Happy Birthday, Hans van Manen!
Foto Tamas Nagy Hans van Manen arbeitet mit Igone de Jongh
Feierlichkeit steht bei Hans van Manen im Verdacht, Falschheit zu sein. Hoffentlich macht da heute nicht noch jemand einen Fehler. Heute nämlich begeht der unvermindert schöpferische Choreograph endlich seinen echten achtzigsten Geburtstag, zum richtigen Datum und ganz privat, nachdem die Ballettwelt ihn tagelang im Voraus hatte hochleben lassen, mit einer Gala in Amsterdam und anschließenden Gastvorstellungen von Het Nationale Ballet in Baden-Baden. Da ging soweit alles gut. Und das obwohl die Gala, was van Manen bislang mehr skeptisch hingenommen als genossen hatte, aus Auszügen allein seiner Werke bestanden hatte. Sinnigerweise eröffnete ein Stück den Abend, das bereits seinerseits als Geburtstagstorte entworfen worden war. „Black Cake” heißt es, es wurde 1989 uraufgeführt und war ein Geschenk an das Nederlands Dans Theater, das damals dreißig Jahre existierte. Will man ermessen, welche tanzästhetischen und tanzhistorischen Veränderungen im vergangenen halben, durch Hans van Manen entscheidend geprägten Jahrhundert vor sich gegangen sind, muß man ihn nur die Geschichten zu einigen seiner phantastischsten Ballette erzählen lassen. Etwa „Black Cake”: Das Stück schickt zum dritten Satz aus Peter Tschaikowskys „Pathétique”eine dunkel gekleidete Party-Gesellschaft auf die Bühne. Anders als manchmal, wenn der Choreograph den von ihm nobel, elegant und temperamentvoll umgewidmeten klassischen Tanz auf Popmusik knallte, entsteht hier die zwischentonreiche Spannung aus den Kontrasten der gefühlvollen, davontragenden symphonischen Musik Tschaikowskys und den Paartänzen, die in Fred Astaires Erfindungsreichtum getaucht aus dem Gesellschaftstanz hervorgeholt sind. Aber das ist noch nicht der Clou des Stücks. Die ganze Hohlheit und Verlogenheit öffentlicher wechselseitiger Zuprosterei erzählt van Manen gleich mit. Später im Stück, wenn die Gläser geleert sind und kein Nachschub in Sicht ist, brechen die angetrunkenen Protagonisten in ihren todschicken Habits einfach so in Tränen aus. Genug zusammengerissen, genug die tolle Fassade aufrechterhalten, kaum hat der Champagner die Wälle aus Erziehung, Disziplin und Takt etwas unterspült, verlieren alle die Nerven – und heulen los. Und jetzt kommts. In der ersten Bühnenorchesterprobe hörten die Musiker sofort auf zu spielen, und wollten sich weigern, weiterzuspielen, so van Manen. Er hielt ihnen eine Ansprache dahingehend, ob es richtig sei, dass sie am Abend zuvor eine Oper gespielt hätten und ob da nicht auf der Bühne auch so einiges an Geräuschen erzeugt worden sei, das dem Schluchzen vergleichbar oder vielleicht sogar als solches zu bezeichnen sei. Ja, doch, gaben die Musiker zu, murrten noch ein bißchen weiter und spielten dann wieder. Gerade hatte man gedacht, die Sache mit dem sinfonischen Ballett sei durch, also kein Orchester dieser Welt würde sich mehr aufregen über den tänzerischen Zugriff auf nicht explizit für Tanz komponierte Musik, kurz vor dem Mauerfall, da gelang es van Manen, Geigen und Bratschen zu provozieren, ohne dass, wohlgemerkt, dies seine Absicht gewesen wäre.
Noch aufregender als der Beweis, dass van Manen sarkastisch und witzig sein kann, ohne dafür Worte zu benötigen, war die Wiederbegegnung mit dem Beethoven-Stück „Grosse Fuge”. Das entstand 1971 mit Männern in bodenlangen Röcken – Marc Jacobs würde es lieben – und Frauen mit Martha-Graham-Look-alike-Contest-Hochsteckfrisuren und hautfarbenen Trikots. Der ganze letzte Teil der Choreographie zeigt so ungeheuer sinnliche, intime Duette von Frauen und Männern, dass man sich nicht mehr einbilden kann, gemeint sei das zärtliche Zwiegespräch Liebender. Ich glaube, Hans van Manen meinte hier Sex. Es ist eine der besten Sexszenen aller Genres finde ich.
Balanchine war au contraire der Auffassung, Beethoven sei unchoreographierbar. In der Satie-Miniatur „Trois Gnossiennes” grüßt ihn van Manen mit einem Paar, das sich tänzerisch zunächst anherrscht und erst allmählich, während es sich von dem von drei Männern geschobenen Konzertflügel seinerseits in die Ecke treiben läßt, ruhiger wird, und schließlich einmütiger.
Und als wäre der ganze Abend ( mit „Solo”, und Jozef Varga in „5 Tangos”) nicht sowieso schon als Hommage unschlagbar gut, indem die Werke des Geehrten eins ums andere für ihn sprachen, ausgeführt durch einige der momentan weltbesten Tänzer, gab’s noch einen kleinen Zusammenschnitt fabelhafter Szenen, die Hans van Manen tanzend, probend, zeigten. Henk van Dijk, Filmemacher und Lebenspartner seit dreißig Jahren unterlegte die Moves des Choreographen mit James Brown. Auch eine Art, Herzlichen Glückwunsch zu sagen: „Stay on the Scene, like a Sex Machine”.
Und wo wir gerade so am Gratulieren sind, hier noch einige Zeilen des Ballettdirektors der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf / Duisburg, Martin Schläpfer, dessen Freundschaft und Bewunderung für den holländischen Tanzmeister in diesen Erinnerungen schönsten Ausdruck findet. Sorry, Hans van Manen, aber hier wird es jetzt doch ein bißchen – ehrlich – feierlich.
„1979 studierte Hans van Manen uns in Basel “Fünf Tangos” ein. Isabelle Creste und ich waren als Gruppenpaar besetzt. Wir waren so jung, dass es für unsere Begeisterung, tanzen zu können, kaum einen Unterschied machte, ob wir “Clara” und „Fritz” im „Nussknacker” waren, oder ein Paar in van Manens Piazzolla-Ballett, das den Tango streng stilisiert auf die Spitze trieb. Tagsüber lernten wir die Tangos, abends tanzten wir in Heinz Spoerlis „Nussknacker”.
Wir hatten einfach Freude – und hatten sicher unsinnigerweise immer dabei ein Lachen auf dem Gesicht…anstatt den inneren Fokus aufeinander zu richten.
1981 kam dann mit “Grosse Fuge” ein Ballett, das mein Tänzerleben veränderte, so wichtig war es mir. Darum wurde „Grosse Fuge” auch das erste Stück, für das ich in Bern als Direktor bei Hans van Manen anfragte; – ich wusste – er wusste – mein Ensemble war eigentlich noch nicht bereit dazu. Aber er sagte: “Klar! Geb ich Dir!” Mea Venema hat es mit Inbrunst wochenlang einstudiert, als wäre mein Berner Ballett das Royal Ballet in London.
Hans van Manen ist einer der grössten Choreographen, die es jemals gegeben hat – nicht für mich ist das so – “Das ist so!” Heute darf ich ihn meinen Freund nennen. Geblieben sind meine Hochachtung und mein Respekt für sein Werk – aber auch eine lächelnde, kopfschüttelnde Bewunderung für seine unvergleichliche “sonnige” Lebenseinstellung. Er macht wirklich immer das Beste aus allem, nie klagt er, nur wenn ihn etwas wirklich frustriert, dann kann er wütend werden. Über die Jahre hat meine Bewunderung uneingeschränkt bestanden, sie hat eher noch zugenommen. Alle seine Ballette, die er seit den 90er Jahren geschaffen hat – nahtlos versteht sich – sind nicht nur Meisterwerke, wie oft früher schon. Nein, sie sind weise. Trost versprühend wie wirkliche Spiritualität es nur könnte; dabei nie forciert. Van Manen pinselt reine Schönheit über die Tragik unseres Schicksals, über unsere Vergänglichkeit. Sein Werk bietet Tod und Vergängnis ein lächelndes Antlitz, integriert diesen “brutal human fact” wie selbstverständlich. Gleichzeitig zelebriert seine Choreographie dabei das Leben als Sieg – für Frau und Mann ebenbürtig – über den Tod.
Federleicht, klar gebaut, schnörkellos komponiert sind seine Ballette – und doch “erdenschwer”, angefüllt mit menschlicher Erlebenssubstanz. Hans van Manen evoziert in mir Bilder von grossen Komponisten. Er trutzt nicht wie Beethoven es tat – hat aber dessen Energie und Agressivität. Nicht leicht perfekt und verwöhnt spielerisch wie Mozart ist er. Vielmehr ist van Manen in den letzten Jahren geworden wie Bach, aber sinnlich lachender noch dazu, eben ein Händel/Bach – aber über Mozart und Beethoven nach “hinten gegangen!..So muss man sich das vorstellen…plus Armani tragend – aber eben tragen könnend. No dandy – no, he is walking class!
Die Freundschaft: Nun – generös, ehrlich, liebevoll, und so unglaublich er selbst ist dieser Mann. Man spürt, dass seine Lebensleichtigkeit der Schwere abgerungen ist. Geschenkt wurde ihm nichts. Eine Disziplin hat er, die ich selten so erlebt habe…eine Genussfähigkeit, die fast nur Weise leben können … trotzdem dabei eine tiefe Menschlichkeit behaltend. Er ist der erste und einzige Meister der Choreographie, der an mein eigenes choreographisches Talent seit meinen Anfängen geglaubt hat.. “Go on, übe!” – so hat er mich ermutigt, bestärkte mich darin, einfach zu tun, was mir richtig schien, und sei es gegen den Trend. Bis heute ist er der einzige Choreograph mit dem ich über das Choreographieren philosophiere, stundenlang, bis in den Morgen hinein….alles sage, alles frage. Es darf – und gleichzeitig, bless him – als ebenbürtig miteinbezogen werde. Nie spielt er den, der weiter ist, den besser Wissenden.. ..so erklärt es sich, das er als Achtzigjähriger noch immer in alle Welt reist und seine Stücke betreut! Wer tut das noch?
Noch ein Wort zum Schluß: Er ist der einzige Choreograph, der Beethovens Sonate Nr. 32 in C-moll op. 111 choreographieren sollte und könnte! Ich habe es ihm das letzte Mal, als wir uns sahen und zusammen in den Morgen gingen, vorgeschlagen. Diese Sonate ist das großartigste je geschaffene musikalische Werk. Auf dieser künstlerischen Höhe kann nur einer choreographieren – the one and only van Manen!
Happy Birthday, Hans. Voller Dankbarkeit, Martin