Vor zehn Jahren begeisterte die Kollaboration von vier jungen Tänzer-Choreographen die Theaterwelt: In „D’avant” sangen und tanzten Luc Dunberry und Juan Kruz Diaz de Garacho Esnaola (aus der Compagnie von Sasha Waltz) gemeinsam mit Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet aus dem belgischen Kollektiv um Alain Platel, „Les ballets C. De la B.” in Gent.
Mit Cherkaoui hat Jalet, der eine Schauspielschule besuchte, bevor ein Tänzer des belgischen Choreographen Wim Vandekeybus sein Bewegungstalent entdeckte, seither immer wieder zusammengearbeitet. Nach „Babel” , das die beiden 2010 gemeinsam choreographierten, assistierte er Cherkaoui zuletzt in Avignon in der Endprobenphase von dessen Stück „Puz/zle”, das dort am 10. Juli Premiere feierte und noch vom 16. Juli bis zum 20. Juli gespielt wird.
Am 20. Juli hat Damien Jalet aber schon die nächste Premiere in Avignon – in Arthur Nauzyciels Inszenierung von Tschechows Komödie „Die Möwe” im Cour d’Honneur du Palais des Papes erarbeitet er eine Choreographie für die Schauspieler. Es ist Jalets sechste Zusammenarbeit mit dem 1967 geborenen französischen Regisseur, der seit 2007 das Centre Dramatique National in Orleans leitet und klassische Stücke zeitgenössisch in Szene setzt, ohne ihre Geschichte zu verleugnen oder ihre Sprache zu zerstören. In der getanzten Eröffnungsszene tragen die schwarzgekleideten Schauspieler Möwenmasken vor den Gesichtern. Nauzyciel und Jalet wollen herausarbeiten, dass Tschechows Figuren eigentlich nur zwei Weisen kennen, ihre Existenz auszuhalten – die Liebe, wobei die unerwiderte besser ist als keine Liebe – und die Kunst, die Poesie.
Damien Jalet versteht das Prinzip der künstlerischen Koproduktion als ästhetische Entscheidung. Hier erklärt er, warum es ihm so ernst ist mit Kollaborationen.
WH: Was verbindet Sie mit anderen Künstlern, was muß passieren, damit Sie mit jemand arbeiten wollen?
DJ: Arthur Nauzyciel ist ein enger Freund von mir, auch wenn ich ihn manchmal nur einmal im Monat sehe. Wir stehen intellektuell auf dem selben Grund, unsere Referenzen sind ähnlich. Jedes Mal, wenn wir uns nach längerer Zeit wiedersehen, geht erst einmal eine Fülle von Informationen hin und her zwischen uns – welche Filme haben wie auf uns gewirkt, welche Vorstellungen haben wir angesehen. Ein derart intensiver Austausch ist rar und kostbar. Mit Tänzern kenne ich das nicht, und unter Choreographen ist das auch etwas Besonderes. Mit Sidi Larbi Cherkaoui ist das eine Ausnahme. Kürzlich habe ich länger mit Dave St. Pierre gesprochen. Es ist toll, mit jemandem zu sprechen, der genauso nomadisch lebt. Wir sind zusammen durch die Buchläden gestöbert. Was ich an seiner Arbeit mag, ist, dass er sich ganz auf seine Intuition verläßt, da macht er wirklich keine Kompromisse. Er ist besessen von bestimmten Dingen. Intimität, Beziehungen, Grenzen, Gefühle, Sexualität, immer geht es um diese Themen. Es gibt so eine ganze Schule junger kanadischer Choreographen, deren Direktheit in ihrem Kreisen um diese Themen gerade in Frankreich begeistert aufgenommen wird.
WH: Wird einem als Choreographen etwas flau, wenn man die nächste Generation mit schnellen Schritten herankommen sieht? Ich meine, ist es so auf dem Markt freier zeitgenössischer Choreographie, dass es um die Jüngsten stets einen Hype gibt?
DJ: Ich bin jetzt Mitte dreißig, und ich bin noch mitten in dem Prozeß, meine physischen Ausdrucksmöglichkeiten als Tänzer zu erweitern und mit ihnen immer wieder anders zu arbeiten. Als Tänzer lebt man sehr in der Gegenwart, sehr in den Projekten, man denkt nicht weiter als die nächsten drei Jahre, die schon mit Projekten gefüllt sind. Aber nein, vor ein paar Jahren machten wir uns viel mehr Gedanken, ob wir mit unserer Arbeit in dieser Welt würden überleben können. Ich erinnere mich an das erste Stück, das ich mit Sidi Larbi Cherkaoui machte, es war ein großer Erfolg und sofort spürten wir den riesigen Erwartungsdruck. Wir waren zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahre alt, und spürten, wie schwierig es werden würde, zu bestehen, unter diesem Druck.
WH: Druck kam von wem?
DJ: Ach, von den Kritikern, auch vom Publikum, von den Leuten, die die Programmation in Theatern und Festivals machen, einfach von der Öffentlichkeit. In Frankreich kennt man das ja. Beim ersten Stück erzeugt der Erfolg ein unglaubliches Geräusch um dich herum, ein Riesenhallo, und dann wird man für das zweite heruntergeholt aus der Luft. Mit Sidi Larbi Cherkaoui habe ich das alles aus der Nähe erlebt. Heute geht es mir besser als damals, denn ich kann auf diesen Werk-Corpus zurückblicken, auf das, was wir bereits geschaffen haben. Darauf kann man aufbauen.Ich liebe es, mit Menschen unterschiedlichen Hintergrunds zusammenzuarbeiten, mit Schauspielern und Regisseuren, mit bildenden Künstlern, mit Musikern. Ich habe ja auch Schauspiel studiert, bevor ich zum Tanz kam. Auf diese Weise entstehen Verbindungen, Kreise, in denen ich arbeiten kann. Und wenn ich in einem gelangweilt bin, begebe ich mich in einen anderen Arbeitszusammenhang.
WH: Oder gleich auf einen anderen Kontinent
DJ: Island hat mich sehr fasziniert, Australien, Japan auch, Mexiko. Ich habe immer das Bedürfnis verspürt, aus meiner Heimatstadt Brüssel rauszukommen. Ich habe Probleme damit, zu einer bestimmten Familie zu gehören, zu einer abgeschlossenen Welt, einer eingeschworenen Gemeinschaft. Der zeitgenössische Tanz ist aber manchmal so – das ist eine sehr kleine Welt. Man trifft immer wieder dieselben Leute. Man macht ein Stück, tourt damit, kommt wieder zurück. So hätte ich die letzten zehn Jahre nicht verbringen wollen. Dieses System, ein Stück nach dem anderen zu produzieren, das ist nichts für mich.
WH: Aber wie geht das denn anders?
DJ: Na, indem man Kollaborationen anstrebt in anderen Feldern. So wie meine letzte Arbeit mit Jim Hodges in New York. Immer wieder in anderen Plätzen, mit Künstlern anderer Gebiete arbeiten, das hilft. Ich weiß gar nicht, ob ich so ein Choreograph mit einer eigenen Compagnie sein möchte.
WH: Das wäre nichts für Sie?
DJ: Ich frage mich. Natürlich hat das Leben als Nomade seinen Preis. Es ist ein großartiges Leben. Ein hartes Leben auch. Ich mag es. Ich bin ein sehr kollaborativer Künstler. Es muß etwas entstehen zwischen mir und dem anderen, ein Dialog. Das bereichert. Wenn zwei Visionen miteinander abgeglichen werden müssen, dann wird es interessant. Dann sieht man nicht nur monochromatisch.Die Arbeit mit bildenden Künstlern fasziniert mich im Augenblick besonders. Ich habe mit Alexandra Maine, mit Gabriela Fridriksdottir gearbeitet, mit Anthony Gormley und mit Jim Hodges. Als nächstes werde ich mit Marina Abramovic arbeiten.
WH: Was verbindet Sie und diese Künstler?
DJ: Ein ähnliches Konzept von Räumlichkeit, von Körperlichkeit. Wir arbeiten auf demselben Boden, wir haben nur verschiedene Arten, unsere Ideen zu materialisieren. Der Tanz hat diese zeitlichen Verläufe, aber Abramovic’s Performances entwickelen sich auch in einer zeitlichen Dauer. Das Schöne ist, man entwirft eine gemeinsame Landschaft, die es dann zu entdecken gilt.
WH: Eine Atmosphäre, einen Ort für das Stück?
DJ: Ja, bildende Künstler sind Virtuosen in der Konzeptionierung von Räumen. Jim Hodges gab mir ein Set, und in diesem konnte ich meinen Tanz entwickeln. Er zeigte mir die drei Ausstellungen in New York, die er gestaltet hatte mit seinen Werken und sagte, such dir aus, welche die am besten gefällt. Die einzige Bedingung ist, es muß zu Interaktionen kommen. Ich wählte den Raum, in dem Farben von der Decke tropften, Tag für Tag. Durch unsere Aufführung unter diesem tröpfelnden Farben-Schauer veränderten wir das Kunstwerk.
WH: Jim Hodges ließ ja nicht nachts den Boden wischen um am Morgen neu zu beginnen. Die Farbe blieb und trocknete und über die Tage wurde diese Schicht immer dicker.
DJ: Gleichzeitig gefiel mir auch das Element des Zufalls darin. Ich wurde zu einem Chamäleon, aber die Art und Weise, wie ich rutschte in den nassen Farben, ausglitt und Spuren hinterließ, war auch vom Zufall beeinflußt. Ein sehr komplexes Computersystem regelte den Ausstoß der Farbe. Wir hätten diese Performance an keinem anderen Ort so gemacht. Wir überlegten uns, was wir tun könnten, um die Resonanz der Installation noch zu verstärken. So etwas gefällt mir.
WH: Was für eine Auffassung von Tanz liegt dem zugrunde? Was inspiriert Sie?
DJ: Tanz ist Transformation. Man kann sich in ein Tier verwandeln, in einen Gott, man kann mit Carl Jungs Idee der „Anima” arbeiten, dem Weiblichen und dem Männlichen. Man kann sich in Materie verwandeln. Metamorphosen! Immer versucht man herauszufinden, auf welche Weise man noch der natürlichen Schwerkraft widerstehen kann. Es ist ein alter Wunsch des Menschen, der dem Tanz zugrundeliegt: Der Wunsch zu fliegen. Wie kann man die Schwerkraft herausfordern? Das ist etwas sehr Ursprüngliches. Tanz setzt uns damit wieder in Beziehung. Die ganze Arbeit mit Gabriela Fridriskdottir und Erna Omarsdottir („Transaquania – Out of the Blue”) bezog sich darauf, so zu agieren, als wäre es einen Moment bevor man menschliche Gestalt annimmt. Was wir in der Lagune machten, bezog sich auf die Tatsache, dass alles Leben aus dem Wasser entstanden ist. Wenn wir unsere eigenen animalischen Ursprünge leugnen, kann uns das krank machen. Jung sagt, wenn man seine animalischen Anteile verneint, kann das in die Neurose führen.Wenn Gesellschaften das Animalische ihrer Mitglieder zu sehr unterdrücken, kann das zur Rebellion führen.
Die zweite Idee ist Transzendenz. Jene Welt wahrnehmbar zu machen, die wir nicht sehen können, ist im Tanz möglich. Jede Kunst sollte diese spirituellen Aspekte haben, nicht religiöse zwangsläufig, aber Fragen stellen wie „Was tun wir hier?, „Warum sind wir, wie wir sind?” „Warum leben wir so und nicht anders?”. Das dürfen wir nicht vergessen.
WH: In dieser Art der Zusammenarbeit auf der Bühne, versuchen Sie etwas zu erreichen, das Sie alleine nicht könnten?
DJ: So schön es ist, manchmal ein Solo zu machen und zu erreichen, dass sich die ganze Aufmerksamkeit auf eine Person konzentriert und man die ganze Zerbrechlichkeit und Kraft einer Person spürt….so ist doch die Beziehung zu einem anderen, die Spannung, die zwischen zwei Personen entstehen kann, etwas für mich sehr Wichtiges. Ich arbeite nicht gerne alleine.
WH: Transformation, Transzendenz, Spiritualität…diese Begriffe zum Tanz in Beziehung zu setzen, betrifft Ihre Aufgabe als Choreograph. Wie geht der Tänzer Jalet mit diesen Konzeptionen auf die Bühne?
DJ: Das ist eine Frage der Energie. Wenn ich als Tänzer auftrete, frage ich mich, wie ich die Energie in einem Raum verändern kann. Im musikethnologischen Studium sagte meine Lehrerin Giovanna Marini zu mir: „Wenn Du nicht singst, als ob du gleich sterben könntest, wird dir niemand zuhören”.