Faszination für Bewegung wird irgendwann erschöpft sein.
Mit der Wiederentdeckung der Postmoderne erreicht die Auseinandersetzung mit dem Tanz indes auch Kreise, die lange glaubten, er sei nicht so wichtig – Kunstkreise etwa. In Köln, wo jetzt die zuvor im Kunsthaus Bregenz gezeigte Ausstellung über Yvonne Rainer im Museum Ludwig zu erleben ist (noch bis 29. Juli: „Yvonne Rainer. Raum, Körper, Sprache”), lieferte die Ausstellungskritik der „Welt” vom 6. Mai 2012 einen beredten Eindruck von diesem Interesse/Desinteresse. Der Text beginnt mit Yvonne Rainer „No-Manifesto”, einer 1965 aufgeschriebenen „Don’t”-Liste der Tanzaufführung: Nein zum Spektakel, nein zur Virtuosität, zu Verwandlungen und Zauber, etc. Doch später sagte sie selbst, das Manifest sei aus dem Moment geboren und natürlich keinesfalls als Vorschriften-Katalog der Judson Church gemeint gewesen. Die Autorin des „Welt-Artikels” fährt dessen ungeachtet fort: „Es (gemeint ist das Manifest, d.V.) war aber auch gegen den modernen Ausdruckstanz gerichtet, wie ihn die Tanzikonen und Rainer-Lehrerinnen Martha Graham und Merce Cunningham erfolgreich gemacht hatten”.
Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn ich schreiben würde, die berühmte Malerin Claude Monet habe dem Realismus zum Durchbruch verholfen. Internet, hilfst du auch der „Welt”? Denn wer Merce Cunningham googelt, sieht gleich Bilder, auf denen er unschwer als Mann zu erkennen ist. Naja, natürlich nicht als Überwinder des Expressionismus betitelt.
Seine eigenen Worte stellen das aber unmißverständlich klar – hier aus einem Gespräch mit NY-Times Kritiker John Rockwell 2006:
„I like to produce movement that seems out of range, to enlarge the range and add things to what we think of as dance…. From the beginning – like the other discoveries, such as separating music and movement – the software has constantly brought up other possibilities. I’ve always felt that there is a limit to the structural activity of the human body: once we stood up on two legs, we were caught and have to work that way. But there is always some other way to do it…. That’s been the history of movement; dance is another way someone has found to deal with the question of what movement can be.”