Aufforderung zum Tanz

Aufforderung zum Tanz

Was sie schon immer über Tanz hätten wissen wollen können und bisher nicht auf die Idee kamen zu fragen.

Sind Tänzer Zentauren oder einfache Mustangs?

  Nichts ähnelt dem Verhältnis von Tänzern unter einander. Zwei, die die Hauptrollen in einem Ballett zusammen getanzt haben, bilden eine verschworene...

 

Nichts ähnelt dem Verhältnis von Tänzern unter einander. Zwei, die die Hauptrollen in einem Ballett zusammen getanzt haben, bilden eine verschworene Gemeinschaft. Sie sind verbunden, fast wie Mann und Frau, die einmal ein Paar waren und sich nicht im Streit getrennt haben oder sich später ausgesöhnt haben. Natürlich anders. Sachlicher, professioneller. Tänzer machen hinter der Bühne sehr viel Witze, um die Anspannung zu lösen. Es steht bei den kürzesten Variationen immer soviel auf dem Spiel. Trifft ein Sänger einen Ton nicht, braucht ein Schauspieler die Hilfe der Souffleuse, dann ist das mehr oder weniger peinlich, aber vertritt sich ein Tänzer oder passiert Schlimmeres, sind Schmerzen, Trainingspausen die Folge und manchmal sogar ganze Karrieren bedroht. In den Gassen daher, und den Garderoben und in den Ballettsälen, in der Kantine und auf den endlosen Reisen der Tourneen wird gelacht, gelacht und gelacht. Das Vertrauen, das sich bildet, wenn zwei, die zusammen arbeiten, jede Menge schwieriger und aufregender Situationen erlebt haben, ist unvergleichlich stark. Diese Großzügigkeit und Verläßlichkeit zeichnet auch eine andere, gleichgeschlechtliche professionelle Beziehung unter Tänzern aus – die des Coachs und des Neulings in einer Rolle.

Diese Welt zu erleben, ist nahezu unmöglich für den, der nicht selber ein Tänzer ist. Dominique Delouche, 1931 geborener französischer Filmregisseur, und zuvor Federico Fellinis Assistent in drei Filmen, darunter „La dolce vita”, dreht seit 1980 solche Filme in der Tanzwelt. Es gibt sie jetzt in einer DVD-Box. Sie sind französisch, aber es gibt englische Untertitel. Man müßte für diese Filme französisch lernen, wenn man es nicht schon könnte, so informativ sind diese Texte, so witzig, und so charmant.

Zum Beispiel Verdy, Violette:

Tänzer, sagt Violette Verdy darin, seien doch so eine Art Zentauren, „also wir sind zugleich das Pferd und der Reiter, und wir würden doch nicht ein Reiter sein wollen, der sein Pferd schlecht behandelt!”George Balanchine, für den sie, eine von russischen Ballerinen ausgebildete Französin, die bereits mit sechzehn Jahren ein Star war – Paris verließ, Balanchine nannte sie sa „mustanguette”, seinen kleinen „Mustang”. (Das finden jetzt die feministischen Protagonistinnen des zeitgenössischen Tanzes sehr macho, nehme ich an. Ich finde es hinreißend. Na, das auch).

Zur zweiten Natur werde der Tanz nicht, wenn man wirklich tanzen wolle, er werde zur ersten Natur, so Verdy. Und wie Maggie Smith als Herzoginmutter in „Downton Abbey” die Augenbrauen hochzieht und fragt „Weekend? What is weekend?” so antwortet Verdy in einem Interview, das man auf Youtube findet, auf Moderator Howard Dando’s Frage: „Ob ich ein Privatleben habe? Nein, kein nennenswertes. Mein Privatleben dient der Erholung meines Körpers für den nächsten Tag, wenn ich in mein Berufsleben zurückkehre”.

Warum Balanchine sie aussuchte? Weil sie eine Art französische Alchemie verkörperte in seiner amerikanischen Compagnie. Darum schuf er für sie die Fauré-Sektion „Emeralds” in seinem Ballett „Jewels”. „Sie haben sehr eloquente Füsse”, sagte er zu ihr, als er sie 1958 anrief und nach New York einlud. „Sie sprechen mit Ihren Füssen und das ist sehr französisch.”

In Gegenwart eines Genies zu arbeiten, bedeutete für Verdy, dass sie sich nie langweilen mußte. Wenn man seine Schritte tanzte, dann habe mansofort gewußt, diese seien die einzigen, die zu der Musik einen Sinn ergaben. Und wenn er nicht damit zufrieden gewesen sei, wie die Schritte aussahen, dann habe man gar nicht anders gekonnt, man habe geschworen, solange an ihnen zu arbeiten, bis sie perfekt aussähen. Aber er habe sie daraufhin geändert, weil sie besser zu einem passen sollten. Und das hätten sie dann auch getan.

„Etoiles pour l’exemple” – „Stars zum Beispiel” enthält elf Filme und sechs Bonus-Filme auf insgesamt sechs DVD’s. Der älteste stammt von 1959 „Le Spectre de la Danse”, und der neueste „Balanchine in Paris”, wurde 2011 gedreht. Wenn man sie alle angesehen hat, hat man Stoff für tauendundeine Nacht unter Balletomanen. Oder man kann – falls man zufällig jemandem begegnet, der das Ballett nicht kennt oder glaubt, es nicht zu mögen, sofort eloquent erklären, was am Tanz so faszinierend ist. Man braucht nicht einmal seine eigenen Füsse dazu. Hier, auf diesen sechs DVD’s, sind einige der beredsten Füsse zu erleben, die die Welt hervorgebracht hat, seit es die Fotografie gibt:

Balanchine, Lifar, Peretti, Markova, Chauviré, Ulanova, Vyroubova, Charrat, Miskovitch, Babilée, Bessy, Vassiliev, Maximova, Atanassoff, Labis Nureyev, Plissetskaia, Robbins, Hightower, Béjart, Neumeier, Verdy, Haydée, Lacotte, Thesmar, Denard, Dupond, Legris, Khalfouni, Platel, Clerc, Killian, Guillem, LeRiche, Malakhov, Vu An, Pietragalla, Loudières, Guérin, Maurin, Illmann, Talon, Lormeau, Moreau, Gillot, Thibault, Saiz, Moussin, Stéphant, Ciaravola, Bullion, Cozette, Pujol, Daniel, Lacarra, Halle, Pierre, Meyzindi, Laffon, Ould-Braham.

 

www.dorianefilms.com “Etoiles pour l’exemple”. Von Dominique Delouche. 969 Minuten für durchschnittliche 41,99 Euro bei einem Internet-Versandhandel