Weiß ist die Farbe der Nacht vom 21. Juni, die erste einer Reihe von Nächten, an denen man am liebsten draußen im Mondlicht schläft, wenn man schläft. Nuit Blanche ist der französische Ausdruck für eine lange durchfeierte Sommernacht. Weiße Nächte heißen in Skandinavien und dem Baltikum und Rußland die Sommernächte, in denen es nicht dunkel wird.Mittsommernachtsballette fangen diese ausgelassene und wilde Stimmung immer aufs Neue ein, meine liebsten Versionen bleiben die von Frederick Ashton, George Balanchine und Amanda Miller. Das HamburgBallett zeigt am kommenden Sonntag passend zum Johannifest John Neumeiers Fassung.
Wenn man kein Franzose ist, muß man heute abend Jungkartoffeln und Hering und Knäckebrot essen und zum Nachtisch Erdbeeren mit Sahne. Dazu trinkt man traditionell Bier und Schnäpse, bis die Elfe und Trolle tanzend in den Gärten auftauchen, zwischen den immer noch und sagenhaft üppig in diesem Jahr blühenden Pfingstrosen.
Mittsommernacht ist das in Schweden wichtigste Fest des Jahres nach Weihnachten. Doch während an Weihnachten der Baum die Natur im Haus repräsentieren muß und Dunkelheit und Kälte alles nach Drinnen verlagern, ist Mittsommernacht das Fest, an dem sich die Menschen mit der Natur verbinden, einer üppigen, nährenden, duftenden Natur. Die magischen Aspekte des Festes und die abergläubischen Bräuche sind Ausdruck der überschwänglichen Freude der Menschen an diesen Tagen und Nächten, ihrer Verzauberung. Der Mittsomernachtstau wird gesammelt, denn er heilt, so die Sage, kranke Tiere und läßt als Zugabe zum Teig die Brötchen besser aufgehen. Die Natur scheint nicht zu schlafen, ihre summende, wimmelnde, wachsende und reifende Energie teilt sich allen Lebewesen mit und enthebt sie ihrer Alltagswelt. Man möchte die Wärme, das Licht, das Grün, den Vogelgesang aufnehmen und speichern können für alle kalten Tage die kommen.
Tanzen, singen und Kartoffeln essen und über ein Lagerfeuer springen, Blumenkränze flechten und ins Wasser werfen sind abendfüllende Tätigkeiten in den weißen Nächten. Natürlich sollte man etwas Weißes tragen, weiße Kleider und gut gestärkte weiße Hemden.
Warum ist es schön, die Dinge so zu machen, wie sie schon Generationen vor uns gemacht haben? Weil sie so, wie sie sich entwickelt und bewahrt haben, vollkommen sind in ihrer Einfachheit. Durch das Essen und Trinken, die besondere Kleidung und die heiteren festlichen Rituale entsteht ein feierliches Innehalten im Jahresrhythmus, ein Bewußtwerden des Augenblicks im Ablauf der Jahreszeiten, ein Moment für die Erinnerung. So sahen die Kinder aus, das sagte der Mann, jenes Lied stimmte der Nachbar an, so roch das Feuer.
Wie schön ist das. Die Farben kehren zu den Gegenständen zurück, zu denen sie gehören, alles schlüpft an den richtigen Platz. Das ist wichtig in einer Zeit, in der Frauen sich die Nägel kobaltblau oder giftgrün lackieren und weiße Range Rover fahren. Was wollen wir noch alles aus dem Zusammenhang reißen? An den Anblick von Jeeps und SUV’s in den Innenstädten ist man längst gewöhnt, aber jetzt kommen die Autos der Großwildjäger in Weiß angefahren. In der Arktis könnte man Eisbären und Schneehasen verfolgen, hier aber wird der Wagen nur gebraucht, um vor Pilates-Studios, Boutiquen und Schulen zu parken.
Das ist so verwirrend. Erst haben wir gelernt, alles als Zeichen zu lesen und nun gibt es darüber so viele Mißverständnisse. Es kreuzen derart viele verzweifelt nach Aufmerksamkeit schreiende Hybridformen den ganzen Tag unseren Weg, dass man verrückt werden könnte. Der wandelnde weiße Jeep, das Äquivalent in menschlicher Gestalt ist der überaus zuvorkommende, höfliche und geradezu therapeutisch tröstende Hotline-Mitarbeiter: „Frau Kaube, dieses Problem wird bereits morgen der Vergangenheit angehören, glauben Sie mir.“ Das war natürlich nicht Sprache, nicht Zeichen, sondern die leichteste Weise, eine um Kundendienst ersuchende Anruferin loszuwerden, ohne Ärger zu kriegen, so wie man mehr Jeeps verkauft, wenn man sie auch weiß lackiert anbietet. Wer braucht das? Wer möchte zuvorkommend belogen werden. Wer braucht ein Allradfahrzeug, auf dem Schlamm echt nicht gut aussehen würde? Kocht Kartoffeln und wartet auf die Glühwürmchen, stellt richtig hin, was seinem angestammten Platz entrissen wurde, singt „Lachend kommt der Sommer über das Feld“, tanzt, bis ihr ins Gras fallt. Feiert Mittsommernacht.
[…] Und man kann lange im Hellen lesen, wie beispielsweise diesen schönen Blogbeitrag von Wiebke Hüster: Feiert Mittsommernacht […]